Eng getaktete Lieferketten, 60-Stunden-Wochen, zuwenig Stellplätze: Widrige Arbeitsbedingungen führen zu mehr Unfällen und toten Lkw-Fahrern

Dossier

Übermüdung tötet„Deutschland hat in vielen Bereichen Probleme, ausreichend Fachkräfte zu bekommen. Darunter auch Lkw-Fahrer, von denen heute zwischen 60.000 und 80.000 fehlen – Tendenz steigend, wie es beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) heißt. Jedes Jahr gehen 30.000 Berufskraftfahrer in Rente, und nur halb so viele werden ausgebildet. Ein Grund dafür sind die Arbeitsbedingungen: Die Autobahnen in der Bundesrepublik sind für viele Kraftfahrer ein tödlicher Arbeitsort. Zwar fiel die Gesamtzahl der tödlichen Unfälle auf Deutschlands Straßen im vergangenen Jahr auf einen historischen Tiefstand – nicht aber für die Berufskraftfahrer. Im Jahr 2021 ließen 70 ihr Leben, während es im Vorjahr »nur« 48 waren, hieß es bereits Ende Dezember in einer Bilanz der Initiative »Hellwach mit 80 km/h«…“ Artikel von Bernd Müller in der jungen Welt vom 10. Januar 2022 externer Link und mehr daraus/dazu v.a. als angekündigte Konsequenzen aus dem Lkw-Fahrerstreik auf der Raststätte Gräfenhausen:

  • ‚Safe Rates‘: Transportgewerkschaften fordern weltweit einheitlich sicherere Straßen für alle Verkehrsteilnehmer durch ein neues System „sicherer Tarife“ New
    Mehr als 50 Gewerkschaften, die mehr als 1 Million Beschäftigte im Straßenverkehr vertreten, haben sich zusammengeschlossen, um ein neues System „sicherer Tarife“ zu fordern, das die Rechte der Beschäftigten verbessert und die Straßen sicherer macht. Die von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) geführte Kampagne, die heute in Seoul, Korea, gestartet wurde, richtet einen beispiellosen Appell an Regierungen, Arbeitgeber im Straßentransport und andere Interessenvertreter der Branche, ein System regulatorischer und gesetzlicher Änderungen zu unterstützen, das nach Ansicht der Gewerkschaften nicht nur die Bedingungen für die Fahrer im Straßentransport drastisch verbessern, sondern auch die Straßen für alle Verkehrsteilnehmer sicherer machen wird.  Eine Reihe von Forschungsergebnissen von Branchenexperten verdeutlicht die harte Realität für die Straßenverkehrssicherheit, wenn die niedrige Entlohnung und die schlechten Arbeitsbedingungen die Fahrer zu gefährlichen Verhaltensweisen auf der Straße zwingen, wie z. B. zu langen Fahrzeiten, Überladung und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Es ist erwiesen, dass die Zahlung angemessener Löhne, d. h. sicherer Tarife, direkt mit der Sicherheit im Straßenverkehr korreliert, wobei Lohnerhöhungen von nur 10 % die Unfallzahlen um 30 % senken. (…) Unter dem gemeinsamen Banner der Kampagne „Sichere Tarife“ werden die Beschäftigten im Straßenverkehr und ihre Gewerkschaften in dieser Woche weltweit an einer Reihe von koordinierten Aktionen teilnehmen. Mehr als 50 Gewerkschaften haben eine Erklärung mit globalen Forderungen unterzeichnet, die den Regierungen und Interessenvertretern der Branche in ihren jeweiligen Ländern sowie in Südkorea, wo die konservative Regierung Yoon Suk Yeol vor kurzem das erfolgreiche System der sicheren Tarife abgeschafft hat, übergeben werden soll. Gewerkschaften aus Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Ghana, Kenia und Uganda werden sich am 23. September an einer Massenkundgebung beteiligen und die regressiven Maßnahmen der Regierung verurteilen…“ engl. Pressemitteilung vom 21 Sep 2023 von ITF externer Link („Transport unions unite globally to call for safer roads“, maschinenübersetzt)

  • Sozialmaut: DGB und ver.di fordern eine Erhöhung der Maut um mindestens einen Cent pro Kilometer, um die Zustände auf Raststätten und Autohöfen zu verbessern 
    Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen im internationalen Straßenverkehr leiden unter schwierigen Arbeitsbedingungen und hohen Kosten, wenn sie auf Autobahnraststätten übernachten. Sie werden oft schlecht bezahlt, müssen aber für Wasser, Toiletten und Duschen an Raststätten bezahlen. Öffentlichkeit und Politik sind auch durch Streiks osteuropäischer Trucker an der südhessischen Autobahnraststätten Gräfenhausen auf dieses Problem aufmerksam geworden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verlangen Abhilfe. Gemeinsam fordern sie den Bundestag dazu auf, die Mautgebühren um mindestens einen Cent pro Kilometer anzuheben, um mit dieser „Sozialmaut“ die soziale Lage der Männer und Frauen am Steuer zu verbessern. In der nächsten Woche steht ohnehin eine Mauterhöhung auf der Tagesordnung des Parlaments. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will die Maut um eine Kohlendioxid-Komponente ergänzen. Für einen Sattelzug der Abgasklasse Euro 6 wäre dadurch nach Angaben der Gewerkschaften künftig eine Gebühr von 34,8 Cent pro Kilometer fällig. Dies entspräche in etwa einer Verdopplung der aktuellen Mautgebühren. Diese Zusatzeinnahmen sollten weiterhin ausschließlich in die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur fließen, beklagen die Gewerkschaften. „Dies bedeutet – salopp formuliert: in Asphalt, Beton und Stahl.“ Stattdessen sollten die Unternehmen über die Maut auch zur Kasse gebeten werden, „um die Zustände auf Rastplätzen und Autohöfen zu verbessern“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der Frankfurter Rundschau. Das Geld solle dafür sorgen, dass kostenlos Trinkwasser, Toiletten, Duschen und beheizte Aufenthaltsräume zur Verfügung gestellt würden. Auch die Versorgung bei medizinischen Notlagen sowie Sozialarbeit auf Rastplätzen und Autohöfen müsse umsonst gewährleistet werden. Und Speisen und Getränke müssten bezahlbar sein…“ Artikel von Pitt von Bebenburg vom 15.09.2023 in der FR online externer Link („Arbeitsbedingung: DGB fordert Sozialmaut“), siehe:

    • Prekäre Arbeits- und Sozialbedingungen: DGB und ver.di fordern Sozialmaut – mindestens 1 Cent für Sozialstandards für LKW-Fahrer auf Autobahnraststätten
      Der Bundestag befasst sich morgen (19. September 2023) in 1. Lesung mit dem Gesetz zur Mauterhöhung. Auf Grundlage des Koalitionsvertrages soll die Straßenmaut bis zum Ende des Jahres angehoben und um eine CO2-Komponente ergänzt werden. Die so eingenommenen Gelder sollen weiterhin ausschließlich in die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur fließen, also in Asphalt, Beton und Stahl. DGB und ver.di fordern, das Mautgesetz so anzupassen, dass Speditionsfirmen mindestens 1 Cent je gefahrenem Kilometer abgeben müssen, um die oftmals prekären Arbeits- und Sozialbedingungen der LKW-Fahrer* innen auf unseren Straßen zu verbessern. (…) Das Erfassungssystem der LKW-Maut sollte genutzt werden, um die Speditionen als „Verursacher“ und mittelbare „Nutznießer“ heranzuziehen, und mit den Einnahmen Betreuungsangebote für die LKW-Fahrenden durch eine kilometerbezogene Abgabe zu finanzieren. Der Aufschlag sollte mindestens 1 Cent je gefahrenem Kilometer betragen, um die unsäglichen Zustände auf deutschen Rastplätzen und Autohöfen zu beenden – eine Forderung, wie sie auch der Verein Sozialmaut e.V. erhebt. Das Geld wird zweckgebunden für soziale Maßnahmen ausgewiesen und mit Hilfe von Organisationen, in denen Arbeitgeber, LKW-Fahrer*innen gemeinsam mit Politik und Zivilgesellschaft vertreten sind, eingesetzt, um erforderliche Angebote zu definieren und bei Dritten einzukaufen. Die so generierten Einnahmen sollen genutzt werden für: kostenlose Trinkwasserversorgung, kostenlose Nutzung von Toiletten, Duschen und beheizten Aufenthaltsräumen, kostenlose Versorgung bei medizinischen Notlagen, Sozialarbeit auf Rastplätzen und Autohöfen (etwa via einzurichtender Telefon-Hotline), angemessene bezahlbare Speisen und Getränke.“ DGB-Pressemitteilung vom 18.09.2023 externer Link
    • Siehe zum aktuellen Anlaß unser Dossier: Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan streiken auf der Autobahnraststätte bei Darmstadt für ihren Lohn von der polnischen Firmengruppe Mazur
  • Straßengüterverkehr: Gewerkschaften wollen Verlader in die Pflicht nehmen
    Das Ergebnis des spektakulären Lkw-Fahrerstreiks auf der Raststätte Gräfenhausen West hat Edwin Atema in seiner Überzeugung bestärkt: Um internationale arbeitsrechtliche Konventionen und EU-Recht im Straßengüterverkehr durchzusetzen, kommt es entscheidend darauf an, was die Verlader an der Spitze der Lieferkette tun. In Gräfenhausen habe der Arbeitgeber der osteuropäischen Fahrer die eingeforderten Löhne schließlich vor allem deshalb gezahlt, weil ein Kunde, dessen Waren in den Lkw feststeckten, Druck ausgeübt habe, sagt der niederländische Gewerkschafter, den die Fahrer zu ihrem Verhandlungsführer gemacht hatten. „Das Beste, was passieren könnte, wäre, dass die großen multinationalen Konzerne sagen: Genug ist genug“, sagt Atema mit Blick auf soziale Missstände im europäischen Straßengüterverkehr. Viele wichtige Verlader wie Ikea, Daimler, VW oder Unilever seien nicht nur an Vorschriften des EU-Rechts und an nationale Regeln wie etwa das deutsche Lieferkettengesetz gebunden, sondern sie würden sich auch zu Arbeitsstandards bekennen, die in Übereinkommen der UN, der OECD oder der internationalen Arbeitsorganisation ILO festgelegt sind. Würde diese Firmenpolitik wirklich durchgesetzt, „könnte so etwas wie in Gräfenhausen nicht passieren“, gibt sich Atema im Gespräch mit der DVZ überzeugt
    Doch nach der Vergabe von Transportaufträgen an zahlreiche Subunternehmen passiere es dann doch. Die gängige Kontrolle der Transportlieferkette durch Firmenaudits funktioniert nach Ansicht der Internationalen Transportarbeiter-Föderatoin (ITF) und der niederländischen Gewerkschaft FNV, für die Atema arbeitet, nicht. Die Auditoren würden die Transportunternehmen anschreiben, ihren Besuch einige Wochen im Voraus ankündigen und mitteilen, was sie kontrollieren wollen. „Und dann finden sie keine Missstände“, sagt Atema. (…) Mit wie vielen und mit welchen Verladern die Stiftung RTDD bereits zusammenarbeitet, will er nicht offenlegen. Derzeit gehe es darum, noch mehr Partner zu gewinnen. Die Kooperationsbereitschaft nehme angesichts von Vorfällen wie in Gräfenhausen zu. Anfang Juni will RTDD laut Atema einen ersten öffentlichen Bericht vorstellen, in dem es um die Arbeitsbedingungen zentralasiatischer Lkw-Fahrer gehen soll, die für EU-Unternehmen arbeiten. Er werde „schrecklich“ ausfallen…“ Artikel von Frank Hütten vom 16. Mai 2023 in DVZ externer Link
  • Studie: Bitte wenden! Menschrechtliche Risiken in der Transport- und Logistikbranche
    „… Deutschland zeichnet sich durch eine stark globalisierte Wirtschaft aus. Die hiesigen industriellen Zentren sind auf Rohstoffe und Vorprodukte angewiesen, die von überall aus der Welt nach Deutschland transportiert werden. Viele Produkte wie zum Beispiel Bekleidung oder Computer werden aber auch als Fertigwaren importiert. Die Unternehmen, die diese Fertigwaren importieren, sind genauso von globalen Lieferund Wertschöpfungsketten abhängig wie die Industrie in Deutschland. Auf Unternehmensebene bedeutet diese Verflechtung, dass global agierende Unternehmen oft mehrere Produktionsstandorte und/oder viele Zulieferer weltweit haben. Aber auch kleinere Unternehmen mit einem breiteren Produktportfolio verfügen in der Regel über weit verzweigte Netzwerke und Kunden- und Lieferbeziehungen in der ganzen Welt und eine globale Distribution. (…) Vor dem Hintergrund des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), den daran anknüpfenden Initiativen auf europäischer Ebene und dem wachsenden gesellschaftlichen Bewusstsein über die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen wächst aber die Notwendigkeit zumindest für große Unternehmen, nicht nur ihre Zulieferbetriebe, sondern auch ihre Geschäftspartner für Transport und Logistik einer menschenrechtlichen Risikoanalyse zu unterziehen. Grundlage hierfür ist das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, ein anerkannter internationaler Rahmen für den Umgang mit potenziellen und tatsächlichen negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte. Hiernach müssen Unternehmen negative Auswirkungen auf die Menschenrechte im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit und ihrer Lieferkette ermitteln, verhindern, abmildern und darüber Rechenschaft ablegen. Während der Transport- und Logistiksektor durch die steigende Nachfrage nach Transport und Logistikdienstleistungen der große Profiteur der Globalisierung war und ist (vgl. Zanker 2018: 22), zeigen zahlreiche Berichte über miserable Arbeitsbedingungen auf Handelsschiffen oder auf Europas Straßen, dass die menschenrechtlichen Risiken in vielen Teilbereichen der Logistikbranche groß sind. Industrie- und Handelsunternehmen täten deshalb gut daran, ihre Risikoanalyse nicht nur auf die Bedingungen bei ihren direkten Logistikdienstleistern zu beschränken, sondern diese auf die tiefere Lieferkette auszudehnen. Genauso, wie sie Transparenz über ihre Zulieferbetriebe entlang der Wertschöpfungskette benötigen, um ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachzukommen, benötigen sie auch Transparenz über die Transport- und Logistikwege, die ihre Produkte genommen haben. Gerade in der aktuellen Phase, die u.a. stark von der Corona-Pandemie mit den daraus folgenden Unterbrechungen von Lieferketten, aber auch vom russischen Krieg gegen die Ukraine geprägt ist, steht der Logistiksektor vor großen Herausforderungen. Darüber hinaus prägen neue Technologien, die Klimakrise, der Wunsch nach Diversifizierung der Bezugsländer, und zudem der akute Mangel an Fachkräften die Branche (vgl. Pfretschner 2022). Auf diese Herausforderungen muss der Logistiksektor Antworten finden, die nicht losgelöst sein dürfen von den Herausforderungen rund um Transparenz und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Deshalb ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, wenn Industrie und Handel, aber auch die Politik und die Gesellschaft als Ganzes ihre Erwartungen an eine Logistikbranche formulieren, die auf ökologischer Nachhaltigkeit und menschenwürdiger Arbeit beruht.“ Aus der Einleitung der 32-seitigen Südwind-Studie von Irene Knoke, Sabine Ferenschild und Friedel Hütz-Adams vom April 2023 externer Link
  • Öffentliche Anhörung des Verkehrsausschusses: Plädoyer für bessere Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern 
    „Vertreter der Transport- und Logistikbranche, Gewerkschaftsvertreter und Berufskraftfahrer plädieren für verbesserte Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer. Dazu gehörten unter anderem mehr Park- und Rastplätze sowie saubere sanitäre Einrichtungen. Zudem müssten gesetzliche Regelungen stärker kontrolliert werden. Dies war das annähernd einhellige Votum einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag, 12. Dezember 2022, zum Berufskraftfahrermangel in Deutschland. Thema der Anhörung war zudem ein mögliches Be- und Entladeverbot für Lkw-Fahrer an den Laderampen. Es war bereits die dritte öffentliche Anhörung des Verkehrsausschusses zum Berufskraftfahrermangel in diesem Jahr. (…) Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e. V. (BGL), verwies auf den zunehmenden Mangel an Berufskraftfahrern. Aktuell fehlten etwa bis zu 100.000 Fahrern. (…) Die Berufskraftfahrer Andreas Kernke und Mark Schneider gaben dem Ausschuss einen Einblick in ihren Berufsalltag und ihre Probleme. Nach Schneiders Einschätzung stehen Lkw-Fahrer „am Rand der Gesellschaft“. Ihre Belange würden kaum wahrgenommen. Es gebe zwar viele gute Gesetze zum Schutz der Fahrer, allerdings sei ihre Kontrolle völlig unzureichend. Er wünsche sich mehr Anerkennung für die wichtige Arbeit der Lkw-Fahrer. „Es gibt in Deutschland mehr Siegel für fair gehandelten Kaffee als für einen fairen Transport“, sagte Schneider. Sein Berufskollege Kernke bestätigte die Aussagen Schneiders. Die Fahrer würden von vielen Spediteuren dazu genötigt, ihre Fahrzeiten voll auszuschöpfen. Dies führe dazu, dass die Fahrer gezwungen seien, ihre Fahrzeuge mitunter auch im Parkverbot abzustellen, um die gesetzlichen Ruhezeiten einzuhalten, weil in der Nähe keine Parkplätze oder Raststätten vorhanden seien. Nach 21 Uhr würden die Duschen und Toiletten an Autobahn-Rastplätzen nicht mehr gereinigt und die Gaststätten hätten geschlossen. (…) Nach den Einschätzungen von Ronny Keller von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Michael Wahl von der Beratungsstelle Faire Mobilität seien die Arbeitsbedingungen von vielen Berufskraftfahrern oftmals kaum noch als menschenwürdig zu beschreiben. Keller sprach sich für ein Be- und Entladeverbot für die Fahrer aus. Das Be- und Entladen sollte nicht die Aufgabe des Fahrers sein, da er eh schon große Schwierigkeiten habe, ausreichend Ruhezeiten zu finden. (…) Ulrich Binnebößel, Abteilungsleiter Logistik beim Handelsverband Deutschland e. V (HDE), (…) warb dafür, das Be- und Entladen in Verträge zwischen Produzenten, Spediteuren und belieferten Kunden aufzunehmen. In der Tat sei dies eine wertschöpfende Arbeit und müsse entsprechend honoriert werden. Auch Olligschläger sprach sich dafür aus, das Be- und Enladen in das Gehalt der Fahrer einfließen zu lassen. Immerhin sei der Fahrer gesetzlich für die Sicherheit der Ladung auf seinem Fahrzeug verantwortlich. Somit könne er sich auch nicht aus dem Be- und Entladevorgang heraushalten…“ Bundestag-Dokument der öffentlichen Anhörung vom 12. Dezember 2022 externer Link mit Videoaufzeichnung der ca. zweistündigen Anhörung
  • Ferienfahrverbot für Lkw: Hitzefrei an der Autobahn 
    In Deutschland gibt es das Ferienfahrverbot für Lkw. Es trifft heute vor allem die Fahrer auf osteuropäischen Lkw, die im Sommer nun zwei Monate lang zwangsläufig am Wochenende auf Raststätten unter oft fragwürdigen Bedingungen ausharren müssen. (…) Nun habe ich diese Woche zufällig einen Bericht der Hessenschau verfolgt, bei der das Thema des Ferienfahrverbotes am Beispiel zweier hessischer Spediteure aufgegriffen wurde. Mit Christopher Schuldes, dem jungen Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition aus Alsbach-Hähnlein bei Darmstadt, einem der beiden Protagonisten, habe ich mich dazu unterhalten. Er hat mir in der Tat, wie andere Unternehmer auch, beschrieben, welchen Kraftakt seine Disposition jede Woche aufwenden muss, um die Touren für die 27 eigenen Lkw so zu planen, dass deren Fahrer weitestgehend vor Beginn des Verbotes wieder daheim sind. Denn, bedingt durch den harten internationalen Wettbewerb, den sie auf Grund höherer Kosten nicht mehr bestehen können, haben sich immer mehr deutsche Frachtführer darauf zurückgezogen, für nationale Kunden einen zuverlässigen Service in der akzeptierten Kernzeit von Montag bis Freitag zu gewährleisten. Das deckt sich mit den Wünschen immer mehr Fahrer, auch nur noch von Montag bis Freitag auf Tour zu gehen. Im größten Transitland Europas genießen heimische Unternehmen auch bei derzeit teils gestiegenen Frachten eigentlich eine gute Zeit. Vom Stress durch Staus und Zeitfenster einmal abgesehen kenne ich mittlerweile so viele Firmen, die sich von den schlechtesten Touren und den unzuverlässigen Fahrern getrennt haben und dennoch kein schlechtes Auskommen haben. Makroökonomisch ist das für unsere mittlerweile lahmende Exportwirtschaft natürlich nicht gut.
    Fragwürdige Zweiklassengesellschaft an der Autobahn
    Doch mittlerweile ist im Zuge des Ferienfahrverbotes sukzessive ein soziales Problem entstanden. Bekanntlich lag der reine Mautanteil der deutschen Transportunternehmen im Jahr 2021 nach der Statistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) bei 58,1 Prozent gegenüber 41,9 Prozent für ausländische Lkw, nicht zu verwechseln mit dem Marktanteil an Ladungen in Deutschland, von denen wieder die meisten mit 17,5 Prozent aus Polen kamen, gefolgt von 3,5 Prozent aus Rumänien, 3,3 Prozent aus Tschechien und 3,0 Prozent aus Litauen. Erst auf Platz fünf kommen mit 2,5 Prozent Lkw aus den Niederlanden. Laut BAG liegt die Fahrleistung an einem durchschnittlichen Wochentag (im Zeitraum ohne bundeseinheitliche Feiertage) bei 126,08 Millionen Kilometern. Vom 01.01.2022 bis 26.06.2022 lag die Fahrleistung an einem durchschnittlichen Samstag im Zeitraum ohne bundeseinheitliche Feiertage bei rund 42,42 Millionen Kilometern. Entsprechend wird an einem Samstag 33,6 Prozent der Fahrleistung von einem durchschnittlichen Wochentag gefahren. Die recht einfache Rechnung, die sich vor allem auf den Transitrouten beobachten lässt: Während die deutschen Fahrer nun immer öfter am Wochenende daheim sind, stecken die osteuropäischen Flotten, die bereits durch das reine Sonntagsfahrverbot ausgebremst sind, nun auch noch am Samstag in der Zeit von sieben bis 20 Uhr entlang der Autobahnen an Raststätten fest. Und zwar, wie ich immer wieder unterwegs mit eigenen Augen beobachten kann, unter höchst fragwürdigen Umständen. (…)
    Erschreckende Erkenntnisse von Faire Mobilität
    Am vergangenen Wochenende hat das DGB Projekt „Faire Mobilität“ zusammen mit Edwin Atema von der FNV Vakbond und dessen Kolleginnen und Kollegen der ITF – International Transport Workers‘ Federation nach Gesprächen mit Lkw-Fahrern entlang der Autobahnen zwischen Köln und Karlsruhe auf seiner Facebookseite folgende erschreckende Zahlen veröffentlicht, die sich mit meinen Erkenntnissen decken. „Auf Lkw mit polnischen, litauischen und ungarischen Kennzeichen treffen wir immer häufiger Fahrer aus der Ukraine, Belarus, Kirgisistan, Kasachstan, Usbekistan, Moldau und den Philippinen. Die meisten von ihnen geben an, 50 bis 70 Euro pro Tag zu verdienen. Einige wenige sagen, sie bekommen 80 bis 90 Euro. Sie fahren für vier bis acht Wochen ohne Unterbrechung in Westeuropa und schlafen durchgehend in ihren Kabinen“. Und weiter: „Viele Speditionen aus Osteuropa, die wir seit langem als ausbeuterische Arbeitgeber kennen, gründen vermehrt Filialen in Deutschland und stellen dort Fahrer aus Polen, Rumänien oder Litauen an. Die Fahrer scheinen den gesetzlichen Mindestlohn zu erhalten, klagen jedoch über unbezahlte Überstunden und ständiges Übernachten in den Kabinen.“
    Auch deutsche Speditionen, das hatte ich bereits in meinem letzten Blog-Artikel geschrieben, nutzen die Raststätten der Autobahnen oder Gewerbegebiete, um ihre Fahrer dort die gesamten drei bis vier Wochen, in denen sie in ihrem Auftrag unterwegs sind, entgegen der bestehenden Regeln abzustellen…“ Artikel von Jan Bergrath am 03.08.2022 bei eurotransport.de externer Link, siehe auch unser Dossier: Zahl seit 2008 verdoppelt: Mehr Krankheitstage durch Hitze und Sonne
  • [arte-Video] Trucker unter Druck 
    Knapp vier Millionen Lkw-Fahrer:innen sind auf den Straßen der Europäischen Union unterwegs. Neue EU-Regeln sollen ihre schwierigen Arbeitsbedingungen verbessern. Doch die Kontrolleure kommen kaum hinterher. Der Rumäne Marius Balacenoiu hat in Frankreich Chemikalien geladen und fährt damit 1.800 Kilometer durch Europa bis nach Rumänien. Die Tour ist geprägt von engen Zeitplänen, Ärger mit dem Arbeitgeber und Geldmangel. Es ist, so sagt Marius Balacenoiu, „die schlimmste Tour“, die er je gefahren ist. Gerade osteuropäische Trucker arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Stanislava Rupp-Bulling vom Gewerkschafts-Projekt „Faire Mobilität“ hat in den letzten Jahren Hunderte von ihnen beraten. Viele kennen ihre Rechte nicht. Wenn sie zum Beispiel im Ausland unterwegs sind, steht ihnen für diese Zeit der örtliche Mindestlohn zu. Der ist in Deutschland oder Frankreich höher als in Osteuropa. Mindestlöhne, Lenk- und Ruhezeiten, Kabinenschlafverbote – längst gibt es unzählige neue EU-Regeln, die die Situation in der Lkw-Branche verbessern sollen. Doch die Kontrolleure kommen gegen die schiere Masse an Lkw kaum an. 2020 gab es allein in Deutschland über 455 Millionen Lkw-Fahrten. Dabei sind Kontrollen essentiell. Karsten Lüth von der Polizei Scharbeutz: „Wenn wir keine Kontrollen machen würden, würden die Unternehmer die Fahrer noch mehr drücken, so dass es zu massiven Lenkzeit- und Ruhezeitverstößen kommt. Wenn Fahrer übermüdet sind, passieren dadurch vermehrt schwere Unfälle.““ Video der Sendung vom 16.06.2022 bei arte externer Link in der Reihe „re:“, 32 Min.
  • Weiter aus dem Artikel von Bernd Müller in der jungen Welt vom 10. Januar 2022 externer Link: „… Die Unfälle passieren meist in Zeiten mit erhöhtem Verkehrsaufkommen, zum Beispiel am Ende eines Staus vor einer Dauerbaustelle, erzählt Schäfer. Zwar seien Notbremssysteme mittlerweile eine weitverbreitete Technik, doch viele Fahrer seien gar nicht in sie eingewiesen. Dann könne es kurz vor einer Kollision passieren, dass die Fahrer aufschrecken und das Lenkrad zur Seite ziehen. Sie »unterbrechen dadurch die Bremskaskade«, erläuterte Schäfer. Solche Fehlleistungen sind auch Folge widriger Arbeits- und Lebensbedingungen: Die Fahrer müssen schon am Nachmittag nach einem der raren Stellplätze für die Nacht Ausschau halten. Haben sie einen ergattert, so lässt der Lärm der Autobahn sie nicht zur Ruhe kommen; an erholsamen Schlaf ist nicht zu denken. Dann stehen die Fahrer auch wegen der eng getakteten Lieferketten unter enormem Druck. Ruhezeiten können deswegen kaum eingehalten werden. Die Folge sind übermüdete Fahrer, die zum Teil eine 60-Stunden-Woche bewältigen müssen. Unter diesen Umständen kommt es wohl nicht selten vor, dass Fahrer unvorsichtig werden: Sicherheitsabstände werden nicht immer eingehalten, und die Ladung wird nicht ausreichend gesichert. Die Arbeit als »Fachkraft für Fahrzeugführung«, wie die Berufsbezeichnung der Lkw-Fahrer offiziell heißt, ist häufig von niedrigen Arbeitslöhnen geprägt. In der Logistikbranche ist Sozialdumping weitverbreitet, der Konkurrenzdruck auf dem europäischen Markt ist hoch. Um die Transportkosten niedrig zu halten, wurden in den letzten Jahren zunehmend Speditionen aus osteuropäischen Ländern angeheuert, wo der Mindestlohn bei zwei Euro pro Stunde anfängt. Deutsche Mittelständler könnten das kaum kompensieren, hieß es im vergangenen Jahr vom BGL. Neben der hohen psychischen Belastung bringt der Beruf auch noch andere gesundheitliche Risiken mit sich. Der Bewegungsmangel, das Heben und Tragen schwerer Ladung und auch die Arbeit mit Gefahrstoffen führen überdurchschnittlich oft zu Muskel-Skelett-Erkrankungen und zu Problemen mit der Atmung…“
  • Siehe die Homepage von »Hellwach mit 80 km/h« externer Link

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=196827
nach oben