[Buch] Work-Work-Balance. Marx, die Poren des Arbeitstags und neue Offensiven des Kapitals

Dossier

[Buch] Work-Work-Balance. Marx, die Poren des Arbeitstags und neue Offensiven des KapitalsWie im Kapitalismus aus Geld mehr Geld werden kann, zeigt Marx im »Kapital«. Das Zauberwort lautet Ausbeutung. Sie umfasst auch immer die Verfügungsmacht über die Arbeits- und Lebenszeit derjenigen, die ausgebeutet werden. Es wundert also nicht, dass eines der zentralen Kapitel im »Kapital« den Arbeitstag und seine Grenzen diskutiert. Ebenso wenig verwundern die immerwährenden Forderungen von Unternehmensverbänden nach längeren und flexibleren Arbeitszeiten inkl. längerer Lebensarbeitszeit. »Work-Work-Balance« geht vor diesem Hintergrund auf der Suche nach einem besseren Leben jenseits von Selbstoptimierung und Arbeitsverdichtung den historischen und vor allem aktuellen Kämpfen um Lebens- und Arbeitszeit nach. Mit Beiträgen von Christian Brütt, Christian Christen, Christoph Deutschmann, Lukas Eggert, Norman Jakob, Leo Kühberger, Kalle Kunkel, Hanna Meißner, Gabriela Muri, Gisela Notz, Claudia Sorger und Regina Wecker.“ Umschlagtext des von Ingo Stützle herausgegebenen Buches im Karl Dietz Verlag (264 Seiten, Broschur., ISBN 978-3-320-02366-9, 18,00 €). Siehe als Leseproben im LabourNet Germany die Einleitung von Ingo Stützle sowie den Beitrag von Gabriela Muri „Der Arbeit die Arbeit – der Pause die Zeit“ – wir danken!

  • Enorme Mobilisierungskraft: Arbeitszeit und -verdichtung – ein Konfliktfeld mit Potentialen für Gewerkschaften New
    „»Totgeglaubte sterben nicht!« So beginnt der Verdi-Sekretär Kalle Kunkel seinen Beitrag zur gewerkschaftlichen Arbeitszeit- und Leistungspolitik in dem von Ingo Stützle, dem Redakteur der Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft Prokla, herausgegebenen Sammelband »Work-Work-Balance«. Nach fast 30 Jahren Abstinenz seien Fragen von Arbeitszeit und Leistung nun wieder auf der Gewerkschaftsagenda, so der Autor. Doch die Bewegung entwickle sich anders als beim Kampf um die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren in Westdeutschland. Während die Auseinandersetzungen damals »nach zum Teil heftigen internen Diskussionen« in den Gewerkschaften »kampagnenförmig in Gang gesetzt wurden, ist der neue Aufschwung von einer fast schon experimentellen Vielseitigkeit geprägt«, schreibt Kunkel. Ein gemeinsames Element der verschiedenen Kämpfe ist allerdings, dass es den Beschäftigten nicht nur um die Länge der Arbeitszeiten, sondern auch und vor allem um die Begrenzung der Arbeitsbelastung geht. Dieses Thema berge eine »enorme Mobilisierungskraft«, betont er. Kunkel plädiert dafür, dass die Gewerkschaften beides zugleich anstreben: die Reduzierung der Arbeitszeiten und der Leistungsverdichtung, die im Zuge der Flexibilisierung in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Wenn die Beschäftigtenorganisationen dies versuchen, sei ein »Großkonflikt« unausweichlich, erklärte zuvor bereits der ehemalige IG-Metall-Bezirksleiter von Niedersachsen, Hartmut Meine. Denn, so Kunkel: »Die Ausweitung des gewerkschaftlichen Gestaltungsanspruchs auf die Leistungsvorgaben in der Arbeitszeit greift tief in den kapitalistischen Herrschaftsanspruch im Betrieb ein und stellt insofern eine qualitative Veränderung dar«. Kunkels Schlussfolgerung: Es bedürfe einer Kultur des Widerstands und einer starken betrieblichen Interessenvertretung, damit die Entlastung im Alltag auch ankommt. (…)Es bestehe die Möglichkeit – aber auch die Notwendigkeit –, die Tarifbewegung für die Reduzierung von Arbeitszeit und Leistungsverdichtung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen zu öffnen. Die Schaffung gesellschaftlicher Bündnisse sieht Kunkel allerdings nicht als Alternative zum Aufbau betrieblicher Organisationsmacht. Beides zu verbinden sei eine große Herausforderung – aber auch Chance…“ Artikel von Daniel Behruzi in der jungen Welt vom 07.07.2020 externer Link (im Abo) zu Ingo Stützle (Hrsg.): Work-Work-Balance. Marx, die Poren der Arbeitstags und neue Offensiven des Kapitals
  • Infos und Bestellung beim Karl Dietz Verlag externer Link
  • Einleitung von Ingo Stützle
    Einhundert Jahre nach Durchsetzung des Achtstundentags, der am 1. Januar 1919 in Deutschland allgemeines Gesetz wurde, wird noch immer darum gekämpft und gesellschaftlich gestritten, was als Normalarbeitstag gilt und wie dieser garantiert werden kann – und muss. »Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21.Jahrhundert«, hieß es im Mai 2019 in einer Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Damit antworteten sie auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hatte entschieden, dass Unternehmen verpflichtet werden müssen, Systeme zur Arbeitszeiterfassung einzurichten. Nur so lasse sich kontrollieren, ob zulässige Arbeitszeiten eingehalten würden, ein im EU-Recht zugesichertes Recht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte das Urteil. (…) Der Kampf um die Normierung des Arbeitstags ist Gegenstand von Marx’ Analyse des Kapitals und war im 19.Jahrhundert – kaum verwunderlich – wesentlicher Teil der sozialdemokratischen Agitation und der gesellschaftlichen Kämpfe. Eigentlich ist es offensichtlich. Wer täglich zehn Stunden arbeitet, kann in dieser Zeit zu Hause weder Wäsche zusammenlegen noch putzen, nicht kochen, mit den Kindern spielen, essen oder schlafen, sich nicht zum Fußballspielen verabreden, seine Liebsten treffen oder einfach auf dem Sofa liegen. (…) Der Kampf um den Normalarbeitstag begleitete Marx und Engels fast seit Beginn ihrer politischen und schriftstellerischen Tätigkeiten. Engels natürlich weitaus früher als Marx. (…) Der vorliegende Band kann nicht annährend alle Facetten erschließen, die Marx mit dem achten Kapitel angelegt hat. Er soll jedoch als Impuls dienen, die vielen  Diskussionen, die in den letzten Jahren und aktuell zum Thema geführt werden, mit einer spezifischen Perspektive fortzusetzen…“ Die Einleitung von Ingo Stützle samt Inhaltsverzeichnis des Buches
  • Der Arbeit die Arbeit – der Pause die Zeit. Zur Vergesellschaftung von Pausenzeiten zwischen prekären Verhältnissen und Optimierung des Selbst
    Die Zeit ist Maß des Lebens und Raum für Entwicklung. Mit diesen Worten hat Marx das Spannungsfeld der Vergesellschaftung von Zeit und Pausen im Spiegel des Normalarbeitstages treffend umschrieben. Formelle und informelle Regeln sowie Erfahrungsmuster von Pausen – so lautet meine These – lassen sich bis in die Gegenwart als historisch bedingte Formen der Arbeitsdisziplinierung bezeichnen. Anhand der Pause lässt sich aufzeigen, wie Auszeiten von Funktionslogiken der Ausbeutung über verinnerlichte Formen der Selbstdisziplinierung bis zur mehr oder weniger gelingenden Erfahrung der freien Zeit trotz Freizeitgesellschaft und flexibler Arbeitsformen immer gebunden sind an politisch-ökonomische Voraussetzungen und damit Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse oder »vergesellschaftet« bleiben. Das Selbstverständliche und wenig Fassbare der alltäglichen Zeiterfahrung verführt dazu, die gesellscha!liche Ordnungsmacht von Zeit auszublenden. Gerade Zeitnormen im Hinblick auf informelle Pausenregelungen zeigen jedoch deutlich, wie wirksam Zeitordnungen unser Leben vermessen und den Raum der Entwicklung ermöglichen und beschränken. (…) Im vorliegenden Text wird der Schwerpunkt auf gegenwärtige Formen geplanter Pausen als Ausdruck der Arbeitsdisziplin gelegt. Ein historischer Rückblick lohnt sich jedoch, weil gerade zwei in diesem Band versammelte Texte auf die Ambivalenz der Pause als Quelle der Reproduktion und Disziplinierung im Arbeitsprozess wie als Raum des Widerstands und der Selbstdisziplinierung verweisen. (…) Flexibel wählbare Arbeitszeiten gehören oft auch im Zusammenhang mit ökonomisch bedingten Arbeitszeitreduktionen seit der Nachkriegszeit zur verbreiteten Arbeitsform. Damit wandelte sich auch die Regelung von Pausenzeiten. Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit und der gewerkschaftlich erkämpften Freizeit ist jedoch nicht unbedingt mehr Zeitautonomie verbunden. Konkurrenz und Leistungsdenken beeinftussen alle Lebensbereiche und somit auch die Freizeit. (…) Sinnvolle Freizeitnutzung und Erholung werden zu einem individuellen Projekt, die ökonomische Bewirtscha!ung von Zeit bestimmt alle Tätigkeiten. Lebensführung ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Folge von Flexibilisierung der Arbeitswelt und Individualisierung zu einer anspruchsvollen Aufgabe unter ungleichen Bedingungen geworden. Seit der Jahrtausendwende haben sich die beschriebenen Herausforderungen verschärft, verursacht durch neue Technologien, Digitalisierung, durch Delegation von Verantwortung und Zeiteinteilung an die Arbeitenden sowie durch Leistungsdruck und Selbstoptimierung bis hin zur Freizeitgestaltung. Obwohl quantitativ mehr Freizeit zur Verfügung steht, ist der Alltag von Dringlichkeiten beherrscht, die den Takt unseres Lebens vorgeben…“ Beitrag von Gabriela Muri aus dem Buch
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=171818
nach oben