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Wie weiter im Kampf gegen die Rentenangriffe der französischen Regierung?

Auf der Pariser Demo gegen die Renten"reform" am 24. Januar 2020„… Ja, es ist so, dass Streiks suspendiert wurden. Diese dauern ja auch seit dem 5. Dezember 2019 an. Dies ist der längste Streik seit 1968. Sie sind aber gerade am Freitag, den 24.01.2020 anlässlich der Verabschiedung der Rentenpläne durch das französische Kabinett wieder aufgeflammt und die Streiks z.B. bei der französischen Bahn SNCF und dem Pariser Nahverkehrsunternehmen RATP sind wiederaufgenommen worden. Neu ist, dass die acht größten Seehäfen von der CGT – sie stellt dort praktisch alle Mitglieder – für mehrere Tage blockiert werden. Weiterhin im Streik sind z.B. Erziehungs- und Postbeschäftigte. Weiterhin ist aber auch die Beteiligung aus der Privatwirtschaft an den Streiks relativ gering. Dort kommt es zumeist nicht zu sich verlängernden Streiks (»grève reconductible«), sondern nur zu kurzfristigen, z.T. nur stundenweisen Aktionen (wie z.B. in der Metallindustrie). Damit wird das seit vielen Jahren vorherrschende Streikmodell fortgeführt, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst die Hauptlast des Streiks tragen – dies jedoch mit Unterstützung der Bevölkerung. Man spricht auch vom Stellvertreterstreik (»grève de procuration«). Auch sind es die gleichen Gewerkschaften wie zuvor, die zum Protest und Streik aufrufen – die CGT, FO, FSU, Solidaires und die Gewerkschaft der Führungskräfte CFE-CGC. Nicht beteiligt sind weiterhin die CFDT, UNSA und CFTC, wobei die UNSA-Beschäftigten bei der RATP wieder in den Streik getreten sind. Was die Streikbewegung hemmt, ist, dass den Streikenden schlicht das Geld ausgeht, da es kein Streikgeld gibt. Hier springen nun verstärkt von den Gewerkschaften oder von unabhängiger Seite organisierte Streikkassen ein. Aber auch Bürger*innen engagieren sich und führen Spendenaktionen wie z.B. Spendenpartys durch. Trotz der Schwierigkeiten, den Protest aufrecht zu erhalten, kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass die Französ*innen nicht weiterhin die geplante Reform kritisieren. 61 Prozent fordern, dass die Regierung die Pläne zurücknehmen soll…“ – aus der Zwischenbilanz „Bericht zum Stand der Auseinandersetzung über die Rentenreform in Frankreich“ von Armin Duttine am 27. Januar 2020 bei Blickpunkt Wiso externer Link, die versucht, den aktuellen Stand der Dinge zusammen zu fassen. Zur wachsenden Debatte um die weiteren Perspektiven des Kampfes gegen die Rentenreform fünf weitere Beiträge aus unterschiedlichen Denk-Zusammenhängen und der Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zur Streikbewegung sowie auf die Streikkonten in Frankreich:

„Stand des Kampfes der Gewerkschaften gegen Macron’s Reformpläne nach dem 24. Januar 2020“ am 27. Januar 2020 bei freie-radios.net externer Link ist ein Interview von Radio Corax Halle mit Bernard Schmid, in dessen Einleitungstext es unter anderem heißt: „… Frankreich ist für die östlichen Bundesländer weit weg, eine Rentenreformdiskussion gibt es auch in Deutschland. Sie wird hier aber von den herrschenden Demagogen besetzt. Der Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen und auch der scheinbare Widerstand des DGB’s von 2007 gegen die Rentenreform sind eigentlich ein Tabuthemen. (…) Die Anhebung des Rentenalters durch die willkürliche Festlegung eines Scharnieralters, die geplante Anhebung des Renteneinstiegsalters und das Punktesystem haben schon gewisse Ähnlichkeiten zu dem, was in Deutschland dank Rot-Grün und die nachfolgenden Koalitionen geschaffen wurde. Während in Deutschland nur 11 % des BIP für die staatlichen Renten zur Verfügung stehen, sind es in Frankreich derzeit noch 14 %. Neben den aktuellen Veröffentlichungen bei Labournet ist gerade ein Artikel vom 1.1.2020 bei www.sozonline.de/2020/01/frankreich sehr aufschlussreich, was den geplanten Rentenmarkt der Versicherer betrifft, welche in den Startlöchern sitzen um mit den Rentenansprüchen Gewinne zu machen…“

„Für eine „Giletsjaunisierung“ der derzeitigen sozialen Bewegung in Frankreich“ am 30. Januar 2020 bei non.copyriot externer Link ist die deutsche Übersetzung (von Sebastian Lotzer) eines Beitrags aus acta zone, in der unter anderem hervor gehoben wird: „… Die Hypothese eines Generalstreiks, der in der Lage wäre, die Verluste der Kapitalisten in die Höhe zu treiben und den Block an der Macht in wirkliche Schwierigkeiten zu bringen, verschwindet am Horizont, während unterdessen der seit anderthalb Monaten andauernde Streik bei der SNCF und der RATP deutlich an Unterstützung verliert. Die Streikenden stellen mit Bitterkeit fest, und wir mit ihnen, dass die Mehrheit der Berufsgruppen sich ihnen nicht angeschlossen hat. Es ist jedoch notwendig, die Situation pragmatisch zu analysieren und eine erste Einschätzung der Situation zu erstellen, um die positiven Entwicklungen hervorzuheben. Innerhalb der kämpfenden Sektoren wurden zahlreiche Verbindungen zwischen verschiedenen Sektoren sowie mit den Gelben Westen geknüpft, insbesondere während der Blockaden von Busbahnhöfen und durch den gemeinsamen Widerstand gegen Übergriffe und Polizeiangriffe gegen den cortège de tête. Sie sind vermutlich noch nicht ausreichend. Eine Gruppe von gelben Westen war tatsächlich an der Spitze der Dienstags und Donnerstags stattfindenden gewerkschaftsübergreifenden Demonstrationen anwesend, aber wir konnten nur ein paar Hundert zählen, während es während der zahlreichen Aktionen, die das Land im vergangenen Jahr erschütterten, Zehntausende waren. Umgekehrt beobachteten wir während der Mobilisierung der gelben Westen an den Samstagen, dass die Intersyndicale dreimal zur Teilnahme aufrief und auch wenn das dann immer wieder zum Schauplatz eines erneuten politischen Konflikts wurde und mit Erwartungen überfrachtet war, erlebten wir doch auch eine zaghafte Verbindung mit den Gewerkschaften. Obwohl diese Verbindungen zu begrüßen sind, ist es dennoch notwendig, taktische Vorschläge für ihre Zukunft zu formulieren…“

„Frankreich: Kampf gegen die Rentengegenreform: Wo stehen wir?“ von Juan Chingo am 28. Januar 2020 bei den Maulwürfen externer Link ist eine Übersetzung eines Beitrags aus Révolution Permanente, in der es unter anderem heißt: „… Wie wir in anderen Artikeln geschrieben haben, liegt die Verantwortung für diese Situation nicht in der mangelnden Kampflust der Lohnabhängigen, sondern vor allem in der Strategie und dem Programm der Intersyndicale und vor allem in der Strategie der Organisation, die dort das Tempo vorgibt, nämlich der CGT-Führung. Wenn sich die FSU von Anfang an geweigert hat, einen wirklichen Kampf für die Ausweitung des Streiks auf das gesamte Bildungswesen zu führen, so hat sich die CGT-Führung zu keinem Zeitpunkt entschlossen, die Führung in einer totalen Konfrontation mit Macron und seinen neoliberalen Gegenreformen zu übernehmen. Dem Beispiel der anderen an der Intersyndicale beteiligten Gewerkschaftsführungen folgend, betrachtet das Kraftwerk Montreuil die Regierung weiterhin als potenzielle Gesprächspartnerin, den man überzeugen könnte, wobei man sogar so weit geht, zu behaupten, keine Verhandlungstreffen mit der Regierung verpasst zu haben (wobei diese Logik durch das «Bedauern» des Abgangs von Jean-Paul Delevoye ad absurdum geführt wird). Angesichts dieser Strategie der «Druckstreiks», um mit der Regierung zu verhandeln, ist es logisch, dass die CGT kein umfassendes Programm vorgelegt hat, das darauf abzielt, die Arbeiter im Kampf zu vereinen, um das «Alle gemeinsam!» zu verwirklichen. Ein solches Programm hätte nicht nur den schädlichen Charakter der Renten-Gegenreform aufzeigen, sondern auch die Unsicherheit, den Wucher und das Leiden am Arbeitsplatz der am meisten ausgebeuteten Sektoren der Arbeiterklasse anprangern können. Da die Intersyndicale bestenfalls abstrakte Aufrufe zur Verallgemeinerung des Streiks lanciert hat, ist es ihr nie gelungen, über den öffentlichen Sektor und die Beschäftigten mit Festanstellung hinaus auch einige sehr spezielle private Sektoren wie die Beschäftigten in der Petrochemie und in den Häfen und Docks einzubeziehen. Über ihre Erklärungen hinaus ist es ihr nicht gelungen, die Lohnabhängigen in großen Unternehmen zu erreichen, die sich 2016 gegen das Arbeitsgesetz mobilisiert hatten, im Gegensatz zur Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Sektor damals. Sie konnte auch nicht die prekären Arbeiter und die Beschäftigten in den Kleinbetrieben ansprechen, die den Großteil der Bataillone der Gelbwesten-Bewegung stellen. In diesem letzten Punkt wiegt der Verrat vom Dezember 2018 noch schwer, als die Führung der CGT Hand in Hand mit der Führung der CFDT zu diesem Anlass den Aufstand der Gelbwesten offen verurteilt und sich davon distanziert hatte. Trotz der Rekordlänge des Streiks beschlossen die Beschäftigten des Verkehrssektors, einschließlich der Beschäftigten der RATP, der unangefochtenen Vorhut des Streiks, vor diesem Hintergrund der fehlenden Ausweitung, der fehlenden ernsthaften Aussichten, Macron in die Knie zu zwingen, und des finanziellen Drucks, ab Montag, dem 20. Januar, wieder an die Arbeit zu gehen. Eine bitter enttäuschte Wiederaufnahme der Arbeit, wobei eine Minderheit, wenn auch eine erhebliche, beschlossen hat, bis zum 24. September zu streiken...“

„Texte de réflexion de grévistes caennais“ am 29. Januar 2020 bei La Bogue externer Link ist eijn gemeinsamer Text einiger Streikender aus Caen, die ruhig und solidarisch Bilanz ziehen, vor allem auch sie in Bezug auf die Erfahrung der Gelbwesten, deren Stärke darin bestehe, Vertretungen zu Verweigern und selbst die Handlungen zu entscheiden…

„Raconte ta grève! Témoignages croisés après 6 semaines de mobilisation“ am 22. Januar 2020 bei Paris-Luttes.info externer Link ist kein Bilanzartikel, sondern die Dokumentation von Gesprächsauszügen mit verschiedenen Streikenden über ihre Erfahrungen und ihre Meinung zu den bis dahin sechs Wochen Streik – und insofern eben durchaus auch eine Bilanz, zu mindestens eine Grundlage für weitere Überlegungen…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162109
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