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Nach Marine Le Pen-Interview samt Titelblatt: 5 französische Gewerkschaften fordern vom EGB Sanktionierung bis zum Ausschluss der NSZZ Solidarność

Dossier

Marine Le Pen-Interview samt Titelblatt der Gewerkschaftszeitung der NSZZ SolidarnośćDie polnische Gewerkschaft Solidarność hat sich im Rahmen der französischen Präsidentschaftswahlen offen für die rechtsextremen Kandidaturen von Marine Le Pen und Éric Zemmour ausgesprochen. In einem gemeinsamen Schreiben, das am 7. Dezember zusammen mit CFDT, CFTC, CGT und FO sowie UNSA an den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) gerichtet wurde, weisen sie darauf hin, dass die aktuellen Stellungnahmen von Solidarność den Grundwerten der europäischen Gewerkschaftsbewegung widersprechen. Sie fordern, innerhalb des EGB ein gemeinsames Vorgehen zur Klärung und angemessenen Sanktionierung, die bis zum Ausschluss führen kann, einzuleiten. (Aus der UNSA-Meldung vom 16.12.21 externer Link) Im gemeinsamen Schreiben (franz. und engl.) vom 7.12. an den Präsidenten von Solidarnosc, Piotr Duda, kritisieren sie u.a. „… Die Titelseite Ihrer Zeitschrift Tygodnik mit Marine Le Pen und die lobenden Artikel über Eric Zemmour, beide Kandidaten für die französischen Präsidentschaftswahlen und am äußersten Rand des französischen politischen Spektrums ángsiedelt, sowie die redaktionelle Linie der französischen Version von Ihrer Website Tysol spiegeln eine politische Voreingenommenheit wider, der sich die Gewerkschaften nicht anschließen…“ Siehe einige Hintergründe in der Materialsammlung:

  • EGB: „Die Beschwerde gilt somit als bearbeitet“ New
    Gegenüber dem LabourNetGermany gab der EGB am 16.03.2022 an, dass im Februar eine Anhörung infolge der Beschwerden französcher Gewerkschaften darüber, dass eine französische Webseite mit Verbindungen zur Solidarność rechtsextreme Inhalte verbreitete stattgefunden habe. Es
    wurde verabredet, dass das Logo von Solidarność von der Seite tysol.fr entfernt und die Seite vom Netz genommen würde. Dieser Verabredung wurde
    nachgekommen und „die Beschwerde gilt somit als bearbeitet.“
  • In Polen, Frankreich und anderswo kämpft die Gewerkschaftsbewegung gegen die extreme Rechte! 
    Was sich an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland abspielt, ist entsetzlich. Tausende von Migranten – Frauen, Männer und Kinder – werden von den Regierungen dieser beiden Länder und im weiteren Sinne von den Regierungen der Europäischen Union als Geiseln gehalten.
    Das Exil, für das sich diese Menschen entschieden haben, ist niemals eine Entscheidung aus Bequemlichkeit. Es ist die Antwort auf eine lebenswichtige Notlage; die unerträglichen sozialen Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen des Planeten, die Kriege, das extreme Elend aufgrund der kapitalistischen Ausbeutung, die den Kolonialismus und die freiheitsfeindlichen Regime benötigt, sind einige der Gründe.
    Die belarussischen Behörden spielen auf verabscheuungswürdige Weise mit dem Leben der Migranten, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen, die im Gegensatz zu denen der Tausenden von Menschen stehen, die an der Grenze festsitzen. Aber die polnischen Behörden kümmern sich nicht um die Menschen, die an der Grenze festsitzen. Als Gewerkschafter verteidigen wir das Recht eines jeden, selbst zu entscheiden, wo er/sie auf der Erde leben will. Dies wird durch den Kampf für gleiche Rechte ergänzt. Wir kämpfen auch gegen das Elend, das einen großen Teil des Planeten betrifft.
    All dies ist das Gegenteil von dem, was die extreme Rechte tut. Deshalb verurteilen wir aufs Schärfste die Absprachen zwischen der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc und der französischen Partei Rassemblement National. Die polnische Gewerkschaft gibt der Vorsitzenden der französischen Partei in ihrer Presse eine Stimme und unterstützt sie bei der Ablehnung von Migranten und der Unterstützung der bewaffneten Aktionen der polnischen Regierung.
    Das ist natürlich eine Schande. Aber es geht hier nicht darum, moralische Urteile zu fällen. Faschismus und Rassismus sind keine „Ideen“, sie sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deren Aufkommen immer und überall bekämpft werden muss.
    Unsere Gewerkschaftsorganisationen, Ogólnopolski Związek Zawodowy Inicjatywa Pracownicza und Union syndicale Solidaires, verurteilen die von Solidarnosc getroffene Entscheidung, unterstützen die Aktionen zur Verteidigung aller Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer Nationalität, rufen dazu auf, die Rechte der Migranten stärker zu verteidigen, und betonen, dass Elend, Kriege, Unterdrückung und Ausbeutung in all ihren Formen die Ursache für die große Mehrheit der Migrationen sind. Internationale gewerkschaftliche Aktionen sind eine der Antworten auf diese Situation; dies wollen unsere beiden Organisationen weiterhin tun, insbesondere durch das International Labour Network of Solidarity and Struggles, das im April 2022 in Dijon (Frankreich) seine vierte internationale Tagung abhalten wird.“ Maschinenübersetzung der gemeinsamen (engl.) Erklärung vom 3.1.2022 externer Link von OZZIP, Solidaires und alternativen gewerkschaftlichen Netzwerk für Solidarität und Kampf (dem auch LabourNet Germany angehört) – auf Französisch, Englisch und Polnisch als pdf-Datei externer Link 
  • Siehe die erste Meldung von kapturak am 11.12.21 auf Twitter externer Link: „Längst überfällig. Die rechte Gewerkschaft Solidarność fliegt wohl aus dem Internationalen Gewerkschaftsbund. Akuter Anlass jüngstes Marine Le Pen-Interview und Titel in der Solidarność-Zeitschrift.“
  • Zunächst berichtete die polnische Presse, so z.B.: „Französische Gewerkschaften wollen Solidarnosc aus der europäischen Organisation ausschließen“
    Der Europäische Gewerkschaftsbund hat ein Verfahren zum Ausschluss der Gewerkschaft Solidarität aus seinen Reihen eingeleitet. Die französischen Gewerkschaften behaupten, der Grund sei die „Unterstützung rechtsextremer Politiker“. – Marine Le Pen und Eric Zemmour – schreibt die „Gazeta Wyborcza“.
    „Wir sind empört darüber, dass der Name ‚Solidarität‘ in Frankreich als Alibi für die extreme Rechte benutzt wird. Es ist ein Verrat an dem Kampf, den unsere Gewerkschaft vor 40 Jahren mit Ihnen geführt hat. Wir verstehen nicht, was mit der Solidarität geschehen ist. Der Kampf, der uns in der Vergangenheit vereint hat, gegen den Autoritarismus und für die Freiheit des polnischen Volkes, wurde auf der Grundlage gemeinsamer Werte geführt. Für uns sind diese Werte verraten worden“, heißt es in einem Brief, den Laurent Berger, Generalsekretär des Französischen Demokratischen Gewerkschaftsbundes (CFDT), vor einer Woche an den Vorsitzenden von Solidarity, Piotr Duda, geschickt hat.
    „Wyborcza“ zitiert auch einen Brief von Philippe Martinez, dem Vorsitzenden einer anderen französischen Gewerkschaft, des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes (CGT): „Ihre jetzige Position ist eine Beleidigung für das, was Sie vor 40 Jahren getan haben. Die Entscheidungen, die Sie heute treffen, von Ihrer Weigerung, die Rechte von LGBT zu verteidigen, bis zu Ihrer Beteiligung an der Ablehnung und Stigmatisierung von Migranten, werfen einen Schatten auf das Image und den Ruf der Solidarität“.
    Nach Angaben der Tageszeitung wurde ein weiteres drittes Schreiben, ebenfalls voller Empörung, von den Führern der CFDT, der CGT und der anderen großen französischen Gewerkschaftsdachverbände unterzeichnet: Französischer Verband der christlichen Arbeiter (CFTC), Arbeitermacht (FO) und Nationale Union der autonomen Gewerkschaften (UNSA).
    In Frankreich gibt es einen Aufschrei wegen der November-Ausgabe der Wochenzeitung Solidarität. Die Wochenzeitung veröffentlichte ein langes Interview mit Marine Le Pen, und die Politikerin ist auf der Titelseite der Ausgabe zu sehen. Die französischsprachige Seite von Solidarity Weekly wiederum veröffentlichte Agitationsmaterial für Le Pen und Erik Zemmour, einen rechtsgerichteten Kolumnisten, dem Kritiker rassistische und antisemitische Parolen vorwerfen.
    „Die französischen Gewerkschafter fordern den Ausschluss der NSZZ Solidarność aus dem Europäischen Gewerkschaftsbund. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Gewerkschaften aus Ländern der Europäischen Union, der von den EU-Institutionen zu seinen Maßnahmen konsultiert wird. Ein Ausschluss von Solidarity würde bedeuten, dass die Gewerkschaft ihren Einfluss und ihre Kontakte in Brüssel verlieren würde…“ Maschinenübersetzung des (poln.) Artikels vom 15.12.2021 in wiadomosci.onet.pl externer Link (Zeitung von Axel Springer Polska)
  • Oben erwähnter Brief (französisch und englisch) an den Präsident von Solidarnosc dokumentiert in der UNSA-Meldung vom 16.12.21 externer Link, hier seine Übersetzung:
    Sehr geehrter Herr Piotr Duda,
    auf der Halbzeitkonferenz des Europäischen Gewerkschaftsbundes haben die Führer der europäischen Gewerkschaften über die Zukunft des Gewerkschaftswesens diskutiert.
    Diese Debatten betonten, wie wichtig es ist, zusammenzuarbeiten, um die europäischen Gewerkschaften und ihre Einheit zu stärken, um die Arbeitnehmer in ganz Europa bestmöglich zu verteidigen, in einer Zeit, in der die Sparpolitik und die zunehmende Ungleichheit den Zusammenhalt der europäischen Gesellschaft gefährden.
    Nur wenige Tage später hatten wir die unangenehme Überraschung, die Eröffnung einer Tysol-Website zu entdecken, dem offiziellen Medium der Solidarnosc, die Frankreich gewidmet war.
    Die Tatsache, dass keine der französischen Gewerkschaftsorganisationen, die dem Europäischen Gewerkschaftsbunds angehören, nicht vorab darüber informiert wurde, ist an sich schon inakzeptabel. Die Titelseite Ihrer Zeitschrift Tygodnik mit Marine Le Pen und die lobenden Artikel über Eric Zemmour, beide Kandidaten für die französischen Präsidentschaftswahlen und am äußersten Rand des französischen politischen Spektrums ángsiedelt, sowie die redaktionelle Linie der französischen Version von Ihrer Website Tysol spiegeln eine politische Voreingenommenheit wider, der sich die Gewerkschaften nicht anschließen.
    Diese Initiativen verstoßen gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung von politischen Bewegungen.
    Unsere Gewerkschaftsorganisationen, die dem EGB angehören, sind der Ansicht, dass das, was uns im EGB vereint, die Grundwerte sein müssen, die insbesondere im Wiener Manifest aufgeführt sind, in dem wir uns kollektiv verpflichtet haben, für die Verteidigung der Demokratie und das europäische Sozialmodell einzutreten… eine stärkere Gewerkschaftsbewegung aufzubauen, die in der Lage ist, sich zu organisieren und zu mobilisieren, sich den Herausforderungen, die vor uns liegen  zu stellen, die kommenden Veränderungen vorwegzuahnen und zu gestalten. Eine Gewerkschaftsbewegung, die zur Stärkung der Demokratie und des sozialen Fortschritts in Europa beiträgt. Für CFDT, CGT, FO, CFTC und UNSA sind die grundlegenden Werte und der gegenseitige Respekt zwischen den Mitgliedsgewerkschaften desselben internationalen Gewerkschaftsbundes sind eine Bedingung, die keinerlei Nachjustierung dulden darf.“
  • Eine u.E. „interessante“ Bewertung gibt es im Artikel „»Verrat gemeinsamer Ideale«“ von Reinhard Lauterbach in der jungen Welt vom 21.12.2021 externer Link: „… Die Vorwürfe der französischen Gewerkschaften beziehen sich einerseits darauf, dass die Artikel auf der polnischen Gewerkschaftsseite gegen das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder und insbesondere deren Wahlkämpfe verstießen; andererseits beklagen sie sich, dass Solidarnosc durch diese Publikationen die »gemeinsamen Ideale« verrate, aus denen heraus die französischen Kollegen Solidarnosc in den 1980er Jahren und vor allem während des Kriegszustands in ihrem »Kampf gegen den Autoritarismus« unterstützt hätten. Bemerkenswert daran ist einerseits, dass dieser Appell auch von der ehemals kommunistischen CGT unterzeichnet wurde, und zweitens das unverhohlene Bekenntnis der Autoren dazu, dass sie seinerzeit zugunsten der Solidarnosc genau das getan haben, was sie jetzt der polnischen Gewerkschaft ihnen gegenüber vorwerfen: Einmischung in innere Angelegenheiten. Insofern ist der Ausschlussantrag in erster Linie ein Dokument fortgeschrittener Begriffslosigkeit in der französischen Gewerkschaftsbewegung. Andererseits bedeutet diese Mischung von Dummheit und Heuchelei nicht, dass die Vorwürfe gegen Solidarnosc nicht inhaltlich zuträfen. Tatsächlich ist die Solidarnosc heute vor allem der Transmissionsriemen der polnischen Rechtsregierung in die abhängig beschäftigte Bevölkerung mit der politischen Aufgabe, dieses Segment der Gesellschaft bei der Stange zu halten. Als Gewerkschaft ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst und der rund zehn Millionen Mitglieder, die sie 1980 hatte…“
  • Wir erinnern an den Beitrag von 2014: [Rechtsextreme in Polen kooperieren mit Solidarnosc] Solidarität mit Nazis? und den von 2013: Von der Bürgerbewegung zur rechten Hand Gottes – Solidarnosc in Polen externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=196339
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