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Frankreich wird zu einem Polizeistaat: Was Gelbwesten & Co schon lange wussten, findet allmählich den Weg selbst in die Kommerz-Medien

Foto von Bernard Schmid von den Protesten gegen die Pariser Polizei am Sonntag, den 2. April 17 in Paris - wir danken!„… Mit zahlreichen Gummigeschossen ging die Polizei in Frankreich während der Gelbwestenproteste gegen Demonstranten vor. Schwerverletzte wurden in Kauf genommen. Der Bericht von Amnesty zeigt nun detailliert auf, wie Gummigesetze das Arsenal vervollständigen, dessen sich die Verteidiger der herrschenden Ordnung bedienen. Statt Kugeln oder Knüppeln bekamen unter dem Präsidenten der Reichen, Emmanuel Macron, Tausende subtilere Formen der Repression zu spüren. Aus fadenscheinigen Gründen wurden sie in das Labyrinth der Justiz gezerrt und mit Strafen überzogen. Dieser Rechtsmissbrauch ist politisch gewollt, die Gummigesetze wurden schließlich extra geschaffen, um ihn zu ermöglichen. Willkürliche Festnahmen und drakonische Strafen sollen Menschen einschüchtern und davon abschrecken, für ihre Rechte und Forderungen einzutreten. Nicht ohne Erfolg, und das hat nicht nur in Frankreich Methode. Die Covid-19-Pandemie liefert Regierenden in Paris und anderswo einen Generalvorwand, um Proteste schlicht zu verbieten, bürgerliche Rechte und Freiheiten auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Deren Verteidigung ist für die anstehenden sozialen Auseinandersetzungen eine zentrale Frage...“ – aus dem Kommentar zum amnesty Bericht „Bürgerrechte à la française“ von Peter Steiniger am 28. September 2020 bei nd online externer Link über Polizeigewalt in der EU – mit keineswegs zufälligem Schwerpunkt Frankreich. Siehe dazu auch den (englischen) ai-Bericht, drei Beiträge zur (nicht nur ganz) aktuellen Polizeigewalt in Frankreich und einen Hintergrundbeitrag über die Klasseninteressen, die diese Art Polizeiterror erfordern – wie auch den Widerstand gegen ihn – sowie eine kleine Auswahl aus den vielen Berichten über Polizeigewalt in Frankreich im LabourNet Germany:

  • „Die Meister der doppelten Standards (II)“ am 29. September 2020 bei German Foreign Policy externer Link befasst sich generell mit bundesdeutschen Propaganda-Kampagnen und hält dabei aber zur Polizeigewalt in Frankreich unter anderem fest: „… Schwere Vorwürfe gegen die französischen Behörden erhebt Amnesty International in einem gestern publizierten Bericht. Demnach gehen Polizei und Justiz in Frankreich unverhältnismäßig und unter Bruch international gültiger Menschenrechtsnormen gegen Demonstranten vor, auch wenn diese sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Amnesty belegt dies anhand zahlreicher Vorfälle im Kontext mit den Protesten der Gilets Jaunes („Gelbwesten“), bei denen zwischen dem 17. November 2018 und dem 12. Juli 2019 mindestens 11.203 Menschen in Gewahrsam genommen, 5.241 angeklagt sowie 3.204 verurteilt worden waren. Dabei genügte bereits das Äußern von Kritik, um eine harte Strafe wegen Beamtenbeleidigung zu kassieren; wer eine Schutzbrille gegen das von der Polizei exzessiv eingesetzte Tränengas trug, konnte aufgrund angeblicher Vorbereitung von Straftaten vor Gericht gestellt werden. Bereits im Mai 2019 hatten französische Medien berichtet, während der Proteste seien nach offiziellen Angaben 2.448 Demonstranten verletzt worden; 24 von ihnen hätten – meist durch Gummigeschosse der Polizei – ein Auge, fünf eine Hand verloren. Elf Menschen seien, meist durch Verkehrsunfälle am Rand der Proteste, ums Leben gekommen.[1] Amnesty konstatiert: „Teilnahme an Protesten im Frankreich beinhaltet heute das Risiko, Tränengas, Gummigeschossen und anderen gefährlichen Waffen ausgesetzt zu werden; eine Strafe zu kassieren; einen oder zwei Tage in polizeilichem Gewahrsam zu verbringen; und vor Gericht gestellt zu werden, ohne Gewalttaten begangen zu haben.“[2] Daraus ergäben sich „weitreichende Folgen“ für die Versammlungsfreiheit...“
  • „“Als Polizist war ich eine öffentliche Gefahr“ am 09. September 2020 bei der Zeit online externer Link ist ein Interview von Annika Joeres mit Valentin Gendrot über seine Erfahrungen, die er als Buch veröffentlicht hat (sechs Monate undercover bei der Polizei in Paris gearbeitet), worin dieser unter anderem berichtet: „… Der dramatischste Moment für mich war, als ich eine falsche Zeugenaussage machen musste. Ein Jugendlicher wurde von einem Polizisten verprügelt, schon bei seiner anlasslosen Festnahme, dann im Auto, selbst im Kommissariat ohrfeigte er ihn. Später dann hat der prügelnde Beamte Anzeige gegen das Opfer, einen Schwarzen, erstattet, wegen Beamtenbeleidigung. Schließlich hat der Jugendliche den Polizisten ebenfalls angezeigt. Zwar wurde ermittelt – aber innerhalb der Polizei hat der Außenstehende keine Chance. Die ermittelnde Kollegin hat uns noch wenige Tage zuvor Begrüßungsküsschen gegeben und wir haben einen Kaffee zusammen getrunken, es gibt da keine Unabhängigkeit. Also haben alle vier anwesenden Beamten inklusive mir ausgesagt, der Kollege habe den Jugendlichen nicht angefasst. Dabei ist das ein Meineid, eine öffentliche Urkundenfälschung, es ist ein Verbrechen…“
  • „Gelb-Westen-Aktion trifft Städte in ganz Frankreich“ am 29. September 2020 in der Freiheitsliebe externer Link (die Übersetzung – von Linus Landmesser – eines Artikels von Charlie Kimber aus dem britischen Socialist Worker) über die neuen Proteste der Gelbwesten – und den neuen Polizeiterror: „… Anne, eine Lehrerinn, erzählte dem Socialist Worker: „Du musst die Angst vor Covid-19 und die Drohungen der Polizei überwinden, um auf die Straße zu gehen. Ich hätte unmöglich zu Hause bleiben können. Präsident Macron macht Politik zu Gunsten der Reichen und hat während dieser Pandemie Unternehmen vor unsere Gesundheit gestellt. Jetzt redet er vermehrt über Sicherheit und beginnt, den Bossen Geschenke zu machen.“ Obwohl mehrere Gebiete der Hauptstadt für Demonstrant*innen gesperrt waren, versammelten sich die Protestierenden an den jeweiligen Startpunkten zweier genehmigter Aufmärsche. Während einer jedoch ohne jegliche Zwischenfälle stattfinden konnte, wurde der andere mehrfach das Ziel polizeilicher Angriffe. Es fand eine Vielzahl von Festnahmen aufgrund „des Mitführens eines als Waffe missbrauchbaren Gegenstandes“ statt, wobei es sich dabei unter anderem um eine leere Flasche Jack Daniel`s Whiskey handelte...“
  • „Frankreich: Rückkehr des Klassenkampfs?“ von Hovhannes Gevorkian am 21. September 2020 im Lower Class Magazine externer Link zum Klasseninteresse am Ausbau der Polizeigewalt, das Macron verwirklicht: „… “Tötet sie!” rief einer der Anwohner eines bürgerlichen Viertels aus seinem Fenster, weitere Nachbar*innen klatschten Beifall und ermunterten die Polizei, die Gilets Jaunes (Gelbwesten) durch die Straßen zu jagen. Eine Szene, die zeigt, wie polarisiert die französische Gesellschaft fast zwei Jahre nach dem Beginn des Aufstands der Gilets Jaunes ist. Die Metropolregion Paris ist sowieso streng nach den Klassen geteilt: In der Peripherie — den Banlieues — leben die Arbeiter*innen und Armen der Gesellschaft. Innerhalb der Stadtgrenzen von Paris und besonders im 8. und 16. Arrondissement (franz. für Bezirk) leben die reichen Bourgeois innerhalb ihrer Luxuswohnungen. Die Gilets Jaunes suchen sich mit Absicht diese schicken Bezirke für ihre Demonstrationen aus, um ihren Protest hör- und sichtbar zu machen — und auch, um die Bourgeois zu erschrecken. Und so verwundert es nicht, dass sie auch am 12. September auf dem Champs-Élysées demonstrieren wollten. Dort und drumherum fanden die berühmten Straßenschlachten auf dem Höhepunkt der Bewegung der Gilets Jaunes statt. Seit März 2019 allerdings werden alle Demonstration um die Prachtstraße und die Oberschichtsbezirke drum herum verboten und in eine Sperrzone mit enorm viel Polizeipräsenz verwandelt. Am 12. September selbst hatten sich sie Luxusboutiquen schon einen Tag zuvor aus Angst vor Zerstörungen verbarrikadiert. Sogar das Tragen einer gelben Weste scheint dort untersagt worden zu sein: Schon um 8 Uhr morgens wurde eine Person mit gelber Weste verhaftet. Die Gilets Jaunes, sie haben sich zweifellos in das Gedächtnis der Herrschenden eingebrannt. Frankreich im September 2020 ist ein Land, das seit 2016 von einer Intensivierung der Klassenkämpfe erschüttert wird und wohl inmitten einer zweiten Welle von tausenden Corona-Neuinfektionen steht. Im Frühjahr hatte die Covid19-Pandemie das Land völlig unvorbereitet und dementsprechend hart getroffen. Aktuell gelten weiterhin harte Regeln, die mit der Eindämmung des Virus gerechtfertigt werden: So muss im öffentlichen Raum immer eine Maske getragen werden, wer das nicht tut riskiert ein Bußgeld von 135 Euro. Während die respressiven Maßnahmen verschärft werden, wird an der Gesundheitsinfrstruktur, die im Frühjahr heillos überlastet war wenig geändert. Die Zahl der Intensivbetten etwa ist nach wie vor niedrig und wurde seit Beginn der Pandemie nicht erhöht. Von der neuerlichen Explosion an Neueinfektionen ist besonders die Region um Marseille getroffen. Dort gibt es pro 100.000 Einwohnenden 312 Neuinfektionen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt diese Zeit bundesweit bei 12,8 Neuinfektionen. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich Frankreich am Anfang einer zweiten Welle befindet. Nichtsdestotrotz wird schon jetzt seitens der Regierung ein erneuerter Lockdown ausgeschlossen, da die Wirtschaft das nicht verkraften würde. Um sagenhafte 9,5 Prozent sank das BIP des Landes im Vergleich zum Vorjahr. Damit ist die Kontraktion mehr als doppelt so groß wie bei Deutschland oder selbst dem weltweiten Durchschnitt von 4,5 Prozent. Diese äußerst delikate Krisenlage in einem Land mit 9 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze führt dazu, dass die Lösung seitens der herrschenden Klasse in Massenentlassungen und Werkschließungen besteht. Dabei trifft es nicht nur die Produktion, wie beim Reifenhersteller Bridgestone, wo in Béthune ein Werk mit 863 Mitarbeitenden geschlossen wurde; selbst bei der Supermarktkette Auchan soll es zu 1.475 Entlassungen kommen. Während Bridgestone der Primus unter den Reifenherstellern ist und rund 27 Milliarden US-Dollar Umsatz macht, gehört Auchan der sechstreichsten Familie Frankreichs um Patron Gérard Mulliez mit einem Vermögen von 26 Milliarden Euro. Diese zwei ausgesuchten Beispiele zeigen, dass die Arbeiter*innenklasse mit weiteren Angriffen auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen rechnen muss. Eine der bekanntesten Figuren der Gelbwesten, Jerome Rodrigues sagte dazu: “Es kommt eine neue Krise auf uns zu und es ist sicher, dass sie uns Elend bringen wird.” Die neue Mobilisierung der Gilets Jaunes, die bei weitem nicht nur in Paris, sondern auch in anderen Städten wie Nantes, Rennes, Marseille oder Lyon zusammenkamen, griff diese Themen auf und verband sie mit dem anhaltenden Thema der Polizeirepression und -gewalt: In Toulouse wurde jegliche Demo verboten; in Paris kam es immer wieder zu Einkesselungen, die teilweise stundenlang andauerten und auch Journalist*innen betrafen…“
  • Nur eine kleine Auswahl aus den vielen Berichten über Polizeigewalt in Frankreich im LabourNet Germany:
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=178846
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