#IchBinArmutsbetroffen: Warum der Hashtag so wirkmächtig ist

Dossier

#IchBinArmutsbetroffen„… Unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen, den die alleinerziehende Mutter »Finkulasa« in Gang gebracht hatte, beschreiben gegenwärtig Menschen, was es bedeutet, in Deutschland von Armut betroffen zu sein. Diese Formulierung »von Armut betroffen« ist hier sehr wichtig, denn es geht eben nicht darum, arm zu sein, als sei es eine Eigenschaft, sondern man muss Armut als etwas begreifen, das einem widerfährt, als einen Schicksalsschlag. Und das ist vielleicht auch die Essenz dieses Hashtags: deutlich zu machen, dass Armut in verschiedenen Konstellationen jeden treffen kann. In den zahlreichen Schilderungen wird jedoch auf detaillierte Weise anschaulich, wie schwer es ist, hierzulande mit Hartz IV, Niedriglöhnen, Aufstockung oder einer geringen Rente ein würdevolles Leben zu führen. (…) Mit der Behauptung von Schuld und Faulheit, von Charakterschwäche und der potenziellen Möglichkeit, es ja aus eigenem Antrieb besser machen zu können, wenn man denn nur wollte, gibt man Menschen erfolgreich so lange die Schuld an der eigenen Armut, bis sie die Scham verinnerlicht haben und gegen sich selbst einsetzen; bis sie sich selbst für unzureichend und schwach halten, für nicht zugehörig und zu Recht in der aussichtslosen Position gelandet…“ Kolumne von Samira El Ouassil vom 19. Mai 2022 beim Spiegel online externer Link und dazu:

  • #IchbinArmutsbetroffen: „Na dann kündigt doch euren Job und legt euch in die soziale Hängematte!“ New
    „Wer vom Bürgergeld lebt, genießt das Leben in aller Faulheit? Unsere Autorin Janina Lütt hat die Nase voll von neoliberalen Leistungsmythen – und ermutigt zu Widerstand: Nur wer sich dem eigenen Armutsrisiko stellt, kann klar sehen
    Neben dem angeblich „faulen Bürgergeldempfänger“ ist der zweitschlimmste neoliberale Mythos die sogenannte „soziale Hängematte“. Für Menschen, die nicht mit der Lebensrealität von Armutsbetroffenen vertraut sind, ist es einfach, solche dahergesagte Begrifflichkeiten zu übernehmen. Diese Bürgergeldempfänger hätten ja den „Luxus“, nicht zu arbeiten. Das ist eine Form von Kleingeistigkeit, die mir ernsthaft Sorgen macht. Ich rate dann gern: Wenn Sie meinen, dass das Leben als Armutsbetroffene so gemütlich ist, dann kündigen Sie doch ihren Job und lassen Sie sich in diese nicht vorhandene goldene Hängematte fallen. Und dann reden wir weiter. Dass über Armut falsche Aussagen gemacht und Armutsbetroffene politisch instrumentalisiert werden, dient als Mittel, sie gegen die sogenannte „hart arbeitende Mitte“ auszuspielen. Diese Diffamierung von Armutsbetroffenen hat System und kaum jemand, der nicht selbst betroffen ist, hinterfragt dieses System. Warum wird dauernd über Bürgergeldempfänger berichtet, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder arbeitssuchend sind – aber kaum über die armutsbetroffenen Rentner*innen, die pflegenden Angehörigen, die körperlich oder psychisch Kranken, die Behinderten, die Auszubildenden, die meistens mit ihrem Gehalt unter die Armutsgrenze fallen oder die Studenten, die temporär zu den Armutsbetroffenen zählen? Weil es einfacher ist, die Mär der Faulheit in der ersten Gruppe aufrechtzuerhalten, während bei letztgenannten offensichtlich wird, dass die Leistungsideologie ins Unmenschliche kippt. (…) Solange das Bild von Armut von Vorurteilen beherrscht wird, sind für die Entscheidungsträger dieses Landes Argumente gegen Regelsatzerhöhungen glaubwürdiger als Berichte über die Lebensrealität der Betroffenen…“ Artikel von Janina Lütt vom 28. September 2023 im Freitag online externer Link

  • Ein Jahr #IchbinArmutsbetroffen: Arm, sichtbar, stolz 
    „Vor einem Jahr ermutigte der Hashtag #IchbinArmutsbetroffen unsere Autorin Janina Lütt, über ihre Armut zu sprechen. Sie hat Mut gewonnen und Scham verloren, sagt sie – und spricht über das, was ihr in der Debatte fehlt. Mein Name ist Janina Lütt, ich bin 46 Jahre alt, alleinerziehende Mutter, und ich bin armutsbetroffen. Solch einen Satz hätten Sie vor dem 17. Mai 2022 von mir nicht gelesen. Ich gehöre zu den armen Menschen in Deutschland, aber habe mich für meine lange Armut geschämt. Dann kam der Hashtag #IchBinArmutsbetroffen. (…) #IchBinArmutsbetroffen hat viele von uns politisiert und stark gemacht. Als wir uns im Oktober vor dem Bundestag in Berlin trafen, um die Unterschriften der Petition „Wir wollen in Würde leben – schafft Armut ab!“ Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) zu überreichen, kamen 250 Menschen! Die Medien fanden das nicht viel, aber für uns und die Umstände, unter denen wir leben, sind 250 Menschen sehr viel. Erstmals sprachen Betroffene vor großem Publikum. Es war bestärkend und ermutigend – auch wenn der eingeladene Politiker es nicht für nötig hielt, zu erscheinen. Was hat sich für mich geändert? Ich bin selbstbewusster geworden und meine Armut lässt sich seelisch besser aushalten, weil ich weiß, dass ich keine Schuld daran trage. Schon, dass Sie meinen Artikel heute lesen, bedeutet für mich, sichtbar zu sein. In den Medien ist das Wort „armutsbetroffen“ angekommen, es wird nicht mehr das von uns verhasste „sozial schwach“ benutzt. Journalist*innen haben entdeckt, dass Armutsbetroffene etwas zu sagen haben, dass sich hinter den Zahlen der Statistik Menschen verbergen. Aufmerksamkeit ist gut – aber es muss sich politisch etwas ändern. Der Bürgergeld-Regelsatz von 502 Euro ist viel zu niedrig: Mit der Erhöhung um 52 Euro wird gerade mal die Inflation ausgeglichen. Auch brauchen wir so schnell wie möglich eine Kindergrundsicherung, mehr sozialen Wohnungsbau und eine faire Lösung für die Haushalte, die ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Das sind keine bloß schön sozial klingenden Forderungen. 14,1 Millionen Menschen warten auf eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation. Armut ist nicht selbst verschuldet, sondern eine soziale Situation. Das heißt: Armut lässt sich bekämpfen. Wir haben uns Sichtbarkeit erkämpft. Nun ist es an euch, liebe Regierenden: Fangt an!“ Artikel von Janina Lütt vom 5.5.23 aus der Freitag-Ausgabe 18/2023 externer Link – allerdings hat dieses Jahr an der Armut selbst nichts geändert, eher im Gegenteil
  • Neoliberalismus: Spartipps für die Armen, Bewunderung für die Reichen 
    Geht es ums Geld, neigen sich Kritik, ungebetene Ratschläge und neidische Blicke gern nach unten. Falsche Richtung, findet unsere Autorin
    „Ich bin armutsbetroffen und twittere über mein Leben in Armut unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen. Dafür werde ich auf verschiedenste Weise angefeindet. Ich solle mich schämen, als Bürgergeldbezieherin mehr Geld zu verlangen, weil der Regelsatz zu niedrig bemessen ist. Niemand schreibt einem Spitzenmanager, der ein paar Tausend Euro mehr verdient in der Krise, dass er sich schämen soll, so viel Gewinn zu machen. (…) Anstatt sich mit den Ursachen und Hintergründen der politisch gewollten Armut zu beschäftigen, werden wir beschimpft, verschwiegen oder ignoriert. Ich habe ein wunderbares Interview des Armutsforschers Butterwege gefunden, der es hervorragend in Worte fasst: „Leider ist in Deutschland der Sozialneid nach unten sehr ausgeprägt. Angehörige der unteren Mittelschicht glauben oft, die Armen würden vom Staat gepampert. Dabei wäre es gerade für die Mittelschicht logischer, nach oben zu schauen“, sagt Butterwege. Auch werde Leistung mit ökonomischem Erfolg gleichgesetzt. Oder „verwechselt“, wie er sagt. Und auch das ist wichtig: „Wer reich ist, ist natürlich politisch einflussreich und tut alles dafür, um seine Privilegien auf gesetzlichem Weg zu sichern.“ (…) Ich habe in einem Tweet auf die lächerliche Summe von 1,81 Euro hingewiesen, die mir pro Monat für Bildung im Bürgergeldsatz zur Verfügung steht. Deshalb musste ich den restlichen Betrag von meinem Satz für Bekleidung und Schuhe nehmen, um das Buch zu bezahlen. Sie haben richtig gelesen, die Summe, die mir als Bürgergeldbezieherin für Bildung im Monat zusteht, sind 1,81 Euro! Für ein Buch von 15 Euro müsste ich über ein Jahr sparen! Zumindest kann ich mir jeden Monat einen Bleistift kaufen. Aber Bücher? Scheinen nicht vorgesehen. Es gibt mir das Gefühl, wir Armustbetroffenen sollen uns nicht bilden. Dabei ist Bildung ein möglicher Weg aus der Armut, so wird es zumindest behauptet. Ein Schelm, wer Böses denkt. Und ja, dieses Buch polarisierte meine Follower nicht wegen des Themas, sondern weil ich mir ein „ja vollkommen unnötiges Buch“ geleistet habe, mit Bürgergeld, als armer Mensch! Andere wissen es immer besser, was wir Arme angeblich dürfen und nicht dürfen. Es ist für uns schwer auszuhalten, diese „Besserwisserei“. Daher betone ich: Es ist meine Sache, wofür ich mein Geld ausgebe. Ich brauche keine ungewollten Spartipps, übergriffige Lebenscoaches oder Klassisten. Ich brauche Verständnis, Solidarität und Akzeptanz.“ Artikel von Janina Lütt vom 12. März 2023 im Freitag online externer Link
  • #IchbinArmutsbetroffen: Kundgebung vor dem Kanzleramt soll nur der Anfang sein 
    Annis Stimme zittert, als sie zu reden beginnt. Die Frau mit den bunten Strumpfhosen steht auf einer Bühne vor dem Bundeskanzleramt und erzählt davon, wie ein einzelner Tweet eine ganze Bewegung losgetreten hat. Anni ist die Frau, die im Mai 2022 den Hashtag #IchbinArmutsbetroffen ins Internet geworfen hat. Sie ist der Stein des Anstoßes, der dazu geführt hat, dass Armutsbetroffene der ganzen Republik auf Twitter ihre Geschichte teilen. An diesem Tag aber, vor dem Bundeskanzleramt im Berliner Regierungsviertel, bleiben diese Geschichten nicht länger auf Twitter. Stattdessen sprechen zwölf Betroffene auf der Kundgebung der Initiative #IchBinArmutsbetroffen. Knapp 200 Menschen sind gekommen, um ihnen zuzuhören. Viele davon sind selbst arm. Für viele, die von weiter weg hätten anreisen wollen, ist Mobilität ohne das Neun-Euro-Ticket wieder zu teuer geworden. Politische Teilhabe nicht möglich, wegen Armut. (…) Was viele der Versammelten eint, ist mehr als ihre prekäre Lage. Sie teilen die Diskriminierungserfahrung. Sie teilen ihre Frustration, die Wut. Sie wollen nicht, dass Sozial- und Wohlfahrtsverbände, genauso wie die Politik nur über sie sprechen, aber nicht mit ihnen. (…) Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) waren eingeladen. Immer wieder fragt sich die Moderatorin Ines Schwerdtner, wann Olaf Scholz wohl herauskommen werde. Im Publikum bildet sich kurzzeitig ein „Olaf, Olaf, Olaf“-Chor. Vom Kanzler dennoch keine Spur. Weil die Initator:innen Arbeitsminister Hubertus Heil dennoch den offenen Brief mit ihren Forderungen externer Link überreichen wollen, haben sie sich eine Alternativlösung ausgedacht. Statt an den Arbeitsminister aus Fleisch und Blut übergibt Schwerdtner den Brief an Heils Papp-Double. Die Zuschauenden jubeln. Unterzeichnet wurde der Brief mittlerweile von 65.132 Menschen. Gefordert wird in darin eine Umverteilung hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Konkret geht es um nachhaltige Entlastungen in Zeiten der Energiekrise. Um einen Abbau von Bürokratie, um einen Stopp an Mietsteigerungen und um eine Mindestrente…“ Artikel von Rebecca Sawicki vom 16.10.2022 bei watson.de externer Link mit Fotos, siehe die Ankündigung im Dossier: Startet mit #SyltEntern und ähnlichen Aktionen eine heiße Phase der Proteste gegen Preissteigerungen und Verarmung?
  • Die Frau hinter #ichbinarmutsbetroffen: »Glaubt Scholz allen Ernstes, dass 200 Euro Einmalzahlung reichen? Geht der Mann nicht einkaufen?« 
    „13,8 Millionen Menschen gelten als armutsgefährdet, für sie geht es in der Krise um die Existenz. Anni W. hat ihnen mit einem Hashtag auf Twitter eine Stimme gegeben. Doch nicht nur sie bezweifelt, dass sie gehört wird. Fast auf den Tag genau drei Monate nachdem sie den Tweet in ihr Handy getippt hat, an einem Donnerstag im August, hat Anni W., die Frau, deren Namen inzwischen sogar der Kanzler schon einmal gehört hat, noch 60 Euro auf ihrem Konto. Das muss reichen. Für 14 Tage, an denen sie und ihr Sohn essen müssen, sich kleiden, sich fortbewegen und Rechnungen bezahlen. Sie steht in ihrer Küche und brät 400 Gramm abgelaufenes Hähnchenfleisch, »Innenfilets aus der Brust geschnitten«. Mindesthaltbarkeit: 1. Februar 2022. So steht es auf der Packung. Daneben ein großer neonfarbener Aufkleber: »–30 %«. nni W. schiebt das aufgetaute Fleisch in der Pfanne hin und her und sagt, sie kaufe Fleisch nur noch kurz vor Verfallsdatum und friere es dann ein. »Anders kann ich es mir gar nicht mehr leisten.« Anni W. lebt in Nordrhein-Westfalen, in Voerde, einer kleinen Stadt am Niederrhein, in einer »Schimmelwohnung«, wie sie sagt. Drei Zimmer auf 67 Quadratmetern. An der Zimmerdecke, über dem Bett ihres Sohnes Benjamin*, breitet sich ein nasser Fleck aus wie Aquarellfarbe auf einem Blatt Papier. Ihre zwölfjährige Tochter lebt seit sechs Monaten bei ihrem Vater. »All You Need Is Love«, steht auf einer Leinwand über der Küchentür; es klingt wie eine trotzige Behauptung. (…) Aber Anni W. ist krank, sie leidet an Arthrose in der Lendenwirbelsäule und seit vielen Jahren unter Depressionen. Es gibt Tage, sagt sie, an denen könne sie nichts tun, auch nicht einkaufen oder kochen. Dann reicht es nur noch für Konserven oder Tiefkühlpizzen. »Gehen Sie doch mal spazieren, an die frische Luft«, habe ihr ein Sachbearbeiter im Jobcenter gesagt, »dann wird das schon.« Aber es wurde nicht. Und nun steht sie hier in ihrer Küche, und die steigende Inflation schiebt sie mit jedem Prozent weiter an den Rand. (…) Sie sagt: »Es nutzt nichts, wenn die Politiker jetzt immer sagen, man soll sich einschränken. Ich kann mich nicht mehr einschränken – weil alles so auf Kante ist.« Sie macht eine Pause. »Nee«, sagt sie dann, »es ist längst unter Kante.« (…) Inzwischen hat sie »Entlastungsgeld« bekommen: einmalig 200 Euro plus 100 Euro Kinderbonus. »Weg«, sagt Anni W., wie Nieselregen, der auf trockenen Boden fällt…“ Reportage von Dialika Neufeld aus Der Spiegel 37/2022 im Spiegel online am 9. September 2022 externer Link mit vielen interessanten Zitaten – beim Spiegel zu Beginn tatsächlich hinter paywall!
  • [Petition an Bundesregierung und Bundestag] Wir wollen in Würde leben – schafft Armut ab! 
    „Noch nie lebten so viele Menschen in Deutschland am Existenzminimum wie heute. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 16 Prozent der Erwachsenen waren laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ende 2021 von Armut betroffen. Von sozialer Ausgrenzung und Armut bedroht waren zum gleichen Zeitpunkt, so das Statistische Bundesamt, sogar 24 Prozent. Und dabei ist noch nicht die hohe Dunkelziffer der „verdeckten Armut“ erfasst. Expert:innen rechnen damit, dass bis zu 40 Prozent aller Leistungsberechtigten ihren Anspruch aus Angst, Scham oder Unwissenheit nicht geltend machen. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie Armut selbst. Wie divers Armut ist, demonstrieren seit dem 12. Mai 2022 Tausende Nutzer:innen unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. In ihren Tweets berichten sie über alltägliche Überlebenskämpfe, über Anfeindungen, Ausgrenzungen, Abwertung und Angst, aber auch über Wut – Und sie verstecken sich nicht länger. #IchBinArmutsbetroffen ist inzwischen zu einer basisdemokratischen linken, parteien-unabhängigen Bewegung angewachsen, die Druck auf die Politik ausübt und sich jeder Vereinahmung von rechts verwehrt. Wir fordern eine gesellschaftliche Umverteilung hin zu mehr Gerechtigkeit, unter anderem durch armutsfeste Mindestlöhne, existenzsicherndes BAföG, Einführung einer Grundsicherung für Kinder, Abschaffung der Bedarfsgemeinschaft, Anhebung von Regelsätzen auf ein lebenswürdiges Niveau, krisenfeste Absicherungen für Alters- und Erwerbsminderungsrentner:innen, Abschaffung von Bürokratie und menschenunwürdigen Sanktionen. Diese und weitere Forderungen befinden sich in unserem Offenen Brief [1]. Mehr als 200 Unterstützende aus allen gesellschaftlichen Milieus und aus verschiedensten Tätigkeitsbereichen haben sich den Forderungen angeschlossen. Menschen, die erkennen, was um sie herum falsch läuft und dringend geändert werden muss…“ Offener Brief und Petition von #IchBinArmutsbetroffenen vom 8. Juni 2022 bei weact.campact.de externer Link
  • Hashtag #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter: Zwischen Selbst-Bestärkung der von Armut Beschämten und der Ambivalenz eines viralen „Aufstands der Armen“ 
    „Seit Mitte Mai kann man es auf Twitter beobachten und mit Hilfe des Hashtags #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter verfolgen oder sich beteiligen: Seitdem berichten viele Menschen öffentlich aus ihrem Leben. Der Hashtag soll im Umfeld der Initiative (ar)-MUT – mit dem anspruchsvollen Motto „Raus aus der Nische – aber richtig“ – entstanden sein und wurde durchaus erfolgreich auf Twitter platziert, wenn man denn Erfolg erst einmal quantitativ bemisst. (…) „Es ist traurig, dass es überhaupt so viele arme Menschen gibt, aber wunderschön, dass sie sich endlich rauswagen und darüber reden“, sagt Daniela Brodesser von der Initiative. (…) Häußler deutet zumindest am Ende ihres Beitrags auch an, dass es in den sozialen Netzwerken und gerade auch (?) auf Twitter eine Schattenseite gibt, mit der diejenigen, die ihre Twitter-Stimmen erheben, mehr oder weniger schnell konfrontiert werden: »Kommentare zu Spartipps unter den Tweets kommen gar nicht gut an. Inzwischen wird auch hitzig diskutiert, ob Studierende und Auszubildende von „echter“ Armut betroffen sind. Das hängt vor allem davon ab, ob die Eltern ihre Kinder unterstützen können.« (…) Letztendlich sind wir hier schon angekommen bei einem Grunddilemma dessen, was nun erneut auf Twitter passiert: Zum einen kann es für die wirklich Betroffenen (also exklusive der „berufsmäßigen“ Beobachter und Akteuere der Armutsthematik, wenngleich die nicht selten das, was da von den Originalquellen vorgetragen wird, „natürlich“ für ihre Anliegen instrumentalisieren) durchaus eine bestärkende Wirkung haben, wenn ihnen der Hashtag vermittelt, dass sie mit ihrem ganz individuellen Leben und dessen Beschwernissen Teil eines größeren Kollektivs sind. Man steht nicht alleine vor den Belastungen und Herausforderungen. Zum anderen aber spiegelt sich die schon in der Vergangenheit in der Armutsforschung immer wieder beschriebene und trotz ihrer Unvermeidlichkeit auch kritisierte Individualisierung (oftmals problematisch potenziert mit einer Personalisierung und Moralisierung des Arm-Seins) in den zuweilen verletzenden, ja toxischen Kommentierungen der individuellen Tweets, die verheerend wirken (können), wenn man keine entsprechenden Abschirm- und Einordnungsfähigkeiten hat oder in der Vergangenheit herausbilden konnte. (…) Aber es gibt eben auch diese andere Seite, die Wimalasena in seinem Artikel so beschreibt: »Ein früher Unterstützer der Kampagne ist Konstantin Seefeldt. Der 41-Jährige hilft gemeinsam mit zwei anderen Mitgründerinnen und einem Netzwerk aus Helfenden mit seiner Stiftung OneWorryLess Foundation (zu deutsch: „Eine Sorge weniger“-Stiftung) Bedürftigen mit Sach- und Geldspenden. Das Hashtag sei eine wichtige Entwicklung. „Das Milieu der Armutsbetroffenen ist sehr abgekapselt – und das bricht nun ein bisschen auf“, beobachte er. Man unterstütze sich gegenseitig gegen diffamierende Kommentare im Netz, spreche sich gegenseitig Mut zu. Es gebe einen neuen Zusammenhalt.« Man wird abwarten müssen, wie sich das weiter entwickelt. Ob das wie andere Vorläufer auch einfach versanden wird – oder mehr daraus entstehen kann. Das ist derzeit alles sehr unklar. Für Betroffene hat das, was auf Twitter unter dem Hashtag passiert, den positiven Effekt, man fühle sich selbst sicherer und selbstbewusster, erzählt Anni: „Twitter hat mir geholfen, weniger Scham zu empfinden für meine Situation.“ Beitrag von Stefan Sell vom 29. Mai 2022 auf seiner Homepage externer Link
  • #IchBinArmutsbetroffen – Twitter-Account externer Link und Homepage externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=201013
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