Arbeit hinter Gittern: Klage für Mindestlohn für Häftlinge

Dossier

gute arbeit fuer uns alle - auch im knastIn den meisten deutschen Gefängnissen ist Arbeit für die Häftlinge Pflicht. Doch oft verdienen sie bloß zehn Euro am Tag. Das will ein Verein jetzt ändern. Denn vielen Gefangenen droht nach der Haft Altersarmut. (…) Viele Häftlinge arbeiten in deutschen Gefängnissen für gewerbliche Auftraggeber. Im Saarland, wo der Großteil der Gefangenen in Fremdbetrieben beschäftigt ist, erbringen diese etwa für die Automobilzuliefer- und Luftfahrtindustrie Teilleistungen (…) Schusterei, Schlosserei, Gärtnerei und die anderen Betriebe haben im vergangenen Jahr mehr als vier Millionen Euro erwirtschaftet. In allen bayerischen Gefängnissen betrug der Umsatz 41,5 Millionen Euro. Die Gefangenen bekommen für die Pflichtarbeit zwischen 9,87 und 16,44 Euro ausbezahlt – am Tag. In den anderen Bundesländern sind die Zahlen ähnlich. In den Strafvollzugsgesetzen der Länder ist festgeschrieben, dass die Vergütung neun Prozent des Durchschnittseinkommens aller Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Jahr beträgt…“ Artikel vom 26.02.2018 in der Welt online externer Link („Verein fordert Mindestlohn für Häftlinge“) und dazu:

  • Strafvollzug und Armutsspirale: Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil / Gefangene in Berliner Knästen sollen immerhin höhere Löhne bekommen New
    • Mehr Knete im Knast: Gefangene in Berliner Knästen sollen höhere Löhne bekommen
      „Mindestlohn? Nicht in Berliner Knästen. Aber immerhin werden die mageren Löhne, die Gefangene für ihre Arbeit hinter Gittern bekommen, wohl erhöht. Das kündigte Esther Uleer (CDU), Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, am Mittwoch im Justizausschuss an. Nach der Sommerpause soll eine Gesetzesvorlage erstellt werden. Ganz freiwillig passiert das nicht. Im Sommer hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Entlohnungsregeln für Gefangene verfassungswidrig sind, weil sie nicht mit dem Resozialisierungsgebot vereinbar seien. Zwar wurde die Klage von zwei Gefangenen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen geführt, die Regelungen im Berliner Strafvollzugsgesetz weisen aber die gleichen Probleme auf. Die 66,5 Prozent der Berliner Gefangenen, die arbeiten, bekommen zwischen 1,77 Euro und 2,81 Euro pro Stunde, wie die Senatsverwaltung für Justiz auf Anfrage mitteilte. Die Berechnungsgrundlage dieses Eckvergütung genannten Lohns ist der Durchschnittsverdienst der regulär Beschäftigten, von dem Gefangene 9 Prozent erhalten. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte sich eine Arbeitsgruppe der Länder gebildet, um Reformvorschläge zu erarbeiten. Einer der von der Senatsverwaltung vorgestellten Punkte ist die Erhöhung der Eckvergütung von 9 auf 15 Prozent. Das würde eine Erhöhung des an Gefangene ausgezahlten Lohns um gut 50 Prozent bedeuten, in der Gehaltsstufe drei für Gefangene, die für 38,6 Prozent der Gefangenen gilt, beispielsweise von 2,29 auf 3,40 Euro pro Stunde. Gleichzeitig soll die Anzahl der bei durchgehender Arbeit möglichen Freistellungstage von acht auf zwölf pro Jahr erhöht werden. (…) »Wenn eine solche Erhöhung kommt, dann ist das eine Farce«, meint Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO. Gefangene sollten von dem Geld beispielsweise Unterhalt zahlen oder Opfer entschädigen, so Matzke weiter. »Damit gebe ich den Menschen nicht das Werkzeug in die Hand, für irgendetwas Verantwortung zu übernehmen.« Das Verfassungsgericht habe ja nicht ausgeschlossen, dass der gesetzliche Mindestlohn als Referenz genommen wird. Die GG/BO fordere eine Erhöhung auf den gesetzlichen Mindestlohn. Darüber hinaus beklagt Matzke, dass zentrale Themen nicht angegangen werden, etwa dass Gefangene nicht renten- oder sozialversicherungspflichtig arbeiten. BMW, Gardena und zahlreiche andere Unternehmen würden seit Jahrzehnten im Gefängnis produzieren lassen. »Arbeit im Knast ist Ausbeutung. Das System Gefängnis stellt der freien Wirtschaft eine sozialabgabenfreie Reservearmee zur Verfügung«, so Matzke.“ Artikel von David Rojas Kienzle vom 22. Februar 2024 in Neues Deutschland online externer Link
    • Strafvollzug und Armutsspirale – Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil
      „Die meisten Haftstrafen haben einen Armutshintergrund. Zur „Resozialisierung“ wäre die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn und Rentenversicherungsbeiträgen auch hinter Gittern förderlich. Stattdessen ist der Strafvollzug Teil eines Systems individueller Zuschreibung von Armut. In den letzten Jahren war in der Bundesrepublik Deutschland viel vom Bestrafen der Armen die Rede. Die weit über die Wissenschaft hinaus geführte Debatte ist maßgeblich durch das Buch von Ronen Steinke über „Die neue Klassenjustiz“ geprägt. Er beschreibt eindrücklich das vielfach übersehene große Leid von Verurteilten in vermeintlich kleinen Strafverfahren. Jeder einzelne Fall offenbart ein dramatisches Schicksal des Lebens am ausgegrenzten Rand der Gesellschaft mit all seinen Widrigkeiten, Teufelskreisen und bürokratisierten Schikanen. (…) Vielfach aus existentieller Not begangene Straftaten werden meist mit Geldstrafe geahndet, die dann bei Nicht-Zahlung in eine (Ersatz-)Freiheitsstrafe mündet. Oder aber es wird gleich eine „kurze“ Freiheitsstrafe von mehreren Monaten verhängt, ohnehin gibt es zu Geld- oder Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht keine Alternative, wenn kein Freispruch erfolgt oder das Verfahren nicht eingestellt wird. Freiheitsstrafen, auch ohne Bewährung, werden beispielsweise bei als unbelehrbar etikettierten Angeklagten verhängt, deren aus Notlagen entstandene Überlebensstrategie beständig mit dem Gesetz kollidiert. Dabei ist das Problem zunächst gerade das einer konstituierten Gleichheit vor dem Strafgesetz – getreu dem Bonmot von Anatol France: „Den Armen liegt es ob, die Reichen in ihrer Macht und ihrem Müßiggang zu erhalten. Dafür dürfen sie arbeiten unter der majestätischen Gleichheit des Gesetzes, das Reichen wie Armen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“ (…) Die Gleichheit vor dem Strafgesetz ist demnach die einer Justitia, der die Augen verbunden wurden, so dass sie die sozialökonomischen Folgen nicht zu sehen vermag, die das mittels Strafrecht stabilisierte Wirtschafts- und Sozialsystem erzeugt. Es kommt hinzu, dass Arme auch nach dem auf einem Strafgesetz beruhenden Urteil nicht gleich sind, weil ihnen aufgrund des Urteils andere Folgen drohen als Reichen. (…) In noch weiterer Hinsicht erzeugt die Konzeption von Gleichheit vor dem Gesetz im Ergebnis Ungleichheit. Denn bei Nichtdeutschen tritt zum Strafgesetz noch das Migrationsrecht hinzu. Während Nichtdeutsche vor dem Strafgesetz gleichbehandelt werden wie Deutsche, folgen beim Migrationsrecht zusätzliche – einschneidende – Konsequenzen, die auch schon bei niedrigen Geldstrafen eintreten können. Das Strafrecht berücksichtigt solche Konsequenzen aber nicht etwa wenigstens systematisch bei der Strafzumessung, sondern stellt sich auch hier mit Gleichheitsanspruch blind. (…) Allerdings ist auch die durch das BVerfG erneut hervorgehobene Funktion der Gefangenenarbeit selbst mit Blick auf das Thema der Armutsbestrafung interessant. Denn da das Ziel des Strafvollzugs darin besteht, Gefangene zu befähigen, ein Leben ohne Straftaten zu führen, geht das BVerfG ersichtlich davon aus, dass ein wesentlicher Grund für Straftaten in mangelndem Bewusstsein für die Notwendigkeit zu suchen sei, erwerbstätig zu sein. Auch die Notwendigkeit einer Erhöhung der Vergütung soll ihren Grund also nicht in der Armutsbekämpfung und Verbesserung der Lebenssituation im Vollzug und nach einer Entlassung haben, wie es etwa aus Sicht der Desistance-Forschung über Bedingungen für einen Ausstieg aus Straffälligkeit naheliegen würde. Vielmehr zielt auch die verlangte Verbesserung auf das Bewusstsein des Individuums und damit auf eine individualisierende Zuschreibung der Ursachen für Armut. (…) Damit reiht sich der Umgang mit Armut im Strafvollzug in den des vorherigen Bestrafungssystems ein, indem prekäre sozioökonomische Verhältnisse ebenso wie die Abwesenheit von Erwerbsarbeit strikt im Individuum verortet werden. (…) Während Arme letztlich für ihre Armut bestraft werden und daher eher im Strafvollzug landen, ist der Strafvollzug so auch selbst Teil der Erzeugung einer Spirale von Armut und Responsibilisierung, mit der die Ursachen von Armut systematisch in das Individuum eingeschrieben werden.“ Beitrag von Christine Graebsch vom 18. Februar 2024 beim gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Nach BVerfG-Urteil zur Gefangenenvergütung: Kein Mindestlohn für hessische Häftlinge
    Seit das BVerfG im Juni entschieden hat, dass Gefangene für ihre Arbeit in Haft zu wenig Geld bekommen, müssen die Länder ihre Gesetze prüfen. In Hessen steht nun schon einmal fest: Mindestlohn wird es für Häftlinge nicht geben.
    Inhaftierte, die in hessischen Gefängnissen Arbeit verrichten, können nicht darauf hoffen, zukünftig nach dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet zu werden. Das hessische Justizministerium lehnt eine Angleichung der Stundenlöhne an diese Richtgröße ab. Die Situationen von Häftlingen und Arbeitnehmern seien nicht vergleichbar und die Regeln zum Mindestlohn daher nicht anwendbar, heißt es zur Begründung. (…) Dass Häftlinge in Hessen keinen Mindestlohn für ihre Arbeit erhalten werden, begründete das Ministerium zum einen damit, dass die Arbeit der Gefangenen im Justizvollzug öffentlich-rechtlicher Natur sei. Außerdem werde den Inhaftierten Unterkunft, Verpflegung und eine „notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung“ gestellt, daher bestehe „keine Vergleichbarkeit“ mit Arbeitnehmern. „Folglich sind die Regeln zum Mindestlohn hier nicht anwendbar“, hieß es. Im Falle einer Orientierung am Mindestlohn, wie dies etwa die Linksfraktion im hessischen Landtag gefordert hatte, würde dies nach überschlägigen Schätzungen Mehrkosten „in zumindest niedriger zweistelliger Millionenhöhe“ bedeuten. Inwieweit die Gefangenenvergütung in Hessen angepasst wird, steht demnach noch aus. Die Regelungen würden anhand der Anforderungen aus Karlsruhe geprüft, hatte Justizminister Roman Poseck (CDU) erklärt. Man stehe dazu im intensiven Dialog mit anderen Bundesländern, könne aber noch keine Ergebnisse mitteilen, heißt es dazu nun.“ Meldung vom 05.01.2024 bei LTO externer Link
  • BVerfG: Niedrigstlohn für Knastarbeit in Bayern und NRW verfassungswidrig – aber kein Mindestlohn und keine Anerkennung von Gefangenen als Arbeitnehmer*innen
    • Gesetzliche Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind verfassungswidrig
      Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) und § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW) mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sind. Diese landesrechtlichen Vorschriften regeln die Vergütung, die Gefangene im Strafvollzug für dort erbrachte Arbeitsleistung erhalten.
      Die Konzepte zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im BayStVollzG und im StVollzG NRW sind in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. Aus den gesetzgeberischen Konzepten kann jeweils nicht nachvollziehbar entnommen werden, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit – im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen – zukommen soll, welche Ziele mit dieser Behandlungsmaßnahme erreicht werden sollen und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit dienen soll. Zudem ist Wesentliches nicht gesetzlich geregelt. In Bayern und Nordrhein-Westfalen fehlt es jeweils an einer gesetzlichen Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen, in Bayern zusätzlich an gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt der Vollzugspläne. Darüber hinaus findet in beiden Bundesländern keine kontinuierliche, wissenschaftlich begleitete Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und deren Vergütung statt.
      Die Vorschriften bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30. Juni 2025, weiter anwendbar…“ Pressemitteilung vom 20. Juni 2023 externer Link zum Urteil vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 166/16, 2 BvR 1683/17
    • BVerfG-Urteil zur Gefangenenvergütung: Niedriglohn für Gefangene ist verfassungswidrig
      „… Das BVerfG begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem besonderen Gewicht, das das Gebot der Resozialisierung bei Freiheitsstrafen erlangt. Hier werde die individuelle Lebensführung weitgehend durch den Staat bestimmt. Daher solle den Gefangenen die Fähigkeit und der Wille vermittelt werden, ihr Leben künftig wieder eigenverantwortlich zu führen.
      In Resozialisierungskonzepten müssen die Länder festlegen, durch welche Maßnahmen die Resozialisierung ihrer Gefangenen erreicht werden soll. Neben der Maßnahme selbst, zu der die Erwerbstätigkeit der Häftlinge gehört, muss daher auch das Ziel konkretisiert werden, welches hierdurch erreicht werden soll. In Bezug auf die Arbeit als Resozialisierungsmittel betonte das BVerfG, dass dieses nur dann wirksam sein kann, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung finde. Die Anerkennung müsse aber nicht durch rein monetäre Vorteile erfolgen, auch beispielsweise eine Haftverkürzung komme in Betracht. Voraussetzung sei jedenfalls, dass die Art der Anerkennung dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit vor Augen führe. Ob der Gesetzgeber hierfür weiterhin ein Nettolohnprinzip verfolgt oder ein Bruttolohnkonzept, bei dem Teile des Lohns beispielsweise für Haftkosten oder zur Schuldenbegleichung aufgewendet werden, einführt, obliege seinem Ermessen, so das BVerfG. Zudem müsse der Gesetzgeber festlegen, welchen Zweck das Arbeitsentgelt verfolgt. Die Höhe des Lohns müsse sodann geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen. „Die Erreichung der gesetzlich festgelegten Zwecke darf angesichts der geringen Entlohnung von Gefangenenarbeit nicht unrealistisch sein.“, präzisierte die Vorsitzende des zweiten Senats Prof. Dr. Doris König. Das BVerfG betont, dass ein solches Konzept zur Resozialisierung nur dann beitragen kann, wenn den Gefangenen durch die Höhe des Lohns bewusstgemacht werde, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist. Diesen Anforderungen genügen die Resozialisierungskonzepte der Länder Bayern sowie Nordrhein-Westfalen nach dem Urteil des BVerfG nicht…“ Beitrag von von Luisa Berger vom 20.06.2023 bei LTO online externer Link – Resozialisierung sei demnach gelungen, wenn die Alternativlosigkeit der Lohnarbeit anerkannt wird…
    • Urteil zu Löhnen im Gefängnis: Was Häftlinge verdienen
      Ist es angemessen, für einen Stundenlohn von 1,78 Euro arbeiten zu müssen? Am Dienstag entscheidet Karlsruhe über eine Klage von Häftlingen. (…) Am 20. Juni will das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Gefangenenentlohnung verkünden. R., dessen Namen wir seinem Wunsch entsprechend abkürzen, ist seit 26 Jahren Strafgefangener in der JVA Straubing. 2015 hatte er gegen die niedrige Entlohnung beim Arbeitseinsatz in den Gefängnissen geklagt. Das Bundesverfassungsgericht nahm seine Klage an, verhandelte aber erst im April 2022 zum Thema. Noch einmal mehr als ein Jahr später ist nun das Urteil fällig. R. hat schon einige Rechtsstreitigkeiten vor das Bundesverfassungsgericht gebracht, mehrere auch gewonnen. Noch nie habe das Gericht so lange für eine Entscheidung gebraucht, beklagt er. Der lange Zeitraum zwischen Annahme der Klage und der Urteilsverkündung am Dienstag hat aber wohl auch damit zu tun, dass ein möglicher Erfolg der Klage – neben R. hat noch ein Strafgefangener aus NRW geklagt – sehr weitreichende Auswirkungen haben würde: Es müssten die Löhne aller rund 42.000 Strafgefangener in Deutschland angehoben werden. R., heute 62 Jahre alt, wird 1997 nach einem Gewaltverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und landet im Gefängnis in Straubing. Ob er arbeiten will oder nicht, wird er nicht gefragt. Im Gefängnis ist Arbeit Pflicht. Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für Gefangene (siehe Infokasten). (…) Tariflohn, Mindestlohn, Branchenmindestlohn – das gilt für Gefangene nicht. Arbeit in Haft gilt nicht als Arbeit im klassischen Sinne. Regelmäßig führen Politik und Gericht an, Arbeit sei ein Mittel der Resozialisierung. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber nirgends; geregelt ist nur die Höhe der Vergütung…“ Artikel von Johanna Treblin vom 19.6.2023 in der taz online externer Link mit umfangreicher Darstelleung der Klage-Geschichte
  • BVerfG verhandelt zur Gefangenenvergütung: Kommt der Mindestlohn für Häftlinge? 
    „Nicht einmal zwei Euro Arbeitslohn pro Stunde erhalten Gefangene derzeit in deutschen Gefängnissen. Ob das noch dem Resozialisierungsgebot des Grundgesetzes entspricht, muss nun das BVerfG entscheiden. Am Mittwoch beginnt die Verhandlung. (…) Auch angesichts hoher Rückfallquoten kritisieren Gefangenenorganisationen und Kriminologen eigentlich schon seit Jahrzehnten, dass sich an der Entlohnung im Strafvollzug dringend etwas ändern müsse. Die Dumping-Löhne widersprächen fundamental dem verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG). (…) Ob dem so ist, wird nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären. Dem Zweiten Senat liegen zwei Verfassungsbeschwerden von Strafgefangenen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen vor, die sich gegen die Höhe des monetären Teils der Gefangenenvergütung richten. (…) Die Gefangenengewerkschaft GG/BO, die zur mündlichen Verhandlung in Karlsruhe geladen ist, fordert eine angemessene Vergütung. Wünschenswert, so Sprecher Manuel Matzke gegenüber LTO, sei die Einbeziehung der Gefangenen in den gesetzlichen Mindestlohn. (…) Ähnlich sieht es auch der Strafvollzugsexperte und Anwalt Prof. Helmut Pollähne, der sich vor einigen Jahren bei LTO auch für die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung ausgesprochen hatte. Ein Versprechen der Politik, aus dem bis heute nichts geworden ist. Pollähne, der auch für den Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte Verein RAV spricht, bezeichnete gegenüber LTO das Thema Gefangenenvergütung als „trübes Kapitel des Vollzugsrechts und der Kriminalpolitik“. „Zu viele Gefangene führt Armut ins Gefängnis: Dass der Vollzug diese Kluft noch vertieft, ist inakzeptabel. Andererseits sind klare Aussagen dazu angezeigt, welche Bedeutung einer gerechten Entlohnung für die Wiedereingliederung zukommt, wobei gerade auch die noch immer ausstehende Einbeziehung arbeitender Gefangener in die Sozialversicherung nicht aus dem Blick geraten darf“, so Pollähne. (…) Von der „Sonderwirtschaftszone Knast“ profitieren derzeit etliche Unternehmen. Der Deutschlandfunk hatte 2020 mehr als 80 Firmen zusammengetragen, die Aufträge an Gefängnisse vergeben haben. Darunter fanden sich Konzerne wie BMW, Volkswagen oder Miele, aber auch mittelständische Unternehmen wie die Haus- und Sicherheitstechnik-Firma Brennenstuhl oder der Schreibwarenhersteller Edding. Die Abhängigkeit der Anstalten von Aufträgen und Arbeitsplätzen ist laut DLF für die Unternehmen ein Vorteil, da sie den Gefängnissen die Preise diktieren könnten. Unterdessen behauptet der DAV, dass bei Fremdaufträgen durch Firmen Tariflöhne bezahlt würden, von denen die Inhaftierten selbst nichts hätten. Das BVerfG könnte nun bald sicherstellen, dass ein Teil dieses Geldes auch bei denen ankommen, die die Arbeit erledigen.“ Beitrag von Hasso Suliak vom 26. April 2022 bei LTO externer Link, siehe auch:

    • BVerfG verhandelte zur Gefangenenvergütung: Mindestlohn im Gefängnis unwahrscheinlich
      Entspricht der aktuelle Arbeitslohn für Strafgefangene noch dem Resozialisierungsgebot der Verfassung? Zwei Tage hat das BVerfG hierzu verhandelt. Radikale Änderungen des bisherigen Systems sind nicht zu erwarten. Ausgerechnet am Tag, an dem der Deutsche Bundestag eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro beschloss, beendete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine Erörterungen zu der Frage, ob der Stundenlohn für Strafgefangene noch dem Resozialisierungsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG genügt. Aktuell beträgt er je nach Leistung und Qualifikation gerade einmal zwischen 1,37 und 2,30 Euro. Ist diese Vergütung in Ergänzung mit den in fast allen Ländern für kontinuierliches Arbeiten gewährten sechs bis acht Freistellungstagen pro Jahr, die am Ende die Haftdauer verkürzen können, verfassungskonform? Oder sollte sich auch der Gefangenenlohn z.B. am gesetzlichen Mindestlohn orientieren? Der Verhandlung lagen zwei Verfassungsbeschwerden von Strafgefangenen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen (NRW) zugrunde – beide zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Ob sie – und weitere rund 60 Prozent der 45.000 Strafgefangenen, die derzeit in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) arbeiten – demnächst mit einem höheren Lohn rechnen können, ist offen…“ Kommentar von Hasso Suliak vom 29.04.2022 in LTO online externer Link
  • Werden Gefangene zu schlecht bezahlt?
    „… Arbeitende Gefangene gelten rechtlich nicht als Arbeitnehmer. Vielmehr sollen die ihnen zugewiesenen Aufgaben sie auf ein Leben in Freiheit vorbereiten, Resozialisierung nennt man das. (…) In früheren Entscheidungen hat das Verfassungsgericht gesagt, dass Arbeit im Strafvollzug nur unter bestimmten Voraussetzungen ein wirksames Resozialisierungsmittel darstellt. So muss etwa die Leistung der Gefangenen durch einen greifbaren Vorteil auch angemessene Anerkennung finden. Hierdurch soll ihnen „der Wert regelmäßiger Arbeit für ein straffreies Leben vor Augen geführt werden“. Dieses Ziel werde aber aufgrund der geringen Vergütung verfehlt, findet Manuel Matzke, Sprecher des Vereins „Gefangenen-Gewerkschaft/ Bundesweite Organisation“ (GG/BO). „Das, was das System mit dieser aktuellen Entlohnung vermittelt, ist einzig und allein, dass sich ehrliche Arbeit nicht auszahlt“, sagt er. (…) Das bayerische Justizministerium verweist demgegenüber darauf, dass die Arbeit Gefangener deutlich weniger produktiv sei, als Arbeit in der freien Wirtschaft. Ein Argument, das GG/BO-Sprecher Matzke nicht gelten lassen will. Ihm zufolge würden externe Firmen ihre Artikel überhaupt nicht von Häftlingen fertigen lassen, wenn die Arbeit nicht adäquat ausgeführt würde. „Den Firmen geht es darum, Geld zu verdienen“, sagt er, „nicht darum, Menschen eine Beschäftigung zu geben“. Also wird sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine höhere Vergütung Strafgefangener zum Wegfall von Arbeitsplätzen in Haft führen würde. Dies wäre womöglich dann der Fall, wenn es sich für Unternehmen finanziell nicht mehr lohnen würde, ihre Waren in Gefängnissen produzieren zu lassen. (…) Ein weiterer Punkt: Die Geldzahlungen, die arbeitende Gefangene erhalten, stellen nur einen Teil ihres Lohns dar. In vielen Bundesländern sind auch freie Tage Teil der Vergütung. So sieht das bayerische Strafvollzugsgesetz vor, dass Gefangene für zwei Monate verrichtete Arbeit einen zusätzlichen freien Tag erhalten. In NRW sind es zwei Freistellungstage für drei Monate Arbeit. Diese erarbeitete Freizeit kann auch als Urlaub aus der Haft genutzt werden. Alternativ ist es möglich, dass sich Inhaftierte die freien Tage auf den Zeitpunkt der Entlassung anrechnen lassen.  Zwar können die Gefangenen die Dauer ihrer Haft durch Arbeit nur geringfügig verkürzen. Dennoch hatte das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Freistellungstage in der Vergangenheit besonders betont. So heißt es in einer früheren Entscheidung, die Aussicht, die Freiheit vorzeitig wiederzuerlangen sei für die Gefangenen von derart hoher Bedeutung, dass sie als Mittel der Entlohnung geeignet ist, das Resozialisierungsgebot umzusetzen. Dass für die verrichtete Arbeit auch Freizeit als Lohn gewährt wird, kann eine niedrige monetäre Vergütung insofern bis zu einem gewissen Grad aufwiegen…“ Beitrag von Leon Fried, SWR, und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion, vom 27. April 2022 bei tagesschau.de externer Link

Siehe zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=129046
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