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In Zeiten wie diesen. Die ukrainische Regierung schränkt im Kriegsrecht Arbeits- und Gewerkschaftsrechte ein

Dossier

Demonstration des ukrainischen Gewerkschaftsbundes in Kiew am 15.1.2020 - Gegen das neue Arbeitsgesetz„… Am 15. März 2022 hat das ukrainische Parlament ohne vorherige Diskussion ein Gesetz verabschiedet (…) Der Gesetzestext beinhaltet gravierende Änderungen im Arbeitsrecht, die so lange gelten sollen, wie das Kriegsrecht in Kraft ist. (…) Das neue Arbeitsgesetz erlaubt es Arbeitgebern, Tarifverträge einseitig zu kündigen, Gewerkschaften sollen zu bloßen Organen der »Bürgerkontrolle« degradiert werden, die die Einhaltung des Gesetzes überwachen. (…) Zudem ermöglicht das neue Arbeitsgesetz solchen Unternehmen auch eine Kündigung wegen Abwesenheit, wenn Beschäftigte krank oder im Urlaub sind, Ausnahmen gibt es nur für Abwesenheiten wegen Schwangerschaft oder Elternzeit. Des Weiteren können Arbeitgeber die Wochenarbeitszeit von 40 auf 60 Stunden erhöhen und Urlaubstage streichen…“ Artikel von Simon Konstantinow in der Jungle World vom 31.03.2022 externer Link – siehe weitere Informationen und Auswirkungen:

  • [Veranstaltung am 24.2.24 in Berlin] Die Situation der ukrainischen Gewerkschaften heute – und wie wir unsere Solidarität mit ihnen verstärken können
    Angesichts von eigenen sozialen Problemen und aktuellen weltpolitischen Brennpunkten wie dem Nahostkrieg, droht in Deutschland und auch in den DGB-Gewerkschaften die Solidarität mit dem Existenzkampf der Ukraine und ihrer Gewerkschaften in den Hintergrund zu geraten. Wurden die Flüchtlinge aus der Ukraine vor zwei Jahren in Gewerkschaftshäusern voller Empathie aufgenommen, sind trotz solidarischer Beschlusslagen gewerkschaftlicher Gremien die praktischen Initiativen der Solidarität mit der Ukraine und ihren Gewerkschaften kaum wahrnehmbar. (…) Unter dem Deckmantel von Kriegsnotwendigkeiten erfolgen durch Kapital und Staat Angriffe auf die Rechte von abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften. Deshalb müssen diese neben der Unterstützung des bewaffneten Abwehrkampfes gegen die russische Aggression zugleich ihre sozialen und gewerkschaftlichen Rechte verteidigen. Aus diesem Grund ist unsere Solidarität mit ihnen gerade heute besonders notwendig.
    Nicht zuletzt deshalb haben wir am Jahrestag des russischen Überfalls diese Veranstaltung organisiert. Sie soll nicht nur ein Zeichen für unsere Solidarität setzen. Wir wollen vor allem eine gemeinsame Diskussion von deutschen und ukrainischen Kolleg:innen erreichen – darüber, wie die aktuelle Situation der arbeitenden Klassen und der Gewerkschaften in der Ukraine aussieht und welcher Bedarf an solidarischer Aktion bei unseren Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine existiert. Wir wollen uns auch darüber verständigen, wie der aktuelle Stand von Solidaritätsaktionen in den DGB-Gewerkschaften ist und wie wir die gewerkschaftliche Solidarität mit den ukrainischen Kolleginnen und Kollegen verstärken können. In solchen Diskussionen auf gleicher Augenhöhe sehen wir eine Basis auch für die notwendige Zusammenarbeit von deutschen und ukrainischen Gewerkschaften, um künftig gemeinsam für ein soziales Europa zu streiten…“ Aus der Einladung des AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West externer Link zur Solidaritätsveranstaltung „Mehr gewerkschaftliche Solidarität ist nötig!“ mit ukrainischen Gewerkschaften am 24. Februar in Berlin:

    • Im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Robert-Havemann-Saal, Greifswalderstr. 4 (Tram M4, zwei Stationen vom Alex)
    • Zeit: 24. Februar 2024, Beginn: 18:00 Uhr
    • Mit: Kateryna Danilova (IG BAU), Olga Losinskaya (ITF), Mary Schneider (Betriebsrätin ERGO Köln), Rolf Wiegand (Ver.di-FB Energiewirtschaft – angefragt), N.N. (Video-Schalte mit Gewerkschafter:innen in der Ukraine)
    • Moderation (AK Geschichte): Bernd Gehrke (Ver.di), Renate Hürtgen (GEW)
    • Sprachen: Deutsch und Ukrainisch
    • [Bericht der Veranstaltung am 24.2. in Berlin] Kampf an zwei Fronten: Ukrainische Gewerkschafter*innen müssen sich auch gegen den Staat verteidigen New
      „… »In den letzten Jahren hat sich die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Gewerkschaften gut entwickelt«, berichtet Vasyl Andreyev, der Vorsitzende der der Gewerkschaft der Bauarbeiter in der Ukraine (Profbud), der ebenso wie sein Stellvertreter Oleg Borysov per Videochat aus der Ukraine zugeschaltet war. Diese engere Zusammenarbeit hat mehrere Gründe, die die beiden klar benannten. Dazu gehören die Mitgliederverluste wegen der Massenauswanderung vieler Menschen, die kriegsbedingte Schließung zahlreicher Fabriken, aber auch die klar antigewerkschaftliche Politik der ukrainischen Regierung, erklärten Borysov und Andreyev.
      »Es gibt in der Ukraine ein neues Gesetz, das die Gewerkschaftsfreiheit stark einschränkt«, sagte Andreyev. Stark zugenommen hätten in den letzten zwei Jahren auch Arbeitsunfälle. Vermehrt sei es zu Schwerverletzten und auch zu tödlichen Unfällen gekommen, weil betriebliche Kontrollen kriegsbedingt stark zurückgefahren wurden: »Uns bleibt nur der juristische Weg, um die Rechte der Beschäftigten durchzusetzen.« Wie sein Kollege Borysov kritisiert Andreyev, dass die staatlichen Institutionen eine feindliche Haltung gegenüber den Gewerkschaften einnähmen. Einige Kapitalverbände seien zu Verhandlungen bereit, weil sie merkten, dass es Vorteile bringt. »Doch vom Staat gibt es keine Verhandlungsbereitschaft«, so Andreyev.
      Auch Natalia Zemlyanska, die Vorsitzende der ukrainischen Gewerkschaft USPP, die Soloselbstständige und prekär Beschäftigte organisiert, die beispielsweise in der Hauswirtschaft tätig, beschrieb eine feindliche Haltung des Staates gegen ihre Gewerkschaft. Ein Mitglied des Vorstands sei sogar im Gefängnis, weil es sich in den letzten Monaten gegen die neoliberale Politik der Regierung gewehrt hatte.
      Zemlyanska beschrieb am Beispiel eines Gesetzes über Kuraufenthalte, wie soziale Rechte aus der Sowjetunion im ukrainischen Kapitalismus geschleift werden. Sogar ihr Gewerkschaftszentrum in Kiew könnten sie verlieren, die Regierung will das von den Kolleg*innen aufgebaute Haus privatisieren, sagte Zemlyanska. Sie betonte die Wichtigkeit eines Austauschs mit Gewerkschafter*innen verschiedener Länder, um aus den Erfahrungen beim Kampf um die Rechte im Kapitalismus zu lernen
      …“ Bericht von Peter Nowak vom 25.02.2024 in ND online externer Link
  • Die Gewerkschaften der Ukraine kämpfen zwei Schlachten zugleich
    „… Als sich der Flughafenangestellte Andrej Tschuba freiwillig zum Militärdienst meldete, wollte er damit eigentlich einem Konflikt entkommen. Es war das Jahr 2020, und der Krieg gegen die prorussischen Kräfte im ostukrainischen Donbas ein schwelender Konflikt geringerer Intensität. Am Flughafen Kiew-Boryspil, nahe der Hauptstadt, war dagegen ein erbitterter Streit entbrannt. Tschuba, der dort als Sicherheitskontrolleur arbeitete, hatte sich gegen die Einführung eines bei der Belegschaft unbeliebten neuen Schichtsystems engagiert. Weil er von Seiten der Betriebsleitung Repressalien befürchtete und die seiner Ansicht nach arbeitgebertreue Gewerkschaftsführung ihn hängen ließ, erschien ihm ein dreijähriger Dienst bei der Armee als sinnvoller Ausweg. Laut Gesetz hatte er dabei neben dem Sold weiterhin Anspruch auf sein ziviles Gehalt. All das ist inzwischen aber eine gefühlte Ewigkeit her. (…) Der Flughafen, auf dem Tschuba früher arbeitete, ist erstmal stillgelegt, bis es Frieden gibt – eine Aussicht, die jeden Monat entfernter scheint. Sein Vertrag beim Militär ist bis auf Weiteres verlängert, der zivile Anteil seines Einkommens aber durch eine Gesetzesänderung gestrichen. »Ich bin damit nicht allein«, erklärt er. »Viele andere Militärdienstleistende stehen genauso da.« Da Gesetzesänderungen eigentlich nicht rückwirkend angewandt werden dürfen, wie es bei ihm der Fall ist, geht Tschuba zurzeit gerichtlich gegen die Gehaltskürzung vor. Auch wenn er anerkennt, dass der Flughafen gerade unter Geldnot leidet, sei dies kein rechtmäßiger Grund, ihm sein Gehalt vorzuenthalten. Wie kürzlich bekannt wurde, habe der Geschäftsführer im ersten Halbjahr 2023 immerhin rund 45.000 Euro verdient. Tschubas Geschichte ist eine von vielen und verdeutlicht eine beunruhigende Entwicklung. Während ukrainische Soldaten an der Front ihr Land gegen Putins Eroberungskrieg verteidigen, erleben die Arbeiterinnen und Arbeiter des Landes gleichzeitig einen breiten Angriff auf ihre Einkommen, Rechte und Vertretungen – und zwar seitens der eigenen Regierung. Seit Beginn des großangelegten russischen Einmarsches im Frühjahr 2022 hat das von Präsident Selenskyjs Partei Diener des Volkes dominierte ukrainische Parlament eine Reihe von drastischen Gesetzesänderungen und Reformen verabschiedet, die Sozialleistungen beschneiden, den Arbeitsmarkt deregulieren und den Einfluss der Gewerkschaften einschränken. (…) Laut internen Dokumenten, die OpenDemocracy kürzlich ans Licht brachte, scheint die künstliche Gewerkschaft, der Duma vorsteht, Teil eines größeren Vorhabens zu sein, das von Mitgliedern der Regierungspartei – unter anderem der Sozialpolitikchefin Tretjakowa – vorangetrieben wird. Ihr Ziel ist offenbar, eine komplett neue Gewerkschaftsstruktur zu schaffen, die der Regierung und deren Reformprogramm gegenüber freundlich gestimmt ist. Die FPU-Repräsentantin Semlianska findet an dieser Herangehensweise besonders tragisch, dass sie an genau die politische Kultur erinnert, von der sich die Ukraine zu befreien versucht. »Einerseits müssen wir uns gegen die russische Aggression verteidigen, um nicht wie in Russland leben zu müssen, wo Gewerkschafter ins Gefängnis geworfen werden. Aber gleichzeitig sehen wir ähnliche Tendenzen hier. Das kann doch wohl nicht wahr sein? Vor zehn Jahren haben Menschen dort draußen mit ihrem Leben bezahlt«, sagt sie aufgebracht und wedelt mit der Hand in Richtung Fenster. »Jetzt scheint es, als hätte man all das schon wieder vergessen, und wir fangen wieder von vorne an! Das ist doch unmöglich!« Während die ukrainische Regierungspartei darauf aus zu sein scheint, die Gewerkschaftsbewegung zu bekämpfen, stehen Arbeiter wie der Sicherheitskontrolleur Andrej Tschuba vor einer trüben Zukunft. Ob er den Glauben an sein Land verloren hat? »Wir müssen an den Sieg glauben«, sagt er trotzig. »Es gibt keine verdammte Alternative.«“ Artikel von Volodya Vagner vom 17. Januar 2024 in Jacobin.de externer Link
  • Neue Aussperrungsbestimmungen in der Ukraine mindern die Zahl der Streikberechtigten und die Streikdauer sowie ermöglichen Strafzahlungen
    Die ukrainischen Gewerkschaften protestieren gegen die Aufnahme von Aussperrungsbestimmungen in die Artikel 48-52 des Gesetzentwurfs über kollektive Arbeitskonflikte, der derzeit im ukrainischen Parlament diskutiert wird. Die Aussperrungsbestimmungen, die den Arbeitgebern mehr Macht geben und die Rechte der Arbeitnehmer beschneiden würden, verstoßen gegen die ukrainische Verfassung und internationale Arbeitsnormen.  
    Die Aufnahme der Aussperrungsbestimmungen legitimiert das Recht der Arbeitgeber, Aussperrungen zu veranlassen, und macht alle Fortschritte zunichte, die bei Streiks erzielt wurden. Im Falle von Eigentumsverletzungen könnte der Streik als illegal betrachtet werden, und der Arbeitgeber kann eine Entschädigung erhalten. Die Arbeitnehmerrechte werden durch die Bestimmungen nicht gestärkt, denn die Zahl der Beschäftigten, die legal streiken dürfen, könnte auf höchstens drei oder fünf Personen begrenzt werden. Ein Warnstreik kann nur einmal und nur für 60 Minuten während der gesamten Dauer eines Arbeitskonflikts durchgeführt werden. 
    Die Unzulässigkeit der Aussperrung, wie sie in den Artikeln 48-52 dieses Gesetzentwurfs festgelegt ist, wird durch die vom Europäischen Ausschuss für soziale Rechte beobachtete Praxis bestätigt.  Darüber hinaus betont der Ausschuss, dass das Recht auf Aussperrung im Gegensatz zum Streikrecht nicht als umfassender und weitreichender Schutz angesehen werden sollte. Um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie sehr die neuen Bestimmungen normale Arbeitnehmer und Gewerkschaftsmitglieder bedrohen, hat der KVPU eine Kampagne gestartet, bei der Gewerkschaftsführer ihre Bedenken und Standpunkte gegenüber Parlamentsmitgliedern zum Ausdruck bringen. (…)
    IndustriALL und industriAll Europe haben gemeinsam Briefe an den ukrainischen Präsidenten und das ukrainische Parlament geschickt, in denen sie die Rücknahme dieser Bestimmungen fordern und darauf hinweisen, dass sie die Rechte der Arbeitnehmer verletzen. IndustriALL Global Union und industriAll European Trade Union fordern die EU auf, diese Angelegenheit bei den ukrainischen Behörden im Rahmen des Integrationsprozesses zur Sprache zu bringen. IndustriALL ruft auch die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) auf, sich gegen die Aufnahme von Aussperrungsbestimmungen in den Gesetzentwurf einzusetzen.“ engl. Meldung der IndustriALL vom 12.10.2023 externer Link („New lockout provisions in Ukraine violate workers’ rights“, maschinenübersetzt)
  • »Faschisierung, aber kein Faschismus«: Gewerkschafter der Arbeiterfront der Ukraine (RFU) über Bedingungen der Gewerkschaftsarbeit seit Kriegsbeginn 
    Im Interview von Alieren Renkliöz vom 12. Oktober 2023 in Neues Deutschland online externer Link erläutert das Mitglied Taniev (Pseudonym) der Arbeiterfront der Ukraine (RFU) Politik und Ziel seiner Organisation: „Wir verfolgen eine marxistisch-leninistische Linie, wir wollen Revolution und Sozialismus. Wir veröffentlichen nicht nur linke Thesen, sondern helfen mit unserer Rechtsabteilung bei Fragen zum Arbeits- und Soldatenrecht. Wir arbeiten mit Juristen und Studenten und sind ständig dabei, Weiterbildungskurse anzubieten, um besser Hilfe leisten zu können. Als Organisation haben wir uns 2019 gegründet. Die Rechtsberatung für Soldaten gibt es erst seit Kriegsbeginn. (…) Wir waren bei Rheinmetall entwaffnen zu einer Diskussion in Berlin eingeladen und sind mit lokalen Gruppen auf Demos gegangen. (…) Man muss sich [als Marxist in der Ukraine] verstecken, denn Kommunismus und alles, was damit verbunden ist, ist verboten. (…) Man darf nicht mehr streiken. Demos sind verboten, der Krankenschutz ist ausgesetzt. Für Gewerkschaften ist das Streiken aber das letzte und stärkste Mittel. Egal wie groß und unabhängig du bist, du kannst nicht mehr mit einem Streik drohen. Der Arbeitgeber kann jetzt ohne Mitspracherecht der Gewerkschaften Wochenendarbeit einführen. (…) Weil die Arbeiter nach dem ersten Krankheitstag schon gekündigt werden können, gibt es nicht einmal die Möglichkeit, eine passive Art des Streiks zu praktizieren. Die gewerkschaftliche Arbeit ist komplett lahmgelegt. (…) Infolge des Krieges hat der Staat enorme Macht akkumuliert. In der Ukraine finden politische Säuberungen statt. Der berühmteste Fall sind die Kononowitsch-Brüder, die in der Ukraine als Kommunisten unter Repression leiden. Die ganze kommunistische Partei der Ukraine ist verboten, manche Menschen wurden sogar getötet. Der ukrainische Staat ist sehr effektiv mit seinen Repression. Selbst die bourgeoise Opposition ist mittlerweile komplett verboten. Es hatte mit der Verfolgung prorussischer Organisationen angefangen, mittlerweile aber gilt fast jeder, der nicht für Präsident Selenskyj ist, als prorussisch und wird verfolgt. (…) Wir als RFU sehen natürlich die negativen Entwicklungen in der Ukraine, aber sie rechtfertigen in keinem Fall einen Invasionskrieg. In der Ukraine gibt es eine Faschisierung, aber eben keinen Faschismus. Das Gleiche sehen wir auch in Russland und vielen anderen europäischen Ländern. (…) Man spielt hier die Karte, dass die Integrität der Grenzen im Interesse eines normalen Bürgers der Ukraine wäre. Aber was bekommt der durchschnittliche Bürger der Ukraine davon, ob die Grenze hundert Kilometer östlicher oder westlicher liegt? Für ihn gibt es davon nichts, weil das Land und die Ressourcen, die sich dort befinden, den Oligarchen gehören. Deren Interessen stehen in Gefahr, nicht die Interessen des Proletariers, der sich kaum noch das Essen leisten kann. Er wird in den Tod geschickt, um die Interessen der 0,1 Prozent zu verteidigen. Das gilt auch für die Russen. Was haben die denn davon gewonnen, wenn ein russischer Oligarch im Donbass Kohle, Gas oder Öl ausbeuten darf? Dadurch lebt der russische Arbeiter nicht besser…“
  • Trotz Rechtseinschränkungen in der Ukraine: Klassenkampf hört auch im Krieg nicht auf 
    Von Januar bis Februar 2023 registrierte der Nationale Dienst für Mediation und Schlichtung (NSPP) 140 kollektive Arbeitskonflikte (3 auf nationaler Ebene, 4 auf Branchenebene, 2 auf territorialer Ebene, 131 auf Unternehmensebene), an denen mehr als 1,6 Millionen Arbeitnehmer in 7643 Unternehmen beteiligt waren. In diesen Streitfällen wurden 316 Klagen von Arbeitnehmern eingereicht, von denen: 142 (45 %) betrafen die Nichteinhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften; 101 (32 %) betrafen die Durchführung eines Tarifvertrags, einer Vereinbarung oder ihrer gesonderten Bestimmungen; 46 (15 %) betrafen die Festlegung neuer Bedingungen oder die Änderung bestehender sozioökonomischer Bedingungen des Arbeits- und Wirtschaftslebens; 27 (8 %) betrafen den Abschluss oder die Änderung eines Tarifvertrags, einer Vereinbarung. Bei den Streitigkeiten über Lohnrückstände wurde ein Betrag von 56,7 Mio. UAH (1,40 Mio. EUR) des Gesamtbetrags von 717 Mio. UAH (18 Mio. EUR) gezahlt.“ engl. Meldung vom 13. März 2023 bei Laboursolidarity externer Link („Class struggle does not stop during war“, maschinenübersetzt)
  • Ukrainische Gewerkschaften wollen gegen Rechtsverletzungen kämpfen – mit Unterstützung von IndustriALL 
    „… Kurz vor dem ersten Jahrestag der russischen Invasion trafen sich IndustriALL Global Union und industriAll Europe am 9. Februar mit ukrainischen Mitgliedsorganisationen, um über Menschen- und Arbeitnehmerrechtsverletzungen im Land zu diskutieren. Vertreter:innen der ILO und der UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission für die Ukraine (Human Rights Monitoring Mission for Ukraine, HRMMU) berichteten über die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen, wie man sie aufdeckt und meldet und wie man die Instrumente nutzt. Kemal Özkan, stellvertretender Generalsekretär von IndustriALL, sagte: „Wir sind hier, um über Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen zu diskutieren und zu erfahren, wie sie begangen wurden, und um eine Strategie zu entwickeln, wie wir unsere Brüder und Schwestern in der Ukraine unterstützen können.“ Ukrainer:innen berichteten, wie der Krieg zu Arbeitsplatzverlusten geführt und Industrien zerstört hat. Die Teilnehmer:innen hörten von Zwangsarbeit (z. B. im Nuklearsektor), gefährlichen Gesundheits- und Sicherheitsstandards in Bergwerken und den Schwierigkeiten der Gewerkschaftsmitgliedschaft in besetzten Gebieten. Es wird berichtet, dass es eine Herausforderung ist, den Überblick über die Mitgliederzahlen zu behalten oder sich am sozialen Dialog zu beteiligen. Natalie Levytska von der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine, NPGU, sagt: „Die Bergwerke wurden zerstört und Tausende von Arbeitenden haben ihre Arbeit verloren. Wir müssen über den Wiederaufbau und den Schutz der Rechte der Arbeitenden nachdenken.“ „Wir wissen, dass ihr oft in Sitzungen seid, während der Beschuss stattfindet, und trotzdem habt ihr eure Arbeit fortgesetzt. Wir werden euch so gut wie möglich unterstützen und wir wissen, dass ihr euch als unabhängige Nation durchsetzen und ein gerechtes Umfeld für euer Volk schaffen werdet“, sagte Atle Høie, IndustriALL-Generalsekretär. Die ILO informierte über Verstöße gegen die Rechte der Arbeitenden und wie sie aufgedeckt werden können. Die Bedeutung von Berichten wurde in der Sitzung erläutert. Die ILO-Konventionen sind sehr eindeutig: Wenn es Widersprüche gibt, handelt es sich um einen Verstoß. Berichte können verwendet werden, um gegen die Täter vorzugehen, und sie dienen als Beweismittel, wenn es um Verstöße geht. Luc Triangle, Generalsekretär von industriAll Europe, begrüßte die Mitgliedsorganisationen von industriAll Europe und den Antrag der Ukraine auf Aufnahme in die EU als zukünftiges Mitgliedsland. Er versprach, dass industriAll Europe alles in seiner Macht Stehende tun werde, um den EU-Prozess zu unterstützen, aber auch einen Beitrag zum Kampf gegen den Abbau der ukrainischen Arbeitsgesetzgebung zu leisten, unter anderem indem er das Thema bei den EU-Institutionen anspricht. „Wir und alle europäischen Arbeitenden haben den höchsten Respekt vor dem ukrainischen Volk. Ihr kämpft für unsere gemeinsamen demokratischen und menschlichen Werte. Wir stehen an eurer Seite und werden euch gemeinsam mit IndustriALL Global Union unterstützen. In den kommenden Monaten werden die ukrainischen Mitgliedsorganisationen in unsere europäische Gewerkschaftsarbeit integriert. Das wird uns noch enger zusammenbringen…“ Stellungnahme von IndustriAll vom 13. Februar 2023 externer Link („Ukrainian unions set to fight rights’ violations”)
  • Protest ukrainischer Transport-Gewerkschaften: Zelensky soll arbeitnehmerfeindliche Gesetze sofort aufheben! – ITF besuchte Bahnarbeiter:innen in der Ukraine
    „Zwischen dem 18. und 20. Januar 2023 besuchte eine Delegation der ITF und der ETF die Ukraine, um Beschäftigte im Eisenbahn- und Seeverkehrssektor zu treffen. Der von der ITF im März 2022 eingerichtete Solidaritätsfonds ermöglichte es, ukrainische Verkehrsbeschäftigte mit einer breiten Palette von Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen, darunter Klappbetten, Matratzen, Decken, Generatoren, Solarzellen und Trinkwasser. Die ITF-Mitgliedsgewerkschaften in der Ukraine waren auch maßgeblich an der Organisation der Evakuierung der Familien von Transportarbeiter:innen in den Westen beteiligt, um sie in Sicherheit und Schutz zu bringen. In der Ukraine gibt es fast 400.000 Mitglieder von ITF-Mitgliedsgewerkschaften, mehr als die Hälfte davon sind Bahnbeschäftigte. Die Situation dieser Beschäftigten ist nach wie vor katastrophal, und im Laufe des Krieges wurden 319 Eisenbahner:innen und 200 Kinder von Eisenbahner:innen getötet und mehr als 70 verletzt; 9.000 Eisenbahner:innen wurden in die Armee eingezogen und weitere 10.000 intern vertrieben; und die Häuser von 123 Beschäftigten wurden zerstört. Tausende Kinder von Bahnarbeiter:innen brauchen immer noch dringend ein neues Zuhause. Die Gewerkschaften, darunter auch die Gewerkschaft der Eisenbahner und Transportbauarbeiter der Ukraine (TURWTCU), vertreten trotz der verzweifelten Lage weiterhin ihre Mitglieder, unterstützen die ukrainischen und territorialen Verteidigungskräfte und helfen den Gewerkschaftern und ihren Familien. TURWTCU vertritt 97 Prozent der ukrainischen Eisenbahner:innen. Die von der ukrainischen Regierung verabschiedeten Notstandsgesetze erlauben es den Arbeitgebern jedoch, die grundlegenden Arbeitsrechte der Beschäftigten zu verletzen und den Schutz und die Bedingungen der Beschäftigten und der Gewerkschaften zu verschlechtern. Diese neuen Gesetze ermöglichen es den Arbeitgebern, Tarifverträge einseitig außer Kraft zu setzen, den Beschäftigten das Recht auf gewerkschaftlichen Schutz im Falle einer Entlassung zu nehmen und seit langem bestehende Rechte wie garantierten Urlaub und andere Sozialleistungen auszuhöhlen.
    Viele dieser Änderungen verstoßen gegen die ukrainische Verfassung sowie gegen die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die Richtlinien der Europäischen Union. Die Gewerkschaften fordern Präsident Volodymyr Zelensky auf, sein Veto einzulegen und diese Gesetze rückgängig zu machen. Während die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner seit Beginn des Krieges Flüchtlinge, humanitäre Hilfe und andere lebenswichtige Güter transportiert haben, hat die Regierung diesen lebenswichtigen Beitrag durch eine beschleunigte Privatisierung der Eisenbahnen des Landes zurückgezahlt. David Gobé, Vorsitzender der ITF-Sektion Eisenbahner/innen, sagte:
    „Diese Angriffe auf Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte sind ein Affront gegen alle Beschäftigten, vor allem aber gegen die Menschen, die eine so wichtige Rolle bei der Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern gespielt haben und weiterhin spielen. In jeder Krise müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Teil der Lösung sein, aber diese Gesetze machen das schwieriger – nicht einfacher. Präsident Zelensky muss diese Gesetze sofort abschaffen und aufheben.“ …“
    Stellungnahme der ITF vom 8. Februar 2023 externer Link („“President Zelenskyy must scrap and repeal these laws immediately.” – Unions call for end to anti-worker laws in Ukraine“)
  • Gewerkschafter in der Ukraine beklagen Benachteiligung, Einschüchterung und den Missbrauch des Kriegsrechts. Sie hoffen auf den Einfluss Europas
    „… Prischedko war lange in der betriebseigenen Gewerkschaft gewesen, hatte vor zwei Jahren jedoch die Gewerkschaft gewechselt, war zur „Freien Gewerkschaft Spartak“ gegangen. Und damit hatten die Probleme in seiner Firma begonnen. Die Firmenleitung habe immer wieder auf ihn Druck ausgeübt, diese Gewerkschaft wieder zu verlassen. So hatte man ihn beispielsweise als Brigadier abgesetzt. „Aus Rache“, meint er. Und als am 1. Juni 2021 alle seine Kollegen eine Gehaltserhöhung von 100 Euro bekommen hatten, war die Gehaltserhöhung bei ihm und einem weiteren Kumpel der „Freien Gewerkschaft Spartak“ beträchtlich niedriger ausgefallen. Gewerkschaftsarbeit, so Simwolokow, sei in der jüngsten Zeit schwerer geworden. Im Sommer hatte das Parlament einige Änderungen an der Arbeitsgesetzgebung vorgenommen. Nun erlaube Artikel 43,1 der ukrainischen Arbeitsgesetzgebung, dass Mitglieder einer Gewerkschaft entlassen werden dürfen, ohne dass hierzu das Einverständnis der Gewerkschaft eingeholt werden müsse. Lediglich bei der Entlassung von gewählten Mitgliedern eines Gewerkschaftsorgans müsse die Gewerkschaft zustimmen. Es wurden auch Änderungen eingeführt, die Arbeitnehmer von kleineren Betrieben gegenüber ihren Kollegen in großen Betrieben diskriminieren. Wütend mache ihn die Haltung von Arbeitgebern und deren Interessenvertretern im Parlament, der Werchowna Rada, die zwar Lippenbekenntnisse zur Europäischen Union ablegen, in Wirklichkeit aber skrupellose Gesetze verabschieden, die in direktem Widerspruch zu den Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft stehen, wie Redefreiheit, Gewissensfreiheit, Vereinigungsfreiheit – und die Grundsätze, die in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte und in mehreren Konventionen des Völkerrechts verankert sind, missachten. „Meine Kollegen sind alle verängstigt“, erklärt Prischedko, deswegen wolle sich auch kaum jemand in der Gewerkschaft betätigen. Denn jederzeit könne ein Mitarbeiter beurlaubt werden. Und das heiße, man müsse zu Hause bleiben, erhalte nur zwei Drittel des Lohns. Alle hätten Angst, ihre Arbeit zu verlieren. (…)
    Gleichzeitig dürfe man im Kriegsrecht nicht demonstrieren und nicht streiken. Früher hätten bei derartigen Gerichtsverhandlungen immer Kollegen vor dem Gebäude gestanden und hätten Plakate hochgehalten. Heute sei das verboten, wegen des Krieges. (…)
    Hoffnung setzen beide auf Europa, in zweifacher Hinsicht. „Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als die Visafreiheit in die EU eingeführt worden war“, berichtet Simwolokow. Da hatten sich die Firmen in Dnipro geradezu überboten mit attraktiven Lohnerhöhungen, hatten sie doch Angst, dass die guten Fachleute nach Europa gehen. Doch jetzt sei das vorbei, im Kriegsrecht dürfen die meisten Männer das Land gar nicht verlassen. „Und schon sind die Löhne wieder runtergegangen.“ Aber auch in anderer Hinsicht ist Europa für ihn ein Hoffnungsschimmer. „Ich hoffe sehr, dass sich die Ukraine in ihrer Arbeitsgesetzgebung an der entsprechenden Gesetzgebung in Europa orientiert. Dann können wir wieder effektiv die Rechte der arbeitenden Bevölkerung verteidigen, werden wir wieder ein reales Recht auf Streiks haben“, so Simwolokow.“ Artikel von Bernhard Clasen vom 12.12.2022 in der taz online  externer Link („Arbeitsrecht im Schatten des Kriegs“)
  • In der Ukraine lassen Mode-Anbieter von Adidas bis Zalando produzieren. Ein neues Arbeitsgesetz macht es den Näherinnen noch schwerer, sich gegen Ausbeutung zu wehren
    „… Die wenigsten wissen, dass fast alle bekannten westeuropäischen Modekonzerne und Marken auch in der Ukraine fertigen lassen, weil es dort sehr billig ist – nach unseren Recherchen waren das zuletzt beispielsweise Hugo Boss, Adidas, Esprit, Aldi, Zalando, C&A, Zara, P&C, aber auch Vaude oder Triumph. Deutsche Unternehmen sind die mit Abstand wichtigsten Auftraggeber: an sie gingen 38 Prozent aller in der Ukraine produzierten Textilien und landeten so auch in deutschen Läden und Online-Shops. (…) Die Fabriken arbeiten noch immer, sie stehen vor allem im Westen des Landes, etwa in der Nähe der Grenzen zur Slowakei und Ungarn. Dort gab es noch nicht so viele Kampfhandlungen. (…) [D]ie Arbeitsbedingungen in der Ukraine unterscheiden sich kaum von denen in Bangladesch oder Indien. Selbst in China verdienen die Beschäftigten mehr! Die ukrainischen Textilarbeiterinnen werden tagtäglich ausgebeutet: ihre Löhne reichen kaum zum Leben, und zwei von drei Näherinnen arbeiten ohne Arbeitsvertrag und ohne Sozialversicherung. Im Winter ist es in den Fabriken oft eiskalt, im Sommer tropisch heiß. Hinzu kommt, dass manche Zulieferer während der Coronakrise monatelang keine Löhne gezahlt oder die Näherinnen gezwungen haben, unbezahlten Urlaub zu nehmen – um keine Abfindung zahlen zu müssen. Manche Fabrikbesitzer taten das aus der schieren Not, weil ihr Auftraggeber in Westeuropa mit dem Beginn des Lockdowns einfach den Auftrag storniert hatte. (…) [D]as von Präsident Selenskyj unterzeichnete Gesetz hebelt Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte noch weiter aus. 2020, beim Entwurf des reformierten Arbeitsgesetzes, das stark auf Liberalisierung und eine Selbstregulierung des Markts setzte, konnten Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft noch verhindern, dass Arbeitsrechte und Tarifverhandlungen massiv aufgeweicht werden. Jetzt aber hat das ukrainische Parlament unter dem Deckmantel des Kriegsrechts und trotz monatelanger Proteste der Gewerkschaften ein Gesetz durchgeboxt, das Vereinigungsfreiheit und Arbeitnehmerrechte extrem untergräbt. (…) Unter dem neuen Arbeitsgesetz können Arbeitgeber Mitarbeitende einfach versetzen und sie in Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten – und das betrifft die meisten Textilfabriken – grundlos entlassen. Sie können Tarifverträge einseitig kündigen, Urlaubstage streichen, und sie können die Wochenarbeitszeit von 40 auf 60 Stunden erhöhen. Frauen „dürfen“ jetzt wieder an körperlich schweren Arbeitsplätzen arbeiten, das war bislang verboten. Die meisten Näherinnen werden das alles akzeptieren, weil sie den Job brauchen. Gegen das neue Gesetz zu demonstrieren oder zu streiken, ist für sie keine Option – ihnen droht unter dem Kriegsrecht, verhaftet zu werden. Auch deswegen verstößt das Arbeitsgesetz gegen die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, wie der Internationale Gewerkschaftsbund IGB kritisiert. Da werden im Schatten des Krieges rote Linien überschritten. Zwar soll die Arbeitsrechtsreform nur während des Kriegsrechts gelten. Aber unsere ukrainischen Gewerkschaftspartner bezweifeln, dass die Punkte nach dem Krieg wieder rückgängig gemacht würden. (…) [Die Modeunternehmen in Deutschland] müssen mehr Verantwortung für die Arbeiterinnen zeigen, die für sie nähen. Etwa, indem sie aufhören, bei ihren Zulieferern die Preise zu drücken. Dann können diese die Arbeiterinnen auch anständig bezahlen – dass 154 Euro im Monat nicht zum Leben reichen, weiß man auch in den Chefetagen der Modekonzerne.“ Bettina Musiolek von der „Kampagne für Saubere Kleidung“ im GEW-Interview von Martina Hahn am 5. Dezember 2022 externer Link („Hungerlöhne unter dem Deckmantel des Kriegsrechts“)
  • Kampagne für Saubere Kleidung erklärt ihre Solidarität mit den Bekleidungsarbeiter*innen und allen Arbeitnehmer*innen in der Ukraine
    Die Kampagne für Saubere Kleidung erklärt ihre Solidarität mit den Bekleidungsarbeiter*innen und allen Arbeitnehmer*innen in der Ukraine während der russischen Invasion. Wie jeden Akt der Aggression, Invasion und Krieg verurteilen wir den Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine. Wir unterstützen jede ernsthafte, diplomatische und politische Initiative, institutionell und an der Basis, die darauf abzielt, eine Eskalation dieses Konflikts zu verhindern und den Truppenabzug aus den besetzten Gebieten herbeizuführen. Der Krieg hat bereits Arbeiterinnen und Arbeiter wie auch die Zivilbevölkerung in Europa und darüber hinaus beeinträchtigt. Wir protestieren gegen die Aufhebung des Arbeitnehmer*innenschutzes und der Gewerkschaftsrechte. Sie betreffen insbesondere die Bekleidungsfabriken als kleine und mittelständische Unternehmen. Unter den Bedingungen einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise untergraben die neuen Gesetze die grundlegenden Arbeitsrechte. (…) Recherchen der CCC im Jahr 2020 ergaben, dass die etwa 200.000 ukrainischen Textilarbeiter*innen nur ein Fünftel der grundlegenden Lebenshaltungskosten (eines existenzsichernden Basislohns) verdienen, oft nicht einmal den monatlichen Mindestnettolohn von 126 EUR (2019). Viele dieser Beschäftigten werden eingeschüchtert und gedemütigt, zu Überstunden gezwungen, fallen im Sommer am Arbeitsplatz in Ohnmacht und frieren im Winter – um nur die am weitesten verbreiteten Verstöße zu nennen. Genaue Beschäftigtenzahlen für die Bekleidungsindustrie sind nicht verfügbar, da die Schattenwirtschaft in diesem Sektor besonders verbreitet ist; etwa 70 % der Beschäftigten in der Textilindustrie arbeiten informell (Stand 2020). Diese Situation verschlimmerte sich während der Pandemie, als Löhne und Sozialversicherung nicht gezahlt wurden; viele Arbeiter*innen wurden in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt oder entlassen. Im Frühjahr 2022 führte die CCC eine informelle Umfrage bei Marken durch, die in der Ukraine ordern, und die meisten von ihnen gaben an, dass sie weiterhin Aufträge an ihre ukrainischen Lieferanten vergeben und die Fabriken in Betrieb sind. Die Bekleidungsindustrie konzentriert sich auf den westlichen Teil des Landes und ist daher weniger von Kriegshandlungen betroffen. Die CCC forderte die Marken auf, erhöhte Sorgfalt und Verantwortung bezüglich der Beachtung von Menschenrechten bei der Arbeit walten zu lassen. Gerade in einem Krieg und der damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Krise brauchen die Arbeiter*innen Schutz (…) Daher fordern wir die Marken dringend auf, sicherzustellen, dass sie keine Schwächung des Arbeitsnehmerschutzes, die gegen die IAO-Normen verstößt, unterstützen oder fördern. V. a. darf es keine Verlängerung der Arbeitszeit und keinen Abbau von Arbeitnehmerrechten gegenüber ILO-Normen geben; dafür zu sorgen, dass bestehende Bedingungen beibehalten werden, die den IAO-Normen und den Verhaltenskodizes der Marken selbst entsprechen, und dass Arbeitsrechte (einschließlich der Höchstarbeitszeit) ungeachtet des Abbaus der Arbeitsrechte in der Ukraine nicht verringert werden. Sicherzustellen, dass Beschäftigte, die sich an friedlichen Protesten oder Aktivitäten im Rahmen der Vereinigungsfreiheit beteiligen, vor willkürlicher Inhaftierung unter dem Kriegsrecht geschützt werden. Sicherzustellen, dass die Löhne den Anstieg der Lebenshaltungskosten insbesondere für Lebensmittel und Wohnraum kompensieren. Sich zu einer nachhaltigen Auftragsvergabe und langfristigen Beziehungen mit ukrainischen Lieferanten zu verpflichten, um die Auswirkungen herrschender Einkaufspraktiken zu verringern.“ Stellungnahme der Kampagne für Saubere Kleidung vom 24. Oktober 2022 externer Link zur Aussetzung der Arbeitnehmer*innenrechte in der Ukraine
  • [Zu spät?] Die Ukraine darf kein neoliberales Versuchslabor werden / „Unsere europäischen Werte“: 1,21 Euro Mindestlohn in der Ukraine
    • Die Ukraine darf kein neoliberales Versuchslabor werden
      Während die ukrainische Bevölkerung ihr Land gegen die russische Invasion verteidigt, nutzen die Wirtschaftseliten Europas diese Lage, um ihre neoliberale Agenda durchzusetzen. (…) Der ukrainische Digitalminister Mychajlo Fedorow wiederum zögerte nicht lange, als er am 4. Juli zum Stift griff. An der Ukraine Recovery Conference in der Schweizer Stadt Lugano unterzeichnete er gemeinsam mit den Mobilfunk- und Kabelnetzunternehmen Kyivstar, Vodafone und Datagroup-Volia eine Vereinbarung zur Digitalisierung der Ukraine. Im Krieg biete sich die Chance, die Ukraine digital zum fortschrittlichsten Staat der Welt zu entwickeln. »Es ist ein Experiment, eine Revolution. Eine Chance für Sie, Ihre Unternehmen und die ganze Welt!«, meinte Fedorow. Das neue Arbeitsgesetz und die Recovery Conference deuten an, wohin sich die Ukraine während und nach dem russischen Angriffskrieg entwickeln könnte: zu einem neoliberalen Labor mit möglichst wenig arbeitsrechtlichen Regulierungen und mit möglichst guten Rahmenbedingungen für private Konzerne, die beim Wiederaufbau des Landes Profite erzielen möchten. Dass Selenski mit seiner Unterschrift zögerte, zeigt aber auch: Proteste von Arbeiterinnen und Arbeitern, gerade auch mit internationaler Unterstützung, können etwas bewirken. In letzter Minute wurde eine Änderung erreicht, wonach Gesetz Nummer 5371, anders als ursprünglich vorgesehen, nur während der Dauer des Kriegs in Kraft bleiben soll. (…) Von den Angriffen der russischen Armee sind Arbeiterinnen und Arbeiter besonders betroffen. Gemäß einer Statistik für Betriebsunfälle gehen 80 Prozent der Todesfälle am Arbeitsplatz auf die Kriegshandlungen zurück. Die International Labour Organisation ILO wiederum hielt im Mai fest, dass der Krieg und seine Folgen bisher 30 Prozent aller Arbeitsplätze vernichtet hat. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Beschäftigte haben wegen der russischen Angriffe ihre Jobs verloren. Dennoch werden deren Rechte seit Kriegsbeginn stark eingeschränkt: Derzeit sind Streiks verboten und das Arbeitsinspektorat hat seine Kontrollen praktisch komplett eingestellt. Verstöße gegen das Arbeitsrecht werden somit nicht mehr dokumentiert. Eine neoliberale Agenda hatte bereits der Präsident Petro Poroschenko verfolgt, die Regierung Selenski machte dann im gleichen Stil weiter. (…) Diese Reformen gehen allerdings nicht nur von der Regierung selbst aus. Sie richtet ihre Politik vielmehr nach den Wünschen ausländischer Kreditgeber wie dem Internationalen Währungsfonds IWF aus, von dessen Darlehen die Ukraine abhängig ist. Bei ihren Arbeitsmarktreformen wurde sie zudem von westlichen Partnern beraten: So organisierte zum Beispiel das britische Außenministerium Workshops, in denen es dem ukrainischen Wirtschaftsministerium erklärte, wie sich Wählerinnen und Wähler von flexibilisierten Arbeitsgesetzen überzeugen lassen. (…) Wurde in Russland der Arbeitsmarkt bereits in den 1990er und 00er Jahren flexibilisiert, stammen die Arbeitsgesetze in der Ukraine noch aus der Sowjetzeit. Auch wenn sie oft missachtet wurden, konnten sich Arbeiterinnen und Arbeiter immerhin vor Gericht darauf berufen. Die jetzigen Änderungen bedeuten entsprechend einen Paradigmenwechsel: »Ultraliberale Zugeständnisse an die Arbeitgeber werden den Rückgang des Lebensstandards nur beschleunigen, nicht aber den Aufschwung der Wirtschaft fördern«, schreibt die linke Basisorganisation Sozialnyi Ruch, was so viel wie »soziale Bewegung« bedeutet. (…) Der Plan ist in drei Phasen unterteilt: Zuerst soll direkte Nothilfe im Krieg geleistet, dann die zerstörte Infrastruktur erneuert und schließlich sollen langfristige Ziele für eine Reform des Staates umgesetzt werden. An der Erarbeitung des Plans sollen mehr als 3.000 Expertinnen und Experten mitgewirkt haben. Wie der ukrainische Ableger des Wirtschaftsmagazins Forbes vor der Konferenz schrieb, ist einer der prominenten Berater ausgerechnet Francis Fukuyama, der nach dem Zerfall der Sowjetunion das »Ende der Geschichte« ausrief. (…) Nach Selenski gab EU-Kommissarin Ursula von der Leyen bekannt, dass sich die EU und die Ukraine auf ein Vorgehen beim Wiederaufbau verständigt hätten. Zwar wird Brüssel eine Koordinationsplattform einsetzen, an der sich Staaten, internationale Organisatoren wie private Kapitalgeber beteiligen können. »Den Lead wird aber die Ukraine haben«, versprach von der Leyen.  »Build back better!«: Dieses Motto wiederholten die ukrainischen Vertreterinnen und Vertreter in Lugano mantraartig. Das Land soll nicht bloß wiederaufgebaut, sondern aus dem Krieg heraus neu erfunden werden. In Zukunft soll die Ukraine grüner, digitaler und gesellschaftlich aufgeschlossen sein – und offen für Investoren und Konzerne. Die Beschreibungen klingen bisweilen weniger nach einem Staat als nach einem Start-Up-Unternehmen…“ Artikel von Anna Jikhareva  und Kaspar Surber vom 28. September 2022 in Jacobin.de externer Link
    • „Unsere europäischen Werte“: 1,21 Euro Mindestlohn in der Ukraine
      Die Ukraine ist korrupt – wissen wir, macht nichts, ist ja für die gute Sache. Aber die ärmste und kränkeste Bevölkerung, Land als Drehscheibe der europaweiten Niedrigstlöhnerei und des Zigarettenschmuggels, Weltspitze beim Handel mit dem weiblichen Körper – und mehr Soldaten als jeder europäische NATO-Staat. Bei der ersten Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Ukraine, im Jahre 2015, betrug er 0,34 Euro, also 34 Cent pro Stunde. Danach wurde er erhöht: 2017 betrug er 68 Cent, 2019 betrug er 10 Cent mehr, also immerhin 78 Cent, und seit 2021 liegt er bei 1,21 Euro. Schon mal gehört? Das bedeutet natürlich nicht, dass dieser Mindestlohn in diesem Staat tatsächlich korrekt bezahlt wird. Bei einer vollen Arbeitswoche im Jahre 2017 betrug so der monatliche Mindestlohn 96 Euro. Aber zum Beispiel in der Textil- und Lederindustrie kam dieser Mindestlohn bei einem Drittel der meist weiblichen Beschäftigten nur durch erzwungene und nicht eigens bezahlte Überstunden zustande. Auch Bezahlung nach Stücklohn ist verbreitet – die bestimmte Zahl an Hemden muss in einer Stunde fertiggenäht sein; wenn das nicht klappt, muss unbezahlt nachgearbeitet werden. Wenn keine Aufträge vorlagen, wurde unbezahlter Urlaub angeordnet. Der gesetzlich zustehende Jahresurlaub wurde vielfach nicht gewährt bzw. nicht bezahlt. Die Unternehmensleitung verhinderte die Wahl von Belegschaftsvertretungen. Mit diesem Mindestlohn lagen die Menschen weit unterhalb des offiziellen Existenzminimums: Es betrug im besagten Jahr 166 Euro. (…) Dabei rangieren die meisten dieser Unternehmen nur als Zweitklasse-Zulieferer für die international besser vernetzten Billigproduzenten in den benachbarten EU-Staaten, vor allem in Polen, aber auch in Rumänien und Ungarn. So gehen 41 Prozent der Schuhe als Hungerlohn-Halbfertigware aus der Ukraine erstmal in die Niedriglohnfabriken Rumäniens, Ungarns und Italiens: Dort kriegen sie dann das unschuldige und schöne Etikett „Made in EU“. (…) So ähnlich wie in der Textil- und Lederindustrie läuft es auch in anderen Bereichen. Die Ukraine war ein Schwerpunkt industrieller Produktion in der Sowjetunion. Nach der Selbstständigkeit 1991 übernahmen Oligarchen die Firmen, holten Gewinne raus, steckten nichts in die Innovation. Für westliche Firmen standen Millionen gut qualifizierter Beschäftigter bereit – zu Niedrigstlöhnen. Tausende Unternehmen vor allem aus den USA und EU-Staaten – allein aus Deutschland etwa 2.000 – vergeben Zuliefer-Aufträge für eher einfachere Teile: Porsche, VW, BMW, Schaeffler, Bosch und Leoni etwa für Autokabel; Pharma-Konzerne wie Bayer, BASF, Henkel, Ratiopharm und Wella lassen ihre Produkte abfüllen und verpacken; Arcelor Mittal, Siemens, Demag, Vaillant, Viessmann unterhalten Montage- und Verkaufsfilialen. Hier werden durchaus Löhne von zwei bis drei Euro gezahlt, also mehr als der Mindestlohn, aber eben noch niedriger als in den angrenzenden EU-Staaten Ungarn, Polen, Rumänien. Deshalb sind die ukrainischen Standorte mit den Standorten derselben Unternehmen in diesen benachbarten EU-Staaten eng vernetzt, wo die gesetzlichen Mindestlöhne über 3 Euro und unter 4 Euro liegen. Die Vernetzung gilt aber genauso mit den noch ärmeren Nachbarstaaten Moldau, Georgien und Armenien, die nicht EU-Mitglieder sind. Hier werden ebenfalls Filialen betrieben. Im Zuge der „Östlichen Nachbarschaft“, organisiert von der EU, werden alle Unterschiede der Qualifikation, der noch niedrigeren Bezahlung ausgenutzt – mit der Ukraine als Drehtür…“ Umfangreicher Artikel von Werner Rügemer am 27. September 2022 in gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Ukraine: Der Arbeitsschutz verkommt zu einer leeren Hülle – Arbeitszeit kann auf 60 Stunden erhöht werden
    „«Das ist grotesk», sagt Sharan Burrow, die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes. «Während ukrainische Arbeiterinnen und Arbeiter das Land verteidigen und sich um Verletzte, Kranke und Vertriebene kümmern, werden sie vom eigenen Parlament angegriffen.» Was Burrow einen Angriff nennt, sind Reformen des Arbeitsrechtes, die das ukrainische Parlament Mitte Juli verabschiedet und Präsident Wolodimir Selenski am 17. August unterzeichnet hat. (…) Die Reform «Vereinfachte Verfahren der Beschäftigung» erlaubt es Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitenden, individuelle Arbeitsverträge abzuschliessen, die abgesehen vom nationalen Mindestlohn keine weiteren gesetzlichen Normen mehr einhalten müssen. Es gibt keine Verpflichtung mehr, Gesamtarbeitsverträge der Gewerkschaften anzuerkennen und diese bei Einstellungen oder Entlassungen anzuhören. Kündigungsfristen werden radikal verkürzt und Arbeitsschutzbestimmungen ganz aufgehoben, sofern die Arbeiterinnen und Arbeiter schriftlich mögliche Gefahren akzeptiert haben. Schliesslich kann die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 60 Stunden verlängert werden. In einem zweiten Gesetz wurden Null-Stunden-Verträge legalisiert, also Arbeit auf Abruf. Bis zu 10 Prozent einer Belegschaft können demnach künftig auf 32 Stunden Mindestarbeit monatlich gesetzt werden. Die ukrainische Baugewerkschafterin Anna Andreeva sagt gegenüber work, die Details der neuen Gesetze seien noch unklar, da sie noch nicht offiziell veröffentlicht worden seien. (…) Im wesentlichen hatte Selenskis Regierungspartei «Diener des Volkes» die neuen Bestimmungen des Arbeitsmarktes nämlich bereits Mitte 2021 im Parlament eingebracht. (…) Damals wurden die Gesetzesinitiativen nach Protesten des Europäischen (EGB) und des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) im Parlament nicht weiterverfolgt. Um dann im März [2022] zu weiten Teilen von Selenski per Dekret erlassen zu werden, wozu ihn das Kriegsrecht ermächtigte. Jetzt wurde nur noch die parlamentarische Behandlung nachgeholt. Offiziell sollen die neuen Bestimmungen bis zum Ende des Krieges gelten. Schon vor Putins Einmarsch in die Ukraine und unter dem alten Arbeitsrecht schätzten ausländische Investoren die Ukraine als Billiglohnland. Gewerkschaftssprecher befürchten trotzdem, dass ihre rechtliche Schwächung auch nach dem Ende des Krieges nicht mehr zurückgenommen wird. Mittlerweile ist auch ein weiteres Gesetz in Behandlung, das die Enteignung von Gewerkschaftseigentum ermöglicht. Es geht dabei vor allem um Häuser, Hotels und Ferienanlagen, die die FPU, der grösste ukrainische Gewerkschaftsbund, bei der Unabhängigkeit der Ukraine als Rechtsnachfolgerin des sowjetischen Gewerkschaftsbundes übernommen hatte. Sie werden derzeit zur Unterbringung von Binnenflüchtlingen genutzt. EGB und IGB, die in den letzten Monaten mehrfach Selenski vergeblich dazu aufgerufen hatten, die Reformen zu stoppen, halten das Enteignungsvorhaben für eine Drohung, die die Gewerkschaften von Protesten gegen ihre Entmachtung in den Betrieben abhalten soll. Jetzt fordern sie die Europäische Union auf, in den anstehenden Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auf eine Rücknahme der neuen Arbeitsgesetze zu drängen.“ Artikel von Michael Stötzel vom 16. September 2022 auf WOZ externer Link
  • Neue Arbeitsgesetze verschieben Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital in der Ukraine weiter – Gewerkschaftliche Mitsprache ausgehebelt
    „… Seit Beginn des Krieges wurden folgende Gesetze verabschiedet:
    – Das Gesetz Nr.2136 über die Organisation der Arbeitsbeziehungen im Rahmen des Kriegsrechts. Danach ist es zulässig, einem Beschäftigten vorübergehend das Gehalt zu entziehen, wenn sein Arbeitsvertrag ausgesetzt wurde; Entlassungen während des Urlaubs, bei Krankheit und ohne Zustimmung der Gewerkschaft sind zulässig; der Abschluss von befristeten Verträgen, die Gewährung von Urlaub und die Anwendung des Tarifvertrags liegen im Ermessen des Arbeitgebers.
    – Das Gesetz Nr.2352 über Änderungen einiger Gesetze der Ukraine zur Optimierung der Arbeitsbeziehungen. Beschäftigte, die zum Militärdienst einberufen werden, erhalten keine Lohnfortzahlung mehr; sie können innerhalb von zehn Tagen und ohne Zustimmung der Gewerkschaft entlassen werden, wenn das Unternehmenseigentum durch Feindseligkeiten beschädigt wurde.
    – Das Gesetz Nr.2421 über die Änderung einiger Gesetze der Ukraine zur Regelung von Arbeitsverhältnissen mit nicht festgelegten Arbeitszeiten.
    Der Unternehmer darf Arbeitsverträge ohne genaue Angabe der Arbeitszeit und ohne Garantie für eine unbefristete Beschäftigung abschließen (nur 10 Prozent der Belegschaft dürfen unter solchen Bedingungen arbeiten); der Lohn wird nicht regelmäßig gezahlt, sondern nur bei Erfüllung von Aufgaben auf Abruf; in solchen Verträgen können zusätzliche Kündigungsgründe angegeben werden.
    – Das Gesetz Nr.2421 über die Änderung einiger Gesetze der Ukraine zur Regelung von Arbeitsverhältnissen mit nicht festgelegten Arbeitszeiten. Der Unternehmer darf Arbeitsverträge ohne genaue Angabe der Arbeitszeit und ohne Garantie für eine unbefristete Beschäftigung abschließen (nur 10 Prozent der Belegschaft dürfen unter solchen Bedingungen arbeiten).
    – Das Gesetz Nr.2434 über die Änderung einiger Gesetze der Ukraine zur Vereinfachung der Regelung der Arbeitsbeziehungen im Bereich des Klein- und Mittelunternehmen und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für Unternehmertätigkeit. Für Kleinunternehmen (bis zu 250 Beschäftigte) wird eine Sonderregel eingeführt, nämlich die Möglichkeit, einen vereinfachten Arbeitsvertrag abzuschließen: Die Parteien können längeren unbezahlten Urlaub, zusätzliche Kündigungsgründe und Überstunden vereinbaren; der Unternehmer hat das Recht, den Beschäftigten ohne Grund zu entlassen, muss aber eine Entschädigung zahlen. Einige dieser Gesetze (Nr.2136 und Nr.2434) sind für die Dauer des Krieges geplant, andere auf Dauer. Es wurde ein Regelwerk geschaffen, bei dem Unternehmer keinen Anreiz haben, die Sozialstandards zu verbessern. Sie brauchen keine Absprachen mehr mit den Gewerkschaften, das Gesetz ermöglicht ihnen, ohne jede Rücksprache zu handeln…“
    Artikel von Witalij Dudin in der September/2022 Ausgabe der SoZ externer Link („Ukraine: Der Krieg zerstört auch die Arbeiterrechte“) – das neoliberale kam allerdings nicht der durch den Krieg…
  • Beschäftigte entrechtet. Trotz internationaler Proteste: Ukrainischer Präsident unterzeichnet Gesetze, die Rechte von Lohnabhängigen zunichte machen
    „Letzte Woche hat der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenskij seine Unterschrift unter zwei viel kritisierte Gesetze zur »Reform der Arbeitsbeziehungen« gesetzt. Sie laufen in der Summe darauf hinaus, die kollektiven Arbeitsregularien in allen Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten weitestgehend außer Kraft zu setzen. Das Instrument dazu ist ein sogenanntes »vereinfachtes Verfahren der Beschäftigung« (vV). Worum es geht, steht ziemlich unverblümt schon in einem der ersten der novellierten Artikel des ukrainischen Arbeitsgesetzbuches. Der allgemeinen Bestimmung, wonach Änderungen laufender Verträge zum Nachteil des Beschäftigten verboten sind, wird ein Absatz hinzugefügt, wonach die Anwendung der Bestimmungen des vV nicht als Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gilt. So einfach ist das. Rechtstechnisch laufen die Änderungen darauf hinaus, das Arbeitsrecht für das vV extrem zu individualisieren und völlig in das Belieben des Unternehmers zu stellen. So reduziert sich zum Beispiel die Kündigungsfrist auf die Postlaufzeit des entsprechenden Schreibens an den Beschäftigten, und die bisherige Verpflichtung, die Gewerkschaftsgrundorganisation im Betrieb anzuhören und ihre Einwilligung einzuholen, entfällt. Dies gilt auch dann, wenn der zu kündigende Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied ist und ein solcher rudimentärer Kündigungsschutz im laufenden Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Langfristiges Ziel: Gewerkschaftsmitgliedschaft unattraktiv zu machen. Anderes Beispiel: Der Arbeitsschutzbestimmungen kann sich das Unternehmen entledigen, indem es den Beschäftigten schriftlich – und von diesem durch Unterschrift zu bestätigen – über »vorhandene schädliche und gefährliche Arbeitsbedingungen informiert«. Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sind von da an das individuelle Risiko des Beschäftigten – er hat ja gewusst, worauf er sich einlässt. (…) Das Vorbild ist die Deregulierungswelle, die nach dem Pinochet-Putsch von 1973 über die chilenischen Beschäftigten hereinbrach und ihre sozialen Errungenschaften um Jahrzehnte zurückwarf. Dass Augusto Pinochet ihr politisches Vorbild darstellt, sprechen Politiker der ukrainischen Regierungspartei »Diener des Volkes« immer wieder offen aus. Mit dem laufenden Krieg hat die neue Arbeitsgesetzgebung der Ukraine dagegen wenig zu tun, auch wenn einige ihrer Bestimmungen – insbesondere die Möglichkeit, die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden zu verlängern – schon im Frühjahr im Rahmen des Ausnahmezustands für die Dauer des Krieges als Dekret verabschiedet worden sind. In Wahrheit ist der Zusammenhang der umgekehrte: Die Gesetzentwürfe zur Einführung des vV wurden von der Regierungspartei bereits im Frühjahr 2021 ins Parlament eingebracht; Selenskijs Erlass zur Änderung der Arbeitsbeziehungen während des Kriegszustandes nahm allenfalls einige Bestimmungen des vV vorweg, ohne das Ergebnis der parlamentarischen Behandlung abzuwarten…“ Artikel von Reinhard Lauterbach in der jungen Welt vom 30. August 2022 externer Link
  • [Selenskyj hat die Reform bestätigt] „Die EU darf dazu nicht schweigen“ Arbeitnehmerrechte „zerstört“: Europäische Gewerkschaften kritisieren ukrainische Regierung deutlich
    „… Internationale und europäische Gewerkschaften fordern die europäische Politik auf, gegen die jüngst ratifizierte Arbeitsmarktreform in der Ukraine zu intervenieren. Das sogenannte Gesetz 5371 stehe im Widerspruch zu europäischen und internationalen Regeln, heißt es in einem Brief des europäischen Gewerkschaftsdachverbands ETUC und des internationalen Verbands ITUC an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie Ratspräsident Charles Michel. Die Reform in der Ukraine sorgt schon länger für Streit, es geht um die Rolle der Gewerkschaften in dem Land: Die EU wie auch die internationale Arbeitsorganisation ILO setzen dabei klassischerweise auf kollektive Arbeitnehmerrechte. Beschäftigte sollen sich etwa in Gewerkschaften organisieren können, um mit Arbeitgebern beispielsweise Tarifverträge auszuhandeln. Diese – in Deutschland per Grundgesetz abgesicherten – kollektiven Rechte würden mit Gesetz 5371 in der Ukraine „zerstört“, kritisieren nun ETUC-Generalsekretär Luca Visentini und ITUC-Generalsekretärin Sharran Burrow in dem Schreiben, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Vor allem Beschäftigten in Betrieben mit weniger als 250 Angestellten bleibt demnach die wirksame Organisierung in Gewerkschaften künftig versagt. (…) Am Mittwoch vergangener Woche hat nun der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die finale Unterschrift unter die Reform gesetzt, wie der ukrainische Gewerkschaftsverband FPU bestätigte. (…) „Die EU darf dazu nicht schweigen“, finden Visentini und Burrow. Von der Leyen und Michel sollten die ukrainische Regierung im Rahmen der Beitrittsgespräche darauf hinweisen, dass sie gerade mit europäischen und internationalen Regeln bricht und dass die Reform deshalb überdacht werden müsse. Auch werde man ukrainische Gewerkschaften weiterhin unterstützen, schließlich müssten diese nun an zwei Fronten kämpfen, „gegen die russische Armee und gegen lokale Politiker und Oligarchen“. (…) Der mit Abstand größte ukrainische Gewerkschaftsverband kündigte außerdem an, das Gesetz vor das ukrainische Verfassungsgericht zu bringen, auch Klagen bei europäischen Gerichten seien denkbar. Allerdings sei es derzeit schwer, politischen Druck aufzubauen: Angesichts des Kriegsrechts wegen des russischen Angriffs können Arbeiterinnen und Arbeiter in der Ukraine der FPU zufolge derzeit nicht demonstrieren oder streiken.“ Artikel von Christoph Höland vom 24. August 2022 beim RND externer Link
  • »Vom eigenen Parlament angegriffen«. International protestieren Gewerkschaften gegen radikalen Abbau von Arbeitnehmerrechten in der Ukraine 
    Mitten im Krieg hat das ukrainische Parlament beschlossen, den Arbeitnehmerschutz drastisch zu beschneiden. So sollen sogenannte Null-Stunden-Verträge künftig erlaubt sein. Ein zweites, besonders umstrittenes Gesetz sieht vor, dass in kleinen und mittleren Unternehmen Arbeitnehmerrechte faktisch nicht mehr gelten. Der Gesetzentwurf stammt aus dem Jahr 2021 und löste schon damals heftige Proteste von Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene aus. Ausgerechnet jetzt, während des Krieges, greife das Parlament das Vorhaben wieder auf, kritisierte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) nach Verabschiedung des Gesetzes Ende Juli: »Während ukrainische Arbeiter*innen das Land verteidigen und sich um Verletzte, Kranke und Vertriebene kümmern, werden sie von ihrem eigenen Parlament angegriffen. Das ist grotesk«, urteilt die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow.
    Noch im Juni hatten sich der IGB und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) in einem Brief an den Parlamentspräsidenten dafür eingesetzt, das Gesetz abzulehnen – vergeblich. Nun appellieren sie an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sein Veto einzulegen und so zu verhindern, dass die Gesetze in Kraft treten.
    Mitten im Krieg hat ein Parlamentsausschuss auch zwei Gesetzentwürfe zum Gewerkschaftseigentum wieder aufgegriffen und dem Parlament zur Beratung vorgelegt. Demnach soll es möglich sein, Eigentum des Gewerkschaftsbunds der Ukraine (FPU) zu beschlagnahmen, so der FPU. Fast alle diese Gebäude, zu denen Schulungszentren und Hostels gehören, würden derzeit genutzt, um Binnenflüchtlinge unterzubringen. Seit Kriegsbeginn seien mehr als 300 000 Menschen dort zeitweise untergekommen. (…)
    Das jetzt verabschiedete Gesetz Nummer 5371 gilt für Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten. In diesen Firmen arbeitet die Mehrheit der Erwerbstätigen. Für sie sollen gesetzliche Vorschriften nicht mehr zwingend gelten. Vielmehr können die Betriebe mit Angestellten individuelle Arbeitsverträge abschließen, die von geltenden Normen abweichen. Lediglich einzelne gesetzliche Basisvorschriften wie der Mindestlohn sollen beachtet werden müssen. (…)
    Der ukrainische Journalist Serhiy Guz und Thomas Rowley, Redakteur bei der internationalen Medienplattform OpenDemocracy, recherchieren schon länger zur Deregulierung in der Ukraine und haben auf der Internetplattform ausführlich darüber berichtet externer Link. De facto gehe das Gesetz davon aus, »dass buchstäblich alles in einen Arbeitsvertrag aufgenommen werden kann, ohne Bezug auf das ukrainische Arbeitsrecht«, wird der Rechtsanwalt George Sandul von der ukrainischen NGO Labor Initiatives auf OpenDemocracy zitiert. Als Beispiele nannte er zusätzliche Kündigungsgründe, Haftung und längere Arbeitszeiten. Das Gesetz erlaube es den Firmen auch, Tarifverträge zu ignorieren, kritisiert der EGB. Das heißt: Gewerkschaften würden in Betrieben und Branchen entmachtet, ihre Tarifverträge entwertet. Sie sollen auch bei Kündigungen keine Einspruchsmöglichkeiten mehr haben. All dies gibt kleinen und mittleren Unternehmen mehr Macht gegenüber der Belegschaft. Sollte das Gesetz in Kraft treten, würden größere Firmen in kleinere Einheiten zerschlagen, prophezeit denn auch der EGB. (…)
    Das zweite verabschiedete Gesetz erlaubt es allen Unternehmen, bis zu zehn Prozent der Belegschaft mit Null-Stunden-Verträgen einzustellen, die Arbeit auf Abruf ermöglichen. Die Firmen müssen eine Mindestarbeitszeit von lediglich 32 Stunden sicherstellen – pro Monat. Die Nachteile für Beschäftigte von solchen »zero-hours contracts«, die es in Großbritannien schon lange gibt und dort schon lange kritisiert werden, liegen auf der Hand: Freizeit und Arbeitszeiten sind nicht planbar, die Bezahlung unsicher und schwankend…“ Artikel von Eva Roth vom 05.08.2022 im ND online externer Link
  • [Petition] Präsident Zelensky muss sein Veto gegen die arbeitnehmerfeindlichen Gesetze 5161 und 5371 einlegen!
    Die Gesetze 5371 und 5161 wurden am 19. Juli vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Sollten diese Gesetze von Präsident Zelensky unterzeichnet werden, würden sie die Rechte und Arbeitsbedingungen der ukrainischen Arbeitnehmer zerstören und eine extreme Ausbeutung in der Ukraine legalisieren, die auch die Rechte der Arbeitnehmer in ganz Europa gefährden würde. Ein Mann hat die Macht, diese katastrophale Gesetzgebung zu stoppen – der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky. Er kann die Gesetze ratifizieren oder ein Veto einlegen. Wir fordern Präsident Zelensky auf, sich auf die Seite der ukrainischen Arbeitnehmer zu stellen und sein Veto gegen beide Gesetze einzulegen. Sie müssen durch Maßnahmen ersetzt werden, die die Sicherheit der Arbeitnehmer erhöhen und sie und ihre Familien in die Lage versetzen, die Verwüstungen des Krieges zu überleben und eine neue und stärkere Ukraine aufzubauen. Bitte unterzeichnen Sie unsere Petition!Petition von Adam Novak externer Link mit Volltext (engl., French, Spanish, Polish and Greek) bei change.org („President Zelenskyy must veto anti-worker Laws 5161 and 5371!“)

    • Die Aktion funktioniert auch per e-mail an die ukrainische Regierung, so bei European network for solidarity with Ukraine externer Link
    • Siehe dazu auch den engl. Thread von Vladyslav Starodubtsev vom 29. Juli 2022 externer Link, durch den wir darauf aufmerksam wurden: „Die Gesetze 5371 und 5161 wurden vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Wenn sie unterzeichnet würden, würden sie die Grundrechte der Ukrainer wie min zerstören. Lohn und 8h Arbeitstag. Dies würde auch die Arbeitnehmerrechte in ganz Europa gefährden. Helfen Sie mit, diese Petition zu unterstützen. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Ukrainer, die gegen die russische Aggression und den Völkermord kämpfen, gegen Angriffe auf ihre Rechte durch die neoliberale Regierung nachdrücklich zu unterstützen. Der Angriff auf die Arbeitnehmerrechte in der Ukraine sollte nicht unbemerkt bleiben. Die Behörden glauben, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Ukraine unsichtbar ist, keine Subjektivität hat und sich besonders während des Krieges nicht zu Wort melden wird. Es ist nicht wahr.“
    • Es sei Mag Wompel die persönliche Anmerkung erlaubt, dass sie die Petition für naiv hält, soweit die Person Zelensky in ihrer politischen Ausrichtung bekannt ist – als naiv können allerdings alle Petitionen bezeichnet werden…
    • Siehe auch #stop5371 und #stop5161
  • Ukraine: Staat beschlagnahmt sämtliche Immobilien der Gewerkschaften
    Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SBU hat die „Nationale Agentur für die Aufdeckung, Rückverfolgung und Verwaltung von Vermögenswerten aus Korruption und anderen Straftaten“ (ARMA) kürzlich beschlagnahmte Vermögenswerte im Wert von etwa 15 Milliarden ukrainische Griwna (etwa 400 Millionen Euro) an den Staat übertragen. Etwa die Hälfte, also circa 200 Millionen Euro stammt vom Ukrainischen Gewerkschaftsbund (FPU). Es handelt sich um die Immobilien der FPU, also um Gewerkschaftshäuser in besten städtischen Lagen, Erholungsheime und Sportanlagen. Diese Immobilien waren seit 1992, also seit Beginn der Eigenstaatlichkeit der Ukraine im Besitz des gegenwärtig mehr als 4 Millionen Mitglieder zählenden Ukrainischen Gewerkschaftsbundes. Die andere Hälfte betrifft enteignete Firmen in der Ukraine, die russische Eigentümer hatten. Der Griff des Staates nach dem Gewerkschaftseigentum war schon seit Jahren ein Thema. 2020 befand ein Kiewer Bezirksgericht, dass die Gewerkschaften ihr Eigentum nicht rechtmäßig besitzen. (…) Nach der jetzigen Beschlagnahmung sieht es so aus, dass die Gewerkschaften aus den Immobilien ausziehen müssten, und die staatliche Verwaltung bereits jetzt – vor endgültiger Klärung – die Gebäude übernimmt. Auch eine strafrechtliche Ermittlung gegen führende Funktionäre der Gewerkschaft FPU wurden angekündigt...“ Meldung vom 29. Juli 2022 bei der Zeitung der Arbeit externer Link (ZdA) (Zentralorgan der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)). Bei der FPU haben wir keine neue Vollzugsmeldung gefunden, der Artikel der ZdA verweist allerdings auf:

    • Beschlagnahmte Vermögenswerte im Wert von 15 Milliarden wurden an die Staatsverwaltung übergeben – SBU
      Laut den Materialien des SBU wurden in dieser Woche beschlagnahmte Vermögenswerte im Wert von etwa 15 Milliarden UAH an die Nationale Agentur für die Identifizierung, Suche und Verwaltung von Vermögenswerten aus Korruption und anderen Verbrechen (ARMA) übergeben. Das teilte der SBU-Pressedienst mit. Folgendes wurde also an die staatliche Verwaltung übertragen: 80 Eigentumskomplexe (Sanatorien, Sportanlagen usw.) in verschiedenen Regionen mit einem geschätzten Wert von 7 Mrd. UAH, die illegal dem Staatseigentum entzogen und in die Bilanz der Gewerkschaften der Ukraine überführt wurden; das Vermögen von 19 ukrainischen Unternehmen, die von den russischen Konzernen „Rostech“, „Rosneft“, „Gazprom“, „RusAl“, „Rosatom“, „HMS Group“, „Tatneft“ und russischen Banken kontrolliert werden, mit einem Gesamtbetrag von mehr als UAH 7,75 Milliarden, sowie Tausende von unbeweglichem und beweglichem Eigentum, das von ihnen für Hunderte Millionen Griwna gesichert wurde. Im Rahmen eines Strafverfahrens wegen der Tatsache, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine vorbereitet, geplant und eingeleitet hat, wurden Vermögenswerte mit russischen Begünstigten beschlagnahmt. „Was das Vermögen betrifft, das sich in der Bilanz des Gewerkschaftsbundes der Ukraine befand, so haben die Beamten des Gewerkschaftsbundes nach Angaben der Cyber-Abteilung des Sicherheitsdienstes der Ukraine von 1992 bis heute illegal 80 Gesundheit veräußert Erholungs-, Sport- und andere staatliche Komplexe, indem der Marktwert der Objekte unterschätzt und die offizielle Mindestzahlung des Käufers ohne Zustimmung des Staatsvermögensfonds geleistet wurde…“ Maschinenübersetzung des ukrainischen Artikels von Oleksiy Pavlysh am 28. Juli 2022 in epravda.com.ua externer Link
  • Ukraine-Regierung in der Kritik: „Während Arbeitende das Land verteidigen, wendet sich das Parlament gegen sie“
    Die Internationale Gewerkschaftsföderation ITUC kritisiert das neue ukrainisches Arbeitsgesetz, das Rechte von Arbeitenden wie Kündigungsschutz und feste Arbeitsregelungen schleifen soll. Außerdem kritisieren sie den Plan der Zelenskij-Regierung, Büroräume von Gewerkschaften enteignen zu wollen. Diese dienen momentan zur Verteilung von Lebensmitteln und zum Schutz von Binnengeflüchteten:
    „Das ukrainische Parlament hat zwei Gesetzentwürfe verabschiedet, die das Recht der Arbeitenden auf Tarifverhandlungen und andere grundlegende arbeitsrechtliche Schutzmaßnahmen aushebeln und es den Arbeitgebern ermöglichen, bis zu 10 % ihrer Belegschaft mit ‚Null-Stunden-Verträgen‘ zu beschäftigen, so dass diese keinerlei Kontrolle über ihr Arbeitsleben haben. Nach der Unterzeichnung durch Präsident Wolodimir Zelenskij werden die Gesetzentwürfe in Kraft treten. Die ukrainischen IGB-Mitgliedsorganisationen FPU und KVPU haben die Maßnahmen verurteilt. Zwei weitere Gesetzesentwürfe sehen die mögliche Beschlagnahmung von Immobilien des FPU-Gewerkschaftszentrums vor, in denen rund 300.000 Binnenvertriebene untergebracht waren und die weiterhin als Drehscheibe für die Unterbringung von Binnenvertriebenen und für lebenswichtige humanitäre Hilfe für Familien dienen, die alles verloren haben und deren Mitglieder an vorderster Front im Widerstand gegen die russische Invasion stehen. Die Gesetze zur Abschaffung der Rechte der Arbeiter:innen waren bereits vor der Invasion im Parlament eingebracht worden, wurden aber nicht weiterverfolgt. Der IGB, die IAO und der EGB kritisierten die Vorschläge damals. Da die Arbeiter:innen mit dem Kampf gegen die russische Invasion beschäftigt sind und die Gewerkschaften sich auf die humanitäre Arbeit und die Aufrechterhaltung des Landes konzentrieren, nimmt der Ausnahmezustand ihnen die Möglichkeit, öffentlich gegen die Zerstörung von Rechten und den Diebstahl ihres Eigentums zu mobilisieren.
    Sharan Burrow, Generalsekretärin des IGB, sagte: ‚Es ist grotesk, dass die ukrainischen Arbeiter:innen, die das Land verteidigen und sich um die Verletzten, Kranken und Vertriebenen kümmern, nun von ihrem eigenen Parlament angegriffen werden, während man ihnen den Rücken zukehrt. Die große Mehrheit der ukrainischen Arbeitenden arbeitet in Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, und es sind diese Arbeitenden, denen der Schutz ihrer Löhne, Arbeitsbedingungen und Sicherheit vorenthalten wird, wenn Präsident Zelenskij die Gesetzentwürfe unterzeichnet. Mit der Drohung, das Eigentum der Gewerkschaften zu konfiszieren, sollen diese davon abgehalten werden, sich den drakonischen Gesetzen zu widersetzen, so dass die Oligarchen die Unternehmen künftig zu Schleuderpreisen übernehmen können. Trotz des Krieges scheint die ukrainische Politik zur Tagesordnung überzugehen, nur steht sie jetzt unter Kriegsrecht. Das im vergangenen September verabschiedete Gesetz zur Begrenzung der Macht der ukrainischen Oligarchen über das Parlament und das Land ist eindeutig gescheitert. Wir fordern den Presidenten auf, den Oligarchen die Stirn zu bieten und sich zu weigern, die Gesetze zu unterzeichnen, und deutlich zu machen, dass die Eigentumsrechte in der Ukraine künftig geschützt werden. Der IGB und der EGB haben bei den ukrainischen Behörden gegen die Gesetzentwürfe protestiert, die eindeutig gegen wichtige ILO-Übereinkommen verstoßen und auch die EU-Kandidatur der Ukraine gefährden.“
    Stellungnahme der ITUC vom 20. Juli 2022 externer Link (engl.)
  • Arbeitgebergesetz in der Ukraine: Neoliberale Politik mitten im Krieg
    Ein neues Gesetz verschlechtert die Rechte von Arbeitnehmern in der Ukraine. Das sorgt für Kritik von Linken und Gewerkschaften.
    Am Donnerstag machten sie noch einen letzten Versuch, das neue Gesetz zu verhindern. Abgeordnete der Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko, rund um den Gewerkschafter Michajlo Wolynez, brachten einen Gesetzentwurf gegen das Inkrafttreten eines Arbeitsgesetzes auf den Weg. Ob sie Letzteres damit noch stoppen können, bleibt fraglich. Das ukrainische Parlament hatte das Gesetz am Dienstag in zweiter Lesung verabschiedet. Es soll die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeit­gebern bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen vereinfachen. Das Gesetz Nr. 5371, so seine Autoren, soll den Verwaltungsaufwand erleichtern. Nun können Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst ihre Arbeitsverträge ausformulieren, sich über Beginn und Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen sowie über das Vergütungssystem, die Arbeitsbedingungen, Löhne, Zulagen, Prämien, Entschädigungen, Arbeits- und Ruhezeiten. Das neue Gesetz soll bis zum Ende des Kriegsrechts in Unternehmen mit weniger als 250 Angestellten gelten und bei Arbeitnehmern, deren Lohn das Achtfache über dem monatlichen Mindestlohn von 140 Euro liegt. Das trifft auf 70 Prozent der Unternehmen zu. (…)
    Auch Privatisierungen sollen vorangetrieben werden
    Vonseiten der Gewerkschaften und Linken kommt Kritik an dem Gesetz. Früh waren die Gewerkschaften aus den gemeinsamen Beratungen ausgestiegen. Sie fürchten, dass die Arbeitgeber nun ganz auf Individualverträge setzen und Kollektivverträge an Bedeutung verlieren. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit hätten die Arbeitnehmer keine gute Verhandlungsposition beim Aushandeln von Individualverträgen. „Leider hat sich das ukrainische Parlament wieder einmal auf die Seite der Reichsten geschlagen“, kommentierte Vitali Dudin, Vorsitzender der linken „Sozialen Bewegung“ und Arbeitsrechtler, das Gesetz gegenüber der taz. Es füge sich nahtlos in die Gesamtstrategie der neoliberalen Transformation ein. Und da gehe es um eine Deregulierung des Arbeitsmarktes. (…) Unterdessen erklärte Premier­minister Denys Schmyhal, es sei nun an der Zeit, die Privatisierung von Staatseigentum zu erleichtern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Beschleunigung der Privatisierung sei schon ausgearbeitet, zitiert „ukrinform“ den Premier.“ Artikel von Bernhard Clasen vom 21.7.2022 in der taz online externer Link
  • Der ukrainische Gewerkschaftsbund (FPU) verurteilt nachdrücklich die Versuche, Gewerkschaftseigentum rechtswidrig zu beschlagnahmen – Reaktion auf die Proteste gegen die Arbeitsgesetze? 
    Wir haben erfahren, dass das Komitee für wirtschaftliche Entwicklung der Werchowna Rada [Parlament] der Ukraine unter Ausnutzung der Einführung des Kriegsrechts in der Ukraine, das alle öffentlichen Handlungen verbietet, die Gesetzesentwürfe „Über die rechtliche Regelung des Eigentums der öffentlichen Organisationen der ehemaligen Sowjetunion“ Nr. 6420 vom 10. Dezember 2021 und „Über die Entfremdung des Eigentums der öffentlichen Vereinigungen (Organisationen) der gesamten ehemaligen Sowjetunion“ Nr. 6421 vom 10.12.2021 wieder aufleben lassen hat. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Dmytro Natalukha, hat die Medien darüber informiert und öffentlich seine Meinung über die Ungewissheit des rechtlichen Status des Eigentums der Gewerkschaften geäußert, das seiner Meinung nach dem Staat gehören sollte und das die Gewerkschaften illegal nutzen. […]
    Wir sind der Meinung, dass die Gesetzentwürfe 6420 und 6421 als Reaktion auf die prinzipielle Haltung der Gewerkschaften gegen die Verabschiedung einer Reihe von Gesetzen über Arbeitsbeziehungen, die die Rechte der Arbeitnehmer einschränken, angenommen wurden.
    Die Öffentlichkeit ist empört darüber, dass in Kriegszeiten, in denen die Hauptaufgabe des Parlaments darin besteht, die Umsetzung und den Schutz der nationalen Interessen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung, Wirtschaft und sozialer Schutz der ukrainischen Bürger, zu gewährleisten, die Volksvertreter sich allmählich der Normalisierung der Eigentumsrechte zuwenden, was weder sachdienlich noch begründet ist.
    Besonders zynisch ist, dass die vorgeschlagenen Änderungen der Eigentumsform in einem Gesetzespaket und im Turbomodus verabschiedet werden sollen, was inakzeptabel und in keiner Weise mit dem kürzlich erworbenen Status der Ukraine als EU-Beitrittskandidat vereinbar ist, in dem das Recht auf Eigentum unantastbar und eine Beschlagnahme unmöglich ist.
    Dieses sinnlose Vorgehen der gewählten Volksvertreter stößt sowohl bei den Gewerkschaftsmitgliedern als auch bei den Tausenden von ukrainischen Bürgern, die sich derzeit in Gewerkschaftssanatorien aufhalten und dort Zuflucht gesucht haben, auf Unverständnis.
    Es ist wichtig zu erwähnen, dass die FPU seit den ersten Tagen der russischen Aggression am Aufbau der Verteidigungskapazitäten des Landes beteiligt ist. Gewerkschaftsorganisationen auf allen Ebenen haben bereits Dutzende Millionen Griwna überwiesen, um die ukrainischen Streitkräfte und Territorialverteidigungskräfte, Gewerkschafter mit Waffen in der Hand, die ihr Heimatland verteidigen, oder andere, die aktiv an freiwilligen Aktivitäten beteiligt sind, zu unterstützen.
    In Übereinstimmung mit dem FPU-Beschluss wurde eine Zentrale für humanitäre Hilfe für Gewerkschafter, Gewerkschaftsorganisationen und Vertriebene eingerichtet. Seit Beginn des Krieges wurden mit Unterstützung der internationalen und europäischen Gewerkschaftsverbände 16 Gewerkschaftssanatorien, 8 Fremdenverkehrseinrichtungen, ein Dutzend Industrie- und Gebietsgewerkschaftshäuser eingerichtet, die in diesem Zeitraum etwa 300.000 Zwangsmigranten vorübergehend oder dauerhaft beherbergt haben. Derzeit leben mehr als 6.000 Menschen in Gewerkschaftshäusern. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind Frauen mit Kindern, Mitglieder von Militärfamilien sowie ältere und behinderte Menschen.
    Millionen von Gewerkschaftern, die im Gewerkschaftsbund der Ukraine zusammengeschlossen sind, sowie Hunderttausende von Ukrainern erhalten täglich konkrete Unterstützung in gewerkschaftlichen Einrichtungen und hoffen auf die Unterstützung der Internationalen Arbeitsorganisation und der internationalen Gewerkschaften gegen diese Maßnahmen, die den Normen der ukrainischen Verfassung, des Zivilgesetzbuches der Ukraine und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten widersprechen. Wir fordern den Präsidenten der Werchowna Rada und die Vertreter aller Fraktionen und Gruppen des Parlaments auf, die Gesetzentwürfe Nr. 6420 und 6421 als irrelevant und überarbeitungsbedürftig zurückzuziehen.“ Maschinenübersetzung aus der englischen durch laboursolidarity.org der FPU-Erklärung vom 16.7.2022 externer Link
  • Nein zu 5371: Ukrainische Gewerkschaften kritisieren Regierung wegen erneuten Angriff auf das Arbeitsrecht
    • „In der Werchowna Rada der Ukraine sollte am 9. Juli [2022] dieses Jahres der Gesetzentwurf zur Vereinfachung der Regelung der Arbeitsbeziehungen Nr. 5371 als Ganzes behandelt werden. Am Vorabend dieses Versuchs, über das volksfeindliche Gesetz 5371 abzustimmen, forderten die Gewerkschaften die Abgeordneten zum zweiten Mal auf, es nicht zu unterstützen. Der Grund dafür war, dass das Gesetz Bestimmungen enthielt, die die Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen diskriminierten. Der FPU-Vorsitzende Hryhoriy Osovy erinnerte die ukrainischen Volksabgeordneten aller Fraktionen und Gruppen im Parlament daran, dass eine parlamentarische Unterstützung solcher Gesetzesinitiativen, insbesondere unter den Bedingungen des Kriegsrechts, nicht akzeptabel sei, und forderte die ukrainischen Volksabgeordneten auf, nicht für den Entwurf Nr. 5371 zu stimmen. (…) Wir erinnern daran, dass der Ausschuss für Sozialpolitik und den Schutz der Rechte von Veteranen am 7. Juni 2022 beschlossen hat, den Gesetzentwurf Nr. 5371 „Über die Änderung bestimmter Rechtsakte zur Vereinfachung der Regelung der Arbeitsbeziehungen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für die unternehmerische Tätigkeit“ der Werchowna Rada der Ukraine zur Prüfung in zweiter Lesung vorzulegen. Die Prüfung dieses giftigen Entwurfs im Parlament fand in der Plenarwoche vom 13. bis 17. Juni dieses Jahres statt. Trotz einiger Änderungen an den Artikeln des Entwurfs Nr. 5371, die der Fachausschuss für die zweite Lesung vorbereitet hatte, blieb die Position der FPU hinsichtlich der Nichtübereinstimmung des Gesetzentwurfs mit den Bestrebungen der Ukrainer zur europäischen Integration unverändert. Die im Entwurf enthaltenen Mechanismen der extremen Form der Liberalisierung der Arbeitsbeziehungen werden zu deren Ungleichgewicht und zu einer Verlagerung hin zu einer rein individuellen vertraglichen Regelung führen. Dies wiederum wird zu diskriminierenden Einschränkungen der Arbeitsrechte und -garantien von Millionen von Arbeiter:innen führen, die in Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten arbeiten…“ Pressemitteilung der FPU vom 12. Juli 2022, übersetzt ins Englische und veröffentlicht auf Laboursolidarity.org externer Link („Ukraine: Anti-social bill no. 5371 has been withdrawn. But the threat has not disappeared“). Siehe auch:
      • „… Andreyev berichtete unter anderem von den derzeitigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Ukraine. So hätten beispielsweise einige Beschäftigte das Problem, überhaupt kein Gehalt zu erhalten, da sich die Arbeitgeber*innen aufgrund des Krieges manchmal einfach nicht mehr bei ihren Mitarbeiter*innen meldeten. Da die Bauarbeiter*innen formell aber noch Beschäftigte seien, bekämen sie auch kein Arbeitslosengeld. Im Großen und Ganzem funktioniere die Gewerkschaftsarbeit noch. (…) Andreyev schilderte zudem, dass die ukrainische Regierung derzeit versuche, neoliberale Gesetze durchzusetzen. So sollen Tarifverträge und andere Garantien gemäß dem Arbeitsgesetzbuch für Arbeitnehmer*innen in den Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten deutlich verschlechtert werden. Das sei eine Diskriminierung für Arbeitnehmer*innen in kleineren und mittleren Betrieben. „Die Ukraine braucht eine europäische Perspektive. Mit dem Status als EU-Beitrittskandidat muss die ukrainische Regierung die Rechte der Beschäftigten bei der Arbeit wieder stärken.“ Auch solle man darauf schauen, dass Finanzierungen der EU von Wiederaufbauprojekten sozial konditioniert würden und so für ordentliche Arbeitsbedingungen gesorgt werde…“ Vasyl Andreyev, Vorsitzender der ukrainischen Baugewerkschaft PROFBUD in der Pressemitteilung der IG BAU vom 14.7.22 externer Link („Gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen – dort wie hier. Der Vorsitzende der ukrainischen Baugewerkschaft Vasyl Andreyev besucht IG BAU-Chef Robert Feiger.“)
  • Ukrainische Regierung erlässt Verordnung zu Arbeitszwang – nach einem Monat Arbeitslosengeld soll „Zivildienst“ geleistet werden
    • „Die Verordnung des Ministerkabinetts über die Organisation der gesellschaftlich nützlichen Arbeit unter Kriegsbedingungen wurde erlassen. Jetzt erhalten die Menschen innerhalb eines Monats, nachdem sie sich beim Arbeitsamt angemeldet haben, materielle Unterstützung und es werden ihnen Stellen angeboten, die ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechen. Wenn in der Datenbank keine geeigneten Stellen zu finden sind, bietet euch das Arbeitsamt Stellen im Zivildienst an. Ihr könnt die Teilnahme am Zivildienst nur zwei Mal verweigern. Danach wird es als ‚Nichtannahme einer eigenen Beschäftigung‘ behandelt und die Zahlungen werden ausgesetzt. Jede:r, der_die sich für eine solche Arbeit entscheidet, unterliegt einem strengen Arbeitsvertrag, und die Arbeit wird mit dem Mindestlohn und höher bezahlt. Auf Antrag einer Person, die an einer gesellschaftlich nützlichen Arbeit teilnimmt, wird auch ein Eintrag in das Arbeitsbuch vorgenommen. Nur Personen, die bei guter Gesundheit sind, dürfen für sozial nützliche Arbeiten eingesetzt werden.“ Telegram-Post von Labor Initiative, vom 30. Juni 2022 externer Link (russ. – Maschinenübersetzung).
    • In der Stellungnahme des ukrainischen Ministerkabinetts vom 27. Juni 2022 externer Link (russ. – Maschinenübersetzung) heißt es zu der neuen Verordnung: „Das Ministerkabinett hat die Verordnung Nr. 716 erlassen, die die Organisation sozial nützlicher Arbeiten in der Ukraine während des Krieges regeln wird. Die Ukrainer:innen müssen in der Ukraine arbeiten und einen garantierten Lohn erhalten, denn die wichtigsten Aufgaben für diejenigen, die vor Ort sind, sind heute die Erneuerung der Infrastruktur, der Bau von Sicherheitseinrichtungen, die Betreuung von Menschen mit Behinderungen und vieles mehr. (…) Derzeit kann eine Person nur zwei Mal die Teilnahme an einer Gemeinschaftsarbeit verweigern, und in Zukunft wird dies ein Zeichen dafür sein, dass sie eine Beschäftigung nicht annimmt, und die Zahlung von Arbeitslosengeld wird ausgesetzt. Die Beschäftigung eines jeden Ukrainers ist ein Schlüssel zum Wiederaufbau der Ukraine!“
    • „Das Kabinett hat eine genehmigte Liste von potenziell nützlichen Arbeiten herausgegeben, die den Arbeitslosen zur Ausführung unter Kriegsrecht angeboten werden sollen:
      Reparatur- und Renovierungsarbeiten, die in Wohneinrichtungen durchgeführt werden;
      Trümmerbeseitigung, Räumung von Bahngleisen und Autobahnen;
      Bau von Barrieren für den Zivilschutz, schneller Bau von Barrieren für den Zivilschutz und Bau von einfachen Unterständen, Anti-Vandalismus-, Anti-Beschlags-, Anti-Viren-, Anti-Rotations- und anderen Spezialbarrieren für den Maschinenbau;
      Reparatur und Bau von Wohngebäuden;
      Arbeiten zur Erhaltung von Zivilschutzbauten in bestimmungsgemäßer Gebrauchsbereitschaft und deren Betrieb, wobei bestehende ober- oder unterirdische Anlagen unter einfachster Abdeckung eingebaut werden;
      Transport- und Entladearbeiten, die auf Eisenbahnen, in Häfen usw. durchgeführt werden;
      Arbeiten in der Landwirtschaft (Feldarbeit im Frühjahr, Ernte, Beschneiung);
      Hilfe für die Bevölkerung, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, Kinder, ältere Menschen, Kranke und andere, die nicht in der Lage sind, sich aus eigener Kraft gegen von Menschen verursachte, natürliche oder militärische Gefahren zu wehren;
      Unterstützung für den Lebensunterhalt der von den Feindseligkeiten betroffenen Gemeinschaften organisieren;
      Arbeitet daran, den nachhaltigen Betrieb von Hochsicherheitseinrichtungen in Notfällen zu gewährleisten;
      Arbeiten im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung;
      Gestaltung, Renovierung und Verbesserung von Küstendämmen, natürlichen Gewässern, Flussbetten, Verstärkung von Dämmen, Brückenbauwerken;
      Vorbereitung von Brennholz für die Heizsaison;
      Schließung von natürlichen Abfalldeponien und Modernisierung von Feststoffdeponien.
      Wie wir bereits berichtet haben, wurde die Verordnung des Ministerkabinetts über die Organisation von gesellschaftlich nützlichen Arbeiten unter Kriegsrecht erlassen.“ Telegram-Post von Labor Initiatives, vom 30. Juni 2022 externer Link (russ. – Maschinenübersetzung).
  • Bund Unabhängiger Gewerkschaften der Ukraine (KVPU) lehnt das neue Arbeitsgesetz als inakzeptabel ab – für Postgewerkschaft ist es die „Büchse der Pandora“
    • KVPU: Das neue Arbeitsgesetz ist inakzeptabel
      Trotz wiederholter Warnungen des Bundes Unabhängiger Gewerkschaften der Ukraine (KVPU) und anderer Gewerkschaftsorganisationen sowie internationaler Institutionen hat die Parlamentsmehrheit den Gesetzentwurf Nr. 5371 „Über Änderungen bestimmter Rechtsakte zur Verbesserung der Arbeitsbeziehungen in kleinen und mittleren Unternehmen und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Unternehmenstätigkeit“ in erster Lesung angenommen.
      Wie es in der Begründung heißt, zielt der Gesetzentwurf darauf ab, die Regelung der Arbeitsbeziehungen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern und den Verwaltungsaufwand für die Unternehmenstätigkeit zu verringern. Mykhailo Volynets, Vorsitzender des Bundes Freier Gewerkschaften der Ukraine (KVPU), kommentierte die Verabschiedung des Gesetzes jedoch mit den Worten, dass es „den Arbeitgebern freie Hand lässt und im Wesentlichen die Rechte der Arbeitnehmer untergräbt“.
      Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Änderungen am Arbeitsgesetzbuch der Ukraine sowie an den Gesetzen „Über Berufsverbände“, „Über Urlaub“ und „Über Kündigung“ vor.
      Ein breites Spektrum von Arbeitsbeziehungen wurde aus dem Rahmen der Vorschriften des Arbeitsgesetzes herausgenommen. Insbesondere wird ein rein vertragliches Arbeitsregime eingeführt: für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten; zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer mit einem Gehalt von mehr als 8 SMIC pro Monat.
      Die Parteien eines Arbeitsvertrags können ihre Beziehung teilweise nach „eigenem Ermessen und in gegenseitigem Einvernehmen“ regeln in Bezug auf: Vergütungssysteme; Arbeitsnormen; die Höhe der Löhne und Gehälter unter Berücksichtigung der gesetzlichen Mindestzahl der Arbeitnehmer; Prämien, Verdienst und sonstige Vergütungen, Entschädigungen und Sicherheitszuschläge; die Arbeits- und Ruhezeiten, die mit der Länge des Arbeitstages und der Arbeitszeit übereinstimmen müssen; die Dauer der wöchentlichen Ruhezeit; sonstige Rechte und Garantien. Dies wird zu einer Verschlechterung des Arbeitsvertrags für den Arbeitnehmer im Vergleich zu den geltenden Rechtsvorschriften führen.
      Der Arbeitgeber hat das uneingeschränkte Recht, den Arbeitsvertrag von sich aus einseitig zu kündigen (Art. 498(2) des neuen Arbeitsgesetzes im Rahmen der in Art. 40 und 41 des Arbeitsgesetzbuchs und Art. 41 des EPÜ.
      Der Gesetzentwurf sieht jedoch nicht vor, dass der Arbeitgeber die Entlassung begründen muss. Daher wird ein Arbeitnehmer nicht in der Lage sein, ein Gericht anzurufen, wenn seine Rechte verletzt werden, denn nach dem Gesetzentwurf 5371 ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Entlassung zu begründen. Der Arbeitgeber ist lediglich verpflichtet, die im Arbeitsvertrag festgelegte Abfindung zu zahlen.
      Die Rechtsabteilung des KVPU ist der Ansicht, dass der Vorschlag, dem Arbeitgeber das uneingeschränkte Recht einzuräumen, Arbeitnehmer auf deren Wunsch hin zu entlassen, nicht im Einklang mit dem europäischen Recht steht: Artikel 4 des IAO-Übereinkommens 158 über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers; Artikel 24 der Europäischen Sozialcharta.
      Gesetzentwurf 5371 enthält auch andere Bestimmungen, die Arbeitnehmer diskriminieren. Es erlaubt den Arbeitgebern, unterschiedliche Löhne für dieselbe Arbeit festzulegen, einschließlich Zulagen, Überstundenzuschläge, Prämien usw. Außerdem kann der Arbeitgeber von den Arbeitnehmern verlangen, dass sie Überstunden, Feiertage, arbeitsfreie Tage und Wochenenden leisten. Nach Artikel 497(1) des neuen Arbeitsgesetzes ist es zulässig, den Lohn einmal im Monat an die Arbeitnehmer auszuzahlen. Dies steht zwar nicht im Einklang mit Artikel 4 des Abschnitts II II der IAO-Empfehlung Nr. 85 über den Schutz der Löhne, wonach die Höchstbedingungen für die Lohnzahlung an die Arbeitnehmer sicherstellen sollten, dass die Löhne mindestens zweimal im Monat gezahlt werden.
      Der Entwurf des neuen Artikels 5. Artikel 21 Absatz 5 besagt Folgendes: „Die Beziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben, unterliegen, soweit sie nicht durch dieses Gesetzbuch geregelt sind, den allgemeinen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches der Ukraine über vertragliche Beziehungen.“ Dies steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Arbeitsrechts, wonach Arbeitsbeziehungen keine zivilrechtlichen Beziehungen sind, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleichberechtigte Parteien in diesen Beziehungen sind (der Arbeitgeber bestimmt Ort und Zeit und legt die Regeln für die Arbeitsleistung fest).
      „Ein solches Gesetz ist aus keinem Grund akzeptabel und im Kriegszustand, in dem die Arbeitnehmer ohnehin in ihren Rechten eingeschränkt sind, völlig missbräuchlich. Die ukrainische Regierung ist froh, dass sie sich vorerst damit abfinden kann, denn sie trägt die Verantwortung für die Wahrung der Souveränität und der territorialen Integrität des Staates“, fügte Mykhailo Volynets hinzu. Die vorgeschlagenen Änderungen des Arbeitsrechts stehen im krassen Widerspruch zur ukrainischen Verfassung, zu den von der Ukraine ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, zur Europäischen Sozialcharta und zu den EU-Richtlinien, deren Beitritt die Ukraine anstrebt. Der Gesetzentwurf wurde auch von Strafverfolgungsorganisationen in der Ukraine und im Ausland sowie vom Internationalen Gewerkschaftsbund und der Internationalen Arbeitsorganisation negativ bewertet. Die Ukraine braucht ein zivilisiertes europäisches Arbeitsgesetzbuch, das eine treibende Kraft für die Rückkehr von Arbeitnehmern aus dem Ausland und von Vertriebenen sein wird, um unser Land wiederaufzubauen. Die oberste Priorität der Behörden sollte daher die Schaffung von sozial befriedigenden Arbeitsplätzen und die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit sein. Im Moment ist es jedoch bedauerlich, dass einige Vertreter der Behörden ein Interesse daran haben, Ukrainer im arbeitsfähigen Alter dazu zu bringen, im Ausland zu arbeiten oder mit eingeschränkten Rechten und zu niedrigen Löhnen hier zu bleiben.
      Darüber hinaus nimmt der Europäische Integrationsausschuss zu diesem Dokument wie folgt Stellung: „Der Gesetzesentwurf in der vorgeschlagenen Fassung schwächt das Niveau des Arbeitsschutzes und verringert den Umfang der Arbeitsrechte und sozialen Garantien der Arbeitnehmer im Vergleich zur geltenden nationalen Gesetzgebung. Dies ist unvereinbar mit den Verpflichtungen der Ukraine aus dem Assoziierungsvertrag und steht nicht im Einklang mit dem EU-Recht.
      Daher wird es sinnvoll sein, die Verfasser des Gesetzentwurfs №5371 und diejenigen, die in erster Lesung für seine Annahme gestimmt haben, daran zu erinnern, dass diese und ähnliche Gesetzesinitiativen den Arbeitnehmerrechten schaden. Die Abgeordneten verkürzen nicht den Weg der Ukraine in die EU, sondern verlängern ihn.“ Maschinenübersetzung der engl. Übersetzung bei laboursolidarity.org externer Link des Statements der KVPU vom 18. Mai 2022
    • Neues ukrainisches Arbeitsgesetz könnte „Büchse der Pandora“ für Arbeitnehmer öffnen
      Das ukrainische Parlament wird über ein neues Arbeitsgesetz abstimmen, das den Arbeitnehmern einen „Rückfall ins 19. Jahrhundert bedeutet
      „Mit einem Brief hat uns [unser Arbeitgeber] weggeschickt, und unser Dialog wurde zu einem Monolog“, sagt Anton Gorb, ein Gewerkschaftsvertreter bei der größten privaten Postgesellschaft der Ukraine, New Post. Gorb dient derzeit in den ukrainischen Streitkräften, da das Land gegen die russische Invasion kämpft. Dennoch vertritt er die Interessen seiner Gewerkschaftsmitglieder und findet Zeit, mit mir darüber zu sprechen, wie sich das ukrainische Arbeitsrecht in Kriegszeiten auf die Menschen im Lande auswirkt. „Wir werden nicht aufgeben, wir versuchen, etwas zurückzugewinnen, aber unsere Beziehung zu unserem Arbeitgeber kann nicht mehr wiederhergestellt werden“, sagt Gorb.
      Im März verabschiedete das ukrainische Parlament ein Kriegsgesetz, das die Möglichkeiten der Gewerkschaften, ihre Mitglieder zu vertreten, stark einschränkte, die „Aussetzung des Arbeitsverhältnisses“ einführte (d.h. die Beschäftigten werden nicht entlassen, sondern ihre Arbeit und ihr Lohn werden ausgesetzt) und den Arbeitgebern das Recht gab, Tarifverträge einseitig auszusetzen.
      Dies, so Gorb, sei bei der Neuen Post (Nova Poshta) geschehen, die einst ein Aushängeschild für gute Arbeitsbeziehungen zwischen ukrainischen Gewerkschaften und dem Management war.
      Doch über diese vorübergehende Maßnahme hinaus strebt eine Gruppe ukrainischer Abgeordneter und Beamter nun eine weitere „Liberalisierung“ und „Entsowjetisierung“ des Arbeitsrechts des Landes an. Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern nicht mehr unter das geltende Arbeitsrecht fallen, sondern durch individuelle Verträge mit ihrem Arbeitgeber abgesichert werden. Mehr als 70 % der ukrainischen Arbeitnehmerschaft wären von dieser Änderung betroffen.
      Vor dem Hintergrund der Befürchtung, dass ukrainische Beamte die russische Invasion nutzen, um eine lang erwartete radikale Deregulierung des Arbeitsrechts durchzusetzen, hat ein Experte davor gewarnt, dass die Einführung des Zivilrechts in die Arbeitsbeziehungen die Gefahr birgt, eine „Büchse der Pandora“ für Arbeitnehmer zu öffnen.
      „Wir hatten einen der besten Arbeitgeber in der Ukraine und einen guten, funktionierenden Tarifvertrag“, sagt Gorb. „Aber jetzt haben die Arbeitgeber dem sozialen Dialog den Rücken gekehrt. Wir dachten, es läge am Beginn des Krieges, aber dann stellte sich heraus, dass sie auf die Verabschiedung des Gesetzes warten.“ Die unabhängige Gewerkschaftsorganisation bei New Post ist eine der größten ihrer Art in der Ukraine. Vor dem Einmarsch Russlands hatte die Gewerkschaft mehr als 11.500 Mitglieder (von rund 30.000 Beschäftigten) und unterzeichnete ihren ersten Tarifvertrag im Jahr 2016. (…)
      Anfang Mai wandte sich die ukrainische Gewerkschaft der Metallurgen und Bergarbeiter schriftlich an die Leitung des ArcelorMittal-Werks in Kryvyi Rih, dem größten Stahlwerk des Landes. Die Gewerkschaft behauptete, die Unternehmensleitung von ArcelorMittal habe im April Teile des Tarifvertrags ausgesetzt, die die Gewerkschaftsarbeit, aber auch die Sozialleistungen für die Beschäftigten betreffen. openDemocracy hat ArcelorMittal um eine Stellungnahme gebeten, aber bis Redaktionsschluss noch keine Antwort erhalten.
      Um die Menschen zu informieren, hat Social Movement, eine ukrainische Bürgerorganisation, eine „schwarze Liste der Arbeitgeber“ externer Link erstellt. Darin sind Unternehmen aufgeführt, die Tarifverträge einseitig ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt oder die Arbeitsbedingungen unter Verstoß gegen das ukrainische Arbeitsrecht erheblich verändert haben. Fast zwei Dutzend Unternehmen stehen auf der Liste, darunter das Kernkraftwerk Tschernobyl, die staatliche ukrainische Eisenbahngesellschaft, der Hafen von Odessa und die Kiewer Metro…“ Maschinenübersetzung des engl. Artikels von Serhiy Guz vom 20. Mai 2022 bei openDemocracy externer Link
  • Arbeitsderegulierungen in der Ukraine: Praktisch jeder Artikel des Gesetzes enthält „schockierend abscheuliche Neuerungen“ 
    Das ukrainische Magazin Spilne Commons hat am 2. Mai 2022 auf Twitter in einem Thread externer Link (engl.) die Einschränkungen im Arbeitsrecht folgendermaßen zusammengefasst:
    „Was ist falsch an den Arbeitsregulierungen während des Krieges in der Ukraine? Schlüsselaspekte:
    1) die Erhöhung der Höchstdauer der Arbeitswoche auf 60 Stunden, die Abschaffung der Überstundenbegrenzung und die Abschaffung von Feiertagen und arbeitsfreien Tagen.
    2) Einbeziehung schwangerer Frauen in Nachtschichten und Mütter mit kleinen Kindern in Nachtschichten und Überstunden
    3) Die Möglichkeit, wesentliche Arbeitsbedingungen ohne Vorankündigung zu ändern
    4) Vereinfachter Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen und Arbeitsverträgen mit Probezeit
    5) Befreiung des Arbeitgebers von der Haftung für Zahlungsverzug, wenn dieser Verstoß auf Feindseligkeiten oder andere Umstände höherer Gewalt zurückzuführen ist
    6) Versetzung von Arbeitnehmern ohne deren Zustimmung an einen anderen Arbeitsplatz
    7) Kündigung während Krankheit, bezahltem und unbezahltem Urlaub sowie ohne Zustimmung der Gewerkschaften“. Siehe dazu:

    • Auf deren Homepage Commons.com erschien am 29. April 2022 in dem Zusammenhang auch der Artikel von Vitaliy Dudin externer Link „The war on workers? What is wrong with labor regulations under martial law“: „… Das Gesetz № 2136 erlaubte die Einschränkung einer übermäßigen Bandbreite an verfassungsmäßigen Rechten der ukrainischen Bürger. Wofür? Der Titel des normativen Akts mag den Eindruck erwecken, dass er auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes abzielt. Doch in Wirklichkeit geht es um den Schutz der Interessen einzelner Arbeitgeber. Sie konnten die für sie nützlichen Sonderbestimmungen des Gesetzes № 2136 anstelle der Normen des Arbeitsgesetzbuchs der Ukraine (Arbeitsgesetzbuch) anwenden, auch ohne direkten Bezug auf Notfälle (wie militärische Bedrohungen oder Feindseligkeiten). Praktisch jeder Artikel des Gesetzes enthielt schockierend abscheuliche Neuerungen…“
  • [Dem kapitalfreundlichen Arbeitsrecht zum Trotz] Wir sind dann mal weg: Deutsche Unternehmen stehen an der Seite der Ukraine – so lange sie müssen
    „Zum Glück ist eine gewisse Normalität da«, sagte Aldo Kamper, Chef des Nürnberger Unternehmens Leoni Ende März auf einer Pressekonferenz. Der Automobilzulieferer hatte da gerade verkündet, die Produktion in seinen beiden Werken in der weniger umkämpften Westukraine wieder aufgenommen zu haben. Dort werden sogenannte Kabelbäume hergestellt, elektronische Bauteile, auf die die Autoindustrie dringend angewiesen ist. (…) Insgesamt sind rund 2.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in der Ukraine aktiv, in der Agrarwirtschaft, der Lebensmittelproduktion oder dem IT-Sektor. Viele Automobilzulieferer haben in den letzten 20 Jahren eigene Standorte errichtet. (…) Vor allem für die Produktion der Kabelbäume hat sich die ländlich geprägte Westukraine zu einem äußerst beliebten Standort entwickelt, weil die Löhne hier extrem niedrig sind. Für eine Arbeitsstunde werden drei Euro bezahlt, inklusive Lohnnebenkosten. In Deutschland müsste die Autoindustrie für dieselbe Tätigkeit etwa 54 Euro bezahlen. (…) Aus Unternehmenssicht ist die Ukraine also vor allem ein Pool extrem günstiger Arbeitskräfte. Dass das vor den »Toren Europas« gelegene Land bis dato kein EU-Mitglied ist, war kein Nachteil. (…) Laut der Stiftung für Wissenschaft und Politik existierte »im Westen« auch kein Konsens darüber, »dass die Ukraine selbst im Falle erfolgreicher Reformen vollständig integriert werden sollte«. (…) Neben der EU drängen auch Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) auf weitere Reformen im Land. Der IWF hat der hoch verschuldeten Ukraine in den letzten Jahren mehrere Milliarden-Kredite gewährt – gebunden an Bedingungen wie Haushaltskonsolidierungen, eine umfassende Renten- und Bildungsreform und die schrittweise Freigabe des stark regulierten Handels mit Agrarland. (…) Selenskyj versprach Haushaltsdisziplin, Privatisierungen von Staatsbetrieben, die Kürzung von staatlichen Subventionen und Sozialausgaben und eine Fortführung des geforderten kostensparenden Umbaus des Bildungs- und Gesundheitssektors. (…) Wenngleich dieses von deutschen Regierungsvertreter*innen und Medien anerkennend als »Turboregime« bezeichnete Vorgehen Selenskyjs in den letzten zwei Jahren ins Stocken geriet (auch weil Selenkskyj die Sicherheitsinteressen seines Landes gegenüber den vom Westen geforderten Reformen stärker in den Vordergrund seiner Politik rückte), besteht kaum Zweifel an dessen Bereitschaft, sein Land den knallharten Wettbewerbsbedingungen von IWF und EU weiter anzupassen. Kurz nach Kriegsbeginn brachte Selenskyj ein Gesetz durchs Parlament, das die Rechte ukrainischer Arbeitnehmer*innen während des Kriegszustandes drastisch beschneidet. Kündigungsschutz, Lohnansprüche, Arbeitsschutzbestimmungen oder Rechte aus Tarifverträgen sind seitdem in weiten Teilen aufgehoben. Gewerkschaftseigentum wurde zwangsweise zur Versorgung von Geflüchteten umfunktioniert. Die Gewerkschaften tragen diese Maßnahmen aufgrund der Kriegssituation mit, befürchten aber, dass damit die Basis für eine radikale Umgestaltung des Arbeits- und Gewerkschaftsrechts auch nach Beendigung des Krieges gelegt ist. Denn schon vor Kriegsausbruch hatte die Regierung versucht, drastische Eingriffe in das noch aus der Sowjetzeit stammende Arbeitsrecht, das westlichen Unternehmen als zu arbeitnehmerfreundlich galt, vorzunehmen. (…) Wie es mit der ukrainischen Wirtschaft nach dem Krieg weitergehen wird, ist von heute aus kaum zu beurteilen. Sicher ist aber, dass deutsche Unternehmen, die seit Ausbruch des Krieges nicht müde werden, ihre Solidarität und ihre praktischen Hilfen für die Ukrainer*innen zu betonen, bereits halblaut über den Rückzug aus dem kriegszerstörten Land nachdenken. Produktionsverlagerung in andere Niedriglohnländer seien laut Handelsblatt zwar politisch heikel, dennoch habe der Krieg den Standort Ukraine grundsätzlich infrage gestellt…“ Artikel von Lene Kempe vom 12. April 2022 aus dem ak681 externer Link
  • Überall sonst hat man die einst vorbildlichen Arbeitnehmerrechte weitgehend ausgehöhlt. In der Ukraine beginnt das erst jetzt 
    Im Interview von Jonas Komposch vom 1. April 2022 in Work externer Link, der Zeitung der Unia («Unterwegs war die Hölle los!») erzählt die Bau-Gewerkschafterin Anna Andreeva (40) über ihre Flucht nach Genf, aber auch über das neue Arbeitsgesetz:
    Nach 22 Tagen Flucht ist Anna Andreeva* in Genf angekommen. Geholfen hat ihr die BWI, die Bau- und Holzarbeiter Internationale. Nun verrät die Russin aus Kiew, was sie von Wladimir Putin und Wolodimir Selenski hält. (…) Mein Mann ist der Präsident der ukrainischen Bauarbeitergewerkschaft. Er wird gebraucht. Die meisten Gewerkschaften haben sich in Lwiw, im Westen der Ukraine, gesammelt und organisieren sich da neu. Sie leisten Fluchthilfe, verteilen Spenden und verwandeln ihre Hotels und Sanatorien in Notunterkünfte.
    [Und die normale Gewerkschaftsarbeit ruht?]
    Nein, wir haben zum Beispiel durchgesetzt, dass Arbeitnehmende trotz Kriegsausbruch auch den Februarlohn erhalten. Das war in vielen Firmen nicht selbstverständlich. Und jetzt bekämpfen wir das neue Arbeitsgesetz, das Präsident Selenski genau vier Wochen nach Kriegsbeginn in Kraft gesetzt hat.
    [Die Gewerkschaften stellen sich gegen Selenski?]
    In dieser Sache schon. Denn das neue Gesetz beschneidet die Rechte der Arbeitnehmenden massiv. Es erlaubt längere Arbeitszeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen. Auch Entlassungen werden einfacher und die Entschädigungen tiefer. Die Regierung argumentiert, das helfe dem Land im Krieg. Doch das stimmt nicht. Es braucht jetzt kein neues Gesetz. Um die Versorgung zu gewährleisten, waren die Arbeiter schon vorher zu Mehrarbeit bereit. Und: Das Parlament hatte bereits vor dem Krieg zweimal versucht, dieses Gesetz einzuführen. Jetzt haben sie den Krieg dafür missbraucht, es durchzubringen.
    [Stimmt es, dass das britische Aussenministerium die ukrainische Regierung in dieser Sache beraten hat?]
    Nicht nur, auch Berater aus den USA waren beteiligt. Dass es eine Reform braucht, bestreite ich gar nicht. Denn das Arbeitsrecht deckt die neu aufkommenden Beschäftigungskategorien nicht ab: Die IT-Branche fehlt komplett, auch Vorschriften zur Selbständigkeit und zu Home-Office fehlen völlig. Das ist so, weil das ukrainische Arbeitsrecht immer noch stark sowjetisch geprägt ist. Und zwar so sehr wie in keinem anderen Land der ehemaligen UdSSR. Überall sonst hat man die einst vorbildlichen Arbeitnehmerrechte weitgehend ausgehöhlt. In der Ukraine beginnt das erst jetzt. Dabei bräuchte es keine Abbaureformen, sondern solche, die schlicht auch die neuen Wirtschaftskategorien regulieren würden…“
  • Ukrainische Regierung baut während des Krieges Arbeitsrechte ab
    Ein Gesetz, das die Arbeitnehmerrechte radikal einschränkt, ist angesichts der russischen Invasion von entscheidender Bedeutung, sagen ukrainische Politiker. Gewerkschaften halten es für einen Vorwand zur Deregulierung
    Das von der ukrainischen Regierung vorgeschlagene neue Gesetz externer Link zur Deregulierung der Arbeitsrechte, das von der Regierung als Teil der gemeinsamen Bemühungen zur Verhinderung der russischen Invasion betrachtet wird, hat die Regierung in Konflikt mit den Gewerkschaften des Landes gebracht. Es besteht die Befürchtung, dass das neue Gesetz, das bereits vom Parlament gebilligt wurde, aber noch von Präsident Wolodymyr Zelenskij unterzeichnet werden muss, auch nach Beendigung des Krieges fortbestehen und zu weiteren ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der Ukraine führen könnte.
    Das neue Gesetz beschneidet die Rechte der Arbeitnehmer (in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Entlassung und Entschädigung nach einer Entlassung) erheblich und stärkt den Einfluss der Arbeitgeber auf ihre Beschäftigten.
    George Sandul, Anwalt bei der ukrainischen Nichtregierungsorganisation Labor Initiatives, erklärte gegenüber openDemocracy, dass die Änderungen „die Gewerkschaften und Experten auf diesem Gebiet schockiert“ hätten. (…) Sandul befürchtet auch, dass das neue Gesetz – das von Halyna Tretiakova, Mitglied der Partei „Diener des Volkes“ von Präsident Zelenskyi und Leiterin des Parlamentsausschusses für Sozialpolitik und den Schutz der Rechte von Veteranen, verfasst wurde – über die Dauer des Krieges hinaus verlängert wird. „Es besteht die große Gefahr, dass diese Bestimmungen nach dem Ende des Krieges in Gesetzesinitiativen für Friedenszeiten übergehen – wie wir wiederholt verzweifelte Versuche von Tretjakowa und anderen Lobbyisten beobachtet haben, die Arbeitsrechte in der Ukraine ernsthaft abzubauen“, sagte er.
    Infolge der russischen Invasion wurden Hunderte und Tausende ukrainischer Unternehmen zerstört, haben die Arbeit eingestellt oder ihre Beschäftigten waren gezwungen, vor den Feindseligkeiten tief in die Ukraine oder ins Ausland zu fliehen. Eine weitere Anzahl von Unternehmen und Arbeitnehmern ist in den von den russischen Streitkräften besetzten Gebieten gelandet, wo die Umsetzung des ukrainischen Arbeitsrechts eingeschränkt wurde. Darüber hinaus sind viele ukrainische Unternehmen an Verteidigungsaktivitäten beteiligt, die von den örtlichen Militärverwaltungen koordiniert werden, und ihre Beschäftigten werden zu Arbeiten geschickt, die nicht durch reguläre Arbeitsverträge abgedeckt sind.
    Mit dem neuen Gesetz werden die Rechte privater Unternehmer und staatlicher Dienste und Einrichtungen erheblich gestärkt, während die Rechte der Arbeitnehmer eingeschränkt werden. Wenn ein Unternehmen infolge der Feindseligkeiten zerstört wird oder nicht mehr funktionsfähig ist, kann es Mitarbeiter mit einer Kündigungsfrist von zehn Tagen (statt zwei Monaten) und der Zahlung eines Monatsgehalts entlassen. Die Entlassung von Arbeitnehmern, die sich im Krankenstand oder im Urlaub befinden, ist ebenfalls zulässig (jedoch nicht, wenn sie schwanger sind oder sich im Erziehungsurlaub befinden). Die Arbeitgeber können die Wochenarbeitszeit von 40 auf 60 Stunden erhöhen, Feiertage verkürzen und zusätzliche Urlaubstage streichen. Auch bei der Einstellung von Mitarbeitern haben sie mehr Flexibilität. Der Arbeitgeber kann von den Arbeitnehmern verlangen, dass sie andere Arbeiten verrichten, die nicht unter ihren Vertrag fallen, wenn dies zu Verteidigungszwecken erforderlich ist, sofern diese Arbeit nicht gesundheitsschädlich ist.
    Eine der umstrittensten Bestimmungen des Gesetzentwurfs betrifft die Möglichkeit, Frauen zu körperlich anstrengender Arbeit und zu Arbeiten unter Tage (z.B. in Bergwerken) heranzuziehen, was derzeit nach dem ukrainischen Arbeitsrecht verboten ist. Dies könnte zu einem Verstoß gegen das 45. Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 1935 führen, das die Arbeit unter Tage für alle Frauen verbietet.
    Eine weitere neue Bestimmung, die die Aussetzung eines Arbeitsvertrags betrifft, kann „im Zusammenhang mit der militärischen Aggression gegen die Ukraine“ angewendet werden. Dadurch werden alle Parteien vorübergehend von ihren gegenseitigen Verpflichtungen entbunden, das Arbeitsverhältnis wird jedoch nicht beendet. Die Zahlung des Lohns und anderer Garantien und Entschädigungen wird dem „Staat, der die militärische Aggression begeht“ (also Russland), und nicht dem Arbeitgeber übertragen. Als Entschädigung schlägt die Regierung vor, jedem, der aufgrund der Feindseligkeiten seinen Arbeitsplatz verloren hat, 6.500 Griwna (etwa 170 Pfund) zu zahlen – diese Zahlung entspricht jedoch nur einem Drittel des Durchschnittslohns in vielen Regionen, die derzeit vom Krieg betroffen sind. Und es ist alles andere als klar, nach welchem Verfahren die Arbeitnehmer eine Entschädigung von dem angreifenden Land erhalten sollen. (…)
    Das neue Gesetz gibt den Arbeitgebern außerdem das Recht, Tarifverträge zu kündigen, und schränkt die Rechte der Gewerkschaften erheblich ein, indem es ihre Rolle auf eine „zivile Aufsicht“ über das neue Gesetz reduziert. Das wichtigste Recht der Arbeitnehmer besteht darin, dass sie, wenn sie von aktiven Kampfhandlungen bedroht sind oder ihren Pflichten nicht nachkommen können, sofort kündigen können (und nicht die derzeit vorgeschriebene Kündigungsfrist von 14 Tagen einhalten müssen). Dieses Recht kann jedoch nur ausgeübt werden, wenn die Arbeit nicht mit Verteidigungs- oder Militäroperationen zusammenhängt.
    Der Gesetzentwurf wurde vom ukrainischen Parlament angenommen, ohne von den Ausschüssen geprüft oder von den Abgeordneten erörtert worden zu sein, könnte aber noch vom Präsidenten mit einem Veto belegt werden. Ein Gewerkschaftssprecher, der anonym bleiben wollte, sagte, dass „ein gemeinsames Vertretungsorgan der Gewerkschaften gegen diesen Gesetzentwurf sei“. Aus Angst vor Repressalien weigerte er sich, den Gesetzentwurf öffentlich zu kritisieren. Er erklärte, dass sich die Gewerkschaften in Kriegszeiten nicht gegen die Änderungen wehren würden, von denen er hofft, dass sie vorübergehend sind. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass der Gesetzentwurf die Grundlage für eine radikalere Umgestaltung des Arbeits- und Gewerkschaftsrechts bilden wird. Einige Monate vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine haben der parlamentarische Ausschuss für Sozialpolitik und das Wirtschaftsministerium ebenso radikale Vorschläge zur Änderung des Arbeitsrechts zugunsten der Arbeitgeber und zur erheblichen Einschränkung der Rechte der Gewerkschaften gemacht.
    Wie openDemocracy im vergangenen Oktober berichtete externer Link, wurde das britische Außenministerium in einen Skandal verwickelt, weil es der ukrainischen Regierung Ratschläge gab, wie sie ein neues Arbeitsgesetz durch das Parlament bringen könnte. Der durchgesickerte Plan, der mit dem Logo der britischen Botschaft in Kiew versehen war, wies darauf hin, dass die vorgeschlagenen Reformen unpopulär seien, und empfahl dem Wirtschaftsminister, „seine Botschaft einfacher und emotionaler zu gestalten“, um die ukrainische Öffentlichkeit zu überzeugen. Mit Unterstützung des Vereinigten Königreichs hat die ukrainische Regierung auf eine Liberalisierung des Arbeitsrechts gedrängt und behauptet, dies würde das Land für Investoren attraktiver machen und die informelle Beschäftigung bekämpfen…“ Machinenübersetzung aus dem (engl.) Artikel von Serhiy Guz vom 18.3.2022 bei opendemocracy.net externer Link
  • Siehe zur Vorgeschichte – vor dem Krieg – unser Dossier von 2019-2021: Das neue Arbeitsgesetz der Ukraine: Passt zum rechten Weltbild des (kuschenden) fleißigen Arbeiters und zur staatlichen Förderung von Nazibanden
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=199416
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