Rund sieben Millionen Menschen arbeiten in Teilzeit, Leiharbeit, Minijobs – ist das noch „atypische“ Beschäftigung?
Dossier
„… Rund sieben Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen, also zum Beispiel in Teilzeit mit weniger als 20 Wochenstunden oder mit einem befristeten Anstellungsvertrag. Das seien 20,9 Prozent der insgesamt 33,4 Millionen abhängig Beschäftigten, wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ („NOZ“) unter Berufung auf eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes berichtet. Der Statistik zufolge gibt es außerdem 4,5 Millionen Teilzeit-Beschäftigte mit mehr als 20 Wochenstunden. (…) Die Zahlen stammen aus einer Sonderauswertung des Mikrozensus 2020 durch das Statistische Bundesamt, welche die Linksfraktion im Bundestag in Auftrag gegeben
hatte. (…) Unterm Strich arbeiten laut der Linken rund 11,5 Millionen von 33,4 Millionen Beschäftigten nicht in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen…“ Meldung vom 24. September 2021 in tagesschau.de
(„Teilzeit, Leiharbeit, Minijobs: Jeder Fünfte in „atypischer“ Beschäftigung“) und dazu:
- Wenn die Teilzeitquote die 40-Prozent-Marke überschreitet, kann es in Merz-Deutschland nur an mangelnder Arbeitsbereitschaft, gar Faulheit liegen – leider nicht
- Teilzeitquote überschreitet erstmals die 40-Prozent-Marke
„Die Teilzeitquote stieg kräftig um 0,5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahresquartal und erreichte im zweiten Quartal 2025 mit 40,1 Prozent einen neuen Rekordwert. Dies geht aus der am Dienstag veröffentlichten Arbeitszeitrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten erhöhte sich gegenüber dem Vorjahresquartal um 1,3 Prozent, die der Vollzeitbeschäftigten hingegen sank leicht um 0,7 Prozent. Der Anstieg der Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist auf die reguläre Teilzeit zurückzuführen, da die geringfügige Beschäftigung erneut rückläufig war. „In den 90ern war Teilzeit noch die Ausnahme, heute ist sie mit 17 Millionen Beschäftigten Normalität. Erstmals überschreitet die Teilzeitquote die 40-Prozent-Marke“, berichtet Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“…“ Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 02.09.2025
- Sarah Yolanda Koss über die rasant steigende Teilzeitquote: Faul sein könnte wunderbar sein
„Quasi durch die Decke geht die Teilzeitquote in Deutschland – erstmals liegt sie bei über 40 Prozent. Das sind gute Nachrichten für so manchen Mann hierzulande, der zum großen Teil freiwillig und wegen dem Wunsch nach mehr Freizeit weniger arbeitet. Zurecht, schließlich ist faul sein wunderschön, wie schon Pippi Langstrumpf besang. Schlechte Nachrichten sind das dagegen für Frauen und Personen in Engpassberufen. Sie landen vor allem wegen Mehrfachbelastungen wie Kinderbetreuung oder Pflege in der Teilzeit (auch bei Pippi backt die Mutter schließlich während der Faulenzerei den Kuchen) – oder weil sie die hohe Arbeitsbelastung dorthin treibt…“ Kommentar von Sarah Yolanda Koss vom 02.09.2025 in ND online
- Ist Teilzeit wirklich Faulheit – oder der Spiegel einer veralteten Politik? Eine Analyse zeigt, wie überholte Strukturen Arbeit in Deutschland prägen
„Es ist eine endlose Diskussion. Wieder und wieder diskutieren die Deutschen über den Fleiß im Land. (…) Tatsächlich hat sich die Arbeitswelt verändert. (…) Die Zahlen allein erzählen jedoch nicht die Geschichte, die derzeit politisch geschrieben wird. (…) Teilzeit gilt demnach vielen nicht als Ergebnis individueller Lebensplanung, sondern als Ausdruck mangelnder Arbeitsbereitschaft. Frauen, die Kinderbetreuung und Beruf kombinieren, geraten in dieser Rhetorik ebenso unter Verdacht wie Menschen, die Arbeitszeitreduktion als Antwort auf eine belastende Erwerbsbiografie begreifen. (…) Fachleute wie Hans Rusinek und Enzo Weber weisen auf tieferliegende Probleme hin: das Steuersystem, das Arbeit hoch, Kapital jedoch niedrig besteuert; fehlende Kinderbetreuungsangebote; Karrierehindernisse für Frauen, die nach Familienpausen zurückkehren wollen. (…) Die Diskussion über Arbeitsmoral wird so zum Stellvertreterstreit über gesellschaftliche Prioritäten. Während Politiker den Niedergang der Vollzeitquote als Alarmzeichen werten, verweisen Fachleute darauf, dass Beschäftigung trotz Krise Rekordniveau erreicht hat – allerdings zu veränderten Bedingungen. (…) Ein Land, das Flexibilität fordert, erlebt nun die Kehrseite dieser Forderung: Erwerbsbiografien werden brüchiger, Lebensentwürfe individueller, und die klassische Vollzeitnorm verliert an Zugkraft. Was bleibt, ist ein Spannungsfeld zwischen moralischem Anspruch und realer Arbeitswelt. Die Debatte über Teilzeit wird so nicht nur zu einer Auseinandersetzung über Produktivität, sondern auch über gesellschaftliche Erwartungen. Dass Deutschland mehr arbeitet als je zuvor, nur anders verteilt, passt kaum ins politische Narrativ. Lieber hält man an der Parole fest, dass es am Willen fehle.“ Beitrag von Andrej Simon vom 9. September 2025 in Telepolis
- Siehe auch unser Dossier: Mehr Zeit für Alle! Gute Gründe, die Lohnarbeit zu reduzieren, gibt es viele. Doch nur wenige können sich das gegenwärtig auch leisten
- Teilzeitquote überschreitet erstmals die 40-Prozent-Marke
- Die „atypische“ Beschäftigung schrumpft (weiter). Drei von vier „Kernerwerbstätigen“ sind normal beschäftigt
„Da kommen positive Nachrichten aus dem Statistischen Bundesamt. Nach Angaben der Bundesstatistiker lag der Anteil atypisch Beschäftigter an allen „Kernerwerbstätigen“ im Jahr 2024 bei 17,2 Prozent. Damit hält der kontinuierliche Rückgang seit Beginn der 2010er Jahre an (…) Kernerwerbstätige sind Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64 Jahren, ohne Personen in Bildung, Ausbildung oder Freiwilligendiensten. Kernerwerbstätige werden unterschieden in Selbstständige, sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem Normalarbeitsverhältnis oder in atypischer Beschäftigung. (…) Bezieht man die atypisch Beschäftigten auf alle Kernwerbstätige, dann zeigt sich das folgende Bild: (…) Im Jahr 2010 hatte der Anteil atypisch Beschäftigter noch bei 22,6 Prozent gelegen. In diesem Zeitraum ist bei allen Formen der atypischen Beschäftigung ein Rückgang zu verzeichnen: Der Anteil befristet Beschäftigter sank von 8,1 Prozent auf 5,9 Prozent, der von Teilzeitbeschäftigten bis 20 Wochenstunden von 14,1 Prozent auf 10,9 Prozent und der von geringfügig Beschäftigten von 7,2 Prozent auf 4,2 Prozent. Zeitarbeit erreichte 2017 seinen größten Beschäftigungsanteil mit 2,5 Prozent. Im Jahr 2024 lag er bei 2,1 Prozent. Der auch 2024 deutlich höhere Anteil von Frauen in atypischer Beschäftigung von 25,0 Prozent gegenüber den 10,2 Prozent bei den Männern lag vor allem an der Teilzeitbeschäftigung mit einem Umfang von bis zu 20 Stunden pro Woche. 19,4 Prozent der Frauen in Kernerwerbstätigkeit gingen einer solchen Beschäftigung nach, aber nur 3,4 Prozent der Männer. Zudem waren Frauen mit 6,5 Prozent deutlich häufiger geringfügig beschäftigt als Männer (2,2 Prozent). Knapp drei von vier (74,8 Prozent) Kernerwerbstätigen waren 2024 in einem Normalarbeitsverhältnis beschäftigt. Im Jahr 2010 war der Anteil mit 65,8 Prozent noch deutlich geringer. Der Anstieg ist unter anderem auf die Teilzeitbeschäftigung mit mehr als 20 Wochenstunden zurückzuführen, deren Anteil zwischen 2010 und 2024 von 7,3 Prozent auf 14,1 Prozent gestiegen ist. Der Anteil der Selbstständigen unter den Kernerwerbstätigen lag 2024 bei 7,9 Prozent. Ihr Anteil ist seit 2010 langsam und kontinuierlich von 11,1 Prozent um gut 3 Prozentpunkte gesunken. Die strukturelle Verschiebung am deutschen Arbeitsmarkt zeigt sich mit Blick auf die absoluten Zahlen noch deutlicher. Während zwischen 2010 und 2024 fast 4,8 Millionen Normalbeschäftigte hinzugekommen sind, ging die Zahl der atypisch Beschäftigten um rund 1,5 Millionen zurück.“ Beitrag von Stefan Sell vom 26. Juni 2025 auf seiner Homepage
- IAB-Studie: Arbeitslos – und dann? Die neuen Jobs sind meistens atypische Beschäftigungen
„Was passiert, nachdem Menschen arbeitslos geworden sind? Tatsächlich sind die weiteren Erwerbsverläufe höchst unterschiedlich. Der dauerhafte Sprung in eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung gelingt den meisten Betroffenen zunächst nicht. Vielmehr findet sich die Mehrzahl in den ersten vier Jahren nach Eintritt der Arbeitslosigkeit in atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie befristeter Beschäftigung, Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs wieder, nicht selten unterbrochen von Phasen erneuter Arbeitslosigkeit. Welche Rolle spielt atypische Beschäftigung für Arbeitslose im weiteren Erwerbsverlauf? Dieser Frage sind die Autor*innen dieses Beitrags in einer aktuellen Studie nachgegangen. (…) Im Schnitt waren die Personen aus der Stichprobe, die zunächst alle arbeitslos waren, in den vier Jahren nach Eintritt der Arbeitslosigkeit insgesamt 15 Monate arbeitslos. Davon entfielen neun Monate auf die anfängliche Arbeitslosigkeit und sechs Monate auf erneute Arbeitslosigkeit (…). 80 Prozent gelangt es, in dieser Zeit zumindest vorübergehend eine Beschäftigung aufzunehmen (…). Dies weist zwar auf eine rege Arbeitsmarktbeteiligung hin, aber viele Biografien sind instabil: Insgesamt waren die Verläufe nach Beendigung der ersten Arbeitslosigkeit recht unbeständig. Im Schnitt gab es fast vier (3,7) Wechsel zwischen verschiedenen Erwerbszuständen, beispielsweise zwischen registrierter Arbeitslosigkeit und befristeter Beschäftigung. Mehr als die Hälfte der betrachteten Personen wurde mindestens einmal erneut arbeitslos, ein Viertel sogar noch häufiger. Dementsprechend waren viele Beschäftigungsaufnahmen nicht von Dauer: Mehr als die Hälfte der Betroffenen war innerhalb von vier Jahren mehrmals erwerbstätig. (…) Bei der Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit spielte atypische Beschäftigung eine große Rolle: Die Personen aus der Stichprobe waren durchschnittlich neun Monate regulär in Vollzeit tätig und übten 15 Monate eine atypische Beschäftigung aus. 66 Prozent waren mindestens einen Monat lang atypisch beschäftigt und 38 Prozent übten mindestens einmal eine regulären Vollzeitbeschäftigung aus. (…) Daneben zeigt sich eine hohe Bedeutung atypischer Beschäftigung: Für sieben der zehn typischen Erwerbsverläufe, und damit für 62 Prozent der anfänglich Arbeitslosen, spielte atypische Beschäftigung eine wichtige Rolle. (…) Nur jeder Fünfte war nach vier Jahren unbefristet in Vollzeit beschäftigt (…) Besonders Arbeitslose in der Grundsicherung schaffen den Übergang in eine stabile Vollzeitbeschäftigung nicht…“ Beitrag von Torsten Lietzmann und Katrin Hohmeyer vom 7. Mai 2025 beim IAB-Forum