Wohngeld: Keine Lösung gegen Mietenwahnsinn – sondern Bestandteil des Problems

Dossier

Bundesweite Kampagne "Mietenwahnsinn stoppen"Das Wohngeld soll zum 1. Januar 2020 erhöht werden, zu diesem Zweck werden die Mittel für Wohngeld durch Bund und Länder aufgestockt. Im Jahr 2020 werden insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung argumentiert mit den deutlich gestiegenen Wohnkosten und den Verbraucherpreisen. Die Leistungsfähigkeit des Wohngelds nehme dadurch mit der Zeit immer mehr ab. Zusätzlich würden bereits Erhöhungen der Einkommen, die ja nur die Entwicklung der Verbraucherpreise ausgleichen würden, zu einer Reduktion oder zum Verlust des Wohngeldanspruchs führen, mit der Folge, dass die Zahl der Wohngeldempfänger und die Reichweite des Wohngelds sinke. Mit dieser Argumentation setzt man weiter auf die Subjektförderung, bei der das Wohngeld durch die Mieter an die Vermieter weitergeleitet wird und damit die erhöhten Mietpreise legitimiert bzw. subventioniert werden. Man setzt nicht auf die Objektförderung, was konkret heißt, auf den Bau von Sozialwohnungen…“ – so beginnt der Beitrag „Wohngeld trägt nicht zur Lösung des Problems von Wohnungsnot bei – es ist Teil des Problems“ am 01. August 2019 beim Gewerkschaftsforum Dortmund externer Link zur Problemlösung, die gegenteilig wirkt. Siehe dazu:

  • Wohngeldreform: Es muss Alarm geschlagen werden New
    Zum 1. Januar 2023 tritt mit dem Wohngeld-Plus-Gesetz eine umfangreiche Wohngeldreform in Kraft: Das Wohngeld wird um durchschnittlich 190 €/mtl. erhöht und steigt auf rd. 370 € pro Monat. Die Anzahl der Leistungsberechtigten verdreifacht sich von rd. 600.000 auf 2,1 Mio. Menschen. Damit beginnen die Probleme.
    Keine ausreichende Personalausstattung der Wohngeldämter
    Die Wohngeldämter brauchen jetzt schon vielerorts Monate bis sie einen Wohngeldantrag bearbeiten. Trotz gesetzlicher Verpflichtung in § 17 Abs. 1 SGB I steht leider nicht genug Personal zur Verfügung. Das bedeutet Antragstellende auf Wohngeld werden ziemlich lang auf die Bearbeitung ihres Antrages warten müssen. Ein Bearbeitungszeitraum von deutlich mehr als sechs Monaten ist förmlich garantiert. Hier nun die Materialen zum Gesetzgebungsverfahren: https://t1p.de/nbt2z externer Link
    Anspruch auf vorläufige WoGG-Entscheidung
    Neu eingeführt ist ein Anspruch auf vorläufige Zahlung des Wohngeldes (§ 26a Abs. 3 WoGG – N). In der Praxis wird daher, wenn es eilt, ein Antrag auf vorläufige Entscheidung nach § 26a Abs. 3 WoGG zu stellen sein und im Zweifelsfall nach drei Monaten eine Untätigkeitsklage nach § 75 S. 2 VwGO eingelegt werden müssen. Der Versicherungsbote berichtet, dass zum 01.01.2023 noch nicht einmal eine aktualisierte Software zur Verfügung steht: https://t1p.de/ix2br externer Link
    Umgang der Jobcenter und Sozialämter mit Wohngeld
    Keinesfalls ist es zulässig SGB II oder SGB XII – Leistungen mit Verweis auf Wohngeld einzustellen. Solange Wohngeld nicht zur Auszahlung kommt, müssen die Jobcenter und Sozialämter weiter existenzsichernde Leistungen erbringen. Ich dokumentiere hier einen derartigen Fall aus München: https://t1p.de/zuhwg externer Link. Der Münchner Fall zeigt exakt wie es nicht gemacht werden darf.  Zudem besteht sogar bis zum 30. Juni 2023 keine Pflicht WoGG als vorrangige Leistung zu beantragen (§ 85 SGB II – N/§ 131 SGB XII – N). Solange Hilfebedürftigkeit im Sinne SGB II / SGB XII besteht, sollten dringend zunächst die Grundsicherungsleistungen beantragt werden. Dann sollten die potentiell auf WoGG anspruchsberechtigten Personen zur Sicherungen des existenziellen Bedarfes überbrückend SGB II/SGB XII-Leistungen beantragen, denn es ist trotz vorläufiger Leistungsgewährung/Untätigkeitsklageoptionen mit sehr langen Bearbeitungszeiträumen zu rechnen.  
    Anpassung der MOG-Mietwerte an die neuen WoGG Werte
    In einer Reihe von Kommunen orientieren sich die „angemessenen Unterkunftskosten“ im Sinne von dem SGB II/SGB XII an den jeweiligen Werten im WoGG mit einem 10 % Sicherheitszuschlag, in diesen Kommunen dürften sich die jeweiligen MOG-Mietwerte deutlich erhöhen. Darauf sollte in der Beratung geachtet werden.“ Aus dem Thomé Newsletter 50/2022 vom 18.12.2022 externer Link

  • [Mieteinnahmen-Subvention] Bundestag stimmt für Erhöhung des Wohngeldes 
    Der Bundestag hat am 10. Nov. 2022, das Wohngeld-Plus-Gesetz beschlossen. Ein dazu von den Koalitionsfraktionen eingebrachter Gesetzentwurf „zur Erhöhung des Wohngeldes“ (20/3936) wurde in einer vom Ausschuss geänderten Fassung mit der Mehrheit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
    Ab dem 1. Januar 2023 sollen Haushalte mit niedrigeren Einkommen stärker bei steigenden Wohnkosten unterstützt werden. Um die durch steigende Energiekosten und energieeffiziente Sanierungen entstehenden höheren Wohnkosten besser abzufedern, soll die bisher umfangreichste Reform des Wohngeldes drei Komponenten enthalten: erstens die Einführung einer dauerhaften Heizkostenkomponente, die als Zuschlag auf die zu berücksichtigende Miete oder Belastung in die Wohngeldberechnung eingehen soll, zweitens die Einführung einer Klimakomponente und drittens eine Anpassung der Wohngeldformel. Danach sollen rund 1,4 Millionen Haushalte erstmalig oder erneut einen Wohngeldanspruch erhalten, bisher sind es rund 600.000 Haushalte. Zudem soll sich der Wohngeldbetrag von durchschnittlich rund 180 Euro pro Monat auf rund 370 Euro pro Monat erhöhen. Mehr Infos Bundestag: https://t1p.de/6bmfn externer Link. Anmerkung zu den Änderungen im Wohngeldgesetz:

    • Grundsätzlich ist diese Änderung sinnvoll. Materiell wird es bedeuten, dass eine Reihe von Aufstocker*innen aus dem SGB II/SGB XII ins Wohngeld wechseln werden.
    • Es wird aber auch bedeuten, dass auf die Wohngeldbehörden Millionen von Anträgen zukommen werden. Für diese sind sie personell Null aufgestellt. Die Wohngeldämter sind sogar mit dem jetzigen Aufkommen bis zum Rande belastet. Bearbeitungszeiten von 3- 6 Monaten sind jetzt schon keine Seltenheit. Im nächsten Jahr ist mit deutlich längeren Bearbeitungszeiten zu rechnen, denn mit der Personalsituation werden nicht rd. 1,5 Mio. Neuanträge zeitnah bearbeitet werden können. Hier muss dringend die Arbeitsfähigkeit der Wohngeldämter sichergestellt werden.
    • Es ist zu erwarten, dass Jobcenter/Sozialämter mit Verweis auf die Vorrangigkeit von Wohngeld laufende SGB II/SGB XII – Leistungen versagen oder überhaupt nicht gewähren. Hier wird nächstes Jahr mit Sicherheit eine größere Konfliktlinie entstehen. Sozialrechtlich ist es völlig klar: solange keine WoGG-Leistungen ausgezahlt werden, ist kein Einkommen vorhanden, welches dem SGB II/SGB XII – Leistungsanspruch entgegengestellt werden kann. Hier hat von der BA und dem BMAS durch Weisung klargestellt zu werden, dass, solange Wohngeld nicht fließt, dies dem Leistungsanspruch in der Grundsicherung nicht entgegengestellt werden darf.
    • Muss durch Weisung klargestellt werden, dass trotz WoGG-Anspruch und Zahlung durch eine Betriebs- und Heizkostenforderung oder durch Bevorratungskosten von Heizmaterialien eine temporäre Hilfebedürftigkeit in den Grundsicherungssytemen entstehen kann.“ Aus dem Thomé Newsletter 45/2022 vom 13.11.2022 externer Link
    • Zur sog. Wohngeldreform siehe die Ausführungen zum Dritten Entlastungspaket im Dossier Für wen Inflation ein Problem ist – und was es für die (Tarif)Politik bedeutet
  • ohngeld trägt nicht zur Lösung des Problems von Wohnungsnot bei – es ist Teil des Problems 
    „Im vergangenen Jahr wurde mit großem Eigenlob der Bundesregierung für die staatliche Wohltat das Wohngeld erhöht und dafür die finanziellen Mittel von Bund und Länder erheblich aufgestockt. Im abgelaufenen Jahr 2020 standen insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Bundesregierung argumentierte für die Erhöhung damals mit den deutlich gestiegenen Wohnkosten und Verbraucherpreisen. Die Leistungsfähigkeit des Wohngelds nehme dadurch mit der Zeit immer mehr ab. Zusätzlich würden bereits Erhöhungen der Einkommen, die ja nur die Entwicklung der Verbraucherpreise ausgleichen würden, zu einer Reduktion oder zum Verlust des Wohngeldanspruchs führen, mit der Folge, dass die Zahl der Wohngeldempfänger und die Reichweite des Wohngelds sinken. Mit dieser Argumentation setzt man weiter auf die Subjektförderung, bei der das Wohngeld durch die Mieter an die Vermieter weitergeleitet wird und damit die erhöhten Mietpreise legitimiert bzw. subventioniert werden. Man setzt nicht auf die Objektförderung, was konkret heißt, auf den Bau von Sozialwohnungen. (…) Wie der Name schon sagt, ist der Wohnungsmarkt nicht nach sozialem Bedarf, sondern nach den Regeln der kapitalorientierten Marktwirtschaft ausgerichtet. Das hat zur Folge, dass der Markt die Preise von Grundstücken, die Miethöhe und die Preisentwicklung von Immobilien bestimmt. (…) Ein wirklich bedarfsgerechtes Wohngeld muss die klaffende Lücke zwischen realem Einkommen und Mietsteigerungen wirklich schließen. Ursprünglich war bei der Einführung des Wohngelds der Effekt eingeplant, dass die Verschiedenartigkeit von Wohnquartieren erhalten bleibt, einer „Ghettobildung“ vorgebeugt und der Prozess, dass ganzen Stadtteile abgehängt werden, gestoppt wird. Dafür waren auch die bisherigen Reformen nicht geeignet. Auch konnten sie nicht den Anspruch der vollen Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Wohnung erfüllen. (…) Vor allen Dingen muss der Bund sich wieder mehr einbringen, für den notwendigen Bau von Wohnungen sorgen, für die Wohnungspolitik Verantwortung zeigen und nicht nur eine Flickschusterei mit der Wohngelderhöhung betreiben.“ Beitrag vom 30. Oktober 2021 vom und beim gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Für viele Menschen steigen die Mieten und das Wohngeld soll jetzt auch mal wieder angehoben und gestärkt werden. Licht und Schatten des Wohngeldstärkungsgesetzes 
    „… Ein Maß für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Wohngeldes ist die Entwicklung der Wohnkostenbelastung vor und nach Wohngeldleistung bezogen auf das verfügbare Einkommen der Haushalte. Für 2017 werden folgende Anteilswerte ausgewiesen: 36 Prozent vor und 25 Prozent unter Berücksichtigung des Wohngeldes. Eine durchaus erhebliche Entlastung für die betroffenen Haushalte, deren durchschnittliche Einkommen bei 970 Euro je Haushalt lagen. Wenn man sich den Verlauf der Wohngeld-Haushalte anschaut, erkennt man sofort die deutlichen Sprünge nach bzw. oben. Die resultieren aus gesetzlichen Veränderungen bzw. einem Auseinanderlaufen von Einkommensentwicklung und Einkommensschwellen. Ein markanter Punkt in der Zeitreihe ist das Jahr 2005 (…), denn in diesem Jahr reduzierte sich der Kreis der Wohngeldberechtigten zunächst deutlich: Hauptursache war „Hartz IV“, das am 1.1.2005 in Kraft trat. (…) Im Jahr 2016 geht dann die Zahl der Wohngeldhaushalte wieder deutlich nach oben. Was ist hier passiert? Nach sieben Jahren gab es mal wieder eine Wohngeldreform. Im Fokus der Änderungen stand die Angleichung des Wohngeldes an die Entwicklung der Mieten und Einkommen. Dabei fanden nicht nur die gestiegenen Kaltmieten Beachtung, sondern auch die Nebenkosten für Warmwasser und Heizung. (…) Fazit: Das Wohngeld hängt nicht nur fest in der angesprochenen Grundsatzdebatte über die Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit von Maßnahmen der Subjektförderung (und der anders gelagerten Forderung nach einer erheblich auszuweitenden Objektförderung über eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus), sondern das Regelungsdickicht innerhalb des Wohngeldrechtsrahmens sowie die Schnittstellen zu benachbarten Sicherungssystemen wie dem SGB II und XII machen das Wohngeld als eine Komponente auch zu einem Kandidaten für die von ganz unterschiedlichen Seiten geforderten Grundeinkommensmodellen, die der Auflösung vieler kleiner Einzelleistungen in einer diese vereinigenden Leistung das Wort reden.“ Beitrag von Stefan Sell vom 25. Oktober 2019 auf seiner Homepage externer Link zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wohngeldes (Wohngeldstärkungsgesetz – WoGStärkG), Bundestags-Drucksache 19/10816 externer Link vom 11.06.2019 in der vom Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen geänderten Fassung, vgl. Bundestags-Drucksache 19/14135 externer Link vom 16.10.2019
  • Wie man in einem Gutachten über „soziale Wohnungspolitik“ das Soziale wegdefiniert und ein existenzielles Gut auf einen „Markt“ zu werfen versucht
    „… Angesichts der teilweise nur als dramatisch zu bezeichnenden Wohnungsnot (vgl. dazu beispielsweise bereits (Nicht-)Wohnen: Die alte neue soziale Frage. Von einem Sprengsatz in unserer Gesellschaft mit erheblicher Splitterwirkung vom 27. Oktober 2015) und der für Millionen Menschen immer belastender werdenden Mieten (vgl. dazu Wohnverhältnisse in den deutschen Großstädten: Hohe Mieten bringen kleine Einkommen an den Rand der Armut und darüber hinaus vom 27. September 2017) ist man auf alle Beiträge gespannt und voller Erwartung, vor allem, wenn sie mit „Soziale Wohnungspolitik“ überschrieben sind. Aber was der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium nun vorgelegt hat, ist gelinde gesagt eine echte Zumutung: Zum einen, weil es massive inhaltliche Defizite gibt, die man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen kann, zum anderen aber auch, weil mit einer unglaublichen Naivität bzw. Dreistigkeit gerade das „Soziale“ aus dem Themenfeld herausgeschrieben wird. Schauen wir genauer hin. (…) Also das muss man erst einmal auf sich wirken lassen: Da fordert man ernsthaft eine radikale Abkehr vom sozialen Wohnungsbau. Das vor dem Hintergrund einer massiven Klage über die seit Jahren rückläufige Zahl an Sozialwohnungen – und gerade die werden immer öfter gebraucht. Seit Jahren wird das Gegenteil der Empfehlung gefordert, also eine deutliche Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. (…) Und neben dem Angriff auf die kläglichen Reste des sozialen Wohnungsbaus wird in dem Gutachten ein zweites wohnungspolitisches Instrumentarium ins Visier und unter Beschuss genommen: die Mietpreisbremse. (…) Wie praktisch. Man kann die Mieten nach oben treiben, denn bei einem Wohngeld nach den Vorstellungen der Immobilienwirtschaft und des Beirats würde diese aus Steuermitteln aufzubringende Leistung schön mitwachsen. Was werden wohl Vermieter machen, wenn es eine solche „Stütze“ gibt? (…) Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats kann in diesem Kontext dahin, wo es hingehört. In die Mottenkiste.Kommentar von Stefan Sell vom 29. August 2018 bei aktuelle Sozialpolitik externer Link
  • Wohngeld leistet keinen Beitrag zur Überwindung von »Hartz IV« – Bruttoschwellen und Durchschnittsentgelte 2012
    Zur Überwindung der »Hartz-IV«-Abhängigkeit müssen alleinstehende erwerbstätige Hilfebedürftige bestimmte Entgelthöhen erzielen (Bruttoschwellen). Die Chancen hierfür hängen unter anderem vom regionalen Lohnniveau (Durchschnittsentgelt) ab. Um die Überwindung der »Hartz-IV«-Abhängigkeit durch die Erzielung von Erwerbseinkommen zu erleichtern, ist unter anderem dringend eine durchgreifende Reform des Wohngeldes erforderlich…“ Infografik vom 12. Januar 2015 im Portal Sozialpolitik externer Link

Siehe auch unser Dossier: Miete: Fast die Hälfte der Haushalte in deutschen Großstädten zahlen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=152939
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