Nicht nur Antifaschisten, alle reagieren auf „Chemnitz“ – und der rechte Mob mobilisiert weiter: Will die FDP da auch mitmachen?

Plakat Antifademo Chemnitz 1.9.2018

Verschiedene Bestrebungen, nicht nur in Chemnitz, abermals den Mob auf die Straße zu schicken, gibt es ebenso, wie gesteigerte antifaschistische Aktionen – ebenfalls nicht nur in Chemnitz, wie mehrere größere Demonstrationen in bundesdeutschen Städten zeigen – und Positionierungen unterschiedlicher politischer Kräfte, auch der Medienkampagnen. Neben den üblichen, verständnisvollen „Sympathisanten“ des Mobs (auch hier: Keineswegs nur in Sachsen und Bayern) profiliert sich auch die FDP als Unterstützer der nazionalen Sache. Und während im Zuge der medialen Aufarbeitung der Menschenjagden von Chemnitz – neben der Fortsetzung der üblichen Propaganda – auch einige Informationen über rechte Netzwerke und ihre Schnittmengen zur „besseren Gesellschaft“ öffentlich bekannter werden, bleibt es dabei: Die Stimmen der Freunde des Opfers der Messerstecher bleiben ebenso weitgehend ungehört, wie seine eigene Haltung in dieser Gesellschaft weitgehend unbeachtet blieb. Zu „Nach (?) Chemnitz“ eine kleine Sammlung aktueller Beiträge, inklusive Aktionsberichte und -aufrufe:

„Nach (?) Chemnitz“

„Lehrstunde in Wutbürgerkunde“ von Michael Bartsch am 30. August 2018 in der taz externer Link zur Stimmungslage am Chemnitzer Stammtisch beim Auftritt des sächsischen Verstehers: „Kretschmer konzidierte, dass sich viele Chemnitzer durch die Berichterstattung über ihre Stadt „ungerecht behandelt fühlen“. Er mahnte aber auch nach Erfahrungen bei seinem vorausgegangenen Besuchen an diesem Chemnitz-Tag, dass lange hier lebende Ausländer nicht plötzlich der Verfolgung ausgesetzt werden dürfen. Welche explosive Stimmung bereits vor der Bluttat in der Stadt geherrscht haben muss, offenbarten die Redebeiträge in der Kretschmer-Runde. „Das es mal knallt, war schon lange klar“, sagte sogar ein ausländerfreundlicher sprachenkundiger Weltbürger, der aber die Integrationsfähigkeit vieler Zugewanderter anzweifelte. Angst beherrscht viele Chemnitzer, ein Gefühl, dem aber die Statistik zurückgehender Straftaten widerspricht. Einige Kriminalitätsschwerpunkte oder Erfahrungen mit einem messerzückenden Ausländer an einem Spielplatz genügen, diese Angst zu nähren. „Es geht nicht um Einzelfälle, es geht um eine Tendenz“, sagte eine Chemnitzerin. Hinzu kommen soziale Probleme, obschon die mehrfach ausgebuhte Oberbürgermeisterin auf einen objektiv guten Ausbau von Kindertagesstätten und Schulen verweisen konnte…

„Sichtbare Allianzen“ von Richard Gebhardt am 29. August 2018 im Blog des Freitag externer Link zu den Vernetzungen: „„Bringt Chemnitz die Wende 2.0?“, fragt die rechte Internetseite PI News nach den Ausschreitungen in der drittgrößten Stadt Sachsens. In diesem Bundesland sei noch der Widerstandsgeist der deutschen Bevölkerung vorhanden. In anderen Landesteilen aber habe „der Zeitgeist und die linksgrüne Ideologie das Immunsystem des Volkes zersetzt und sie zu wehrlosen Opfern von einzelnen Fremden aus gewaltaffinen Kulturkreisen“ gemacht. Gegen dieses Szenario richten sich Losungen wie „Unsere Stadt – Unsere Regeln“, mit der beispielsweise die extrem rechte Hooligantruppe „Kaotic Chemnitz“ mobilisierte. Das gesamte Netzwerk der Demonstrationsaufrufer aber war weitaus größer und reichte von der AfD bis hin zur Hoolszene. Viel wurde seitdem wieder über die sächsischen Verhältnisse geschrieben – über die dort anzutreffenden Nazi-Hochburgen, das Behördenversagen der „Pegizei“ und die damit einhergehende staatsoffizielle Verhätschelung der „besorgten Bürger“. Die konkreten Umstände des Gewaltverbrechens, gegen das sich die Chemnitzer Kundgebungen angeblich richten sollten, spielen medial und politisch kaum noch eine Rolle. Der Hinweis auf „Messermigranten“ als mutmaßliche Täter ersetzt die gerichtsfeste Überprüfung des Tathergangs. Und gerade in den sozialen Netzwerken tummeln sich jene, die sich als Staatsanwälte und Richter in Personalunion wähnen und die ihr gesundes Rechtsempfinden nun öffentlich demonstrieren wollen. Das Leitmotiv für diese Geisteshaltung formulierte dabei bezeichnenderweise kein Hooligan, sondern ein Bundestagsabgeordneter der AfD. „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst. Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende „Messermigration“ zu stoppen!“, twitterte Markus Frohnmaier, der einstige Pressesprecher von Frauke Petry. Dass Frohnmaier seine Äußerungen später relativierte, gehört zum medialen Spiel der AfD. Wichtiger ist, dass die in Chemnitz sichtbare Allianz aus AfD-Anhängern und Hooligans den Blick auf eine soziale Bewegung von rechts freilegt, die nicht nur auf Sachsen beschränkt ist…

„Die FDP spielt bewusst mit dem Feuer“ von Pascal Beucker am 30. August 2018 in der taz externer Link kommentiert eine der – vielen – entsprechenden FDP Attacken (nicht die von ängstlichen unrasierten Bäckereigehilfen, die im Nebenberuf Parteivorsitzende sind und sich ebenfalls ähnlich äußerten): „Es gibt Sätze, bei denen es keiner besonderen Interpretationskunst bedarf, um sie empörend zu finden. Dieser Satz von Wolfgang Kubicki gehört dazu: „Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im ‚Wir schaffen das‘ von Kanzlerin Angela Merkel.“ Er ist in seiner Eindeutigkeit kaum misszuverstehen. Trotzdem will es der freidemokratische Bundestagsvizepräsident nicht so gemeint haben. Es sei völlig abwegig, seine Äußerungen zu Chemnitz so zu verstehen, dass er „irgendjemandem aus dem demokratischen Spektrum die Mitschuld an rechtsradikalen Übergriffen und Gewalt­exzessen gebe“, echauffiert er sich. Aber was hat er denn sonst damit sagen wollen? Kubicki ist ein versierter Politiker, der seine Worte genau abzuwägen weiß. Das hat er als Rechtsanwalt gelernt. Warum formuliert er trotzdem einen Satz, der nur so zu verstehen ist, wie er ihn nicht verstanden haben will? Weil er und seine Partei ganz bewusst mit dem Feuer spielen… (…) Aus kühlem Kalkül positioniert Lindner seine Partei bereits seit einiger Zeit rechts von der CDU Merkels. Da das Wählerterrain in der linken Mitte bereits die „neuliberalen“ Grünen besetzt haben, hat er sich auf das Wählerpotenzial aus vorsozialliberalen Zeiten erinnert, als die Partei ihre Stimmen auch und gerade im national denkenden Publikum holte...“

„Chemnitz: Neues von der Trauerfront“ von Detlef zum Winkel am 30. August 2018 bei telepolis externer Link, unter anderem zur Sprachpolitik: „In der notwendig einsetzenden politischen Debatte über das Geschehen verblüffte der Seniorchef der AfD, Alexander Gauland, wieder einmal mit einem extrem unterkühlten Statement. „Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten“, sagte er der Zeitung Die Welt. Besonders der rechtfertigende Gebrauch des Wortes „normal“ ist in diesem Kontext mehr als problematisch. Der Nationalsozialismus erklärte Pogrome für normal, weil sie Ausdruck eines Naziempfindens waren, das zum „gesunden Volksempfinden“ erklärt wurde. Die beiden deutschen Nachkriegsrepubliken sind von dieser Auffassung abgekommen und haben versucht, Gesetze an die Stelle des angeblich Normalen zu setzen. Es ist interessant, wie offen und durchlässig ein grenzbegeisterter Politiker seine eigene Grenze zum NS-Denken gestaltet. (…)Frau Mitscherlich-Nielsen hat in ihren späteren Büchern unablässig darauf hingewiesen, dass jene Unfähigkeit zu einem „Wiederholungszwang“ führe, das heißt nicht nur zu Wiederholungen, sondern zu zwanghaften Wiederholungen nicht verarbeiteter Erfahrungen. Reichhaltiges Anschauungsmaterial für diese These bietet sich denjenigen Chemnitzern, die in diesen Tagen von dem Gefühl heimgesucht werden, dass es irgendwo doch einen Unterschied zwischen Trauer und Hass geben muss…

„Kardinalfehler“ von Jürgen Amendt am 30. August 2018 in neues deutschland externer Link über die Wirkungsweise der Medien: „Sascha Lobo hält die anfängliche Berichterstattung des ZDF für ein systemisches Problem. Die Sichtweise vieler Medien (Lobo nennt ausdrücklich auch spiegel.de) sei von einem Kardinalfehler geprägt: »So zu formulieren, als sei der Kampf gegen Rechtsextremismus nur eine Sache der Linken oder gar Linksextremen«. Und er benennt einen weiteren Fehler der Medien. Das Gerücht, dass der getötete Chemnitzer Frauen habe beschützen wollen, die von Geflüchteten belästigt worden seien, habe sich nur deshalb in den sozialen Medien rasant verbreiten können, weil Medien wie »Bild« dieses Gerücht aufgenommen hätten. Mit fatalen Folgen, so Lobo: »Nach meiner Erkenntnis über soziale Medien machen selbst Rechtsextreme oft einen Unterschied bei der Bewertung von Informationen. Steht es nur auf Facebook oder in einschlägigen Blogs, dann wird es zwar für möglich und wahrscheinlich gehalten, aber eher als Teil des Stimmungsbildes betrachtet. Gelangt eine Information jedoch aus den sozialen in die großen, redaktionellen Medien – dann wird sie für unmittelbar wahr gehalten und wirkt aktivierend.«“.

„“Dies wäre nicht Daniels Wille gewesen““ von Jens Eumann am 29. August 2018 in der Freien Presse externer Link ist ein Beitrag über die Menungen der Freunde von Daniel Hillig, dem erstochenen deutsch-kubanischen jungen Mann, dessen antifaschistische Gesinnung nicht nur bei den Horden des Mobs, der ohnehin nur Anlässe sucht, bewusst nicht zur Kenntnis genommen wird: „Und die Frau, die das Chemnitzer Todesopfer vormals selbst als Liebe seines Lebens bezeichnet hat, dankt diesem Freund dafür: „Danke Daniel, ich habe erst jetzt die Kraft gefunden mir einige Beiträge anzuschauen. Du hast vollkommen Recht, dies wäre nicht Daniels Wille gewesen!“ Der Blick auf des Opfers eigene, ebenfalls frei zugängliche Facebook-Präsenz bekräftigt diese Sicht. Der 35-jährige Daniel H. postete mitunter Leitsprüche des 1968 ermordeten schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King oder Zitate des Reggae-Musikers Bob Marley, der meinte: „Alle Musik kommt aus der gleichen Wurzel, also soll auch alle Musik vermischt werden.“ Für andere Kondolenten, die zuvor gar keinen Kontakt zum Opfer Daniel H. hatten, sind dessen Ansichten zweitrangig bis unwichtig. Zwar warnt der Verein zur beruflichen Förderung und Ausbildung Chemnitz, seine für den ehemaligen Tischlerlehrling eingerichtete Kondolenzseite nicht zu missbrauchen: „Gern könnt Ihr Euer Beileid hier bekunden … alle anderen Kommentare werden gelöscht!“ Dennoch finden sich in den über 1500 folgenden Statements eindeutige politische Ansagen. Auch eine von Tatjana Festerling, die neben Lutz Bachmann vormals Kopf der Dresdner Pegida-Bewegung war. Ihrem frommen Wunsch: „Ruhe in Frieden“ lässt sie eine engagiertere Hoffnung folgen: „Es tut mir so unendlich leid, dass er für seinen Mut, seine Hilfsbereitschaft sterben musste. Ich hoffe, sein Tod wird gerächt!“ Nur explizit lässt die Pegidistin offen, wer den Tod rächen soll – und an wem. Die beiden Tatverdächtigen, ein 23 Jahre alter Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker, sitzen schließlich längst in U-Haft. Und zu den Aufgaben des Rechtsstaats gehört Rache, anders als Ahndung und Sühne von Verbrechen, nicht…

„„Um Jahrzehnte zurückgeworfen““ ebenfalls von Michael Bartsch am 29. August 2018 in der taz externer Link über die Reaktionen von Migrantenorganisationen: „Ein klares Zeichen gegen Rechts bei den politisch Verantwortlichen vermisst auch der Sächsische Flüchtlingsrat. „Man ist eher mit importiertem Terror beschäftigt als mit dem hiesigen Terror gegen Flüchtlinge“, sagte Thomas Hoffmann. Überdies hätten Reden wie die von Bundesinnenminister Horst Seehofer über eine „nationale Kraftanstrenung“ das Klima vergiftet. Hoffmann sprach von einer „neuen Qualität“, die über die Pogrome in Rostock oder Hoyerswerda Anfang der 1990er Jahre hinausgehe. „Die Verantwortlichen tun sich schwer, die Dinge zu benennen“, fügte er hinzu. „Wir sind dort angekommen, wovor wir immer gewarnt haben“, ergänzte Emiliano Chaimite als Vorsitzender des Dachverbandes Sächsischer Migrantenorganisationen. „Es kommt zur Explosion, wenn man nicht konsequent ahndet!“ Die Migrantenarbeit werde „um Jahrzehnte zurückgeworfen“. Chaimite berichtete von einer Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Dort habe der Regierungschef bestritten, dass der Alltagsrassismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei…

„Chemnitz, 27. August: Informationen zur antirassistischen Gegenkundgebung“ bei noblogs/C2708  externer Link wird von einem Statement vom 30. August 2018 aktualisiert, in dem es unter anderem heißt: „Hierbei muss ausdrücklich erwähnt werden, dass wir keine Hoffnung in die exekutive Gewalt des Staates haben um solche Szenarien zu verhindern. Es ist eine Frage der Zivilcourage Widerstand gegen Faschist*innen zu leisten. Wir sehen allerdings eine Positionierung des Staates darin Aktivist*innen welche gegen Hetzjagden auf die Straße gehen nicht schützen zu können und stattdessen gleichzeitig mit erhöhter Intensität gegen beispielhafte Projekte wie den Hambacher Forst vorzugehen. Aus unserer Persepektive geht demnach hervor, dass wir uns gegenseitig schützen müssen um Zivilcourage zeigen zu können und WIderstand zu leisten. Dies führte einerseits dazu, dass unsere Strukturen am Limit arbeiten und wir nicht mit einer bundesweiten Mobilisation sowie Organisation des Gegenprotestes (d.h. auch diesen und weitere Locations zu schützen) dem entgegnen können, aufgrund der kürze der Zeit, der örtlichen Struktur und der Heftigkeit der Ereignisse. Daher haben wir uns der Entscheidung des BCN angeschlossen, nicht zu Gegenprotesten aufzurufen.
Andererseits erfuhren wir durch die Ereignisse am Montag ein internationales Interesse an unseren Aktivitäten, und vor allem beeindruckende Solidarität und Vernetzung von und zu uns Antifaschist*Innen und Antirassist*Innen, die wir progromartige Zustände nicht schweigend, sondern entschlossen und zusammenstehend begegnen wollen. Daraus resultiert, dass wir die Kritik daran, dass kein Gegenprotest stattfindet, verstehen, bitten aber auch um Verständnis unserer Lage. Es ist wichtig, gerade jetzt, konstante antifaschistische (Gegen-)Positionierung herzustellen, aber nicht wenn die Kosten darin liegen, dass Menschen aufgrund schlechter Organisation nicht unerheblich zu schaden kommen könnten. So sammeln wir alle unsere Kräfte, um am Samstag breit aufgestellt, gut vorbereitet und entschlossen dem rechten Mob entgegenzutreten. Das heißt auch sich mit einem breitem Bündnis aus Chemnitzer Initiativen, Vereinen, Parteien und anderen zivilen Kräften zusammenzuschließen, um unseren Gegenprotest so breit wie Möglich aufzustellen, denn die derzeitigen Zustände gehen jeden etwas an, der etwas gegen menschenverachtende Einstellungen hat. Wir wollen zivilen Ungehorsam und Empörung wecken gegenüber progromartigen Zuständen. So wollen wir am Samstag unsere eigenen Inhalte setzen und uns auch klar gegen faschistische Ideologien positionieren. Wir rufen euch dazu auf am Samstag, den 01.09.2018 nach Chemnitz zu reisen und uns vor Ort ab 16 Uhr auf dem Parkplatz an der Johanniskirche zu unterstützen
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„An alle Rechten und Nazis, Identitären und „besorgten Bürger“ — und alle, die befürworten, was diese Woche in Chemnitz passiert ist: „Das ist nicht euer Land. Das sind nicht eure Straßen“ externer Link – ist eine Erklärung seit dem 28. August 2018 bei Avaaz, die inzwischen von mehr als 245.000 Menschen unterzeichnet wurde – auch von LabourNet Germany: Das muss dann auch mal gesagt werden…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=136871
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