[Buch] Cyber Valley – Unfall des Wissens. Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen – Am Beispiel Tübingen

Dossier

[Buch] Cyber Valley - Unfall des Wissens. Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen - Am Beispiel TübingenKünstliche Intelligenz (KI) ist das Thema der Gegenwart und als solches formt es die Zukunft. Der Staat propagiert sie, die Industrie forciert sie und die Bevölkerung nutzt sie. Erstere reden von einer Revolution, letztere erwarten keine großen Veränderungen. Schauen wir uns an, wo sie erforscht wird, wer von Anfang an dabei ist und wer nicht. Schauen wir auf das beschauliche Universitätstädtchen Tübingen. Hier soll Amazon ansiedeln, hier soll ein Top-Standort für KI-Forschung weltweit entstehen. Man baut hier Forschungslabore statt Wohnungen; man hofft auf den Boom; man lügt wie gedruckt. Vielleicht war es zu viel Zukunft für einen kleinen Ort. Man wollte als Standort „viral gehen“, glänzen durch Popularität. Man baute einen Erlebnispark für Risikokapital. Man baute einen Forschungcampus. Und es regt sich Protest. Die Wissenschaft fusioniert hier mit der Wirtschaft: Gemeinsam testen sie Datenbanken und Infrastrukturen mit irgendwelchen Daten und verkaufen uns das als Vergangenheit der Menschheit, Zukunft der Technik oder Aufbau der DNA. Sie meinen, alles bewiesen zu haben, weil sie es berechnet haben. Woher sie das nehmen, liegt im Dunkel der Datenbanken – die wir ohne ihre Hilfe nicht mehr entschlüsseln können.“ Klappentext zum Buch von Christoph Marischka vom Dezember 2019 (Papyrossa-Verlag, ISBN: 978 3894387228, 164 S., 14,90 €). Siehe weitere Informationen zum Buch und die Leseprobe im LabourNet Germany, das Unterkapitel „Überwachungs- oder Plattformkapitalismus?“ – wir danken Autor und Verlag! Siehe darüber hinaus weitere Informationen zum Cyber Valley in Tübingen und Protesten:

  • Still not loving Amazon: Solidarität mit den angeklagten Amazon-Gegner*innen. Cyber Valley: Kundgebung zur Solidarität und Information am 22. März 2020 in Tübingen 
    Das Bündnis gegen das Cyber Valley ruft für den 22. März 2020 um 17:00 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Tübinger Rathaus auf. Anlass sind einerseits die Strafbefehle gegen zwei Aktivist*innen, die Mitte März rechtskräftig wurden – und v.a. auch die Welle der Solidarität mit den Angeklagten, welche die Repression weitgehend ins Leere laufen ließ. Anlass sind andererseits die Pläne, in Tübingen und der Region weitere zwei- bis dreistellige Millionenbeträge in die KI-Forschung zu investieren. Ohne nennenswerte öffentliche Diskussion hat die Stadt mitten im zweiten Lockdown beschlossen, sich als Standort für den landesweiten KI-Innovationspark zu bewerben und hierfür kommunale Mittel zu mobilisieren. Dass mit dem Innovationspark auch „regulatorische Freiräume zur Erprobung neuer KI-Technologien“, „Testfelder mit integrierter Sensorik“, „Flugfelder für Drohnen“ usw. verbunden sein sollen, ist jedoch in der Öffentlichkeit bislang kaum angekommen. Anlass ist zuletzt das sehr weitgehende Schweigen der beteiligten Institute zur Zusammenarbeit mit der US-Geheimdienstbehörde IARPA und zur zunehmend umstrittenen Forschung zur Gesichts- und Verhaltenserkennung. Davon gibt es allerdings auch Ausnahmen, über die wir ebenfalls berichten wollen. Geplant sind u.a. ein Straßentheater, Grußworte und die Präsentation einiger Elemente der Ausstellung „Silent Works“, an der das Bündnis im November 2020 in Berlin beteiligt war. Darunter befindet sich auch das Protesttagebuch „UnMuted“, ein (vorläufiger) Rückblick auf die vielfältigen Aktionen, die zwischen 2018 und 2020 im Zusammenhang mit dem Cyber Valley stattgefunden haben.“ Info der Ini (per e-mail) für Montag, 22. März 2020 um 17:00 auf dem Marktplatz in Tübingen – siehe nun den Bericht:

    • Kundgebung am 22. März 2020 in Tübingen mit ca 30 Personen – u.a. solidarisch mit dem Streik in Italien New
      Kundgebung am 22. März 2020 in Tübingen mit ca 30 Personen - u.a. solidarisch mit dem Streik in ItalienGegen das Cyber Valley auf der Oberen Viehweide protestierten am Montagabend etwa 30 Leute auf dem Tübinger Marktplatz. Ein Transparent forderte „Solidarität mit den streikenden Arbeiter*innen bei Amazon – Fight the Platforms of Capitalism“. Ein weiteres wollte eine „Uni ohne Amazon, Daimler, Porsche, BMW“. Zur Kundgebung aufgerufen hatte das Bündnis gegen das Cyber Valley. Aktueller Anlass waren die seit kurzem rechtskräftigen Strafbefehle wegen Hausfriedensbruchs gegen zwei der drei Aktivistinnen und Aktivisten, die im November 2019 im Tübinger Gemeinderat lautstark gegen den dort mehrheitlich beschlossenen Grundstücksverkauf an Amazon protestiert hatten. (…) Ein kritisches „Amazonien“-Märchen und ein Anti-Amazon-Gedicht rundeten den Protest ab.“ Aus dem Bericht vom 22.3.2021 in Schwäbisches Tagblatt online externer Link „Vom Cyber-Valley zum Innovationspark Künstliche Intelligenz“ (im Abo) – siehe auch einen im Reutlinger General-Anzeiger externer Link und zu Italien unser Dossier: 22. März 2021: italienweiter Streik bei Amazon
  • Einsprüche wurden zurückgezogen – Strafbefehle damit rechtskräftig – Bündnis will Diskussion um Innovationspark beleben
    Bereits am 12. Dezember 2020 wurde ein Kritiker des Cyber Valleys auf eine Anzeige von Boris Palmer hin zu 50 Tagessätzen wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, weil er in einer Gemeinderatssitzung Auszüge aus dem Thesenpapier „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“ verlesen hatte. Am kommenden Donnerstag, den 11.3.2021, sollten zwei weitere Aktivist*innen in Tübingen vor Gericht stehen, die ebenfalls gegen den Verkauf eines kommunalen Grundstücks für den Bau eines Amazon-Forschungszentrums demonstriert hatten. Das Bündnis gegen das Cyber Valley ist weiterhin empört, wie Stadt und Oberbürgermeister die Kritiker*innen von Amazon und Cyber Valley mit Repression überschütten, obwohl diese wesentlich dazu beigetragen haben, eine kritische Diskussion über Technologie, die Stadtentwicklung und die Kommerzialisierung der Wissenschaft anzustoßen. (…) Allerdings wird es nicht wie vorgesehen am 11.3. zum Prozess und einer begleitenden Soli-Kundgebung kommen, weil die Angeklagten ihren Widerspruch gegen die Strafbefehle über jeweils fünfzig Tagessätze zurückgezogen haben, welche damit rechtskräftig werden. Eine der Angeklagten begründete das damit, dass man sich wieder verstärkt inhaltlich und nicht juristisch mit dem Cyber Valley und der Bewerbung um den „KI-Innovationspark“ auseinandersetzen wolle…“ Pressemitteilung vom 10.3.2021 des Bündnisses gegen das Cyber Valley externer Link zu weiteren Prozessen gegen die Kritiker*innen von Amazon und Cyber Valley
  • Umkämpfte Technologie. Künstliche Intelligenz und ihre militärische Verwendung – Prozess gegen Antimilitaristen
    In Tübingen gibt es Proteste gegen die kommerziell vorangetriebene Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) und deren militärische Anwendung. Nun wird Aktivist*innen wegen Hausfriedensbruch der Prozess gemacht. Ende November 2020 stand in Tübingen ein Aktivist vor Gericht, weil er ein Jahr zuvor während einer Sitzung des Gemeinderates Passagen aus einem Thesenpapier des Amtes für Heeresentwicklung verlesen hatte, bis ihn die Polizei aus dem Saal begleitete. Vorgeworfen wurde ihm nun Hausfriedensbruch, weil er sich nicht an die Redeleitung des Oberbürgermeisters Boris Palmer gehalten hatte. Dieser erstattete Anzeige im Namen des Gemeinderats. Der Aktivist wurde zu 50 Tagessätzen á 30 Euro verurteilt. Vor dem Gericht zeigten sich unter Pandemie-Bedingungen knapp achtzig Menschen solidarisch. Aufgerufen hatte das „Bündnis gegen das Cyber Valley“. (…) Das verlesene Thesenpapier der Bundeswehr trug den Titel „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“. Der Aktivist wollte damit unterstreichen, dass KI nicht nur irgendeine Technologie ist, sondern entsprechende Entwicklungen von Militärs und der Rüstung aufmerksam beobachtet und aktiv mit vorangetrieben werden, um sie auf den Schlachtfeldern der Zukunft zur Anwendung zu bringen. Die Befürchtung, das Cyber Valley werde die Region in einen Rüstungsstandort transformieren, war von Anfang an eine wesentliche Motivation der Proteste gegen das Projekt. Schließlich entstand das US-amerikanische Vorbild, das Silicon Valley, aus umfangreichen Rüstungsprogrammen im „Kalten Krieg“ und ist Standort vieler Militärdienstleister. Etwa zeitgleich mit der Gründung des Cyber Valley wurde 2016 ein Startup in Tübingen vom Unternehmen Atos übernommen, das für die Cloud-Dienstleistungen der deutschen und französischen Streitkräfte zuständig ist. Daimler und der Rüstungskonzern ZF Friedrichshafen waren von Anfang an am Projekt beteiligt und nur wenig später stieg Amazon ein, das sich zugleich um einen der größten Dienstleistungsverträge beim Pentagon bewarb (Project JEDI), um dem US-Militär KI-Anwendungen zugänglich zu machen. (…) Das „Bündnis gegen das Cyber Valley“ hat in einer Stellungnahme zum Urteil gegen den Aktivisten angekündigt, diese Auseinandersetzung auch in der Zukunft weiter voranzutreiben. Neben der aktiven Beteiligung hat es auch zur Solidarität aufgerufen, denn neben dem bereits verurteilten Antimilitaristen stehen noch zwei weitere Verhandlungen – ebenfalls wegen Hausfriedensbruch im Gemeinderat – an. Unterstützen kann man die Betroffenen unter dem Stichwort „Amazno“ über das Konto der DFG-VK Stuttgart (IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40).IMI-Standpunkt 2021/001 von Christoph Marischka am 7. Januar 2021 bei IMI externer Link (aus der Graswurzelrevolution (Dezember 2020)
  • Cyber Valley: Protest vor Gericht 
    Statt Amazon wird in Tübingen einem Antimilitaristen der Prozess gemacht, weil er aus dem Bundeswehr-Papier „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften im Gemeinderat vorgelesen hatte. Am 25. November wird ein Aktivist in Tübingen vor Gericht stehen, weil er während einer Sitzung des Tübinger Gemeinderates aus einem Thesenpapier des Amts für Heeresentwicklung der Bundeswehr vorgelesen hatte. Titel: „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“. Was hat das mit dem Cyber Valley zu tun und mit dem Bau eines Forschungszentrums für maschinelles Lernen, über das damals im Gemeinderat entschieden wurde? Seit dem Beginn der Proteste gegen das Cyber Valley in Tübingen steht die Befürchtung im Raum, damit drohe der Region eine „Transformation in einen Rüstungsstandort“. Das Cyber Valley ist nach eigenen Angaben „eine der größten Forschungskooperationen Europas im Bereich der künstlichen Intelligenz“, beteiligt sind v.a. die Automobilindustrie und einige ihrer Zulieferer, die auch in der Rüstung aktiv sind. (…) In Tübingen sei eine Zuarbeit für die Rüstung jedoch undenkbar, wurde von den Befürworter*innen des Cyber Valley wieder und wieder behauptet – und dabei auf „unsere Werte“ verwiesen. In Tübingen gefällt man sich in der Vorstellung, ganz vorne dabei zu sein beim Kampf gegen Klimawandel, Diskriminierung und für den Frieden. Die Verbindung von Modernität und moralischer Integrität prägt die Selbstwahrnehmung der Stadt ebenso wie deren Außendarstellung. (…) Konkret beriet der Gemeinderat an jenem 14. November 2019 darüber, ob das Baufeld 13, Baugrund in kommunaler Hand, an die Reisch GmbH verkauft wird, um hier – im Rahmen des Cyber Valleys – für Amazon ein Forschungszentrum für maschinelles Lernen zu errichten. Als Kaufpreis wurden 500.000 Euro festgelegt, ein Betrag, der angesichts von Wohnungsnot und explodierenden Immobilienpreisen in Tübingen für Privatpersonen geradezu obszön niedrig erscheint. Noch ein Jahr zuvor, bei der Verlängerung der Verkaufsoption für das Gelände, wurden Verbindungen zwischen Amazon und dem Militär im Gemeinderat als „Verschwörungstheorie“ abqualifiziert. (…) Fünf Monate nach der Entscheidung für den Verkauf wurde bekannt, dass eine der Cyber Valley Forschungsgruppen nicht nur von Amazon finanziert wird – und zwar für die Modellierung des Sehsystems von Mäusen -, sondern auch von der Forschungsbehörde der US-Geheimdienste, IARPA, im Rahmen ihres MICrONs-Projektes. (…) Sowohl das „Bündnis gegen das Cyber Valley“, als auch die linke Fraktion im Gemeinderat haben wiederholt gefordert, die Zivilklausel der Universität auch auf den Technologiepark und das Cyber Valley anzuwenden. Solche Klauseln sind zwar in der Regel nicht bindend, würden „unsere Werte“ aber zumindest auf eine Art formulieren, auf die man sich beziehen könnte. Sie hätte im Tübinger Fall sicher eine objektivere Diskussion darüber zugelassen, ob und unter welchen Bedingungen man einen – übrigens sehr schön gelegenen – Bauplatz an Amazon verschachern will. Und sie könnten auch dazu beitragen, das Startup-Modell zur Kommerzialisierung der Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung in Frage zu stellen…“ Artikel von Christoph Marischka vom 24. Oktober 2020 in telepolis externer Link
  • „Cyber-Valley-Projekt“: Wem gehört (die Region) Tübingen?
    „… Mitte Oktober 2018 wurde auf einer Abendveranstaltung im großen Hörsaal der Universität Panik verbreitet. Ein eigens aus dem kalifornischen Silicon Valley eingeflogener Referent zeigte sich zutiefst besorgt darüber, dass ausgerechnet die Deutschen als Erfinder des Autos die Entwicklung in puncto autonomes Fahren völlig verschlafen hätten. Es ging also um Geld für die Entwicklung künstlicher Intelligenz, kurz KI genannt. Seitens der Universität Tübingen hieß es dazu: »Wir sollten die Forschung im Bereich KI nicht nur anderen, zum Beispiel Nordamerika und China, überlassen. Damit Europa eine führende Rolle spielen kann, bedarf es strategischer Investitionen in die Grundlagenforschung.« – Und nicht in die Geisteswissenschaften, hätte man ehrlicherweise hinzufügen müssen. In der »Marginalisierung des Sozialen« erkennt Marischka denn auch eines der wesentlichen Elemente des »Unfalls des Wissens« (so der zweite Teil des Titels), der sich etwas weniger dramatisch auch als Dominanz der Kybernetik bezeichnen ließe, also der wissenschaftlichen Erforschung selbsttätiger Steuerungsmechanismen in verschiedensten Systemen. Ein weiteres Merkmal dieses Unfalls sieht der Autor in den »indus­triellen Abhängigkeiten«. »Das Maschinelle Lernen als gegenwärtig vorherrschende Methode der KI-Forschung«, schreibt er, »setzt große Datenmengen und Rechenkapazitäten voraus.« Über diese würden öffentliche Institute jedoch nicht verfügen. Im Cyber Valley wurde deshalb Amazon ins Boot geholt, dessen Kurs sich wohl den Wünschen aller Passagiere anpassen wird, zumal Amazon in Tübingen ein Forschungszentrum mit rund 100 Mitarbeitern errichten will…“ – aus der Buchbesprechung „Wie man eine Stadt gefügig macht“ von Ronald Kohl am 08. Juli 2020 in der jungen welt externer Link (über „Cyber Valley – Unfall des Wissen“ – Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen, Papyrossa-Verlag). Siehe dazu auch eine IMI-Studie (ebenfalls von C. Marischka) zum „Mitwirken“ der Geheimdienste an dem Großprojekt – und einen älteren Beitrag, der die Entwicklung der Kritik daran deutlich macht, einen Beitrag über die Repressionsmaßnahmen gegen Kritik, sowie eines von vielen möglichen Beispielen zur Verteidigung des Projektes qua „Fortschritt“ – Propaganda…

    • „Cyber Valley, MPG und US-Geheimdienste“ von Christoph Marischka vom 15. Mai 2020 (IMI-Studie 3/2020) externer Link ist eine kleine Studie, die der Rolle der US-Geheimdienste bei dem wissenschaftlichen Großprojekt in Tübingen gewidmet ist – und führt dazu unter vielem anderen aus: „… Entsprechend horchte u.a. die Friedensbewegung in Tübingen auf, nachdem bekannt wurde, dass mit dem Cyber Valley zwi-schen Stuttgart und Tübingen ein neues, europaweit führendes und weltweit sichtbares Zentrum für die Entwicklung Künstli-cher Intelligenz entstehen soll. Die Informationsstelle Militari-sierung etwa vertrat folgende These: „Sollte das Cyber Valley – mit dem ja nicht nur die Obere Viehweide (auf einem Berg) in Tübingen, sondern das gesamte Neckartal zwischen Tübingen und Stuttgart gemeint ist – sich entsprechend den gegenwärtig noch etwas großspurig wirkenden Ziele entwickeln, ist absehbar, dass sich die Region zu einem neuen Rüstungsstandort entwik-keln wird – ganz unabhängig von den Intentionen der Beteilig-ten“.4 Anhaltspunkte für diese These war u.a. die Beteiligung des Rüstungsunternehmens ZF Friedrichshafen und der Konzerne Daimler und Amazon als „Kernpartner“ des Cyber Valleys, die ebenfalls als Zulieferer und Dienstleister des Militärs tätig sind.Der Redaktionsleiter des Schwäbischen Tagblattes reagierte damals geradezu ausfallend mit seiner mittlerweile im lokalen Kontext berühmt gewordenen Brotmesser-Analogie: „Stim-mungsmache statt Fakten. Der Text klingt sachlich, vermischt aber alles Mögliche, das rein gar nichts miteinander zu tun hat, zu einer Suppe, die dann giftig ist […]. Grundlagenforschung ist Grundlagenforschung, ein Brotmesser bleibt ein Brotmesser, auch wenn jemand mal damit jemanden verletzt oder umbringt. […] Will die Linke künftig alle Brotmesser verbieten? Das ist die ‚Logik‘ hinter derBöse-Böse-Panikmache“.5 Auf eine erste Kundgebung gegen das Cyber Valley reagierte er mit einem Beitrag, in dem v.a. die Pressesprecher*innen des Forschungsprojektes zu Wort kamen. (…) Nun wurde bekannt, dass eine der Cyber-Valley-Forschungs-gruppen das IARPA-Programm MICrONs als Finanzierungsquelle angibt. Bei der IARPA handelt es sich um die gemeinsame Forschungsagentur der 16 US-Geheimdienste, der sog. ‚Intelligence Community‘. Sie wurde 2006 auf der Grundlage des „Büros für disruptive Innovationen“ der National Security Agency (NSA) nach dem Vorbild der DARPA – der Forschungsagentur des Pentagons – aufgebaut. Auf ihrer Homepage beschreibt sie ihre Aufgabe damit, „die langfristigen Bedürfnisse der Intelligence Community zu antizipieren und dieser Forschung und technische Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen“. Im Gegen-satz zur DARPA, die in der Breite und Fläche eine schier unüberschaubare Zahl von Programmen und Projekten fördert und aus der US-Forschungslandschaft kaum wegzudenken ist (und sie damit auch wesentlich strukturiert), verfolgt die IARPA im aktuellen Förderzyklus „nur“ 31 Programme, von denen eines MICrONs ist, mit dem das Cyber Valley und Amazon auf verschiedene Arten verbunden sind…“
    • „Das Tübinger Cyber Valley und das „Prinzip Amazon““ am 19. Oktober 2018 bei der IL Tübingen externer Link erinnert an die in jener Zeit (bis heute) aktuellen Kritiken und Aktionen gegen Amazon quer über den Globus und auch in der BRD und fragt dann: „… Und in Tübingen? Hier herrscht Gründerstimmung bei Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Das „Cyber Valley“ gilt zuallererst als „Leuchtturm“ der Forschung und Amazon als dessen „Magnet“. Sogar einzelne Künstler*innen stimmten kürzlich bei einer öffentlichen Diskussion in diesen Chor ein. Für welche Zwecke, mit welchen Zielen und zu wessen Nutzen geforscht werden soll, scheint für sie alle keine Rolle zu spielen. Wohlgemerkt: Das Cyber Valley forscht an Künstlicher Intelligenz und damit in einem Bereich, der auch von seinen aufgeklärten Befürworter*innen als das aktuell riskanteste und absehbar eine Vielzahl ethischer Probleme produzierende Forschungsfeld eingeordnet wird. Hier entstehende Technologien können gleichzeitig ungeahnte Macht und Manipulationsmöglichkeiten verschaffen. Und „Forschungspartner“ sind weltweit operierende Konzerne wie Amazon oder die deutschen Automobilbauer und mit ZF Friedrichshafen zumindest auch ein im Rüstungssektor aktiver deutscher Großbetrieb. Trotzdem oder gerade deshalb frohlocken die Einen über „hochattraktive“ Arbeitsplätze und weltweites Ansehen, der „grüne“ OB sieht ein dringend benötigtes neues Geschäftsmodell für Baden-Württemberg. Andere wollen mit dem Fortschritt sein und freuen sich auf das angelockte, angeblich spannende und bunte Forscher- und Firmengründervölkchen. Natürlich wehrt der Amazon-Direktor für Maschinelles Lernen im Tagblatt-Interview jegliche Kritik an seinem Unternehmen pauschal ab. Von der Lokalpolitik wird Amazon zwar als nicht unproblematisch angesehen (was im Übrigen kaum anders auch für die beteiligten deutschen Konzerne gelten müsste), aber laut OB Palmer überwiege für Tübingen der Nutzen und „der Firma die Tür vor der Nase zuzuschlagen, würde Tübingen enormen Schaden zufügen“. Welche ernst zu nehmende Prüfung er da vorgenommen hat, bleibt sein Geheimnis. Im Frühjahr 2018 stimmte die Mehrheit des Gemeinderats der Vergabe öffentlicher Flächen grundsätzlich zu und gab grünes Licht für weitere Verhandlungen mit Amazon und den genannten anderen Unternehmen…“
    • „Die „wehrhafte Demokratie“ (Palmer) entscheidet für Amazon – und leitet Verfahren gegen die Kritiker*innen ein“ von Max-Punk-Institut am 18. November 2019 bei de.indymedia externer Link (worauf wir bereits in dem Beitrag „„Recht auf Stadt“? Kann man kaufen. Etwa, wenn man Amazon heißt“ am 20. November 2019 verlinkt hatten, bei dem es um Amazon in mehreren bundesdeutschen Städten ging) zu den Repressionsmaßnahmen eines Olivgrünen Bürgermeisters unter anderem: „… Boris Palmer (Oberbürgermeister von Tübingen) besinnt sich auf die „wehrhafte Demokratie“ und lässt Verfahren einleiten gegen Menschen, die „Gemeinderäte unter Druck … setzen. Der Staat darf sich hier nicht schwach oder unentschieden zeigen. Das muss Konsequenzen haben.“ Da dürften doch einige Leute kurz mal erschrocken sein, als sie das lasen. Rechtsradikale, die Morddrohungen gegen Lokalpolitiker aussendeten etwa oder rechtsextreme Netzwerke in Polizei, Geheimdiensten und Militär. Doch sie waren mit der Vokabel der „wehrhaften Demokratie“ – wie immer – nicht gemeint. Auch im Rektorat der Universität mögen einige kurz bleich geworden sein. Schließlich hatte man hier – zwei Tage vor der Gemeinderatsentscheidung – noch eine eilige Pressemitteilung herausgegeben, in der „die Universität an alle politisch Verantwortlichen in der Stadt Tübingen appelliert, sich für eine Stärkung des Forschungsstandortes zu entscheiden“, da „die Folgen einer ablehnenden Entscheidung gegenüber Amazon derzeit unübersehbar“ seien. Studierende antworteten darauf mit einer eigenen Pressemitteilung: „Das Rektorat spricht nicht für die Universität!“ Doch da hätten sich Palmer und Tagblatt-Leiter Stegert selbst als Ziel der „wehrhaften Demokratie“ sehen müssen, denn mit ihrer lokalpatriotisch-nationalistischen Argumentation hatten sie schon Monate zuvor den Gemeinderat bearbeitet und – mehr noch vielleicht als einzelne Protestierende während der Sitzung – unter Druck gesetzt. So schrieb Stegert in seiner „Berichterstattung“ über die Entscheidung des Gemeinderates zum Bosch-Forschungszentrum im Cyber Valley: „Denn KI-Forschung auf Weltniveau gehe in Deutschland nur in Tübingen, sagte Palmer. Insofern habe die Stadt eine bundesweite Verantwortung für zehntausende, ja hunderttausende Stellen. Klingt großspurig, stimmt aber.“ An vielen anderen Orten wurde die „Verantwortung“ für „Deutschland“ oder „Europa“ betont, die es notwendig mache, Amazon und das ganze Cyber Valley hier in Tübingen anzusiedeln und dafür eben lokale Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, den Verkehr, die Stadt und die Universität im Sinne der „Zukunftsfähigeit“ und des nationalen bzw. europäischen Interesses hintenanzustellen. Wie hieß es so schön in der Pressemitteilung der Uni-Leitung: „sachfremde Erwägungen“ wie die „Arbeitsbedingungen und die Entlohnung in Amazon-Logistikzentren“ oder die „Besteuerung von multinationalen Internetkonzernen“ werden „nicht in Tübingen entschieden“ – dafür aber die Zukunft Deutschlands und die Rolle Europas in der Welt. Irre, aber die Feind*innen der Demokratie werden konsequent nicht in jenen Akteuren gesehen, die mit nationalistisch-patriotischen Scheinargumenten – basierend auf den Prognosen von Venture-Kapital – den Gemeinderat unter Druck setzen, der irrsinnigen Ansiedlung von Amazon und dem Verkauf städtischer Flächen für 0.5 Mio Euro zuzustimmen. Die Feind*innen der Demokratie werden nicht in denen gesehen, die sich unter dem Druck (oder der Entlastung) dieser Argumente gegen das klare Votum (1:4) des Ortsbeirates Nord richten, der Bautätigkeiten, Verkehrsaufkommen und allgemein die infrastrukturelle Überlastung bereits jetzt bemerkt – und dem klarer ist, dass das nur der Anfang des Cyber Valley ist…“
    • „Wie viel Zukunft will Deutschland? „ von Susanne Preuß am 21. Dezember 2019 im Faz.net externer Link (abopflichtig, aber ausreichend) steht hier einerseits als ein Beispiel der umfassenden Propaganda für dieses Militärprojekt mit dem Mittel der Fortschrittspredigt – räumt aber, wie bewusst auch immer, immerhin ein, dass der Widerstand dagegen „aus der Bevölkerung“ komme: „… Wir können es uns jetzt schon nicht mehr leisten, hier zu leben. Diesen Satz schreit eine Demonstrantin den Tübinger Gemeinderäten entgegen. „Das soll keine Stadt werden für eine Elite, sondern eine Stadt für alle.“ Die Demonstrantin ist nicht allein. Die Stadtverwaltung hatte in Erwartung solcher Proteste Polizeischutz für die Sitzung der Kommunalpolitiker angefordert; acht Beamte waren vor Ort, fünf Personen wurden des Saales verwiesen. Es geht um die Grundstücksvergabe für das Amazon-Forschungszentrum. Genauer gesagt: ein Lablet. Wissen Sie, was ein Lablet ist? Google anscheinend auch nicht. Die Suchmaschine reagiert wie auf einen Schreibfehler und bietet Ergebnisse zu Tablet an. Doch der Begriff wird Schule machen, weil Amazon ihn in die Welt setzt. Ein Begriff, der ein Verkleinerungsform von Labor sein soll...“
  • Amazons Rolle in der Militärtechnik und dem Cyber Valley
    Der US-Konzern Amazon hat sich in kürzester Zeit zu einem der reichsten Unternehmen der Welt entwickelt. Im derzeit in Baden-Württemberg entstehenden „Cyber Valley“ will das Unternehmen in Tübingen zu Künstlicher Intelligenz forschen. Eine Analyse der aktuellen Firmenpolitik zeigt, dass der Konzern damit auch Überwachung und Kriegstechnik vorantreiben kann. (…) In Tübingen soll neben Aachen, Berlin und Dresden Amazons viertes Forschungszentrum in Deutschland entstehen. Dazu steuert das Unternehmen 1,25 Millionen Euro bei und fördert das Max-Planck-Institut im Rahmen des Amazon Research Awards mit 420.000 € jährlich. Der Konzern will laut eigenen Angaben in Tübingen verstärkt daran forschen, dass künstliche Intelligenz visuelle Daten verarbeiten kann, um z.B. Amazon Web Services, Alexa und das Online-Shopping zu verbessern. Dazu hat sich Amazon zum Ziel gesetzt, auf dem Campus innerhalb der nächsten 5 Jahre ein eigenes Forschungsteam aus 100 Wissenschaftler*innen zusammenzustellen. (…) Die Militärzusammenarbeit wächst. Wikileaks hat veröffentlicht, dass Amazon seit 2013 über den Planeten verteilt – aber auch in Deutschland – Server und Clouddienste für die CIA bereitstellt. Dafür bekam Amazon von der US-Regierung 600 Millionen US-Dollar, damit Geheimdienste sicher Informationen austauschen können. Derzeit ist Amazon der führende Bewerber um den Vertrag zur Umsetzung des JEDI-Programms  des US-Verteidigungsministeriums, der auf 10 Mrd. US-Dollar geschätzt wird. Die Joint Enterprise Defense Infrastructure soll die Sicherheit und Datenzugänge des Militärs verbessern und es Geheimdiensten vereinfachen, Cloud Dienste anzupassen, zu benutzen und Bodentruppen diese Informationen bereitzustellen. Wer die Gewinnerin des 10-jährigen Vertrages sein wird, wird im April verkündet. Aufgrund der bestehenden Zusammenarbeit ist es sehr wahrscheinlich, dass Bezos‘ Firma den Zuschlag bekommt. Die Unternehmen Oracle und IBM hatten sogar protestiert, dass Amazon in der Bewerbung um den Vertrag unfair bevorzugt wird…“ Artikel von Dominik Nicolaj Wetzel vom 23.11.2018 bei der Informationsstelle Militarisierung e.V.  externer Link

Infos zum Buch:

  • Der Papyrossa-Verlag hat neben Infos zum Buch (und Bestellung) externer Link das Inhaltsverzeichnis externer Link und die Einleitung externer Link als Leseprobe veröffentlicht.
  • Auf dem Blog zum Buch externer Link werden begleitend die Online-Quellen zum Buch externer Link dokumentiert, aber auch Lesungen / Vorträge des Autors
  • Christoph Marischka hat Politik, Volkswirtschaftslehre und Psychologie in Tübingen studiert und ist dort bis heute in der Informationsstelle Militarisierung aktiv, wo er sich u.a. mit Militärforschung an deutschen Hochschulen beschäftigt.
  • „Überwachungs- oder Plattformkapitalismus?“
    Setzen wir dem Überwachungskapitalismus nach Zuboff das gegenüber, was Nick Srnicek als Plattformkapitalismus bezeichnet. Demnach sollten auch »Tech-Unternehmen … als wirtschaftliche Akteure innerhalb einer kapitalistischen Sphäre der Produktion betrachtet werden.« Dies bedeute, von ihrer Rolle als »kulturelle Akteure, definiert durch die Kalifornische Ideologie, oder politische Akteure, die nach Macht streben«, zu abstrahieren und stattdessen im Kern anzuerkennen, dass sie »dazu gezwungen sind, Profite zu machen, um Wettbewerber auszustechen«. Anders als Zuboff betont Srnicek nicht nur die vielen Formen, mit denen Menschen und soziale Beziehungen erfasst werden, sondern auch die Funktion, die Big Data im Produktionsprozess selbst einnimmt einnimmt: »Auf der grundlegendsten Ebene beinhaltet das industrielle Internet die Integration von Sensoren und Computerchips in den Produktionsprozess und von Trackern (z. B. RFID) in die Logistik. In Deutschland wurde diese Entwicklung ›Industrie 4.0‹ getauft. Die Idee besteht darin, dass jede Komponente im Produktionsprozess in die Lage versetzt wird, mit Maschinen und anderen Komponenten ohne die Führung durch Arbeiter*innen oder Manager*innen zu kommunizieren. Daten über die Position und den Zustand dieser Komponenten werden ständig mit anderen Elementen des Produktionsprozesses ausgetauscht.« Das zugrunde liegende Ziel sei keineswegs neu und bestehe in einer Steigerung der Effizienz, der Reduktion von Kosten und Standzeiten. Auch dass sich der Kapitalismus immer neue Wege suche und suchen müsse, um Profit zu erzielen, sei keine Neuigkeit. Dies habe schon in der Vergangenheit den Drang nach kontinuierlichen technologischen Innovationen hervorgebracht, die gebraucht wurden, um Kosten zu reduzieren und Marktanteile zu gewinnen, aber auch, um  Arbeiter*innen zu kontrollieren, zu dequalifizieren und die Macht qualifizierter Arbeiter*innen zu unterlaufen. Die heutige Prominenz von Plattform-Industrien erklärt er nicht primär über die Existenz neuer technischer Möglichkeiten, sondern kurz gesagt daraus, dass sich das Kapital wegen einer strukturellen Krise der produzierenden Industrie zunehmend in die Hightech-Branchen verlagert hätte. (…) Der Plattformkapitalismus ist einerseits davon geprägt, dass die digitale Wirtschaft als hegemoniales Modell erscheint: »Städte müssen smart werden, die Wirtschaft disruptiv, Arbeiter*innen müssen flexibler werden und Regierungen fügsam und intelligent.« Eine zentrale Rolle spielen hierbei Plattform-Unternehmen. (…)  Marxistisch inspirierte Literatur nähert sich entsprechend dem Thema der Digitalisierung oft an, ohne gleich eine neue Stufe oder Form des Kapitalismus auszurufen und analysiert stattdessen deren Wirkung auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitsverhältnisse. Untersuchungen aus nahezu allen Branchen – von der Pflege über die Bildung bis in die Produktion – zeigen, wie die Digitalisierung die Prekarisierung, Überwachung und den Arbeitsdruck erhöht und die Organisierung und Autonomie der Angestellten tendenziell einschränkt…“ Unterkapitel III.5: 2. Teil (Seiten 120-131) aus dem Buch Cyber Valley – Unfall des Wissens
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162844
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