Arbeit 4.0: Keine Zugeständnisse beim Arbeitschutz – auch aus rechtlichen Gründen

Immer noch in Japan: Zu Tode arbeiten.... Foto von Coal Miki/Flikr.Dass gesundheitliche Belastungen von jeder Abweichung vom Normalarbeitstag ausgehen, wird durchaus anbetracht der Flexibilisierungswünsche der Arbeitgeber gewerkschaftlich diskutiert. Wenig Beachtung erfährt dagegen die Rechtslage zu den Folgen der gesundheitlichen Ausbeutung. Diese ist ziemlich eindeutig. So entschied das Bayerisches Landessozialgericht mit  Urteil vom 27.04.2018 (Az. L 3 U 233/15) kategorisch: „Psychische Erkrankungen durch Stress können nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden.“ (…) Damit sollte jedoch auch klar sein, dass von gewerkschaftlicher Seite alles abgelehnt werden muss, was für die Beschäftigten Stress bedeutet. Es ist nutzlos, sich über solche Entscheidung zu erregen. So funktioniert halt der Kapitalismus heute: Der Mensch als Verschleißprodukt und ist er kaputt, wird ausgetauscht und nicht etwa für den durch die Arbeitsbedingungen verursachten Schaden die Verantwortung übernommen. Deshalb sollten die Gewerkschaften jede Verhandlung über die Ausdehnung des 8-Stundentags und ähnlicher kapitalistischer Ansprüche auf menschlichen Verschleiß abrechen, solange der Gesetzgeber nicht wenigstens den Arbeitgeber für seine gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen haftbar macht. Dies gilt bereits ohne die Sonderwünsche im Rahmen der Flexibilisierung…“ Kommentar von Armin Kammrad zum Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.04.2018 (Az. L 3 U 233/15) – wir danken!

Arbeit 4.0: Keine Zugeständnisse beim Arbeitschutz – auch aus rechtlichen Gründen

Dass gesundheitliche Belastungen von jeder Abweichung vom Normalarbeitstag ausgehen, wird durchaus anbetracht der Flexibilisierungswünsche der Arbeitgeber gewerkschaftlich diskutiert. Wenig Beachtung erfährt dagegen die Rechtslage zu den Folgen der gesundheitlichen Ausbeutung. Diese ist ziemlich eindeutig. So entschied das Bayerisches Landessozialgericht mit  Urteil vom 27.04.2018 (Az. L 3 U 233/15) kategorisch: „Psychische Erkrankungen durch Stress können nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden.“ Das Gericht behauptet: „Verursacht die berufliche Tätigkeit eine Berufskrankheit, haben die Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung Anspruch auf Entschädigung. Allerdings ist nicht jede Erkrankung, die auf eine berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden kann, ohne Weiteres eine Berufskrankheit. Vielmehr muss die Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen sein oder zumindest kurz davor stehen. (…) Die vom Kläger geltend gemachten Depressionen, aber auch das Burnout-Syndrom sowie die Neurasthenie seien daher nicht als Berufskrankheiten aufgrund von Stress anzuerkennen. Es lägen auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die eine Entschädigung als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ ermöglichen würden. Da die gesetzliche Regelung im Unfallversicherungsrecht (§ 9 Abs. 2 SGB VII) keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhalte, genüge es nicht, wenn in einem Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Berufskrankheiten-Liste enthaltenen Krankheit sei. Vielmehr müssten zumindest die Voraussetzungen für die Aufnahme in diese Liste erfüllt seien. Hierfür fehle es aber im Falle von Erkrankungen, die möglicherweise auf Stress zurückzuführen seien an den erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Insbesondere werde im Zusammenhang mit Depressionen eine Vielzahl von möglichen Ursachen diskutiert…“ Hiermit wiederholt das Gericht zugunsten der Gesetzlichen Unfallversicherung nur das Argument von Kapital und Gesetzgeber, dass angeblich keine wissenschaftlichen Erkenntnis dafür vorlägen, dass arbeitsbedingter Stress krankmachen kann und wenn stressbedingte Erkrankungen vorlägen, dies hauptsächlich andere Ursachen haben muss als die Arbeitsbedingungen. Und wenn gar nichts mehr nützt, um den Zusammenhang der Berufserkrankung mit Arbeitsstress zu leugnen, verweist man, wie LSG mit seiner Feststellung: „Nicht jede auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführende Erkrankung kann ohne Weiteres als Berufskrankheit anerkannt werden“ einfach auf das Gesetz.

Damit sollte jedoch auch klar sein, dass von gewerkschaftlicher Seite alles abgelehnt werden muss, was für die Beschäftigten Stress bedeutet. Es ist nutzlos, sich über solche Entscheidung zu erregen. So funktioniert halt der Kapitalismus heute: Der Mensch als Verschleißprodukt und ist er kaputt, wird ausgetauscht und nicht etwa für den durch die Arbeitsbedingungen verursachten Schaden die Verantwortung übernommen. Deshalb sollten die Gewerkschaften jede Verhandlung über die Ausdehnung des 8-Stundentags und ähnlicher kapitalistischer Ansprüche auf menschlichen Verschleiß abrechen, solange der Gesetzgeber nicht wenigstens den Arbeitgeber für seine gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen haftbar macht. Dies gilt bereits ohne die Sonderwünsche im Rahmen der Flexibilisierung. Zwar haben die Gewerkschaften mit Vorschlägen zu einer Antistressverordnung Ansätze in die Richtung einer Anerkennung stressbedingter gesundheitlicher Folgen als Berufkrankheit nach § 9 SGB VII gemacht. Aber wie das Urteil des Bayerischen Landessozialgericht zeigt, ohne Erfolg. Die Arbeitgeber reden zwar viel von einer humanen Arbeitswelt, aber gemeint ist das Recht auf gesundheitlichen Verschleißes und gesundheitlicher Ausbeutung der abhängig Beschäftigten. Das Urteil sollte jedoch noch eine weitere Konsequenz für den gewerkschaftlichen Kampf haben.

Da die Arbeitgeberseite nicht für den verursachten Stress aufkommen muss, ist eigentlich niemand verpflichtet, Stress durch die Arbeitsbedingungen zu akzeptieren (auch Geld ist kein Ersatz für eine Berufkrankheit). Was soll widerrechtlich daran sein, dass ich ein Interesse am Schutz meiner Gesundheit habe? Unnötige oder nötige Belastung? Die Gestaltung der Arbeitbedingungen liegt allein im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, woraus letztlich auch nur seine Weisungsbefugnis abgeleitet werden kann. So ergibt sich auch für den Gesundheitsschutz nach § 87 Abs.1 Pkt. 7 BetrVG durch die rechtliche Ablehnung von stressbedingten Berufkrankheiten eine spezielle Sichtweise: Was den Schutz der eigenen Gesundheit betrifft, kann der Arbeitgeber kein Mitbestimmungsrecht geltend machen, weil es halt meine Gesundheit ist, die ich gerade brauche um arbeiten zu können. So stößt auch jede Sozialpartnerschaft an ihre gesundheitlich bedingten Grenzen, weshalb hier auch jede Entscheidung einer Einigungsstelle verfehlt ist. Maßgeblich ist hier vor allem die Haltung der Gewerkschaft. Wenn sie schon nicht die Macht hat den Gesetzgeber beim Arbeitschutz durch psychische Belastungen im Sinne der abhängigen Beschäftigten zu beeinflussen, kann sie diese doch dort unterstützen, wo stressige Arbeitsbedingungen ablehnt bzw. wegen Stress die Arbeit verweigert wird. Die Begründung dafür ist einfach: Da von Seiten des Gesetzgebers nichts zum gesundheitlichen Verschleiß durch die Arbeitgeber unternommen wird, muss dies eben auf der betrieblichen Ebene, beim konkreten Fall, gelöst werden. In sofern lässt sich das rigorose Urteil des Bayerisches Landessozialgericht auch als gewerkschaftliche Aufgabenstellung interpretieren: Um unsere Gesundheit können wir uns nur selber kümmern; auf eine humane Rechtsprechung zu setzen, wäre verfehlt. Im Streitfall lässt sich jedoch darauf verweisen, dass man selbst aktiv werden musste, weil Gesetzgeber und Gericht beim Gesundheitsschutz versagten. Auch wäre eine Diskussion um die Stressquantität und -qualität im Einzelfall verfehlt, eben weil Gesetzgeber und Gericht grundsätzlich stressbedingte Beruferkrankungen aus dem Geltungsbereich des SGB VII ausschließen. Doch wie bei allen Arbeitskämpfen gilt natürlich auch hier: Nichts ersetzt die Solidarität.

Kommentar von Armin Kammrad zum Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.04.2018 externer Link (Az. L 3 U 233/15) – wir danken!

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