[Verordnung gegen terroristische Inhalte im Netz] Internetpioniere warnen vor Uploadfiltern im Kampf gegen Terror

Dossier

Gegen Internetsperren in einer freien GesellschaftGegen Internetsperren in einer freien GesellschaftEin dutzend prominenter Stimmen sprechen sich entschieden gegen den Gesetzentwurf der EU-Kommission aus, der die Verbreitung von mutmaßlich terroristischen Inhalten im Internet eindämmen soll. Uploadfilter und kurze Löschfristen könnten nur große Plattformen umsetzen, heißt es in einem offenen Brief an EU-Abgeordnete. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnung gegen terroristische Inhalte im Netz externer Link werde das Internet in Europa beschädigen, ohne bedeutsam zum Kampf gegen den Terror beizutragen. Das schreiben ein Dutzend Internetpioniere und Innovatoren, darunter WWW-Erfinder Tim Berners-Lee, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und netzpolitik.org-Chefredakteur Markus Beckedahl, in einem offenen Brief an führende EU-Abgeordnete externer Link . Gegen Terrorismus vorzugehen sei ein notwendiges politisches Ziel und das Internet spiele eine wichtige Rolle dabei, heißt es in dem Brief. Gleichzeitig müssten die unternommenen Schritte evidenz-basiert, angemessen und wohl begründet sein, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Aus Sicht der Unterzeichner ist der Gesetzentwurf der Kommission jedoch nicht dazu geeignet, stattdessen werde er Grundrechte europäischer Internetnutzer beschneiden. (…) Umsetzen will die Kommission das mit einer engmaschigen Zensurinfrastruktur, die für alle in Europa tätigen Online-Dienste gelten soll. Innerhalb von nur einer Stunde müssten sie auf einen Hinweis von Behörden reagieren und mutmaßlich terroristische Inhalte auf ihren Plattformen sperren oder löschen. Zudem sieht der Entwurf „proaktive Maßnahmen“ vor, also Uploadfilter, mit denen die Anbieter solche Inhalte direkt nach dem Hochladen erkennen, einschätzen und gegebenenfalls entfernen sollen. Im Falle von Verstößen kann der Einsatz von Uploadfiltern angeordnet werden, hohe Geldstrafen sollen für Abschreckung sorgen…“ Artikel von Tomas Rudl vom 03.04.2019 bei Netzpolitik externer Link – und in der Tat:

  • EU-Gesetz gegen Terrorinhalte im Netz beschlossen New
    „Ein EU-Gesetz, das terroristische Inhalte aus dem Netz entfernen soll, ist nun beschlossen und tritt in einem Jahr in Kraft. Die für Donnerstag geplante Abstimmung im Plenum entfällt aufgrund eines Versehens. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnen vor einem Präzedenzfall in der Regulierung von Internetinhalten. Die EU-Verordnung gegen terroristische Inhalte im Netz externer Link ist sang- und klanglos beschlossen worden. Demnach müssen Betreiber von Online-Diensten solche Inhalte künftig binnen einer Stunde löschen, wenn sie eine behördliche Anordnung erhalten. Mit einer Mehrheit von 52 zu 14 Stimmen hat der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) bereits vergangene Woche das Ergebnis der sogenannten Trilog-Verhandlungen abgesegnet. Eine ursprünglich für Donnerstag geplante Abstimmung im Plenum des Parlaments findet nicht statt. In Kraft treten die Regeln in einem Jahr. (…) Der ursprünglich von der EU-Kommission vorgestellte Gesetzentwurf war deutlich aggressiver. So sah er unter anderem den Einsatz von Uploadfiltern vor, um terroristische Inhalte automatisiert auszusieben. Neben den verbindlichen Entfernungsanordnungen war zudem die gesetzliche Verankerung von einfachen „Meldungen“ vorgesehen, um Ermittlungsbehörden die Arbeit leichter zu machen. Diese Giftzähne hatte das EU-Parlament in den Trilog-Verhandlungen entfernt, was gemeinhin als Erfolg gilt. Dennoch sieht etwa der Piratenabgeordnete Patrick Breyer, der für die Grünen-Fraktion entscheidend am fertigen Gesetz mitgewirkt hatte, die „ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt“ als eine Bedrohung der Meinungs- und Pressefreiheit im Netz. Die EU-Länder können selbst entscheiden, welche Behörde sie mit dem Verschicken von Anordnungen betrauen. Das können auch administrative Einrichtungen sein, auf welche die jeweilige Regierung gegebenenfalls beliebigen Druck ausüben kann. Vor allem Ungarn und Polen, die im vergangenen Jahrzehnt den Rechtsstaat und die Demokratie abgebaut haben und gegen die inzwischen Vertragsverletzungsverfahren laufen, könnten dabei gefährlich werden, so Breyer. „Dass Viktor Orbán künftig in Deutschland direkt Internetseiten löschen lassen kann, öffnet politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor – zumal der Terrorismusbegriff bedenklich weit und missbrauchsanfällig ist“, sagt Breyer. Anti-Terror-Gesetze würden immer wieder für ganz andere Zwecke eingesetzt, etwa gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und spanische Musiker, gegen soziale Proteste in Frankreich, gegen Klimaschützer oder Einwanderer, so Breyer. (…) Dass dieses womöglich wegweisende Gesetz nun doch nicht mehr im EU-Parlament behandelt wird, sei „schockierend und enttäuschend“, sagt Chloé Berthélémy von der europäischen Digital-NGO European Digital Rights (EDRi), die den offenen Brief mitgezeichnet hatte. „Europäische Bürger:innen sind beraubt worden, weil sie nicht wissen, ob ihr:e Abgeordnete:r für oder gegen neue staatliche und privatisierte Zensurmittel gestimmt hätte“, sagt Berthélémy.“ Beitrag von Tomas Rudl vom 28. Juli 2021 bei Netzpolitik.org externer Link
  • Verordnung gegen Terror-Inhalte – Die nächsten Uploadfilter kommen 
    „Ab diesem Donnerstag wird in Brüssel über eine Verordnung verhandelt, die die Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet einschränken soll. Nach der Urheberrechtsreform drohen damit die nächsten Uploadfilter. Durch schwammige Definitionen können auch Aufrufe zu zivilem Ungehorsam, journalistische Beiträge und Aufklärungsarbeit erfasst werden. Der Vorschlag der Kommission vom letzten Herbst geht auf eine Initiative von Bundesinnenminister Horst Seehofer zurück. Plattformen sollen nach dem Entwurf nicht nur gezwungen werden, Uploads automatisch zu filtern. Praktisch müssen auch kleinste Foren einen 24-Stunden-Dienst einführen, um der einstündigen Löschfrist bei behördlicher Anordnung zu entsprechen. Schließlich ermöglicht die Verordnung autokratischen Regierungen europäischer Staaten, unliebsame Beiträge EU-weit verschwinden zu lassen. Der Rat stimmte diesem Entwurf mit geringfügigen Änderungen zu. „Aus grundrechtlicher und demokratischer Perspektive ist der Kommissionsvorschlag katastrophal gefährlich“, bewertet Elisabeth Niekrenz, Juristin und politische Referentin der Digitalen Gesellschaft. Das EU-Parlament hat dem im April einen gemäßigten Vorschlag entgegengestellt, in dem die Terrorfilter gestrichen wurden. Durch eine schwammige Terrorismusdefinition und kurze Löschfristen bleiben aber Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu befürchten. (…) „Mit solchen ‚technischen Lösungen‘ für Probleme mit tiefliegenden gesellschaftlichen Ursachen täuschen Politiker und Politikerinnen Handlungsstärke vor. Ob sich damit Anschläge verhindern lassen, ist völlig unklar, während die Kollateralschäden für Demokratie und Freiheit immens sind.“ Pressemeldung von und bei der Digitale Gesellschaft e.V. vom 17. Oktober 2019 externer Link
  • Siehe auch unser Dossier: Das Leistungsschutzrecht – ein Zombie-Gesetz aus Deutschland wird bald in ganz Europa Realität
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=146907
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