[Buch] Stummer Zwang. Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus

Buch von Søren Mau im Verlag Dietz Berlin: Stummer Zwang. Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im KapitalismusWie gelingt es dem Kapital, das gesellschaftliche Leben im Griff zu behalten? Wie ist es überhaupt möglich, dass eine Gesellschaftsordnung, die dermaßen krisenanfällig und lebensfeindlich ist, über Jahrhunderte hinweg bestehen konnte? Es besteht kein Zweifel, dass der Kapitalismus ohne die ständige Präsenz ideologischer und repressiver Macht unmöglich wäre. Aber zur Macht des Kapitals gehört mehr als das, nämlich eine Form der Macht, die genauso brutal, unerbittlich und rücksichtslos wirkt wie offene Gewalt: der »stumme Zwang« oder, wie Søren Mau sie nennt, die »ökonomische Macht«, eine unpersönliche, abstrakte und anonyme Form von Macht, die in den ökonomischen Prozessen selbst verankert ist, statt sie äußerlich zu ergänzen. Ausgehend von einer genauen Lektüre und einer kritischen Rekonstruktion der unvollendeten Kritik der politischen Ökonomie von Marx bürstet Søren Mau diverse Machttheorien gegen den Strich und veranschaulicht seine Thesen anhand konkreter historischer Entwicklungen.“ Klappentext zum Buch von Søren Mau im Verlag Dietz Berlin – siehe dazu weitere Informationen und die Rezension durch Oskar Wöltje:

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Stummer Zwang: Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus ist die kürzlich bei Dietz Berlin erschienen deutsche Übersetzung der überarbeitenden Doktorarbeit des dänischen Philosophen Søren Mau.

Mau setzt sich mit der Fähigkeit des Kapitals auseinander, dem gesellschaftlichen Leben seine Logik aufzuzwingen, und schlägt vor, neben den zwei Machtformen Ideologie und Gewalt, durch die das Kapital die Gesellschaft kontrollieren kann, die Ökonomische Macht als dritte Machtform einzuführen – eine Idee die Michael Heinrich in seinem Vorwort gleichermaßen als „fast schon selbstverständlich“ und „wahnsinnig gut“ beschreibt. Die Ökonomische Macht ist im Gegensatz zu Ideologie und Gewalt eine indirekte Form der Kontrolle (weswegen Mau sich in Anlehnung an einen Text von Marx für Stummer Zwang als Titel entschieden hat), die ihre Wirkung allein durch die Gestaltung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse entfaltet. Sie ist eine unpersönliche Form der Macht, die sich aus der Logik des Kapitals ergibt, und somit nicht allein die Proletarierinnen, sondern die gesamte Gesellschaft unterwirft.

Beim Lesen des Buches wird klar, wie umfassend und detailliert Maus Theorie der Ökonomischen Macht wirklich ist. So arbeitet er sich durch fast jeden Themenbereich der marxistischen Gesellschaftskritik, und findet auf knapp über 300 Seiten noch Platz auf eine Vielzahl alter sowie aktueller Diskussionen und Debatten innerhalb des Marxismus – wie etwa seine Auseinandersetzung mit dem marxistischen Humanismus in seinen Überlegungen zur sozialen Ontologie der Ökonomischen Macht, oder seine Betrachtung der Wertformtheorie – einzugehen, zu denen er seine Theorie sorgfältig, mal abgrenzenden, mal einbettend, positioniert. Maus Übersicht und Vertrautheit mit dem Thema zeigt sich allein an der Menge der Referenzen zu Denkern aller Schulen und Perioden, die auf jeder Seite zu finden sind (die Literaturliste des Buches erstreckt sich beinahe über 40 Seiten) und gehört zu einer der größten Stärken des Buches, da sie erkennen lässt, wie lückenlos Maus Arbeit ist. Bei den vielen Themen und Exkursen, die für eine solche Argumentation notwendig sind, kann es durchaus dazu kommen, dass sich der ein oder andere Gedankengang repetitiv anfühlen mag, oder man beim Lesen kurz den roten Faden verliert. Alles in allem ergibt der Text aber eine gründliche und gut strukturierte Argumentation, die überzeugend Maus Theorie der Ökonomischen Macht vermittelt. Da Mau außerdem in einem, für marxistische Theorie beinahe untypischen, zugänglichen Stil schreibt, bietet das Buch auch für Leserinnen, die noch nicht besser mit dem Marxismus vertraut sind, einen verständlichen Überblick über Themen wie die Ursprüngliche Akkumulation, Fetischismus, Horizontale und Vertikale Klassenbeziehungen, Werttheorie und viele mehr.

Darüber hinaus ist das Buch sehr erfolgreich darin, eine der für Einsteiger schwierigsten Einsichten des Marxismus, die abstrakte Unpersönlichkeit der Macht des Kapitals, die sich nicht auf einzelne Personen oder Gruppen zurückführen lässt, sondern das Produkt einer Systemlogik darstellt, zu vermitteln. Mau schreibt hierzu etwa: „Niemand hat die Kontrolle und es gibt kein Zentrum, von dem die Macht ausgeht; stattdessen wird die kapitalistische Gesellschaft von sozialen Beziehungen beherrscht, die sich in reale Abstraktionen verwandelt haben, deren undurchsichtige Beziehungen wir Ökonomie nennen“ (S.308).

Abschließend lässt sich sagen, dass Stummer Zwang ein gut durchdachtes wie geschriebenes Buch ist, welches einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis der Herrschaft des Kapitals, die alle Bereiche unseres Lebens umfasst, leistet. Es ist dementsprechend auch kein Wunder, dass das Buch von aktuellen Größen des marxistischen Diskurses wie Michael Heinrich und Andreas Malm wärmstens empfohlen wird.

Rezension von Oskar Wöltje vom 8.1.2022 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=196907
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