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Berlin-Freund Modi macht ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz: Hindu-Fundamentalisten gegen die Indische Republik – und, wie immer, in freundschaftlicher Zusammenarbeit

„… Das Gesetz mit dem Namen „Citizenship Amendment Bill“ (CAB), das im Osten Indiens bereits tödliche Gewalt ausgelöst hat, regelt die Einbürgerung von Migranten, die aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch stammen. Wer Hindu ist, Sikh, Buddhist, Parsi, Jain oder Christ, bekommt die Chance auf Einbürgerung nach einer Frist von fünf Jahren. Nur Muslime sind ausgenommen. Dass ein solches Gesetzeswerk im Jahr des 150. Geburtstages von Mahatma Gandhi beschlossen wird, dem großen Versöhner zwischen Hindus und Muslimen, deutet auf größere Umwälzungen hin. Die Frage der indischen Identität wird neu verhandelt. Buchautor und Kommentator Nilanjan Mukhopadhyay sieht schwerwiegende Folgen: „Die indische Staatsbürgerschaft wird nun mit Religion verbunden, so wie in Pakistan. Das ist sehr bedauerlich.“ Das Lager von Premier Narendra Modi sieht das Gesetz allerdings als Akt des Minderheitenschutzes. Indien soll nach dieser Lesart zum sicheren Hafen für verfolgte religiöse Minderheiten aus der muslimisch dominierten Nachbarschaft werden. Die Debatte ist von der Geschichte des Subkontinents geprägt, die Zeit der blutigen Teilung, als die britische Kolonialmacht abzog...“ – aus dem Artikel „Abkehr von Gandhi“ von Arne Perras am 13. Dezember 2019 in der SZ online externer Link, der die wesentlichen Grundlagen des neuen Gesetzes skizziert – und auch ansatzweise den Bruch mit der republikanischen indischen Geschichte. Siehe in der Materialsammlung zum neuen Gesetz vier aktuelle Beiträge – sowohl über die unterschiedlichen Quellen dieses aktuellen Widerstands, als auch zum verfassungsfeindlichen Charakter des neuen Gesetzes – und drei  Beiträge zur Zusammenarbeit der BRD mit dem Safran-Faschismus, sowie den Hinweis auf unseren letzten Beitrag zu dieser Kooperation:

„Indien und die Angst vor einem Hindu-Staat“ von Agnes Tandler am 16. Dezember 2019 bei der FR online externer Link zum verfassungsfeindlichen Charakter des fundamentalistischen Gesetzes und den verschiedenen faschistoiden Schritten dieser Regierung: „… Indiens hindunationalistische Regierung begründete die Reform damit, dass so Menschen vor religiöser Verfolgung geschützt würden. Das Gesetz ist jedoch in Indien und im Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Die indische Journalistin Barka Dutt merkte in der Zeitung „Hindustan Times“ trocken an, dass „wir nun alle unsere indische Herkunft beweisen müssen“. Die Reform nutze den Deckmantel scheinbarer Großzügigkeit, um Indien von einem säkularen Staat in eine Nation zu verwandeln, in der es eine Hierarchie von Religionen gebe, so Dutt. „Indiens Seele ist verwundet“, schrieb der Parlamentarier und frühere Finanzminister Palaniappan Chidambaram in der Zeitung „Indian Express“. Die Reform sende eine klare Botschaft aus, wonach indische Muslime keine gleichwertigen Bürger Indiens seien. Und in einem offenen Brief verurteilten mehr als 700 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter Anwälte, Professoren und Schauspieler, das Gesetz: „Es ist das erste Mal, dass es einen gesetzlichen Versuch gibt, nicht nur Menschen bestimmter Glaubensrichtungen zu privilegieren, sondern gleichzeitig auch eine andere, muslimische Religion, mit einem zweitklassigen Status abzuwerten.“ In den USA forderte die Regierungskommission für religiöse Freiheit, Indiens Innenminister Amit Shah mit einem Einreiseverbot für die USA zu belegen. Der 55-Jährige gilt als Architekt der Gesetzesreform. Bewohner der Bundesstaaten Assam, Tripura und West-Bengalen, die an Bangladesch grenzen, fürchten nun eine steigende Zahl von einwandernden Nicht-Muslimen aus Bangladesch. In Assam gibt es seit Jahrzehnten eine Protest-Bewegung gegen Migranten aus Bangladesch, die auf der Suche nach Arbeit illegal über die Grenze kommen. Dabei geht es nicht allein um Religion oder Arbeitsplätze. Die Unruhen im Nordosten sind ein Zeichen dafür, wie komplex Indien als Nation ist. In Assam mit mehr als 200 indigenen Gruppen sind ethnische Zugehörigkeit, Sprache und Kultur ein ebenso emotionales Thema wie Religion. Außenseiter sind hier nicht allein durch die jeweilige Glaubensrichtung definiert. Die meisten Inder sind Hindus, sie machen etwa 80 Prozent der Bevölkerung aus. Die zweitgrößte Religionsgruppe sind die Muslime mit etwa 200 Millionen Menschen. Sie stellen um die 14 Prozent der Bevölkerung. Unter der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei, die seit 2014 Indien regiert, hat sich das einst religiös tolerante Indien gewandelt. Im August hatte die Regierung unter Premierminister Narendra Modi die vollständige Integration des mehrheitlich muslimischen Kaschmirs in den indischen Staat beschlossen und den Sonderstatus der Himalaya-Region abgeschafft. Im Oktober veröffentlichte die Regierung ein neues Staatsbürgerregister für Assam und erklärte fast zwei Millionen Einwohner, die Mehrheit von ihnen Muslime, faktisch für staatenlos...“

„Dutzende Verletzte bei gewaltsamen Protesten in Delhi“ am 16. Dezember 2019 beim Deutschlandfunk externer Link meldet: „… Tausende nahmen an der Kundgebung in Neu Delhi teil. Die Polizei ging Medienberichten zufolge mit Tränengas und Schlagstöcken gegen sie vor. Zahlreiche Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Mehr als 50 Teilnehmer wurden festgenommen. Auch in der Region Assam wurde gegen das neue Gesetz protestiert. Bei den Protesten im Land kamen bereits mehrere Menschen ums Leben. Das Gesetz trat vergangene Woche in Kraft und erleichtert nicht-muslimischen Migranten wie Christen, Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jaina oder Parsen aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan die Einbürgerung.  Das UNO-Menschenrechtsbüro in Genf bezeichnet die Regelung als diskriminierend. Sie untergrabe das Versprechen zur Gleichheit vor dem Gesetz, zu dem sich Indien nicht zuletzt mit seiner eigenen Verfassung verpflichtet habe...“

„Islamfeindlich und rassistisch“ von Silva Lieberherr und Aditi Dixit am 17. Dezember 2019 in der jungen welt externer Link: „… Während viele die damit einhergehende Diskriminierung von muslimischen Migranten kritisieren, lehnen die Demonstranten im nordostindischen Bundesstaat Assam jegliche Einwanderung ab. Dort besteht seit dem 11. Dezember eine Ausgangssperre, Verkehr und Kommunikation sind stark eingeschränkt, und das Militär hat seine Präsenz erhöht. Bisher sind bei den Protesten sechs Menschen ums Leben gekommen, vier davon wurden von der Polizei erschossen. Außer in Assam ist der Widerstand gegen die Gesetzesänderung besonders groß im östlichen Bundesstaat Westbengalen, der Hauptstadt Neu-Delhi und in vielen Teilen Südindiens. Dort sehen viele in der Gesetzesänderung eine Verletzung der laizistischen Verfassung des Landes. Der Ministerpräsident des südindischen Bundesstaats Kerala, Pinarayi Vijayan von der Marxistischen Partei, betonte am Freitag gegenüber der Economic Times, dass »dieses Gesetz keinen Platz hat in Kerala und in diesem Staat nicht durchgesetzt wird«. Die in Kerala verankerte »Muslim-Liga«, eine Mitte-rechts-Partei, hat angekündigt, das neue Gesetz beim Obersten Gerichtshof anzufechten. In Neu-Delhi protestierten insbesondere Studierende und Lehrkräfte der angesehenen Jamia Millia Islamia Universität. Am Freitag griff die Polizei die Demonstranten mit Schlagstöcken und Tränengas an, am Sonntag stürmte sie die Universität und nahm 50 Personen fest. Indiens rechter Premier Narendra Modi äußerte, dass man die Protestierenden »an den Kleidern erkennen« könne. Das beweise, dass das neue Gesetz »1.000 Prozent richtig« sei. Damit deutete er an, dass nur muslimische Demonstranten gewalttätig seien, was die islamfeindliche Stimmung weiter anheizt…“

„Diskriminierung von MuslimInnen“ von Natalie Mayroth am 12. Dezember 2019 in der taz online externer Link ebenfalls zur Verfassungsfrage: „… „Die indische Verfassung ist tot!“, twitterte deshalb die Politikjournalistin Arfa Khanum, „Indien ist nun offiziell ein hinduistischer Staat.“ Mit dieser Kritik ist sie nicht allein. Auch Menschenrechtler sehen die Gefahr, dass Indien immer mehr zu einem religiösen Staat nach Vorbild Pakistans wird. Kritik kam neben Human Rights Watch auch von der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF). Die institutionalisierte Schikanierung von MuslimInnen hat unter Narendra Modis BJP-Regierung mit ihrem prohinduistischen Kurs zugenommen. Auf diese Weise will sie die Mehrheitsbevölkerung, die in Indien hinduistisch ist, zufriedenstellen. Allerdings ist Indien im Gegensatz zu seinen islamischen Nachbarn laut Grundgesetz ein säkulares Land. Das CAB spielt Hand in Hand mit einer anderen umstrittenen Regelung. So wurde in Assam im September durch die Einführung eines Bürgerregisters knapp 1,9 Millionen Menschen über Nacht die indische Staatsbürgerschaft entzogen. Unter denen, die nicht beweisen konnten, dass sie vor der Gründung des Nachbarstaats Bangladesch 1971 in Indien gelebt haben, waren sowohl MuslimInnen als auch Hindus. Das CAB sichert nun allein den Hindus die Staatsbürgerschaft und schützt sie vor einer Deportation...“

„Gemeinsame Gespräche zwischen deutscher und indischer Delegation zur Bekämpfung des „Terrorismus“ während der laufenden PLGA-Operationen“ am 14. Dezember 2019 bei Dem Volke dienen externer Link zur „normalen“ Kooperation unter anderem: „… Die sogenannte „Deutsch-Indische Arbeitsgruppe zur Terrorismusbekämpfung“ hat am Mittwoch ihre 8. Sitzung unter Beteiligung des deutschen Botschafters Andreas Kunne, des Direktors der Sektion „Vereinte Nationen und Terrorismusbekämpfung“ im Auswärtigen Amt, abgehalten. Auf der Tagesordnung standen Gespräche über „Herausforderungen wie Radikalisierung und Extremismus, Missbrauch des Internets für Terrorzwecke“ und die Vertiefung des regelmäßigen Informationsaustauschs. Während die Nachrichtenagentur AFP heute über den Einsatz von 5.000 paramilitärischen Truppen berichtet, die von der regulären Polizei unterstützt werden, um eine Demonstration von Muslimen, Rechtsgruppen und Progressiven zu bekämpfen, die gegen das Gesetz zur Änderung der chauvinistischen Staatsbürgerschaft protestieren und dabei zwei töten, erklärt die deutsche Regierung zynisch ihr Interesse die Arbeit gegen den „Terrorismus“ in Indien zu vertiefen. Wohlgemerkt, nicht gegen den Terror, den die indische Regierung gegen die Völker Indiens oder ihrer Nachbarländer ausübt, sondern gegen jene demokratischen und revolutionären Kräfte, die von der indischen Regierung zu „Terrororganisationen“ erklärt wurden, die in Wirklichkeit die Interessen der breiten Bevölkerung verteidigen…“

„Gemeinsame Erklärung zu den4. Deutsch-IndischenRegierungskonsultationenvom 30. Mai 2017“ an diesem Tag beim Auswärtigen Amt externer Link zeigt, dass dies nicht etwa eine linksradikale Unterstellung ist – und dass diese reaktionäre Kooperation nicht neu ist: „… Premierminister Modi und Bundeskanzlerin Merkel unterstrichen ihre beiderseitige Besorgnis angesichts der Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus sowie deren weltumspannende Tragweite. Sie verurteilten terroristische Gewalt jeder Art und in jeder Erscheinungs-form. Sie waren sich einig über die Notwendigkeit, entschiedene Maß-nahmen gegen alle zu ergreifen, die zu Terrorismus ermutigen, ihn unterstützen oder finanzieren oder die terroristischen Gruppen und Organisationen Zuflucht und Unterschlupf gewähren und so zu deren Erhalt und Unterstützung beitragen. Sie begrüßten die engere Kooperation zwischen Indien und Deutschland zur Bekämpfung dieser Herausforderungen durch regelmäßige Tagungen der gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Terrorismusbekämpfung. Sie riefen zur Fertigstellung und Annahme des Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus auf…“

„Stoßtrupp der radikalen Hindus“ von Peter Gerhardt am 14. Dezember 2019 im Weltspiegel externer Link (ARD) über die Basis der indischen Regierung – was eigentlich jeder weiß, der sich ein bisschen mit Indien befasst hat, hier aber vor allem dafür steht, dass die BRD sehr wohl weiß, mit wem sie da so erfreulich zusammen arbeitet: „… Jedes Jahr am Gründungstag des RSS marschieren kurz nach Sonnenaufgang vier Millionen Männer in ganz Indien. Die massive Präsenz auf Indiens Straßen ist eine Machtdemonstration. Stolz nennt sich der RSS die „größte Freiwilligenorganisation der Welt“ („Rashtriya Swayamsevak Sangh“). Der Zweck: paramilitärische Übungen und Strammstehen für das Vaterland.  J Nandakumar, Chef-Ideologe des RSS, beschreibt: „Der RSS will der Gesellschaft Disziplin einimpfen. Für diese Disziplin braucht es körperliche Ertüchtigung und Marschieren. All das ist notwendig.“ „Ewige Treue der göttlichen Hindu-Nation“, schwören sie der safranfarbenen Hindu-Flagge. Es geht dem RSS nicht nur um Fitness. Er ist der Stoßtrupp der regierenden Hindu-Nationalisten. Premierminister Modi war lange Zeit RSS-Funktionär. Für die Organisation ist der Hinduismus viel mehr als eine Religion unter anderen. Sie sehen ihn als übergeordnete Staatsideologie, der alle Inder folgen müssen. „Unsere Organisation sieht das so: Jeder einzelne, der hier lebt und der Indien als seine Heimat betrachtet, sollte seine Wurzeln anerkennen. Und das bedeutet eben, dass alle hier Hindus sind – unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Egal, ob sie Thomas, Peter oder Mohamed heißen“, betont J Nandakumar…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=159566
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