Streitgespräch zum Grundeinkommen: „Es kann eben nicht jeder machen, wozu er Lust hat“ (Ralf Krämer, ver.di)

Grafik zur Debatte um Arbeit 4.0. - fuer das LabourNet Germany erstellt durch T.S.Ein Grundeinkommen von 1500 Euro pro Monat könnte die Gesellschaft retten, sagt Wirtschaftsprüfer Brüne Schloen. Gewerkschafter Ralf Krämer hält das für eine ungerechte wie illusorische Idee. (…) SPIEGEL: Herr Schloen, Sie fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1500 Euro pro Monat für jeden erwachsenen deutschen Staatsbürger. Warum soll der Staat ohne Gegenleistung so viel Geld verschenken? Brüne Schloen: Die Digitalisierung der Arbeit wird zu sozialer Erosion führen. Schon jetzt haben immer mehr Menschen zu Recht Abstiegsängste. Das bedingungslose Grundeinkommen setzt einen positiven Impuls gegen diese Ängste und ist zudem das einzige Mittel gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Mir geht es um soziale Gerechtigkeit. (…) das bedingungslose Grundeinkommen wird auch aus einer endlich ernst zu nehmenden Erbschaftsteuer finanziert. Ich habe als Steuerberater jahrelang Erben dabei beraten, ihre sehr großen Vermögen dem Zugriff des Fiskus zu entziehen. Das ist in Deutschland sehr einfach: Die Steuer ist ohnehin zu niedrig und überdies fast mühelos zu umgehen. Dabei sind es nicht die Einkommen, sondern die Erbschaften, die unser Land Jahr für Jahr tiefer spalten – in wenige Menschen, die reicher und reicher werden, und viele, die kaum Geld zur Verfügung haben. (…) Ralf Krämer: (…) Dennoch ist es eine Illusion, dieses gesellschaftspolitische Problem ließe sich durch ein bedingungsloses Grundeinkommen beseitigen. Und eine noch größere Illusion ist es, es könne Menschen die Angst vor Arbeitslosigkeit nehmen. (…) Mit dem Job verliert man mehr als nur das Einkommen. Arbeit hat zentrale Bedeutung für so viele Lebensbereiche: Integration in die Gesellschaft, sozialer Status, Anerkennung, Lebensrhythmus, Sinnstiftung, die eigene Identität. Das alles kann ein Grundeinkommen nicht ersetzen…“ Streitgespräch, moderiert von Florian Diekmann und Marianne Wellershoff am 26.12.2019 beim Spiegel online externer Link – siehe dazu weitere Zitate zum gewerkschaftlichen Menschen- und Arbeitsbild:

  • „… Schloen: Wir müssen vom Ethos der Erwerbsarbeit wegkommen. Sie können durch die Digitalisierung den Menschen sowieso keine Vollbeschäftigung mehr garantieren – also weder das Einkommen, noch den Status, noch die soziale Integration. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen nicht in ein Loch fallen, wenn sie ihren Job verlieren. (…)
    Krämer: Natürlich würden 1500 Euro im Monat einen höheren Grad an Freiheit geben. Das könnten wir aber nur finanzieren, wenn davon in sehr begrenztem Umfang Gebrauch gemacht wird. Sie tun so, als könne sich jeder aussuchen, ob und welche Arbeit er ausübt, wenn wir nur endlich das Grundeinkommen einführten. Das würde in der Realität eben nicht funktionieren.
    Schloen: Mich wundert, wie ausgerechnet Sie als Gewerkschafter argumentieren. Sie loben die Vollbeschäftigung, dabei haben wir die doch nur durch einen riesigen Niedriglohnsektor, der Millionen von Erwerbstätigen zu Aufstockern und damit abhängig von einer zusätzlichen Unterstützung durch den Staat macht. Dieses System krankt – aber Sie finden das alles wunderbar. (…)
    Krämer: Es kann eben nicht jeder machen, wozu er oder sie Lust hat. Eine Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Kranke und Alte gepflegt werden – und zwar nicht nur, wenn gerade genug Leute Lust darauf haben. Und wenn Sie in die Kneipe gehen und ein Schnitzel und ein Bier bestellen, dann wird Ihnen das nicht gebraten und gezapft, weil der Wirt nichts Schöneres zu tun wüsste. Sondern weil Sie dafür bezahlen. Wenn Sie diesen Koordinationsmechanismus aushebeln, dann können Sie sich mit Ihrem Grundeinkommen die Wand tapezieren. Die Vorstellung eines bedingungslosen Grundeinkommens beruht also in Wirklichkeit darauf, dass die kapitalistische Wirtschaft im Wesentlichen weiterläuft wie bisher auch. (…) Ihre Alternative lautet aber, gar nicht zu arbeiten. Das ist für die Betroffenen furchtbar, und es würde gesamtwirtschaftlich nicht funktionieren. Die Alternative zu unzumutbarer Arbeit muss doch eine zumutbare Arbeit sein. Wirklich helfen würde es den Leuten, wenn sie aus mehreren guten Jobangeboten auswählen können. Wir müssen also die Arbeitslosigkeit noch weiter senken und Vollbeschäftigung mit möglichst guter Arbeit für alle erreichen. (…)
    Schloen: Es geht mir um eine umfassende Gesundung des Staats und der Gesellschaft, nicht um Einzelmaßnahmen. Wenn man ausschließlich das Grundeinkommen einführen möchte, wird man scheitern. Wenn man ausschließlich die Steuern für Spitzenverdiener und Erben erhöhen will, wird man scheitern – diese Erfahrung haben die Grünen gemacht. Wenn man ausschließlich das Klima retten will, wird man ebenfalls scheitern. Unser Land benötigt dringend ein ganzheitliches Konzept. Und das könnten Sie – ich meine die Gewerkschaften – unterstützen, zumal Ihre Mitglieder profitieren würden. Ich befürchte, Sie tun es deshalb nicht, weil Sie Angst um Ihre Macht haben.
    Krämer: Diese Angst habe ich sicher nicht. Aber warum sollten wir für eine Fantasie kämpfen, die vollkommen unrealistisch ist und nur vom Wesentlichen ablenkt?...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=159980
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