Arbeitsmarkt: Ungewöhnliche Allianz für Langzeitarbeitslose

DossierArbeitsmarktpolitik - Montage von Toldi

In der tat eine ungewöhnliche Allianz: FDP und Paritätischer Wohlfahrtsverband erarbeiten gemeinsam ein Konzept, mit dem auch die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt öffentlich gefördert werden soll – um die Vorgaben der 1€-Jobs zu umgehen? Jedenfalls klings das nach einem neuen Feld für die Erwerbslosenindustrie… Siehe dazu:

  • Stellungnahme des ver.di- Erwerbslosenausschuss- Dortmund zur Initiative „Menschen teilhaben lassen- Neue Perspektiven für  Langzeitarbeitslose schaffen“ vom „Deutschen Paritätische Wohlfahrtsverband“, kurz dem „Paritätischen“ und dem sozialpolitischen Sprecher der FDPBundestagsfraktion Pascal Kober MdB.
    Und wieder einmal bildet sich eine Initiative mit dem Ziel, Langzeitsarbeitslose zu beglücken. Wir würden uns ja gerne unvoreingenommen damit beschäftigen, wäre da nicht dieser FDP- Politiker. Jemand der eine Partei repräsentiert, die für ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit bekannt ist. In der Financial Times wurde daher von einer „ungewöhnlichen Allianz“ berichtet. Deswegen haben wir uns das mal etwas näher angeschaut…“ Stellungnahme vom ver.di Erwerbslosenausschuss Dortmund .  Aus dem Text: „… Und wie ist das mit Leuten die nicht arbeiten, sondern von ihren Kapitaleinkommen oder ihrem Vermögen leben? Trifft das o. g. auch für diese zu? Wohl eher nicht! Diese Leute leiden offensichtlich nicht unter ihrer „Erwerbslosigkeit“. Diese werden ja auch nicht von einigen Medien und manchen Politikern permanent diffamiert und an den Pranger gestellt. Wenn sich Arbeitslose schlecht fühlen, dann ist das unserer Kenntnis nach, eher das Resultat einer konstruierten Erwerbslosenfeindlichkeit und einer ständigen Bedrohung der Existenz durch die Jobcenter. Wenn sie sich weigern Armutslöhne zu akzeptieren, können sie bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden. Sie müssen nicht nur mit ihrer Armut zurechtkommen, sondern auch mit aufgehetzten und feindseligen Mitmenschen, die ihnen nicht das Schwarze unterm Fingernagel gönnen. (…) Eine Alternative zu diesem neoliberalen Modell, wäre die Einführung der 30- Stunden- Woche bei vollem Lohnausgleich, humanen Arbeitsbedingungen und ein gesetzlicher Mindestlohn von 10€/Std. Das würde genügend Arbeitsplätze für alle schaffen und einen ÖBS überflüssig machen.“
  • Hunderttausende ohne Perspektive in Hartz IV: Ein Plan für echte Jobs
    Ein großer Plan für Billigjobs“ lautet der Titel von Helga Spindlers verschwörungstheoretisch daherkommender Bewertung der neuen Vorschläge für einen „sozialen Arbeitsmarkt“ von SPD und Grünen, die von mir mitentwickelt wurden. Aber wie so oft im Leben – so einfach 01.02.2013ist es nicht…“ Kommentar von Stefan Sell in der taz vom 1.2.2013 externer Link.
    Aus dem Text: „… Wir müssen aus diesem Gefängnis der Arbeitsmarktpolitik ausbrechen und zugleich akzeptieren, dass die Menschen mit mehreren „Vermittlungshemmnissen“ und langjährigem Hartz-IV-Bezug nun mal mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, der sie niemals (mehr) einstellen wird. Was kann man trotzdem tun? (…) Keine starre Befristung der Förderung, denn der individuelle Förderbedarf variiert erheblich. (…) Wegfall der Zusätzlichkeit und „Wettbewerbsneutralität“. Die allermeisten Unternehmen würden die Menschen, über die wir hier reden, auch bei einer hundertprozentigen Förderung nicht beschäftigen. Also brauchen wir Sozialunternehmen, die im und für den ersten Arbeitsmarkt arbeiten. (…) Die Förderung muss deshalb an der „individuellen Minderleistung“ der Personen festgemacht werden, weil das nun mal leider nach dem EU-Recht die einzige Möglichkeit ist, eine Förderung – die einen Subventionstatbestand darstellt – bewilligt zu bekommen. (…) Um es deutlich zu sagen: Der Vorschlag einer öffentlich geförderten Beschäftigung über eine Lohnkostensubventionierung soll keineswegs für alle oder die Mehrheit der Arbeitslosen Anwendung finden, sondern für die im heutigen System „hoffnungslosen“ Fälle, die aber auch ein Recht auf Arbeit haben und von den viele unbedingt arbeiten wollen. (…) Die Alternative – das möchte man Helga Spindler zurufen – sind doch keine gut dotierten Jobs im öffentlichen Dienst, sondern eine wirkliche und dauerhafte Entrechtung der Betroffenen, die – bei vielen gegen ihren Willen – auf lebenslangen Transferleistungsbezug verwiesen und in diesen einzementiert werden.“
    Unser Kommentar: Sell geht leider nicht auf die Fragen ein, wie er, anders als die Parteien in ihren Entwürfen, gesetzlich sicherstellen will, das sowohl für die Vorauswahl als auch für die Zuweisung Freiwilligkeit gelten soll, dass ein regulärer Lohn gezahlt wird und wie er verhindern will dass die individuellen „Minderleister“ wie von den Parteien geplant einer dauernden und entwürdigenden Begutachtung unterzogen werden. Im Vordergrund steht für ihn  die Existenzsicherung der professionellen Sozialunternehmen und der Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit (bei uns: „Erwerbslosenindustrie“). Kein Personalrat oder Betriebsrat kann mehr ihrem Einsatz wegen fehlender Zusätzlichkeit der Arbeit widersprechen.  Den Sozialunternehmen war bisher schon gleichgültig, mit welchen Rechten und wie freiwillig ihnen die Beschäftigten zugewiesen wurden. Dass sie ihre Klienten persönlich für die Arbeitslosigkeit verantwortlich machen, machte letztes Jahr ein Geschäftsführer in Bremen deutlich: „Wenn sich jemand ganz normal in einer Firma bewerben könnte, würde er das ja tun und nicht in einem 1- Euro Job landen“ (vgl. Arbeitslose sollen schuften. Artikel von Simone Schnase aus der taz vom 15.10.2012 externer Link bei Die Linke Bremen)
  • Ein großer Plan für Billigjobs. Der Vorschlag kapituliert vor dem Stellenabbau
    Kommentar von Helga Spindler in der taz online vom 26.01.2013 externer Link.  Aus dem Text: „… Professor Stefan Sell, der das Modell entwickelt hat, schwärmt von einer „multiplen Win-win-Situation“, bei der für die Betroffenen ein normales, nicht stigmatisierendes Beschäftigungsverhältnis herausspringe. Für die Vermittlung in die Jobs sollen die Kriterien „Zusätzlichkeit“ zum ersten Arbeitsmarkt und „Gemeinnützigkeit“ wegfallen, die als Voraussetzungen die bisherige Förderpolitik von ABM bis zu 1-Euro-Jobs und Bürgerarbeit geprägt haben. Sie waren in der Praxis nur schwer einzuhalten.
    Vor allem der Personalabbau bei öffentlichen und sozialen Dienstleistungen förderte den missbräuchlichen Einsatz von 1-Euro-Jobbern – ihre Arbeit war dann nicht „zusätzlich“, sondern Ersatz für die bisherigen Stellen.
    Hier setzt auch die Überlegung von Sell an, der in den Beschränkungen eine „Lebenslüge“ der bisherigen Förderphilosophie sieht. Als Konsequenz fordert er die völlige Umstellung der Förderung auf marktnahe Tätigkeiten. Damit sich private Firmen nicht über einen Verdrängungswettbewerb beschweren können, soll nicht mehr nur im gemeinnützigen Bereich gefördert werden, sondern ebenso im privatwirtschaftlichen.
    Die große Schwäche von Sells Idee liegt darin, dass er zwar eine richtige Kritik an den Auswüchsen der Beschäftigungsförderung entwickelt, bei der Lösung des Problems aber weder die entrechtete Position der Hartz-IV-Bezieher berücksichtigt noch dem massiven Stellenabbau im ersten Arbeitsmarkt etwas entgegensetzen will. Im Gegenteil, er kapituliert vor dieser Entwicklung. Er fordert, die öffentlich geförderte Beschäftigung müsse „einen Ersatz für einen Teil von dem stellen, was wegrationalisiert worden ist“. Wenn das Einsatzgebiet nicht mehr beschränkt ist, muss zwangsläufig die Zielgruppe beschränkt werden, um die sicher zu erwartenden Kosten und Mitnahmeeffekte einigermaßen in Grenzen zu halten. Der geplanten Förderung geht deshalb die Bewertung der Arbeitslosen voraus: ihres Grades als „Minderleister“. (…) Hinzu kommt ein psychologisches Gutachten, das etwa einen Mangel an Frustrationstoleranz oder Anpassungsfähigkeit festhält – und schon ist der „Minderleister“ identifiziert. Eine Win-win-Situation ist das vielleicht für Behörden, Gutachter, Verbände und Arbeitgeber, aber kaum für die Betroffenen. Schließlich folgt diese Auswahl immer einem Defizitansatz. Eine Person muss zunächst weit abgewertet werden, bevor sie in den „Genuss“ der Förderung kommt
    …“
  • Spindler: „Ein gigantischer Niedriglohnsektor“  
    Zweiter Arbeitsmarkt: Sozialrechtlerin Helga Spindler über die Pläne des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für Langzeitarbeitslose. Interview von Martin Reeh in der taz online vom 03.11.2012 externer Link. Aus dem Text: „… [Spindler] Meiner Beobachtung nach gibt es derzeit zwei getrennte Debatten. Die eine ist die offizielle, wonach Arbeitslosen Chancen angeboten werden, die sie aber oft nicht wollen. Und dann ist da die Sicht von Erwerbslosen. Sie sagen, wir werden in Jobs auf dem zweiten Arbeitsmarkt gezwungen, die uns nichts nutzen und nur dazu dienen, Beschäftigungsfirmen am Leben zu erhalten. [Frage] Dringt diese Sicht noch zu den Beschäftigungsträgern vor? [Spindler] Nicht mehr. Die Beschäftigungsfirmen haben sich ganz auf ihre Auftraggeber von der Bundesagentur für Arbeit eingestellt. Die will kurzfristige Erfolge und schickt gnadenlos in Kurse und geförderte Jobs, auch wenn die Leute nicht zu der Beschäftigungsfirma passen. Die Erwerbslosen selbst haben keine Möglichkeit, wirklich gehört zu werden…“
  • Paritätischer Gesamtverband zur Initiative „Menschen teilhaben lassen – Neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose schaffen!“
    um die notwendige Diskussion um die Förderung der Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosigkeit betroffener Menschen weiter voranzutreiben und dabei neue Bündnispartner zu gewinnen, hat der Paritätische gemeinsam mit dem sozialpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Herrn Pascal Kober MdB, die gemeinsame Initiative „Menschen teilhaben lassen – Neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose schaffen“ gestartet. Teil der Initiative ist die Forderung nach langfristig finanzierten Beschäftigungsmöglichkeiten für langzeitarbeitslose Menschen in möglichst realitätsnahen Beschäftigungsverhältnissen…“ Rundschreiben des Paritätischen Gesamtverbands vom 25. Oktober 2012 externer Link. Dort auch der Download des Konzeptes „Initiative: „Menschen teilhaben lassen – neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose schaffen“ vom 22.10. 2012 (pdf)
  • Arbeitsmarkt: Ungewöhnliche Allianz für Langzeitarbeitslose
    FDP und Paritätischer Wohlfahrtsverband erarbeiten gemeinsam ein Konzept. Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt soll öffentlich gefördert werden. Artikel von Maike Rademaker in der FTD online vom 23.10.2012 externer Link  Aus dem Text:
    „… Nach dem neuen Modell sollen Langzeitarbeitslose je nach Grad des Vermittlungsproblems entweder bei einem sozialen Beschäftigungsunternehmen arbeiten, das ihnen Aufgaben auf dem ersten Arbeitsmarkt sucht, oder eine „assistierte Beschäftigung“ bei einem regulären Unternehmen aufnehmen, bei der ein Betreuer sie begleitet, falls notwendig. Die Jobaufnahme wäre freiwillig. Der Lohn soll aus der Grundsicherung (Hartz IV), dem Zuschuss für Miete vom Jobcenter und zu 25 Prozent vom Arbeitgeber finanziert werden. Die Betreuung würde aus dem Geld für Arbeitsmarktmaßnahmen bezahlt. Die öffentliche Förderung soll, im Gegensatz zu existierenden Lohnkostenzuschussmodellen, nicht befristet sein. (…) Der Wohlfahrtsverband würde von dem Modell profitieren: „Für die rund 1000 Sozialunternehmen wäre das eine wichtige finanzielle Hilfe. Die Kürzungsprogramme haben dazu geführt, dass 20 Prozent dieser Unternehmen ihre Arbeit auf diesem Feld eingestellt haben und 44 Prozent des Stammpersonals abgebaut wurden“, sagte Schneider…“  

LabourNet-Archiv  Siehe deshalb dazu auch unser Special „Erwerbslosenindustrie“ sowie ÖBS – Der 3. Arbeitsmarkt im LabourNet-Archiv

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=13230
nach oben