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Die Proteste in Belarus gehen ungebrochen weiter – und die Einmischungsversuche der EU werden keineswegs einhellig begrüßt…

ABC-Belarus - Anarchist Black Cross Belarus„… Obwohl Polizisten schon am frühen Morgen die Innenstadt großräumig abgesperrt und vier U-Bahn-Stationen im Stadtzentrum geschlossen hatten, gelangten die Demonstrierenden ins Zentrum der Hauptstadt Minsk. Bis Sonntagnachmittag waren es nach Angaben der Nachrichtenagentur Belapan 200.000 Demonstrierende, die mit weiß-rot-weißen Fahnen auf ihrem „Marsch für Frieden und Unabhängigkeit“ durch die Innenstadt den Rücktritt von Alexander Lukaschenko als Präsident und die Freilassung der politischen Gefangenen forderten. Auch in Brest, Gomel, Mogiljow und anderen Städten gingen erneut Tausende auf die Straße. Die Miliz, wie die Anti-Aufstands-Einheiten der Polizei genannt werden, war in Minsk stark präsent, Wasserwerfer und Gefangenentransportwagen waren deutlich sichtbar für die Demonstrierenden positioniert. Eine Stunde nach Beginn der Demonstration waren schon 30 Personen festgenommen, berichtet belaruspartisan.by; die russische Nachrichtenagentur RIA meldete am Nachmittag 125 Festnahmen, Tendenz steigend...“ – aus dem Demonstrationsbericht vom Sonntag „„Sascha, du bist entlassen!““ von Bernhard Clasen am 30. August 2020 in der taz online externer Link – dessen Überschrift von der Frauendemonstration am Freitag zuvor stammt, an der sich über 10.000 Menschen, eben v.a. Frauen, beteiligt hatten. Siehe dazu fünf weitere Beiträge zu den Positionen, die innerhalb der Protestbewegung vertreten werden und ihren Perspektiven, sowie zu den Ursachen (etwa im Vergleich zur Situation in Russland) der breiten Beteiligung – und den Hinweis auf den bisher letzten unserer zahlreichen Beiträge zur demokratischen Massenbewegung in Belarus:

„Sea of people in Minsk. 100-150 thousand joined the protest. It’s comparable to rallies on Aug 16 and Aug 23“ am 30. August 2020 im Twitter-Kanal von Franak Viacorka externer Link ist eine Meldung zu den Demonstrationen am Sonntag, die mit einigen Fotos deutlich macht, wie groß die Proteste erneut waren.

„Statement: No to Putin’s police operation against the Belarusian people!“ vom Russian Socialist Movement am 28. August 2020 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert, ist eine Protesterklärung der linken (trotzkistisch orientierten) russischen Gruppierung, die gegen das „Hilfsangebot“ des russischen Präsidenten an die Regierung in Belarus protestiert, im Notfall „Spezialeinheiten“ bereit zu haben – was, naheliegend, als Drohung gegenüber der Bevölkerung von Belarus bewertet wird.

„Das „armenische Modell““ am 31. August 2020 bei German Foreign Policy externer Link zur Haltung wichtiger Strömungen der demokratischen Opposition gegenüber den permanenten Einmischungsversuchen der EU unter anderem: „… Eine führende Vertreterin der Minsker Opposition protestiert gegen die Einmischung der EU in Belarus. Die Sanktionen, auf die sich die Außenminister der Union am vergangenen Freitag geeinigt haben, lehne sie ab, erklärt Marija Kolesnikowa, eine der bekanntesten Aktivistinnen des Minsker „Koordinationsrats für den Machtübergang“. Dass die EU darüber hinaus den „Koordinationsrat“ einspannen wolle, um Millionenbeträge zur Unterstützung der Opposition in Belarus zu verteilen, habe dem Rat „sehr geschadet“. Ohnehin wünsche die klare Mehrheit der Demonstranten keine einseitige Annäherung an EU und NATO, sondern wolle vielmehr die Beziehungen ihres Landes zu Russland „entwickeln“ und „freundschaftlicher … gestalten“. Kolesnikowa weist darauf hin, dass die „traditionelle Opposition“, die in Kooperation mit dem Westen eine weitreichende Abkehr von Russland anstrebt, sich – noch – in der Minderheit befindet. Westliche Strategen raten mit Blick auf die schwache Abneigung gegen Russland in der belarussischen Opposition zu größerer Umsicht und plädieren für ein „armenisches Modell“...“

„Wird Belarus frei sein?“ am 30. August 2020 bei Schwarzer Pfeil externer Link sind Überlegungen zu Perspektiven aus anarchistischer Sicht, worin es abschließend unter anderem heißt: „… Es gibt einige Leute, die den Aufstand in Belarus von links betrachten und erwarten, dass es einen neuen Schwung für die linke oder sogar anarchistische Bewegung schaffen wird. Belarus wird sich erheben und nicht nur in der Lage sein, die Diktatur loszuwerden, sondern auch die erste freie Kommune der Welt werden. Dies wird nicht geschehen. Die lange Geschichte der Unterdrückung des Sowjetstaates und der späteren Diktatur von Lukaschenko hat den größten Teil des antikapitalistischen Gefühls im Land zerstört. Der Großteil des belarusischen Volkes kandidiert für freie Vereinigung und faire Wahlen. Nur sehr wenige stehen dem Kapitalismus kritisch gegenüber und viele wollen so leben wie in der EU. Es handelt sich jedoch um einen selbstorganisierten Volksaufstand gegen Lukaschenko ohne eine klare politische Agenda. Wenn die Leute dem Kommunismus kritisch gegenüberstehen (tatsächlich geht die Kommunistische Partei immer noch in die Meetings, um Lukaschenko zu unterstützen), sind sie nicht kritisch gegenüber dem Anarchismus. Viele sehen die Forderungen nach Dezentralisierung im Kontext der Diktatur als vernünftig an. Als Anarchist:innen in Belarus glauben wir nicht, dass diese Revolution die anarchistische Gesellschaft in die Region bringen wird. Aber auf der einen Seite wird sie, wenn das Regime fällt, den Menschen diese Vorstellung von kollektiver Macht geben, die den sozialen Prozess verändern kann. Aufgrund der derzeitigen Rolle der Arbeiter:innen im Aufstand wird sie der Organisierung der Arbeiterklasse einen Schub geben. Wir können versuchen, die Forderungen der Dezentralisierung und der Demontage der Macht im Land durchzusetzen. Aber am Ende des Tages wird das Volk entscheiden, wohin es ziehen will. Wir sehen diese Revolution als einen wichtigen Teil beim Aufbau einer wahrhaft revolutionären Gesellschaft in unserem Land, aber es ist noch ein langer Weg bis hin zur libertären Revolution. Also beantworte die Frage nach der Freiheit. Belarus könnte Lukaschenko und die Diktatur loswerden. Vielleicht wird das Wahlsystem im Land wiederhergestellt und es wird faire Präsidentschaftwahlen geben. Was als nächstes passiert – niemand weiß es. Es könnte sein, dass der neue starke Mann aufstehen und versuchen wird, das Land mit eiserner Hand zu regieren, oder es wird weitere Reformen geben, um die Institutionen der Diktatur zu zerstören. Wirtschaftlich gesehen wird Belarus mit Lukaschenko oder ohne ihn für das nächste Jahr mit Sicherheit Probleme haben. Tatsächlich waren die überstürzten Wahlen im August ein Versuch, die Abstimmung vor der Krise zu bestehen. Höchstwahrscheinlich werden große Fabriken privatisiert werden und dies wird den Konflikt zwischen der arbeitenden Bevölkerung und der Regierung auslösen. Aber all dies liegt in einer turbulenten Zukunft. Sicher wissen wir, dass an dem Tag, an dem Lukaschenko gehen wird, wir alle eine riesige Party feiern werden. Wir werden tanzen und singen und schreien, weil dieses Regime uns als Gesellschaft und Individuen 26 Jahre lang zerstört hat. Und wir werden aus diesem Kampf als neue Menschen herauskommen, die bereit sind, weiter für unsere Freiheit zu kämpfen!

„Belarus: support the left and the workers!“ von Omar Rai am 26. August 2020 bei Workers Liberty externer Link ist ein Beitrag, der vor allem darauf abzielt, die Notwendigkeit zu unterstreichen, die linken Strömungen in Belarus zu unterstützen – jene also, die auch und gerade die sozialen Fragen stellen und gelöst sehen wollen, wobei im Beitrag unterstrichen wird, dass all jene, die wieder einmal großstrategisch nur den Imperialismus am Werk sehen und die Interessen der Menschen unwichtig finden, sogar noch übersehen, wie das Regime in den Jahren selbst zahlreiche neoliberale Reformen durchgepeitscht hat…

„Protest in Belarus: Who? Why? With what aims? — a politico-economic analysis“ von Aleksandr Vladimirovich Buzgalin am 27. August 2020 bei Links externer Link ist genau, was die Überschrift angibt: Eine ausführliche politisch-ökonomische Analyse des Moskauer Wirtschaftsprofessors über Belarus, wobei er etwa im Vergleich zu Russland unterstreicht, dass die Bedeutung, Kraft und der Einfluss der Privatkapitalisten in Belarus deutlich geringer ist, dementsprechend auch soziale Errungenschaften länger in Kraft blieben, was erst in jüngerer Zeit großen Angriffen des Regimes ausgesetzt wurde – eine der Voraussetzungen der aktuellen breiten Massenbeteiligung an den Protesten…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177483
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