[Aktionsaufruf zu 2 Petitionen] Energiecharta-Vertrag kündigen – sofort! Schiedsgerichte haben nichts mit Recht zu tun

Energiecharta-Vertrag kündigen - Klimakiller-Pakt kündigen„… Er ist so schlimm wie TTIP und CETA, aber schon lange in Kraft: der Energiecharta-Vertrag (ECT). Kaum jemand kennt das Abkommen, doch angesichts der Klimakrise entfaltet es jetzt eine fatale Wirkung. Der Pakt zwischen 53 Staaten verhindert, dass fossile Kraftwerke schnell abgeschaltet werden können, bei uns und europaweit. Denn er ermöglicht ausländischen Konzernen enorme Entschädigungsklagen. Konzernklagen werden dabei nicht vor ordentlichen Gerichten verhandelt. Sondern vor geheim tagenden Schiedsgerichten, die Regierungen in den letzten Jahren zu Entschädigungen in Höhe von 51,2 Milliarden US-Dollar verurteilt haben. Viele weitere Fälle sind noch offen: RWE hat die Niederlande wegen des Kohleausstiegs verklagt, und in Washington D.C. wird seit acht Jahren die Vattenfall-Klage gegen den deutschen Atomausstieg verhandelt. Noch lässt sich die Klagewelle aufhalten: Frankreich und Spanien haben vorgeschlagen, dass die EU-Staaten den Pakt gemeinsam verlassen. Aber Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist dagegen, er scheut den Konflikt mit RWE und Co. Die Zeit ist knapp – schon am 2. März treffen sich die Unterzeichnerstaaten, um über die Zukunft der Energiecharta zu verhandeln. (…) Deshalb wenden wir uns jetzt an die Union: (…) Der bestehende Energiecharta-Vertrag könnte die Energiewende drastisch erschweren – und deutlich teurer machen…“ Aufruf der Aktion ‚Freiheit statt Angst‘ vom 24. Februar 2021 externer Link zu Petitionen bei Campact.de externer Link und WeMove.eu externer Link. Siehe einen Kommentar von Armin Kammrad:

Dazu Anmerkung von Armin Kammrad vom 25. Februar 2021

So richtig und notwendig die Annullierung des Energiecharta-Vertrags (ETC) ist, schiedsrichterliche Verfahren stehen nach herrschendem bürgerlichen Rechtsverständnis nicht außerhalb der Rechtsordnung (so fälschlich in der Überschrift). So enthält die deutsche Zivilprozessordnung (ZPO) immer schon ein ganzes Buch (Buch 10 §§ 1025 ZPO) zum Schiedsrichterlichen Verfahren, deren Beschluss nach § 1055 ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils selbst dann hat, wenn der Schiedsspruch unter im Gesetz aufgezählte gewichtige Mängel leidet (§§ 1059 ZPO). Was ausländische Schiedssprüche nach § 1061 ZPO betrifft, gilt bezüglich Anerkennung und Vollstreckung im deutschen Recht immer noch die sog. ‚New Yorker Übereinkunft‘ vom 10. Juni 1958 – allerdings nur im Sinne eines bürgerlichem – und nicht bzw. nur so verfassungsgebundenem – (Parallel-)Rechts. Der nationale Rechtsbezug kann jedoch frei vereinbart werden (vgl. zu Details „Der Code des Kapitals – Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft“ von Katharina Pistor, Suhrkamp 2020)

Diese Stellung im bürgerlichen Recht legalisiert allerdings das konkrete Schiedsrecht der ganzen Verträge (TTIP, CETA oder jetzt ETC) nicht unbedingt, da es nicht nur darauf ankommt, was genau vereinbart wird, sondern auch warum überhaupt der Weg über Schiedsverfahren gewählt wird, und ob ein nachteiliger Eingriff über Schiedsgerichtsverfahren in andere, nicht vertraglich regelbare Rechtsbereich, wie das Verfassungsrecht, überhaupt legal ist. So stellt jede schiedsgerichtlich regelbare Staatshaftung im Falle von privaten Profitverlusten durch staatliche Maßnahmen, eine bewusst gewählte Paralleljustiz dar, die neben völkerrechtlich verbindliche Verträge tritt. Der einzige Zweck ist die, dem Verfassungs- und Völkerrecht ansonsten unbekannte, Sonderstellung von durch demokratische Beschlüsse gefährdetes Kapitalinteresse, also die bewusste politische Entscheidung, dass die Funktionsweise des kapitalistischen Systems allen demokratischen Interessen möglichst übergeordnet ist. Diese fragwürdige Sonderstellung lässt sich gut durch einen Vergleich mit einer betriebsbedingten Kündigung verdeutlichen: Hier kann der oder die Betroffene nämlich nicht finanzielle Verluste geltend machen, wenn z.B. aufgrund von Renditeinteressen er oder sie entlassen wird. Ebenso wurden sozialrechtliche Klagen mit dem Hinweis, fehlender (echter) Rückwirkung, abgelehnt (man konnte sich angeblich auf materielle sozialrechtliche Verschlechterungen „einstellen“), als die sozialdemokratische AGENDA-Gesetzgebung plötzlich die Arbeitslosenhilfe völlig abschaffte und die Bezugsdauer von ALG I extrem kürzte. Hier gab es nicht einmal eine ausreichende Existenzsicherung (Stichwort „Regelsatzhöhe“) als Ausgleich für durch betriebsbedingte Kündigung verlorenes Erwerbseinkommen. Bei der Sicherung von privaten Profiten ist es völlig anders – und nicht nur im Falle von Schiedsbeschlüssen: Gewinne sollen auch dann gesichert sein, wo sie noch gar nicht erzielt wurden und nur für die Zukunft durch legale demokratische Entscheidungen evtl. bedroht sein können, sowie höherwerte Allgemeininteressen in angestammte Kapitalinteressen eingreifen (sog. staatlicher Eingriff in den freien Markt).

Schiedsgerichtsverfahren entziehen nun Schadensersatzforderungen weitgehend der verfassungsrechtlichen Kontrolle (vgl. oben ZPO). Als verfassungsrechtliches Problem bleibt juristisch nur jedoch die Frage nach dem Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zu anderen Rechtsbereichen übrig, wobei hier unter gegenwärtigen Bedingungen nichts Sensationelles zu erwarten ist, da ersten Vertragsfreiheit – und damit vertraglich vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit – ein sehr hohes verfassungsrechtliches Gut darstellen soll. Und zweitens es als Sache der gesetzgebenden Politik und deren „Eigenverantwortung“ betrachtet wird, wie sie internationale Verträge gestaltet. In sofern betreiben jedoch jene Politiker (parlamentarische Mehrheiten) eine Sicherung von privaten Gewinnen und deren Ausgleich aus dem Steuertopf ohne jeglichen rechtlichen Zwang, die Verträge abschließen, in denen kapitalistische Privatinteressen über die Interessen der Allgemeinheit gestellt werden. Nicht zufällig kann und muss der Widerstand deshalb in der Regel außerparlamentarisch und international sein – und das möglichst massenhaft. Denn die Eingriffe des privaten Kapitals in die es belastende demokratische Gestaltung (z.B. zu Gunsten der Umwelt), wenden die gewählten „Volksvertreter*innen“ ja nicht von sich aus ab. Wäre es anders, gäbe es das Rechtsproblem mit Schiedsgerichten gar nicht.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=187008
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