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Grund zum Feiern in Chile: Rund 80% für eine neue Verfassung – und genau so viele für einen Verfassungskonvent ohne bisherige Abgeordnete

Grund zum Feiern in Chile: Rund 80% für eine neue Verfassung – und genau so viele für einen Verfassungskonvent ohne bisherige AbgeordneteWillst Du eine neue Verfassung? Soll sie von einer besonders dafür gewählten Versammlung ausgearbeitet (und dann erneut einer Volksabstimmung unterzogen) werden oder soll dies ein gemischter Konvent mit der Hälfte bisheriger Abgeordneter tun? – Das waren die beiden einfachen und klaren Fragen, die beim Referendum in Chile am 25. Oktober 2020 beantwortet werden sollten. Und es beide in einer Eindeutigkeit wurden, sie so stark längst nicht alle BeobachterInnen erwartet hatten: Selbst wenn die Auszählung offiziell noch nicht völlig beendet ist, sind die Ergebnisse dermaßen eindeutig, dass die Ohrfeige für die rechte Regierung und ihre Krisenhelfer über den Ozean hinweg zu hören ist. Dass es eine Mehrheit für eine neue Verfassung geben würde, war abzusehen, dass der Versuch, die Kontrolle voll zu behalten mit dem Manöver eines Konvents, in dem bisherige Abgeordnete dominieren würden, so eklatant gescheitert ist, ist in diesem Ausmaß eher überraschend und wird in nicht wenigen ersten Kommentaren der Wahlhilfe der Rechten zugeschrieben, die in den letzten Wochen den Terror der Militärpolizei nochmals steigerte. Und auch wenn bundesdeutsche Medien (wieder einmal) die Katastrophe ihrer Freunde schönschreiben möchten – etwa in dem sie Pineras Demokratie-Gestammel nach seiner Schlappe berichten – so sind zwei der Stellungnahmen der demokratischen Gegenseite an dieser Stelle zu unterstreichen: Aus dem ersten ausgezählten Wahllokal überhaupt (natürlich im Ausland, sind nicht so viele – dies in Stockholm) kam die Botschaft in Gedenken von 42 Todesopfern von Pineras Polizeiterror: „Wir vergessen nicht, Pinnera – wir haben ein Flugticket für Dich. Nach Den Haag“. Und grundsätzlich: „Dies ist ein Sieg des Volkes und nicht irgendeiner politischen Partei“. Zum Referendum in Chile fünf aktuelle Beiträge (und der Hinweis auf unseren letzten Beitrag davor zu seiner Bedeutung):

„Chilenen stimmen für neue Verfassung“ am 26. Oktober 2020 bei tagesschau.de externer Link meldete um 3 Uhr deutscher Zeit mit dem Versuch, den (für unendlich viele Polizeimorde mehr als beispielsweise der Reaktionär Lukaschenko) rechtsradikalen Pinera als Demokraten hinzustellen: „… Zahlreiche Bürgerbewegungen und politische Parteien der Linken und der Mitte sehen die aktuelle chilenische Verfassung als ein Hindernis für tiefgreifende soziale Reformen. Die Reformer wollen nun die soziale Rolle des Staates stärken, Grundrechte auf Arbeit, Gesundheitsversorgung, Bildung und Trinkwasser aufnehmen sowie die Anerkennung der indigenen Völker festschreiben. Das Referendum war wegen der Corona-Pandemie verschoben worden, ursprünglich war es für April geplant. Der konservative Präsident Chiles, Sebastián Pinera, hatte einem Referendum zugestimmt, nachdem es vor einem Jahr zu Massenprotesten im Land gekommen war. Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten wurden mehr als 30 Menschen getötet. Pinera sprach nach Schließung der Wahllokale in einer Ansprache von einem Sieg für die Demokratie und die Einigkeit. «Bisher hat uns die Verfassung gespalten», sagte er. Auf der Plaza Italia in der Hauptstadt Santiago, die seit den Protesten von vielen „Plaza de la Dignidad“ (Platz der Würde) genannt wird, und auf zentralen Plätzen in anderen Stäten feierten bereits zahlreiche Menschen friedlich“.

„Fiesta en la Plaza de la Dignidad“ am 25. Oktober 2020 bei Piensa ChileReferendumsdemonstration in Santiago de Chile am 25.10.2020 externer Link war (und ist im Augenblick noch – d.h. um 5 Uhr BRD) die Video-Liveübertragung der Massenfeier auf der Plaza de la Dignidad in Santiago, wo Zehntausende immer wieder Sprechchöre anstimmen, die nicht eben besonders regierungsfreundlich sind…

„Apruebo arrasa en Antofagasta con más del 80% de los votos“ am späten Aend des 25. Oktober 2020 bei La Izquierda Diario externer Link ist – als Beispiel – eine der zahlreichen lokalen Meldungen über die Ergebnisse des Referendums, hier aus Antofagasta (traditionell eher linker als Santiago) wo 84,2% für eine neue Verfassung stimmten.

„Piensa Prensa“ ist der Twitter-Kanal des Alternativmediums externer Link – auf dem in diesen Stunden sowohl zahlreiche Meldungen und Berichte, sowie Ergebnisse, aus verschiedenen Regionen des Landes dokumentiert werden, als auch zahlreiche erste (linke) Kommentare zu den Ergebnissen…

„Ein Jahr nach Protestbeginn: Heute Verfassungsreferendum in Chile“ von Malte Seiwerth am 25. Oktober 2020 bei amerika21.de externer Link bemerkte zu den Einschränkungen, die die Rechtsregierung und ihre parlamentarische Assistenz durchgesetzt hatten – und mit Sicherheit in naher Zukunft unbedingt aufrecht erhalten wollen, zwecks „Selbstschutz“ und fasst die Entwicklung nochmals zusammen: „… Am 15. November 2019 verkündeten Parlamentsangehörige fast aller Parteien das „Abkommen für den Frieden“, dessen Hauptinhalt die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sein soll. Soziale Organisationen kritisierten dieses Abkommen als „Rettungsring“ für die Regierung Piñera: Menschenrechtsverletzungen würden unbestraft bleiben und der Präsident könnte einfach weiter regieren. Genau dies beklagen Protestierende wie Eduardo Fernández gegenüber amerika21: „Nach einem Jahr der Proteste wurden die Schuldigen an der Ermordung mehrerer dutzend Menschen immer noch nicht vor Gericht gebracht.“ Fernández nahm wenige Tage zuvor, am 20. Oktober, an einer Demonstration in Renca, einem Stadtteil Santiagos, teil. Rund 1000 Menschen gedachten der Verstorbenen, die in einer Lagerhalle des Unterwäscheherstellers Kayser zu Tode kamen. Genau ein Jahr zuvor war es im Rahmen des sozialen Aufstands zu Plünderungen gekommen. Die Halle brannte ab und in den Ruinen wurden fünf Leichen gefunden. Manche von ihnen hatten Einschusslöcher. Angehörige der Opfer vermuten, dass die Menschen vorher ermordet und später dort platziert wurden. In den ersten Wochen des sozialen Aufstands, der am 18. Oktober 2019 nach einer Fahrpreiserhöhung begann, starben mindestens 34 Menschen. Die meisten wurden innerhalb von verbrannten Supermärkten gefunden, andere wurden von der Polizei oder dem Militär getötet. Der Hintergrund der Toten von Kayser ist bis heute ungeklärt. „Leider gibt es seit Jahrzehnten Gewaltverbrechen der Polizei. Bis heute werden diese kaum aufgeklärt. Zum Glück gibt es heute mehr öffentliches Interesse“, erklärt Fernández. Derzeit ermitteln die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft gegen Beamte wegen Menschenrechtsverletzungen. Der chilenische Rechnungshof seinerseits rügte einzelne Generäle wegen ihrer Verantwortung bei der Polizeigewalt vom 18. Oktober 2019. Nach Angaben des Menschenrechtsanwalts Oscar Castro vom Komitee zur Verteidigung des Volkes Brüder Vergara (CDP) gegenüber amerika21 gehen die Ermittlungen nicht weit genug. „Derzeit wird einzig bei öffentlichem Druck ermittelt, die meisten Fälle verschwinden in den Schubladen.“ (…) Am Jahrestag des sozialen Aufstandes kam es am vergangenen Sonntag in verschiedenen Städten zu Demonstrationen. Während im Zentrum der Hauptstadt kaum Polizei zu sehen war, schoss sie in anderen Städten mit Bleischrot auf Demonstrierende. In einem südlichen Armenviertel Santiagos wurde ein 26-jähriger Demonstrant erschossen, nachdem er einen Panzerwagen mit einem Stein beworfen hatte. Fernández, der Demonstrant aus Renca, blickt positiv in die Zukunft: „Es scheint, als ob die neuen Generationen aufgewacht sind. Wir wollen uns nicht mehr alles gefallen lassen.“ Auch er geht heute abstimmen. Der Anwalt Castro hingegen ist skeptisch, auch wenn die Abstimmung ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sei. „Solange Piñera an der Macht sein wird, werden weiterhin Menschenrechtsverletzungen geschehen und es werden schon lange keine aufgeklärt„.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180118
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