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Die Wahl in Bolivien bringt Einiges ans Tageslicht: Frau Anez beantragt 350 Visa. Trotz aller „Einladungen“ nicht in Berlin, sondern bei Sponsor Donald – währenddessen soziale Bewegungen für Veränderungen mobilisieren…

Die beiden Wahlsieger in Bolivien - rechts der Hoffnungsträger der indigenen sozialen BewegungenDie Reaktionen auf den Wahlsieg der MAS – der noch wesentlich deutlicher ausfiel, als in den ersten Ergebnissen abzusehen (55% Arce, 28% Mesa) – sind zumindest erfreulich. Auch wenn es sich nur um einen Regierungswechsel und nicht um einen Machtwechsel handelt, sieht etwa Bolsonazi in Brasilia schon den ganzen Kontinent untergehen und Duque in Bogota öffnet die Tore für die von ihm angeblich erwarteten Flüchtlingsströme. Und während in Berlin weiterhin geschockte Sendepause auf dem Programm steht (in Spanien immerhin trauen sich die Journalisten genannten rassistisch-christlichen Hetzer noch was: „Ein Wahlsieg der Ungebildeten“) handelt die allerchistlichste Nazifrau. Und beantragt für sich und ihre Mitarbeiter 350 Visa in Washington – könnte ja sein, dass man für die Ermordeten und das rechtsradikale Sozial- und Wirtschaftschaos noch zur Rechenschaft gezogen wird, also nichts wie weg. Die Länder Südamerikas, in die Nazis verschiedener Länder traditionell flohen, um der Rechenschaftspflicht für ihre Verbrechen zu entgehen, sind gerade nicht besonders einladend: In Chile „kann man nicht wissen, wie es ausgeht“ und in Argentinien sieht es auch nicht so gut aus – zumal der einst dahin wichtigste Fluchthelfer dahin, etwa für die italienischen Duce-Banditen – der Vatikan, ja nun auch schon von den Kommunisten beherrscht wird. Also nichts wie hin zum „Hauptsponsor“… Eine kleine aktuelle Umschau nach der Wahl mit vier aktuellen und drei Hintergrundbeträgen – vor allem mit der Fragestellung, wie die sozialen Bewegungen des Landes die aktuelle Entwicklung sehen – und der Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Wahlen in Bolivien:

„¿Tiempo de fuga?: Áñez pide a EE.UU 350 visas para sus ministros“ am 22. Oktober 2020 bei Resumen Latinoamericano externer Link meldet die Fluchtvorbereitung der rechtsradikalen Putschregierung nach Washington…

„Ein Hoffnungsschimmer, immerhin“ von Lutz Herden am 22. Oktober 2020 im Freitag online externer Link (Ausgabe 43/2020) zur Bedeutung des Wahlergebnisses unter anderem: „… Dennoch erhärtet sich der Eindruck, dass die fast 15 Jahre des indigenen Staatschefs Evo Morales in der indigenen Bevölkerung Spuren hinterließen. Kaum anzunehmen, dass Arce und sein Movimiento al Socialismo (MAS) ihre Stimmen vorrangig unter den Weißen und Mestizen des Tieflandes, in den Departamentos Santa Cruz oder Beni holten. Sollte die indigene Community den Ausschlag gegeben haben, wäre das auch ein Sieg für Evo Morales, aller Verfemung durch seine Feinde zum Trotz. Indem er der autochthonen Bevölkerung stets mit größtem Respekt begegnete, wurde sie in dem Bewusstsein bestärkt, dass der bolivianische Staat auch ihre Heimstatt ist. Und es allzeit bleiben sollte. Insofern könnte Luis Arce geerntet haben, was gesät wurde, auch durch ihn, den einstigen Wirtschaftsminister. Unwillkürlich erinnert man sich der letzten Rundfunkansprache des chilenischen Sozialisten und Präsidenten Salvador Allende. Am 11. September 1973, kurz vor seinem Tod, als Bomben der Putschisten auf seinen Amtssitz La Moneda fielen, wollte er mit der Hoffnung sterben, „dass nichts verhindern kann, dass die von uns in das würdige Gewissen von Tausenden und Abertausenden Chilenen ausgebrachte Saat aufgehen wird“. Offenbar konnte die rechte Übergangsregierung in La Paz das „würdige Gewissen“ von Abertausenden Bolivianerinnen und Bolivianern nicht erschüttern. Wahrscheinlich war sie sich dessen sogar bewusst. Warum sonst blieb nach dem Morales-Sturz vor einem Jahr die 2009 durch einen Volksentscheid gutgeheißene Verfassung unangetastet? Darin wird gebündelt, was die Reformen der Morales-Jahre hervorgebracht haben. In dieser Magna Charta ist von einem „plurinationalen Staat“ ebenso die Rede wie von Autarkie und sozialen Rechten aller ethnischen Gemeinschaften, von Trennung zwischen Staat und Kirche oder staatlicher Kontrolle über die Ausbeutung von Ressourcen wie Erdgas und Lithium...“

„Luis Arce kündigt eigenen Kurs an“ von Jürgen Vogt am 21. Oktober 2020 in der taz online externer Link über die ersten Absichtserklärungen des neuen Präsidenten: „… Dafür rammte er bereits einen wichtigen Pflock ein: Er werde nicht der Statthalter für den ins argentinische Exil getriebenen ehemaligen Präsidenten Evo Morales sein. „Wenn Evo uns helfen will, wird er sehr willkommen sein. Aber das bedeutet nicht, dass Morales in der Regierung sein wird. Es wird meine Regierung sein“, sagte er am Tag danach. Dass ihm vergangenen Sonntag 54,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen gaben, wie die offizielle Wahlbehörde meldet, stärkt seine Position. (…) 2006 bis 2017 war er dessen Wirtschaftsminister. Für Bolivien waren das die guten Jahre mit Wachstumsraten um die fünf Prozent, angetrieben von den hohen Weltmarktpreisen für die Rohstoffe, die Bolivien zu bieten hat. Die Nationalisierungen im Gas- und Ölsektor brachten Mehreinnahmen in die Staatskasse und wurden für eine neue staatliche Umverteilungspolitik genutzt. Der Anteil der in extremer Armut lebenden BolivianerInnen sank von 38 auf 18 Prozent. Für viele von ihnen war und ist der linke, aber gemäßigte Arce die treibende Kraft dieser Politik. 2017 musste Arce das Amt wegen einer – inzwischen auskurierten – Nierenkrebserkrankung aufgeben. Im Januar 2019 hatte er den Posten wieder übernommen – bis zum Ende der Ära Morales im November. Heute ist die Situation eine andere. Die Rohstoffpreise sind im Keller. Boliviens Wirtschaft schrumpfte im ersten Halbjahr 2020 um 10 Prozent und bis Ende des Jahres wird ein Haushaltsdefizit von über 13 Prozent erwartet. „Man kann keinen mechanischen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus schaffen, es muss eine Zwischenzeit geben“, hat er bereits verkündet...“

„»Näher an den sozialen Bewegungen«“ von Andreas Hetzer am 24. Oktober 2020 bei analyse&kritik externer Link zum Verhältnis Regierung und soziale Bewegungen unter anderem: „… Wie ist dieser überwältigende Wahlerfolg zu erklären, wo noch vor elf Monaten viele auf den Straßen »Evo Diktator« skandierten und Umfrageinstitute einen zweiten Wahlgang für wahrscheinlich hielten? Miguel Vargas, Direktor des Zentrums für Juristische Studien und Sozialforschung (CEJIS) in Santa Cruz, hält das Ergebnis für überraschend. Es »zeigt jedoch, dass das ethnische und populare Identifikationspotenzial der MAS nach wie vor Wirkung hat«, meint Vargas. Huascar Salazar, Ökonom und Sozialwissenschaftler aus Cochabamba, hingegen betont, dass die MAS-Wähler*innen mehr als nur überzeugte Anhänger*innen seien. Die Wähler*innen hätten vor allem ihre Ablehnung gegenüber der De-facto-Regierung zum Ausdruck gebracht, »eine Regierung, die nicht vor Mord, Raub und einer Befeuerung der Polarisierung zurückgeschreckt ist. Sie hat es auf eine Art und Weise gemacht, wie wir es von der uralten Rechten des Landes kennen«, so Salazars Erklärung. Für die sozialen und indigenen Bewegungen, die die Partei ursprünglich als politisches Instrument ihrer Basisorganisierung ins Leben gerufen hatten und die auch den MAS-Wahlkampf unterstützten, war der Sieg in der ersten Runde keine Überraschung. »Wir sind im ganzen Land herumgereist und sind in allen 36 indigenen Nationen des Landes organisiert. Bei der Befragung der Menschen haben uns acht von zehn versichert, dass sie die MAS wählen werden. Die MAS hat zwar keine Mehrheit in den Städten, aber auf dem Land zählt sie auf breite Unterstützung. Wir wussten, dass wir 50 Prozent erreichen können, denn wir Indigenen sind die Mehrheit im Land«, so Juan Villca Flores von der Gewerkschaftskonföderation der Bauern von Bolivien (CSUTCB)...“

„Saltan a la luz las graves diferencias internas en el partido de Evo Morales. Directiva de la COB y del Pacto de Unidad se oponen al acuerdo del MAS con la derecha“ am 13. August 2020 bei Clajadep-LaHaine externer Link dokumentiert (ursprünglich bei Erbol) war ein Beitrag über die unterschiedlichen Reaktionen innerhalb der MAS und der mit ihr verbundenen sozialen Organisationen (wie etwa dem Gewerkschaftsbund COB – vor dem Putsch auf wachsender Distanz zu Evo Morales) zum Pakt über den Wahltermin mit der Rechtsregierung.

„Putschisten privatisieren“ von Volker Hermsdorf am 06. Oktober 2020 in der jungen welt externer Link unter anderem zu einem weiteren Grund für die Wahlschlappe der Rechtsradikalen: „… Kurz vor den für den 18. Oktober angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat das Putschistenregime in Bolivien gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen die Privatisierung des vor zehn Jahren verstaatlichten Elektrizitätsunternehmens Elfec (Empresa de Luz y Fuerza Eléctrica Cochabamba) durchgesetzt. Angesichts steigender Umfragewerte für die linke »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) hat die amtierende De-facto-Regierung die Maßnahme im Eiltempo durchgepeitscht. Um den Einfluss des Staates auf wirtschaftliche Entscheidungen weiter zu beschneiden, waren interne Kritiker des Regimes kaltgestellt und durch neoliberale Hardliner ersetzt worden. Nach der Entlassung von Ortiz ernannte Áñez den Unternehmer Branko Marinkovic zum neuen Wirtschafts- und Finanzminister. Dieser gehört zu den reichsten Männern des Landes und besitzt sowohl die bolivianische als auch die kroatische Staatsbürgerschaft. Sein Imperium umfasst Großgrundbesitz, Rinderzucht, Speiseölproduktion, Bankbeteiligungen und weitere Sparten in beiden Ländern. Von 2007 bis 2009 war Marinkovic Präsident des faschistischen Comité pro Santa Cruz. Dessen derzeitiger Vorsitzender, der klerikalfaschistische Millionär Luis Camacho, hatte eine entscheidende Rolle beim Putsch gegen Morales gespielt. Marinkovic war der Anführer einer Schlägertruppe, die als militanter Arm des Komitees Gewaltakte in Armenvierteln und gegen Bauern verübte. Im Juni 2010 erließ ein bolivianisches Gericht einen Haftbefehl gegen ihn: Ermittler hatten Marinkovic vorgeworfen, den Einsatz ausländischer Söldner in Bolivien finanziert zu haben, und neben automatischen Waffen und Granaten auch Pläne für Anschläge auf Morales und andere linke Politiker sichergestellt. Der Beschuldigte entzog sich dem Verfahren jedoch durch Flucht in die USA, wo ihm Asyl gewährt wurde...“

„»Wir garantieren, dass unsere Ressourcen nicht an Konzerne verschenkt werden.«“ am 28. September 2020 beim Jacobin-Magazin externer Link war ein Interview mit Luis Arce (von Denis Rogatyuk und Bruno Sommer Catalan), in dem der damals noch Kandidat unter anderem unterstrich: „… Die Sache mit dem Lithium ist klar. Wir sind die einzige politische Partei, die garantiert, dass die Bodenschätze – inklusive Lithium – nicht privatisiert werden und so in die Hände von internationalen Konzernen geraten. Das wirtschaftliche Ziel des Putsches war offensichtlich die Kontrolle über das Lithium. Herr Doria Medina hat selbst gesagt, dass es gut für Tesla wäre, die bolivianischen Lithiumvorkommen zu erschließen – es ist also offensichtlich, dass sie beim Coup im November eine Rolle spielten. Wir werden solche Verhandlungen mit transnationalen Konzernen nicht führen: Wir haben klare Prinzipien. Wir hatten bereits Pläne, gemeinsam mit einer deutschen Firma eine Produktion von Lithium-Ionen-Batterien aufzubauen. Unsere Partner hätten sich um den Vertrieb gekümmert, während der Großteil der Profite im Land geblieben wäre. Die Áñez-Regierung hat das Projekt beendet. Aber ich glaube, in der Bevölkerung existiert ein Bewusstsein für diese Tatsachen und die Leute werden nicht zulassen, dass ein transnationaler Konzern unsere Ressourcen ausbeutet. Eine Regierung der MAS-IPSP ist die Garantie dafür, dass unsere Bodenschätze, inklusive Gas und Mineralien, in Staatsbesitz bleiben. Wir sind die einzige Partei, die der bolivianischen Bevölkerung zusichert, dass nicht ein einziges Molekül unserer Ressourcen einfach so an Konzerne verschenkt wird. Unsere Ressourcenpolitik garantiert, dass der Staat immer die Mehrheit an solchen Unternehmen hat und entsprechend profitiert…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180102
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