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Georgien, die neue Seidenstraße zwischen Asien und Europa und die neuen Arbeitsbedingungen

Dossier

Eine Woche Streik der georgischen EisenbahnerDie Veränderungen in Georgien sind auf eine bestimmte Art die Fortsetzung der Geschichte des Landes – als „Brücke“ zwischen Asien und Europa. Was konkret bedeutet: Drei neue internationale Pipelines, vier Exporthäfen und die dazu gehörigen neuen Autobahnen und Eisenbahnlinien, sowie wirtschaftliche Abkommen mit der EU und der VR China. Was ermöglicht wird durch eine Politik, die zwar nicht mehr der ganz extreme Neoliberalismus der Jahre bis 2012 ist (in einem Zeitraum von 10 Jahren wurden dabei das Gesundheitswesen privatisiert, der soziale Wohnungsbau abgeschafft, ein Mindestlohn verhindert und andere „Wohltaten“ mehr) – aber um Investoren wirbt mit dem nachdrücklichen Hinweis auf die „konkurrenzfähigen Kosten“ für Arbeitskräfte. In einem ausführlichen gemeinsamen Beitrag (in zwei Teilen) haben Aktivistinnen und Aktivisten des Workers Centre in Tbilissi und der Transnational Social Strike Platform (TSSP) die Entwicklung der Wirtschaft Georgiens, die Veränderung der dabei vorherrschenden Arbeitsbedingungen – auch im „dazu gehörenden“ Dienstleistungsbereich, wo sie meist so übel sind, wie anderswo auch, und bisher jedenfalls kaum von Gewerkschaftsorganisation irgendwie erfasst wurden. Siehe dazu:

  • Hat die EU die georgischen Arbeitsbedingungen verbessert? New
    „Georgien ist ein Land, welches im Südkaukasus eingebettet zwischen Russland, Aserbaidschan, Armenien, der Türkei, dem Schwarzen Meer und dem Großen Kaukasus liegt. Ein Land, das nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit vielen Umbrüchen zu kämpfen hatte und immer noch zu kämpfen hat. Die Wirtschaft Georgiens mit seinen vier Millionen Einwohnenden lag fast komplett brach. (…) Mit dem Aufbau eines neoliberalen Wirtschaftssystems versuchte die georgische Regierung unter anderem, die Wirtschaft anzukurbeln. (…) Doch Verbesserungen sind nicht absehbar. Arbeitgeber*innen sprechen sich gegen eine Verschärfung des Arbeitsrechts aus und die Organisation Invest in Georgia, die Teil des georgischen Ministeriums für Wirtschaft und Entwicklung ist, wirbt bei international tätigen Unternehmen mit den geringen Lohnkosten, flexiblen Beschäftigungsbedingungen, niedrigen Steuern (besonders in verschiedenen Freihandelszonen) und einer hohen Arbeitslosigkeit. (…) 2006 schaffte Georgien seine Arbeitsaufsichtsbehörde ab und reduzierte den Schutz der Arbeitnehmer*innen drastisch. Doch in dem 2014 verabschiedeten Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Georgien hat sich das Land dazu verpflichtet, bis September 2019 international anerkannte Kernarbeitsnormen einschließlich einer wirksamen Arbeitsaufsicht umzusetzen. (…) Unabhängige Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist*innen haben sich als Georgia Fair Labor Platform zusammengeschlossen. Sie begrüßen zwar die Reformen, stufen sie jedoch als nicht weitreichend genug ein. Sie bemängeln, dass keine Reformen verabschiedet wurden, um die Probleme der niedrigen und unzureichenden Löhne, des fehlenden gesetzlichen Mindestlohns, der ungeregelten Arbeitszeiten, der (teilweise unfreiwilligen) Überstunden zu bekämpfen. Auch bliebe der Mutterschutz, Mutterschafts- und Kinderbetreuungszeit ungenügend. Raisa Liparteliani, Vizepräsidentin des georgischen Gewerkschaftsbundes (GTUC), sagte mir in einem Interview , dass eine generelle Verbesserung durch die Reformen merkbar sei, aber nicht in den Sektoren, in denen zum Großteil Frauen arbeiteten, wie etwa im Textilsektor. (…) In der sozialen Sicherung fehlen in Georgien wichtige Bestimmungen, wie sie in dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über soziale Sicherheit gefordert werden. Es gibt keine Arbeitsunfallversicherung, keine Hinterbliebenenleistung sowie nur geringe Leistungen bei Krankheit und Mutterschaftsleistungen. Bei den Mutterschaftsleistungen werden etwa die Hälfte der erwerbstätigen Frauen ausgeschlossen, da nur bei einer formellen Beschäftigung der Zugang zu diesen Leistungen möglich ist…“ Blog-Beitrag von Lotte Heitmann vom 16. Februar 2022 beim Südwind Institut externer Link
  • Arbeitskämpfe in der Zeitmaschine. Nicht nur ein wichtiger Knotenpunkt der “Neuen Seidenstrasse”, sondern ein Hub im weltumspannenden logistischen Kapitalismus – diese Rolle fällt ausgerechnet Georgien zu 
    „… In ihrem Buch “Molekulares Rot” stellt McKenzie Wark eine einfache, aber radikale These auf: nämlich, dass wir, um mit der gegenwärtigen, als Anthropozän bekannten planetarischen Zwangslage zurechtzukommen oder vielleicht sogar, um weiter zu existieren, aufhören müssen, neue Horizonte des revolutionären Triumphs zu schaffen, und stattdessen aus den Trümmern, die unsere Welt ausmachen, Fragmente, Geschichten, Konzepte und Praktiken bergen sollten, die uns für die kommenden Kämpfe rüsten können. (…) “Molekulares Rot” ist ein Buch über Akkretionen, über die oft unbeholfenen Wege, auf denen sedimentierte Geschichten oder sogar Ideen zusammenlaufen und in Formen kollektiver Arbeit kanalisiert werden können. Intellektuelle Ausgrabungen, wie die von Wark durchgeführte, sind entscheidend für das Zusammensetzen dieser verstreuten Bemühungen. Diese nützlichen Fragmente können auch anderswo gefunden werden. (…) Heute sind grosse Teile der Geografie des ehemaligen Ostblocks in ein riesiges Netzwerk aus Handelsadern, die China mit den westlichen Märkten verbinden, umfunktioniert worden – als Teil des gigantischen logistischen Projekts, das als Neue Seidenstrasse bekannt ist. Innerhalb dieser Infrastrukturen, die diese riesige und ehrgeizige Konnektivität aufrechterhalten, werden Formen kollektiver Arbeit offenbar, die den logistischen Kapitalismus und die Temporalitäten, die er zu etablieren versucht, herausfordern. Diese Formen kollektiver Arbeit – sowohl in Vergangenheit als auch Gegenwart – können als Blitzlichter jenes molekularen Rots gesehen werden, das McKenzie Wark herausgearbeitet hat. Ja, als Mosaiksteine eines Puzzles des Widerstands, das für künftige Arbeiter*innen-Organisation hilfreich sein kann. (…) Die gegenwärtig ins Monströse mutierte Ausdehnung logistischer Netzwerke über alle erdenklichen Geografien dieses Planeten lässt nicht viel Raum für den Entwurf einer “Gegenlogistik”, die in der Lage wäre, die Myriaden von Operationen zu stürzen, die das, was wir logistischen Kapitalismus nennen, ausmachen. Was wir stattdessen tun können, ist, die Aufmerksamkeit auf die anderen, konfliktreichen Geschichten zu richten, die durch die gegenwärtigen logistischen Projekte auf nicht immer offensichtliche Weise aufgewühlt werden. Diese Geschichten sind in der Materialität der Infrastrukturen sedimentiert, die im Dienste des zeitgenössischen globalen Handels stehen – aber umfunktioniert werden können. Ihr Fortbestehen kann Formen und Erinnerungen kollektiver Arbeit hervorbringen. Es ist nun unsere Aufgabe, dieses Potenzial zu aktivieren und zu nutzen, um Formen des Widerstands zu finden, die zu unserer fragmentierten Gegenwart passen.Beitrag von Evelina Gambino vom 6. September 2021 beim untergrundblättle.ch externer Link (dieser Beitrag erschien zuerst bei der Berliner Gazette am 24. Mai 2021)
  • „Challenges along the New Silk Road. Logistics, Politics and Labour in Georgia“ am 04. Juli 2018 bei der TSSP externer Link ist der zweite Teil der oben genannten Untersuchung (inklusive Link zum ersten Teil). Darin geht es vor allem eben um den Logistik-Sektor und die „Investorenfreundliche“ Arbeitsgesetzgebung des Landes – aber eben auch um die Ansätze, neue und andere gewerkschaftliche Organisation voran zu bringen, die sich vor allem anhand in jüngerer Zeit zunehmender Widerstandsaktionen in verschiedenen Branchen entwickeln – auch wenn sie noch in sehr frühen Stadien sind.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164364
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