Der Paritätische Armutsbericht 2019: Deutschland 2018 – Ein viergeteiltes Land

Zuschussrente gegen Altersarmut?Das Erfreuliche zuerst: Die Armut in Deutschland ging von 2017 auf 2018 zurück. Es ist mit minus 0,3 Prozentpunkten zwar ein nur leichter Rückgang, auch bleibt die Armut mit 15,5 Prozent in Deutschland auf hohem Niveau, doch ist es zumindest der erste Rückgang seit 2014 und der erste Rückgang der Quote um mehr als minimale 0,1 Prozentpunkte seit 2006. Erstmalig ging auch die Armutsquote unter Menschen mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit, die seit 2012 stark angestiegen war, deutlich und im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sogar überdurchschnittlich zurück. Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund generell. (…) Gleichwohl bleiben Menschen mit Migrationshintergrund, genauso wie Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche oder Menschen mit nur unzureichenden Bildungsabschlüssen die Hauptrisikogruppen der Armut mit Quoten zwischen 30 und 57 Prozent. (…)  Auch wenn sich die Verhältnisse im Zehnjahresvergleich etwas angenähert haben, stellt sich Deutschland als zwischen einzelnen Bundesländern und Regionen nachwievor tief zerklüftetes Land dar. Der Graben verläuft 30 Jahre nach dem Mauerfall jedoch längst nicht mehr einfach zwischen Ost und West. Deutschland ist heute hinsichtlich der Verteilung von Armut viergeteilt. Es ist der wohlhabende Süden mit einer Armutsquote von lediglich 11,8 Prozent. Es ist der Osten Deutschlands mit 17,5 Prozent. Es ist Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Einwohnern und einer Armutsquote von 18,1 Prozent und es sind schließlich die weiteren Regionen Westdeutschlands mit einer gemeinsamen Armutsquote von 15,9 Prozent…“ Aus der Kurzfassung zum Armutsbericht beim Paritätischen externer Link samt Langfassung zum Download – siehe dazu eine Kritik:

  • Deutschland geht es gut, weil es Armut gibt New
    „… Beim mittleren Einkommen mag sich mancher vorstellen, es ginge um das durchschnittliche Einkommen. Doch die Statistiker kennen unterschiedliche Mittelwerte. Bei der Grenzziehung für die Armutsgefährdung beziehen sich Wissenschaft wie Politik nicht auf den Durchschnitt, sondern auf den Median, d.h. die Grenze, unterhalb derer sich 50% der Einkommensschwächsten befinden. Die oberen 50% und deren Einkommen fallen bei dieser Betrachtung also gleich heraus. Armutsgefährdet sind nur die, die 60% des Einkommens der unteren Hälfte der Einkommensbezieher erhalten. Würde man den Durchschnittswert aller Einkommen nehmen, wäre die Bezugsgröße höher zu veranschlagen, da dieser Wert eben auch die oberen Einkommensbezieher und die Spitzenverdiener einbeziehen würde, was in der Folge das Ausmaß der Armut vergrößern würde. Die Unterscheidung zwischen „arm“ und „armutsgefährdet“ ist zudem eine politische Angelegenheit. Ihr offizieller Charakter macht deutlich, dass die Rechnereien und Erhebungen zwar im wissenschaftlichen Gewand daherkommen, aber nicht die Wissenschaft über die Kriterien entscheidet, sondern die Politik – hier in Form der EU -, und dass die Wissenschaft ihr lediglich das Zahlenmaterial und die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten vorgibt. Als Ergebnis kann der Paritätische jedenfalls verkünden, dass die Armut in Deutschland im letzten Jahr geringfügig (0,3%) abgenommen hat, im Zehnjahresvergleich jedoch allgemein zugenommen. Damit gelangt der Armutsbericht zu dem Fazit, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung von der Armutsbekämpfung „abgekoppelt“ habe. Er geht also davon aus, dass das Wirtschaftswachstum eigentlich allen zugutekommen müsse. Dabei belegen die Zahlen gerade, dass der zehnjährige Wirtschaftsaufschwung mehr Armut und nicht  weniger hervorgebracht hat. Und damit ist der Sache nach die landläufige Behauptung, den Bürgern gehe es gut, wenn es der Wirtschaft gut geht, widerlegt. Daher müsste der Schluss eigentlich heißen: Deutschland geht es gut, nicht obwohl es Armut gibt, sondern weil es Armut gibt. Doch so will der Paritätische die Angelegenheit nicht sehen. Obgleich er feststellt, dass die Zunahme der Armut im ganzen Land mit dem von der Politik eingerichteten Niedriglohnsektor und mit den Hartz-Gesetzen zusammenhängt, möchte er die Aufgabe der Politik in etwas ganz anderem sehen, nämlich in der Armutsbekämpfung – bei der die Zuständigen allerdings versagt haben sollen. (…) Die Ergebnisse zeigen nämlich auch, dass sich in den genannten Ländern die Armut in den letzten zehn Jahren stark erhöht hat. Und so muss der Bericht dann alle Bundesländer durchdeklinieren, um in einigen festzustellen, dass die Armut enorm abgenommen hat – z.B. im Osten – und dennoch hoch ist, während sie in anderen nicht so hoch, dafür aber gewachsen ist. Neben den Regionen widmet sich die Untersuchung einzelnen Risikogruppen. So gelten als besonders armutsgefährdet: Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Unqualifizierte, Flüchtlinge, Rentner, Familien mit Kindern usw. Damit ist einmal mehr unterstrichen, dass das Armutsproblem nicht aus den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen resultiert, in denen Menschen nur dann einen Unterhalt verdienen können, wenn sich ihre Anwendung für ein Unternehmen lohnt, das die Kosten für Lohn und Gehalt natürlich als Beschränkung des Gewinns behandelt. Ihre Nichtanwendung für die Gewinnerzielung von Unternehmen soll vielmehr die Quelle der Übel sein und den Schaden der betreffenden Personen verursachen, der also nicht aufs Konto von Arbeitgebern und deren negativem Urteil geht, sondern der Eigenschaft der jeweiligen Personen geschuldet ist. (…) Als Wohlfahrtsverband will der Paritätische nicht nur kritisieren, sondern auch positive Vorschläge machen, sein Bericht dient nicht akademischen Zwecken, soll vielmehr die Armutsbekämpfung voranbringen. Wenn z.B. die Altersarmut zunimmt, dann liegt in seinen Augen die Rentenpolitik im Argen, dann hält er entschieden daran fest, dass es Aufgabe der Politik sei, dem zu begegnen. Dabei irritiert ihn keineswegs, dass die Politik die zunehmende Armut der Alten mit den verschiedenen Änderungen der Rentenformel im Wesentlichen selber bestimmt hat. (…) Bei allen Spezialproblemen steht auch hier eins fest: Die Wirtschaft und ihr Erfolg können nicht für die Armut im Lande verantwortlich sein, sie kann nur von zu wenig Wachstum kommen. (…) Von allen Medien wird die Verantwortung der Politik angemahnt. Nicht in dem Sinne, dass sie mit ihrer Wirtschaftspolitik mitverantwortlich für die wachsende Armut im Lande ist, sondern in ihrer Rolle als Armutsbekämpferin. Als solche soll sie versagt haben. Der Beweis ist leicht zu haben, brauchen Journalisten doch nur auf die hohe Zahl an Armen zu verweisen; damit ist dann schon klargestellt, dass es in dieser Republik eigentlich keine Armen geben dürfte, auch wenn es sie immer gibt. Und so kann man genauso die hohen Mieten als Politikversagen besprechen wie die Höhe des Mindestlohns – ganz so, als ob der Wohnungsmarkt nicht das Ergebnis der Politik der letzten Jahre wäre, eben einer Politik der Förderung privater Wohnungsbauunternehmen. Und ganz so, als ob die Politik die Mindestlohnhöhe nicht daran orientiere, dass das Wirtschaftswachstum keine Beeinträchtigung erfährt, sondern befördert wird. Denn das ist ja Konsens in der Mindestlohnkommission, inklusive der dort sitzenden Gewerkschaft: dass das Wirtschaftswachstum und der Gewinn die Voraussetzung dafür sind, dass es überhaupt Arbeit und damit etwas zu verdienen gibt. Dasselbe bei den Armutslöhnen…“ Artikel von Suitbert Cechura vom 23. Dezember 2019 bei telepolis externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=159194
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