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Der erste Prozesstag gegen die Hungerstreikenden in Ankara: Wovor fürchtet sich das türkische Regime?

Die Hungerstreikenden von Istanbul am 50. TagDer erste Prozesstag gegen Nuriye Gülmen und Semih Özakca war auch eine Demonstration der Schwäche des Erdogan-Regimes. Was keineswegs nur mit dem Polizeiaufgebot vor dem Gericht in Ankara dokumentiert wurde, sondern durch eine ganze Reihe von Schritten und Maßnahmen verdeutlicht wird. Als allerstes: Die beiden „Angeklagten“ durften erst gar nicht vor den richtern erscheinen – wegen Fluchtgefahr. Was so lächerlich klingt, wie es ist: Nach monatelangem Hungerstreik sollten die beiden in der Lage sein, einer ganzen Polizeiarmada zu entfliehen? Konsequenterweise wurde auch ihre beantragte Haftentlassung abgelehnt, dem entsprechenden Begehren der Anklage wurde statt gegeben. „Abgerundet“ wurde dieser ganze reaktionäre Zirkus durch die Festnahme von Rechtsanwälten vor dem Gerichtsgebäude und eben dem erwähnten allgemeinen Polizeiaufmarsch. Fortsetzung des Prozesses soll nun am 28. September sein, wobei verschiedene Mutmaßungen darüber angestellt wurden, was die Regierung und ihre Ankläger sich bis dahin einfallen lassen werden, um sogar einen normalen Prozess (soweit dies bei einer solch konstruierten Anklage gesagt werden kann) zu verhindern… Siehe dazu drei aktuelle Beiträge und den Verweis auf bisherige Beiträge zum Hungerstreik im LabourNet Germany:

  • „Die Unbeugsamen von Ankara“ von Jan Keetman am 14. September 2017 in neues deutschland externer Link, worin es unter anderem zu den reichlich durchsichtigen Maßnahmen des Innenministeriums heißt: „Die Solidaritätsbekundungen wollte die Staatsmacht aber offenbar nicht tolerieren. Am 23. Mai kam in aller Frühe die Polizei. Ein Richter ordnete Untersuchungshaft an. Innenminister Süleyman Soylu rechtfertigte die Haft mit der Behauptung, die beiden Hungerstreikenden hätten »organische Verbindungen« zur Untergrundorganisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C). Dabei handelt es sich um eine militante Gruppe, die sich das Ziel gesetzt hat, die Staatsordnung in der Türkei »durch einen bewaffneten revolutionären Akt« zu zerschlagen. Die DHKP-C unternimmt von Zeit zu Zeit bewaffnete Aktionen, z.B. greift sie Polizeireviere an, und wird deshalb als terroristische Organisation verfolgt. Um den Terrorvorwurf gegen die beiden Akademiker zu belegen, publizierte das Innenministerium sogar eine Broschüre mit dem Titel: »Die nicht enden wollende Inszenierung einer Terrororganisation, die Wahrheit über Nuriye Gülmen und Semih Özakca«. Mit großer Härte geht die Staatsgewalt auch gegen Unterstützer der beiden vor. Zum Beispiel wurde im August gegen elf Fans des Istanbuler Fußballclubs Besiktas Untersuchungshaft verhängt, weil sie im Stadion ein Spruchband mit der Aufschrift »Nuriye und Semih sollen leben« hochgehalten haben sollen“.
  • „Lawyers from TKP: We will continue to support hunger strikers‘ fight“ am 13. September 2017 bei SoL International externer Link ist die Meldung über eine Erklärung von Rechtsanwälten der Türkischen Kommunistischen Partei, die ihre Entschlossenheit bekräftigen, die Verteidigung der beiden Angeklagten fortzusetzen. Grund dieser Erklärung war die Festnahme von mindestens 15 Rechtsanwälten bereits am Vorabend der Justizfarce – der wohl offensichtlich am besten ohne Angeklagte, ohne Verteidiger und nur mit polizeilich ausgesuchtem Publikum stattfinden soll, damit er nicht zu einer neuen Blamage für einen keineswegs großen Führer werden kann.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=121481
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