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Nachforschung in »industriellem Ausmaß«: Ikea-Manager wegen Bespitzelung von Mitarbeitern und Gewerkschaftern in Frankreich vor Gericht

Dossier

SUD: Ouverture du procès IKEAEin Dutzend ehemaliger Spitzenmanager und Filialleiter von Ikea France sowie ein Detektiv und vier Polizisten stehen seit Montag in Versailles bei Paris vor Gericht wegen Bespitzelung von Bewerbern, Mitarbeitern des schwedischen Einrichtungshauses und vor allem von Gewerkschaftsvertretern. Das von ihnen ab 2003 aufgebaute Spionagesystem war 2012 durch Enthüllungen in den französischen Medien und eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft aufgeflogen. Im Zuge der Veröffentlichungen wurde zunächst der Mail-Austausch zwischen Jean-François Paris, dem Sicherheitschef von Ikea France, und Jean-Pierre Fourès, dem Direktor einer Privatdetektiv-Agentur, publik. Demnach übermittelte der Ikea-Manager die Namen, Geburtsdaten und Sozialversicherungsnummern von »Verdächtigen« und beauftragte die Agentur, Informationen über deren Familienverhältnisse und Privatleben, ihre Mitgliedschaft in Parteien, Organisationen oder Gewerkschaften, eventuelle Vorstrafen und andere »sicherheitsrelevante« Fakten zu beschaffen. (…) Mitunter kamen auch noch rassistische Ressentiments hinzu (…) Wie die Ermittler feststellten, hätten die Aufträge »industrielle Ausmaße« angenommen. Meist wurden gleich Informationen zu Dutzenden Personen angefordert und in einem Fall eine Liste mit Namen von insgesamt 203 Mitarbeitern übermittelt. (…) Besonderes Aufsehen erregte der Fall des Verkäufers Adel Amara. Den unbequemen Gewerkschaftsvertreter in der Ikea-Filiale Franconville im Nordwesten von Paris wollte die Direktion unbedingt loswerden. Darum wurde 2010 die Sicherheitsfirma GSG beauftragt, Amara eine Falle zu stellen und »juristisch unangreifbare Fakten« zu beschaffen…“ Beitrag von Ralf Klingsieck vom 22. März 2021 in neues Deutschland online externer Link – siehe dazu:

  • Bausatz aus Lügen: IKEA Frankreich muss für Überwachung von Beschäftigten lächerlich geringe Summe zahlen, Exchef kommt frei New
    „Die Richter der großen Strafkammer in Versailles haben die französische Filiale des Möbelgiganten IKEA am Dienstag mit einer läppischen Geldstrafe von nur einer Million Euro bedacht. IKEA France hatte über Jahrzehnte Hunderte Beschäftigte und eine unbekannte Zahl von Kunden mit einem »betrügerischen Überwachungssystem«, wie es in der Klageschrift hieß, bei der Arbeit und auch im Privatleben ausspioniert. Der Skandal war 2012 von der Pariser Satirezeitung Le Canard enchainé aufgedeckt worden, Polizei und Justiz beendeten ihre Ermittlungen zur erstaunlichen kriminellen Energie der Bosse bei IKEA erst acht Jahre später. Die Klage hatte schließlich die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) im Februar desselben Jahres eingereicht. Die Staatsanwaltschaft forderte am Endes des Prozesses zwei Millionen Euro Geldstrafe und Gefängnishaft für den damaligen Frankreich-Chef des »unmöglichen Möbelhauses«, Jean-Louis Baillot. (…) Baillot, für den [die leitende Staatsanwältin Paméla] Tabardel zehn Jahre Haft und eine Geldbuße in Höhe von 750.000 Euro beantragt hatte, kam mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren sofort frei, seine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro bewegt sich an der Untergrenze dessen, was französische Strafgesetze zulassen. Praktisch unbeachtet blieb am Ende auch die Rolle der Polizei. Wie Tabardel im März vorgetragen hatten, gehörten zu IKEAs Betrug an den eigenen Leuten und den nichtsahnenden Kunden auch »korrupte Beamte«, die Zugriff auf das im Innenministerium angesiedelte Informationssystem »Stic« (Système de traitement des infractions) hatten und den Schnüfflern bei IKEA zu Diensten waren. »Belohnt« wurden sie meist zu Weihnachten mit Geldgeschenken und wertvollen Warengutscheinen. Geliefert wurden im Gegenzug zum Beispiel Auskünfte über Frauen und Männer, die sich um eine Stelle in einer der 27 französischen Filialen beworben hatten, und deren eventuell vorhandene Polizeiakten sowie intime Details über Bankschulden und Eheleben…Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 16. Juni 2021 externer Link
  • Pikantes Privatleben. IKEA ließ in Frankreich systematisch Angestellte ausspionieren. Staatsanwältin fordert »exemplarische« Strafe. Konzern sucht Sündenbock 
    Die Staatsanwaltschaft von Paris hat im Prozess gegen das weltgrößte Möbelhaus IKEA drei Jahre Gefängnis – zwei davon auf Bewährung – für den ehemaligen Frankreich-Chef Jean-Louis Baillot beantragt. Der Konzern selbst soll für das Ausspionieren von mindestens 400 Beschäftigten in den Jahren 2009 bis 2012 mit läppischen zwei Millionen Euro Geldbuße davonkommen. Staatsanwältin Paméla Tabardel sprach am Dienstag laut AFP von einer Haftstrafe für Baillot, »die sein Leben markieren muss«. Sie konstatierte vor den drei Richtern der Großen Strafkammer in Versailles, dass der schwedische Möbelmulti mit einem »generellen Spionagesystem« nicht nur die Privatsphäre seiner Angestellten und deren Verhalten am Arbeitsplatz, sondern auch das Vorleben von Bewerbern bei IKEA bis ins Detail auskundschaften ließ. Das Urteil soll am 15. Juni gesprochen werden. (…) Die Strafe in Höhe von zwei Millionen Euro, die sie für den Konzern fordert, nannte Staatsanwältin Tabardel »exemplarisch«. Ob ihr die Richter in ihrem in zweieinhalb Monaten erwarteten Spruch folgen oder zumindest die Geldbuße erhöhen werden, scheint ungewiss. Die von ihr erhoffte »starke Botschaft« an die Bosse Europas im allgemeinen und die in Frankreich im besonderen hinterließ bei den klagenden Gewerkschaftern einen eher schwachen Eindruck. Immerhin ließ Tabardel in der öffentlichen Verhandlung wissen, dass die französische Justiz zu versuchen habe, »das private Leben« der französischen Bevölkerung »vor der Bedrohung zu schützen, die eine Massenüberwachung« darstelle. Mit Ausnahme des IKEA-Sicherheitsbeauftragten Jean-François Paris, der als einziger der mehr als 30 Angeklagten die Existenz von »Massenkontrollen« zugegeben hatte, hätten sich »die Vorgeladenen insgesamt wirklich ausgezeichnet durch einen völligen Mangel an Anständigkeit«, sagte Tabardel in ihrem Plädoyer. Es sei allerdings nicht Aufgabe des von den Beschäftigten »Monsieur sécurité« genannten Paris gewesen, wegen der vom Konzern angeordneten Spionagemaßnahmen »Alarm zu schlagen«. Paris selbst bezeichnete sich vor Gericht als »simplen Ausführenden« der vom Unternehmen geplanten und schließlich auch angeordneten Überwachung. Die Verteidigung hatte bis Freitag versucht, aus der »Affäre IKEA« – die vom Konzern gewollte Kontrolle der Lohnabhängigen – zu einer »Affäre Paris« zu machen und sich so auf billige Art einen Ausweg zu schaufeln…“ Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 03.04.2021 externer Link
  • Schraube locker. IKEA soll in Frankreich Beschäftigte ausgespäht haben. Korruption bei der Polizei steht im Raum. Prozess gestartet 
    Neun Jahre hat sich die Pariser Justiz Zeit genommen, um den mächtigen, international vernetzten IKEA-Konzern schließlich vor Gericht zu bringen. Seit dem vergangenen Montag müssen sich französische Chefs des schwedischen Möbelgiganten dafür verantworten, Angestellte, um Beschäftigung nachfragende Lohnabhängige und womöglich auch Kunden in Filialen des Landes ausgespäht zu haben. Untersuchungsrichter und Ermittler der Staatsanwaltschaft sind davon überzeugt, ein von der Unternehmensführung gebilligtes »allgemeines Spionagesystem« aufgedeckt zu haben. Bis zum März 2012, als die Satirezeitschrift Le Canard enchainé und das Internetportal Mediapart dem Konzern auf die Schliche kamen, habe IKEA mit Hilfe privater Detektive heimlich Verwaltungsakten und Lebensumstände »mehrerer hundert Personen« ausgeforscht. Mit von der Partie: Polizisten, die mit üppigen Weihnachtsgeschenken belohnt worden seien. So einfach IKEAs Kunden zu Hause ihre im Bausatz gekauften Schränke und Betten zusammenbasteln konnten, so »komplex und kreativ« sei das mit allen Finessen rationalisierter Produktion arbeitende Unternehmen gegen seine eigenen Beschäftigten vorgegangen, erläuterte die Staatsanwältin Pamela Padarbel zu Beginn der Verhandlung. Der Prozess, der Anfang April abgeschlossen werden soll, wird vor der großen Strafkammer von Versailles verhandelt. (…)In Versailles schätzte die Verteidigung das Dossier der Staatsanwaltschaft am Montag als »schwach«, also nicht stichhaltig ein. Die Klage, die am 29. Februar 2012 von der Handelssektion der Gewerkschaft Force Ouvrière in der Pariser Vorstadt Seine-Saint-Denis gegen die Meuble IKEA France eingereicht worden war, bezieht sich in der Tat nur auf den Zeitraum zwischen 2009 und 2012 und richtet sich gegen insgesamt 15 Verantwortliche des Konzerns, unter ihnen der ehemalige Frankreich-Direktor Stefan Vanoverbeke und die Generaldirektorin Karine Havas. Das Unternehmen muss mit einer Strafe in Höhe von bis zu 3,75 Millionen Euro rechnen. Unter Verdacht stehen auch nicht näher benannte Polizeibeamte, die für Geldgeschenke und Warengutscheine über ihr im Innenministerium angesiedeltes Informationssystem STIC (Système de traitement des infractions constatées) vertrauliche Daten der von IKEA zur Beobachtung freigegebenen Beschäftigten weitergereicht haben sollen.“ Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 26.03.2021 externer Link
  • Siehe auch die Pressemitteilung „Ouverture du procès IKEA“ der Union syndicale Solidaires vom 22. März 2021 externer Link mit Hintergründen
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=188218
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