Atlas der Versklavung: Daten und Fakten über Zwangsarbeit und Ausbeutung

Dossier

RLS: Atlas der Versklavung: Daten und Fakten über Zwangsarbeit und Ausbeutung. Wir können die moderne Sklaverei beenden und in Zukunft verhindern!„Wenn wir an Sklaverei denken, sehen wir in Ketten gelegte Menschen, die aus Afrika gewaltsam in alle Welt verschifft werden. Nur selten verbinden wir die Sklaverei mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gegenwart. (…) Tatsächlich sind heute – in absoluten Zahlen – mehr Menschen versklavt als jemals zuvor in der Geschichte. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen spricht von «moderner Sklaverei» und schätzt, dass derzeit mindestens 40 Millionen Menschen davon betroffen sind. Mit unserem Atlas möchten wir Bewusstsein für die weithin ignorierte Sklaverei schaffen. (…) Mehr als 120 Länder gaben an, Betroffene aus über 140 verschiedenen Herkunftsländern entdeckt zu haben. Hinzu kommt, dass die nationalen Behörden manche Routen vermutlich nicht erkennen, auch weil viele Menschen bereits in ihren Herkunftsländern versklavt werden…“ Einleitung zum 60-seitigen ‚Atlas der Versklavung‘ der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der 2. Auflage vom November 2021 externer Link und dazu:

  • Zwangsarbeit in Deutschland: Ausbeutung (nicht nur) im Nagelstudio – vom Gefühl von Normalität, wenn freitagabends um 20:00 Uhr abends noch der Paketbote klingelt… New
    Manche Menschen arbeiten unter Zwang. Das ist zwar in Deutschland völlig verboten, doch Fälle gibt es viele. Und nur wenige Täter werden ermittelt. Ein Blick auf das Problem und einige Lösungsansätze.
    Mehr als zehn Stunden täglich, sechs Tage die Woche und weit unter Mindestlohn – so wurden Beschäftigte in einem Nagelstudio in Oberbayern ausgebeutet. Anfang August 2025 ist der Betreiber verurteilt worden. Und das ist kein Einzelfall. Zwangsarbeit ist eine besonders krasse Form der Arbeitsausbeutung, überwiegend sind Migrant*innen die Opfer. Die Branchen Bau, Logistik, Pflege, Gastronomie, Landwirtschaft, Reinigungswesen und die Fleischindustrie sind besonders betroffen.
    Gewalt als Druckmittel
    Bei dem Fall in Oberbayern wurden Arbeitnehmende von Vietnam nach Ungarn geschleust. Sie hatten wegen der Schleusung hohe Schulden und mussten diese abarbeiten. „Sie haben die Ausbeutung im Nagelstudio in Kauf genommen“, berichtet Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Lisa Westhäußer. Manchmal werden Betroffenen auch die Pässe weggenommen oder sie werden psychisch oder mit Gewalt unter Druck gesetzt, sagt sie.
    Hohe Dunkelziffer
    Im Jahr 2024 haben die Behörden bundesweit nur zwölf Betroffene von Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung in Nagelstudios festgestellt. Die meisten Expert*innen gehen davon aus, dass es viel mehr Betroffene gibt, sagt Lisa Westhäußer. Aber es sei schwer, die Zwangsarbeit nachzuweisen und „die Betroffenen melden sich in den allerwenigsten Fällen selbst bei Beratungsstellen“. Ein Grund dafür: Von Zwangsarbeit sind oft Menschen betroffen, die in ihren Herkunftsländern schlechte Erfahrungen mit dem Staat gemacht haben und ihre Rechte nicht kennen, so unsere Reporterin. Wenn diese dann in Deutschland ausgebeutet werden, fehle ihnen das Wissen und das Vertrauen, zur Polizei oder zu einer Beratungsstelle zu gehen. Umgekehrt könnten die Behörden nicht jedes Nagelstudio und jede Baustelle engmaschig kontrollieren.
    Hinzu komme aber auch, dass Ausbeutung gerade von Migrant*innen teils gesellschaftlich toleriert werde – und die von Menschen in prekären Jobs überhaupt, findet Tobias Seitz vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Als Beispiel nennt er das Gefühl von Normalität, das sich einstellt, wenn freitagabends um 20:00 Uhr abends noch der Paketbote klingelt…“ Text und Audio des Beitrags von Dominik Schottner und Lisa Westhäußer vom 18. September 2025 im Deutschlandfunk-Nova externer Link Audio Datei
  • Vor allem in Gastronomie, Reinigung und Bau: Nationaler Aktionsplan gegen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit beschlossen
    Arbeitsausbeutung ist auch in Deutschland alltägliche Praxis. Nur in den seltensten Fällen kommt es zur Strafverfolgung. Nun hat die Bundesregierung reagiert und baut Hürden ab. (…) Unter Federführung des Arbeits- und Sozialministeriums von Hubertus Heil (SPD) hat das rot-grüne Kabinett am Mittwoch einen nationalen Aktionsplan beschlossen. Dieser muss nicht erst durch Bundestag oder Bundesrat, sondern wird ab sofort umgesetzt. Er enthält über 83 (teilweise bereits laufende) Maßnahmen. Darunter zum Beispiel eine Ausweitung von Beratungs- und Informationsangeboten für Arbeitskräfte, aber auch solche für eine bessere und grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Behörden…“ Artikel von Felix Kiefer vom 13.02.2025 im Tagesspiegel online externer Link („Bundesregierung beschließt Strategie gegen Ausbeutung und Zwangsarbeit“) und mehr zum Aktionsplan beim BMAS:

    • Nationaler Aktionsplan gegen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit im Bundeskabinett beschlossen
      „Die Bundesregierung hat am 12. Februar 2025 einen Nationalen Aktionsplan gegen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit beschlossen. Damit legt die Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstmals eine nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit vor und erfüllt völkerrechtliche Verpflichtungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die insgesamt 83 Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans betreffen schwerpunktmäßig die Förderung und Ausweitung gezielter niedrigschwelliger Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Arbeitskräfte, die grenzüberschreitende Vernetzung und internationale Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren am Arbeitsmarkt sowie die zielgerichtete Sensibilisierung von Behörden, Sozialpartnern und Unternehmen für bestehende Missstände. Maßnahmen in den vier Handlungsfeldern Arbeitskräftegewinnung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerrechte und deren Durchsetzung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz und staatliche Kontrolle sowie Unternehmensverantwortung sollen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit künftig stärker bekämpfen. Entscheidend für den Gesamterfolg des Nationalen Aktionsplans ist die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Daher haben auch die Länder insgesamt 125 Maßnahmen in eigener Zuständigkeit entwickelt. Der Nationale Aktionsplan wird ab sofort sukzessive umgesetzt und zusammen mit den Ländern, Sozialpartnern und Zivilgesellschaft kontinuierlich weiterentwickelt…“ BMAS-Pressemitteilung vom 12. Februar 2025 externer Link mit diversen Links zu den einzelnen Aspekten des Nationalen Aktionsplans und dessen Entwurf externer Link
  • Das Joch der Jobs. Internationale Arbeitsorganisation präsentiert Studie: Extraprofite durch Zwangsarbeit und Schuldenknechtschaft. Europa liegt an erster Stelle
    „Die Bilanz ist dramatisch: 2021 mussten an jedem Tag schätzungsweise 27,6 Millionen Menschen auf der Welt zwangsarbeiten. Das geht aus der Studie »Profits and Poverty: The Economics of Forced Labour« (Profite und Armut: Die Ökonomie der Zwangsarbeit) hervor, die am Dienstag von der International Labour Organization (ILO), der Internationalen Arbeitsorganisation, vorgestellt wurde. Die Nutznießer der Zwangsarbeit erzielten dabei einen Profit von umgerechnet mehr als 217 Milliarden Euro per anno – ein Anstieg von 37 Prozent im Vergleich zu 2014. »Bei diesen illegalen Gewinnen handelt es sich um Löhne, die rechtmäßig in die Taschen der Arbeiter gehören, aber statt dessen in den Händen ihrer Ausbeuter bleiben, als ein Resultat ihrer Zwangspraktiken«, so die ILO. Als Zwangsarbeit definiert die Organisation »jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung einer Strafe verlangt wird und für die sich diese Person nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat«. 2021 waren davon 2,7 Millionen Menschen mehr betroffen als noch im Jahr 2016. Der Anstieg ist »sowohl auf die steigende Zahl der zur Arbeit gezwungenen Menschen als auch auf höhere daraus erzielte Gewinn zurückzuführen«, so die ILO. Mit 77,5 Milliarden Euro ist der Gesamtprofit aus erzwungener Mehrwertproduktion in Europa und Zentralasien am höchsten. Zu dieser Region zählen rund 50 Länder von Island über Deutschland und die Türkei bis Russland. Die Staaten der arabischen Welt bilden in dieser Statistik mit einem Gewinn von 17 Milliarden Euro die Schlusslichter. Betrachtet man den Gewinn, den die Ausbeuter im Schnitt mit jeder und jedem Zwangsarbeitenden erzielen können, liegt Europa ebenfalls an erster Stelle, danach folgen aber bereits die arabische Welt und die USA. Zwangsarbeit ist in fast allen Bereichen der Wirtschaft verbreitet: im Bergbau und Dienstleistungsgewerbe, in der Industrie, der Landwirtschaft und der Hausarbeit. Mit Zwangsprostitution verdienen die kriminellen Ausbeuter mit Abstand das meiste Geld. (…) Geflüchtete sind ebenfalls besonders gefährdet, weil sie sich häufig kommerziellen Fluchthelfern finanziell ausgeliefert haben und ihre Schulden mit Zins und Zinseszinsen durch Zwangsarbeit zurückzahlen müssen. (…) »Zwangsarbeit setzt den Teufelskreis von Armut und Ausbeutung fort und verletzt die Menschenwürde im Kern. Wir wissen jetzt, dass die Situation nur noch schlimmer geworden ist«, resümiert der Generaldirektor der ILO, Gilbert F. Houngbo, auf der Homepage der Organisation – und empfiehlt »die Stärkung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die Bereitstellung von Schulungen für Vollzugsbeamte, die Ausweitung der Arbeitsaufsicht auf Hochrisikosektoren und eine bessere Koordinierung zwischen Arbeits- und Strafverfolgung«.“ Artikel von Gerrit Hoekman in der jungen Welt vom 21. März 2024 externer Link zur englischsprachigen 48-seitigen ILO-Studie „Profit and poverty: The economics of forced labour“ externer Link
  • Moderne Sklaverei: Zwangsarbeit nimmt zu. Die Zahl der Opfer von moderner Sklaverei ist stark gestiegen 
    „Viele Menschen in den Industrieländern glauben, sie sei heute ein Randphänomen, das nur in autoritären Gesellschaften zu finden ist: moderne Sklaverei. Dabei ist sie insbesondere für Frauen weltweit Alltag, sei es in Zwangs- und arrangierten Ehen oder Zwangsprostitution, sei es in Anstellungsverhältnissen in Privathaushalten, die Gefangenschaft und oft brutale Gewalt bedeuten. Aber sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse breiten sich in den letzten Jahren weltweit in allen Bereichen der Gesellschaft wieder stärker aus. Am Mittwoch legte die Menschenrechtsorganisation Walk Free in London die neue Ausgabe des »Global Slavery Index« vor, also einen Bericht zu deren Verbreitung. Demnach waren im Jahr 2021 etwa 50 Millionen Menschen betroffen und damit zehn Millionen mehr als fünf Jahre zuvor. Zum Vergleich: 2008 ging die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) noch von 27 Millionen Betroffenen weltweit aus. Besonders gefährdet sind dem Bericht zufolge Menschen, die vor den Folgen des Klimawandels und vor Konflikten fliehen müssen. Auch eine weltweite Einschränkung der Frauenrechte sowie wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Corona-Pandemie verschärfen demnach die Situation. (…) Kritisch sieht Walk Free auch die Rolle der G20-Staaten. Jedes Jahr importieren diese nach Angaben der Organisation mutmaßlich unter Zwang hergestellte »Risikoprodukte« im Wert von 468 Milliarden US-Dollar (434 Milliarden Euro). Sie seien also über ihre Lieferketten mitverantwortlich für das Leid etwa der Hälfte der Betroffenen. »Die moderne Sklaverei durchdringt jeden Aspekt unserer Gesellschaft. Sie ist in unsere Kleidung eingewoben, beleuchtet unsere Elektronik und würzt unser Essen«, erklärte die Gründungsdirektorin von Walk Free, Grace Forrest. Die Organisation mit Sitz in Australien fordert wirksame Lieferkettengesetze, die Unternehmen in Industriestaaten für die Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben in die Pflicht nehmen. Außerdem appelliert Walk Free an die Regierungen, auch im Zusammenhang mit humanitärer Hilfe und beim Aufbau einer grünen Wirtschaft in ihren Einflussbereichen dafür zu sorgen, dass es nicht zu Zwangsarbeit kommt. Zudem müssten Kinder, insbesondere Mädchen, durch das Ermöglichen von Schulbildung und das Verhindern von Zwangsehen besser geschützt werden.“ Artikel von Jana Frielinghaus vom 24. Mai 2023 in Neues Deutschland online externer Link

Siehe auch: Sklaverei heute – Arbeitsmigration und Menschenhandel

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=195076
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