Newsletter am Donnerstag, 17. Dezember 2020

Liebe KollegInnen,

Im heutigen Sonder-Newsletter am Donnerstag, 17. Dezember 2020 widmen wir uns ausschließlich dem erfolgreichen wichtigen Schritt im Rahmen unserer Kampagne [Die Anstalt, Prof. Wolfgang Däubler und LabourNet Germany] Gesucht: LeiharbeiterInnen für eine Klage für gleichen Lohn und gleiche Bedingungen auch in Deutschland:

Eine der 3 Klagen auf Equal Pay in der Leiharbeit erreicht die Vorlage des BAG beim EuGH!

In der Pressemitteilung „Vergütung von Leiharbeitnehmern“ zum Urteil des Bundesarbeitsgericht am 16.12.2020 externer Link – 5 AZR 143/19 (A) , einem der 3 heutigen Urteile, – heißt es dazu: „Zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern durch Tarifvertrag hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet…“

Es handelt sich dabei um die Klage in Aschaffenburg  (Bayern) gegen Time Partner Personalmanagement GmbH (siehe Details im Dossier zur Kampagne) – wir gratulieren und freuen uns!

Zum erfolgreichen Fall dokumentieren wir heute a) die erste Stellungnahme von Prof. Wolfgang Däubler sowie b) einen ersten Pressespiegel dazu:

 

Was lange währt, wird endlich wahr: Das Bundesarbeitsgericht hat den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet, um Klarheit in die Equal-Pay-Problematik zu bringen. Dies ist ein großer Erfolg unserer Kampagne.

Die unteren Instanzen hatten sich gescheut, diesen Weg zu gehen. Die Möglichkeit dazu hätte bestanden, doch ist das mit einer Menge Arbeit und auch mit der Gefahr verbunden, dass man als Richter was falsch macht und so an Reputation verliert. Einzige Ausnahme: Arbeitsgericht Kaiserslautern, das einen Vorlagebeschluss erließ. Nur: Innerhalb von wenigen Tagen wurde das ganze Verfahren von den Verleihern „kaputt gemacht“. Sie erklärten ein sog. Klaganerkenntnis (in Normalsprache übersetzt: „Der klagende Leiharbeiter hat Recht, wir bezahlen alles“) und damit musste der Richter der Klage stattgeben. Ein solches „Anerkenntnisurteil“ wird aber nicht begründet. Und außerdem – und das war das Entscheidende – : Es besteht kein Anlass mehr, den Europäischen Gerichtshof einzuschalten.

Beim Bundesarbeitsgericht ist die Situation eine andere: Da es oft um Grundsatzfragen geht, funktioniert eine solche Beendigung des Verfahrens nur, wenn auch der Kläger, also der Leiharbeitnehmer, einen entsprechenden Antrag stellt. Dies hätte er aber mit Sicherheit nicht getan, und deshalb ist von vorne herein gar kein Versuch dieser Art unternommen worden.

Die Verleiher haben offensichtlich Angst vor einer Entscheidung aus Luxemburg. Das kann man verstehen. Nach der Leiharbeitsrichtlinie darf vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitskräften nur abgewichen werden, wenn der „Gesamtschutz“ für die Leiharbeitnehmer erhalten bleibt.  Was das konkret bedeutet, ist bisher nicht geklärt, weshalb der Europäische Gerichtshof entscheiden muss. Die Leiharbeitstarife weichen aber durch die Bank vom gesetzlichen Normalstandard zu Lasten der Leiharbeitnehmer ab: Wie soll man da behaupten können, der „Gesamtschutz“ sei dennoch gewahrt?

Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb Luxemburg die deutsche Praxis wahrscheinlich beanstanden wird:  In vielen Ländern, u. a. in Polen und in Frankreich, gilt „gleiche Bezahlung“ für Leiharbeiter und Stammkräfte als zwingendes Prinzip, von dem auch die Tarifparteien nicht abweichen dürfen. Soll man den deutschen Unternehmern wirklich das Privileg belassen, sich ihre eigenen Billigarbeitskräfte zu schaffen? Deutschland auch noch rechtlich zu begünstigen, ist keine Position, die in der EU Unterstützung erwarten kann.“ Prof. Dr. Wolfgang Däubler (16.12.2020)

b) Erster Pressespiegel:
  • Zeitarbeitgeberverbände: Gesamtschutz bereits gewährleistet. EU-Gerichtshof prüft Tariföffnungsklausel
    „… Eine Entscheidung des EuGH und eine Wiederaufnahme des Verfahrens durch das BAG ist in etwa 18 Monaten zu erwarten. Eine Vorlage an die Luxemburger Richter erfolgt üblicherweise erst dann, wenn der Kläger mit seinen übrigen Argumenten nicht durchdringt. Insofern kann man davon ausgehen, dass das BAG sowohl die beanstandete Bezugnahme-Klausel als auch die behauptete fehlende Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften als unproblematisch bzw. rechtlich nicht zu beanstanden eingestuft hat. Die beiden Hauptgeschäftsführer der Zeitarbeitgeberverbände Werner Stolz (iGZ) und Florian Swyter (BAP) zeigten sich vom Ausgang des Verfahrens wenig überrascht. „Durch die allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze, die flächendeckenden Tarifstrukturen und die Branchenzuschlagstarifverträge wird auch in Deutschland die europarechtliche Gesamtschutz-Vorgabe nachhaltig gewährleistet und ebenfalls EU-rechtskonform umgesetzt“, erklärten übereinstimmend die beiden Verbandsvertreter. Aus diesen Gründen, so Swyter und Stolz, sähen sie der Befassung des EuGH mit den Fragen des BAG gelassen entgegen.“ Meldung vom 16.12.2020 beim Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. externer Link – dafür waren sie sich zuvor allerdings auch sehr sicher, es käme nie zur Vorlage an den EuGH…
  • EuGH muss nun über Gleichstellung entscheiden Hoffnung für Leiharbeiter auf mehr Lohn
    Mehrere hunderttausend Leiharbeiter in Deutschland können sich Hoffnung auf höhere Löhne machen. Der Streit um das sogenannte Equal-Pay-Gebot geht jetzt vor den Europäischen Gerichtshof. Die Schlechterstellung von Leiharbeit in Deutschland muss vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprüft werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am Mittwoch entschieden (5 AZR 143/19). (…) Geklagt hatten eine Leiharbeiterin aus Karlsruhe und zwei Beschäftigte aus Bayern, eine davon aus Aschaffenburg. Sie arbeitete bis April 2017 als Leiharbeiterin in einem Auslieferungslager des Einzelhandels. Nachdem zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und mehreren DGB-Gewerkschaften geschlossenen Tarifvertrag erhielt sie zuletzt 9,23 Euro je Stunde – Stammbeschäftigte dagegen nach dem Einzelhandelstarif 13,64 Euro. Mit ihrer Klage verlangte die Leiharbeiterin ebenfalls den höheren Lohn. Das Arbeitsgericht in Bayern hatte die Klage der Frau abgewiesen, das Landesarbeitsgericht Nürnberg ihre Berufung, aber Revision beim Bundesarbeitsgericht zugelassen. Bisher, so der Tübinger Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler, ist es nie gelungen, das Thema bis zum Europäischen Gerichtshof zu bringen, „da die Verleiher lieber den jeweils eingeklagten Lohn bezahlt haben als das Risiko einzugehen, beim Europäischen Gerichtshof eine Niederlage einzustecken“. Der Arbeitsrechtler aus Tübingen erwartet, dass der EuGH die deutsche Praxis kippen wird. „Dann sind die Leiharbeitstarife weg vom Fenster. Dann gilt automatisch Equal Pay, also gleicher Lohn für Leih- und Stammarbeiter, wenn beide eine vergleichbare Tätigkeit machen“, sagte Däubler. Die deutschlandweit derzeit rund 900.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter können sich also Hoffnung machen. Die Verleiher und Unternehmen, die viele Leiharbeiter beschäftigen, sind dagegen verunsichert. Denn auch sie vermuten, dass das europäische Gericht die unterschiedlichen Löhne nicht akzeptieren wird.“ Beitrag von Hermann G. Abmayr vom 16.12.20 beim SWR externer Link
  • EuGH soll über Lohn von bayerischer Leiharbeiterin entscheiden
    Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage einer bayerischen Leiharbeiterin auf gleichen Lohn dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Nun soll der EuGH klären, ob in Tarifverträgen schlechtere Bezahlung von Leiharbeitern vereinbart werden darf. Rechtlich geht es um die Frage, ob per Tarifvertrag vom Gleichheitsgrundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz abgewichen werden darf, wie das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch in Erfurt mitteilte. Anlass sind die Tarifverträge, die der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit mehreren DGB-Gewerkschaften geschlossen hat, unter anderem Verdi…“ dpa-Meldung vom 16.12.2020 beim Handelsblatt online externer Link – stellvertretend für weitere
  • Leiharbeitnehmer können auf bessere Arbeitsbedingungen hoffen
    Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat in einem am Mittwoch gefällten Beschluss dem Luxemburger Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, wann nach EU-Recht der vorgeschriebene „Gesamtschutz“ von Leiharbeitern gewährleistet wird. (AZ: 5 AZR 142/19 (A)) Liegt die Latte für tarifliche Einschränkungen bei der Zeitarbeit nach EU-Recht hoch, könnten Leiharbeiter hierzulande auf bessere Arbeitsbedingungen wie etwa eine höhere Vergütung hoffen, hieß seitens des BAG…“ epd-Meldung vom 16.12.2020 externer Link
  • Im ARD-Mittags-Magazin am 16.12.2020 gab es einen Vorbericht von Hermann Abmayr externer Link (Minute 30:45 bis 34:30)

Die beiden weiteren Klagen vor dem BAG am gestrigen 16. Dezember waren eine in Bayern (Nürnberg) gegen HWS Projekt-Engineering GmbH (u.a. “Personaldienstleister”) sowie in Baden-Württemberg (Karlsruhe) gegen Orizon GmbH (“Personaldienstleister”). Genau Informationen dazu werden folgen, fest steht jedoch bereits:

  • Der eine Fall wurde ohne Einchaltung des EuGH gewonnen, weil nicht auf den gesamten Leiharbeitstarifvertrag verwiesen worden war, sondern zwei Bestimmungen ausgenommen waren. In einem solchen Fall wird schon nach der bisherigen Rechtsprechung Equal Pay nicht verdrängt. Also kam´s nicht mehr auf das EU-Recht an. Wir erinnern alle LeiharbeitnehmerInnen daran, in ihre Verträge zu schauen, ob darin auf den gesamten TV verwiesen wird!
  • Der andere Fall ging verloren: Das BAG meinte die meisten Ansprüche seien von der Ausschlussklausel (Geltendmachung innerhalb von drei Monaten) erfasst. In Bezug auf den kleinen Rest sei nicht genügend vorgetragen, was eine vergleichbare Stammarbeitskraft verdiene. Man hätte den Fall auch an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen müssen…

Wie gesagt: Dazu demnächst mehr – siehe die 3 Klagen und Hintergründe im Dossier zur Klagekampagne

Mit Dank an alle SpenderInnen und hocherfreutem Gruss, Mag – Widerstand lohnt sich!

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AKTUELL BEI LABOURNET.TV: Protest bei Daimler in Marienfelde

Am 9.12.2020 haben die Kolleg_innen des Mercedes-Benz Werks in Berlin Marienfelde gegen die drohende Streichung von 2.000 der 2.500 Arbeitsplätze protestiert. Daimler will die Produktion des V6-Dieselmotors in Marienfelde einstellen und das Werk schließen. Im Video kommen Kolleg_innen und Unterstützer zu Wort. Manche sagen, dass bisher noch nicht viel passiert sei und dass der Druck erhöht werden müsse. Zum Streik aufzurufen findet der 1. Bevollmächtigte der IG Metall verfrüht…“ Video bei labounet.tv externer Link (deutsch | 9 min | 2020)

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LabourNet Germany:  https://www.labournet.de/

Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The meeting point for all left-wing trade unionists, both waged and unwaged
Le point de rencontres de tous les militants syndicaux progressistes,  qu`ils aient ou non un emploi

Spenden willkommen unter IBAN DE 76430609674033739600

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183417
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