[Jahresthema und Veranstaltungsreihe der Berliner Gazette] „SILENT WORKS“ – Verborgene Arbeit im KI-Kapitalismus

Dossier

[Jahresthema und Veranstaltungsreihe der Berliner Gazette] „SILENT WORKS“ - Verborgene Arbeit im KI-Kapitalismus„SILENT WORKS“ bei der Berliner Gazette externer Link ist die knappe Vorstellung des Jahresthemas „Verborgene Arbeit im KI-Kapitalismus“, die so lautet: „Bevor die künstliche Intelligenz (KI) als Technologie erfunden wurde, wurde der Kapitalismus im Allgemeinen von etwas angetrieben, das man als ‚KI-Fantasie‘ bezeichnen könnte. Das heißt, dass die wichtigsten wirtschaftlichen Prozesse – von der Entscheidungsfindung bis zur Produktion – nach und nach an eine höhere, magisch autonome Intelligenz delegiert worden sind, die man sich beispielsweise als „unsichtbare Hand“ vorgestellt hat, die einen „sich selbst regulierenden Markt“ steuert. Im Neoliberalismus hat dies den Weg für den Aufstieg von tatsächlichen KI-Technologien geebnet. Daher überrascht es nicht, dass KI als sich selbstoptimierende und selbstgenerierende Intelligenz heute zum treibenden Faktor in ‚marktfreundlichen‘ Privatisierungsprozessen wird, die immer mehr gesellschaftliche Bereiche transformieren: Medizin, Bildung, Kriegsführung, etc. Diese weitreichende Vermischung von KI als Fantasie und KI als Technologie konfrontiert uns mit einer dringenden Frage: Was passiert mit menschlicher Arbeit unter diesen Bedingungen? Das BG Jahresthema 2020 SILENT WORKS sucht nach Antworten. Neben einer Textserie, die wir hier veröffentlichen, organisieren wir eine Ausstellung und eine Konferenz zum Thema“. Siehe dazu weitere Informationen:

  • [Veranstaltungsreihe der Berliner Gazette vom 07. – 28.November 2020 zu ihrem Jahresthema „Silent Works“] Kapitalismus der Künstlichen Intelligenz: Was er bedeutet – und wie man dagegen kämpfen kann New
    „… Ungefähr hundert Jahre nach Poe, Ende der 1930er Jahre verfasst Walter Benjamin, der marxistische Philosoph, Historiker und Radiomacher seinen Essay „Über den Begriff der Geschichte“, der von mir interpretiert heute vielleicht einen Ausweg aus diesem realen Zynismus den wir KI-Kapitalismus nennen aufzeigt. Sein berühmter Essay beginnt nämlich mit der Beschreibung eines Automaten, „der so konstruiert gewesen sei, dass er jeden Zug eines Schachspielers mit einem Gegenzug erwidert habe, der ihm den Gewinn der Partie sicherte.“ Benjamin meint einen ähnlichen Schachautomaten wie jener von Kempelen, doch hier gewinnt stets die Maschine und wird im Innern von einem Zwerg bedient. Diese fiktive Situation dient ihm als kraftvolle Analogie, die aktueller denn je ist. Denn die Puppe in türkischer Tracht sei gleichzusetzen mit dem historischen Materialismus, so Benjamin weiter im Essay, und der Zwerg, der als Schachmeister stets gewinnt, mit der Theologie. Der Gegner ist natürlich der Kapitalismus zu Zeiten des Faschismus um 1940 in Deutschland. (…) Vielleicht programmiert ja eine neue Generation kritischer Aktivist*innen eine Reihe von fantasievollen Spielen, die etwa den Aufstand heroischer MTurk-Arbeiter*innen und die erfolgreiche Formation einer Mikroarbeiter-Genossenschaft minutiös als Rollenspiel einprogrammiert, utopische Romane wie Bolo Bolo oder Horst Stowassers Plan A als freies Multiplayer-Langzeit-Rollenspiel modelliert? Vielleicht wird damit eine begeisternde Welle anti-kapitalistischer, selbstbestimmter, gemeinschaftsorientierter und datenschutzkonformer Digitalkultur ausgelöst und Netzwerke wie der Chaos Computer Club finden größeren Zulauf auch von jungen Frauen und POCs. Programmierer*innen und Technologie begeisterte organisieren sich in Genossenschaften und kooperieren mit Nachbarschaften und Kommunen. Dies alles wären erste Schritte um der Vergrößerung der digitalen Kluft zwischen jenen, die sich die Technologien und Bandbreiten leisten können und jene, die sich diese nicht leisten können entgegenzuwirken…“ – aus dem Beitrag „Kritisieren, Träumen und Gestalten: Wie gegen den KI-Kapitalismus ankämpfen?“ von Shintaro Miyazaki am 16. Oktober 2020 in der Berliner Gazette externer Link worin der Medienwissenschaftler – einer der Teilnehmer an den Debatten des Berliner Treffens – Walter Benjamin keineswegs nur am „Rande erwähnt“ sondern als einen der Ausgangspunkte seiner Überlegungen nimmt. Siehe dazu das Programm der Veranstaltungsreihe samt allen nötigen Informationen zur Beteiligung:

    • silentworks.infoexterner Link ist die Sonderseite zur Veranstaltungsreihe vom 07. – 28. November 2020 und ihren einzelnen Bestandteilen (Ausstellung, Konferenz, Beitrags-Reihe) und gibt alle nötigen Informationen über Orte, Zeiten und Möglichkeiten der Teilnahme. Siehe für aktuelle Meldungen auch Berliner Gazette auf Twitter externer Link
  • „Die “Caring Crowd”: Wenn hinter dem Label KI eigentlich digitale Heimarbeit steckt“ von Mira Walls am 06. Oktober 2020 in der Berliner Gazette externer Link zu einem der aktuellen Themen in den Debatten: „… Am 16. März 2020, als die Corona-Pandemie bereits weite Teile der Welt erfasst und viele Millionen Menschen ins Home-Office gezwungen hatte, gab auch die Social Media-Plattform Facebook bekannt, seine Angestellten so weit möglich von zuhause arbeiten zu lassen. Zeitgleich beklagten viele Nutzer*innen, dass die Plattform ihre Postings und Links etwa zu Zeitungsartikeln entfernt habe, weil sie angeblich gegen die Spam-Regeln des Unternehmens verstießen. Der Grund hierfür war einfach: Statt der zehntausenden, zumeist outgesourcten Mitarbeiter*innen, die in Großraumbüros in Manila, Phoenix oder Berlin ansonsten jeden Tag Millionen von Posts mit gewalttätigen Inhalten, Spam oder politischen Desinformationen von harmlosen Inhalten unterscheiden und löschen, setzte die Plattform notgedrungen auf KI-Systeme. So seien durch die automatisierten Systeme zahlreiche Fehler entstanden, wie Facebook später einräumte, weil viele der Aufgaben aus Sicherheits- und Datenschutzgründen nicht von zuhause aus erledigt werden könnten (Roberts 2020). Einmal mehr verdeutlichte die Krise die zentrale und unersetzliche Rolle menschlicher Arbeitskraft für das Funktionieren digitaler Infrastrukturen. Im Normalfall ist diese Arbeit hinter Interfaces und Protokollen versteckt und so vermuten viele User*innen längst Algorithmen am Werk, wo immer noch Millionen über den Globus verstreute digitale Arbeiter*innen tätig sind. Was in der Debatte um die menschliche Arbeitskraft hinter KI-Systemen oftmals unbekannt bleibt (und auch von Facebook gezielt verschwiegen wird) ist die Tatsache, dass ein großer Teil dieser Arbeiter*innen, die unsere digitalen Infrastrukturen reproduzieren, längst von zuhause arbeitet. Während also das Home-Office für festangestellte Mitarbeiter*innen von Facebook (und die mit sensitiven Aufgaben betreuten content moderators) eine neue Erfahrung und vielleicht über Jahre gefordertes Recht darstellt, ist es für andere digitale Arbeiter*innen bereits lange Alltag. Tagtäglich loggen sich Millionen digitale Heimarbeiter*innen auf der ganzen Welt auf sogenannten Crowdwork-Plattformen wie Figure Eight, Microworkers oder Clickworker ein und suchen nach Aufträgen, für deren Erledigung sie kleine Beträge verdienen...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180212
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