Ruhestand ab 63: „Früh“rente wird immer populärer [für Gutverdienende]

Dossier

DGB-Rentenkampagne 2017Gesetzlich Versicherte überweisen der Rentenkasse freiwillig immer mehr Geld, um ohne Kürzungen früher in den Ruhestand gehen zu können. (…) Eine Möglichkeit, die vor allem Gutverdiener nutzen – denn sie ist teuer. (…) Ausgerechnet die oft geschmähte staatliche Rentenkasse wird in Deutschland zum begehrten Vermögensverwalter. Das ist in Zeiten von Dauernullzinsen allerdings wenig erstaunlich, erst recht nicht, wenn man bedenkt: Bei keiner anderen Anlageform zählt zum Ertrag, dass man auch noch Jahre früher in den Ruhestand wechseln kann. (…) Ein ganz andere Frage ist: Was bedeuten die Rente ab 63 und die damit verbundenen Abschlagszahlungen für die Rentenkasse? (…) Fakt sei, so Rürup, mit diesen Abschlägen liege Deutschland „im internationalen Vergleich im unteren Bereich“. Die Abschläge müssten so festgelegt werden, „dass es für das Rentensystem irrelevant ist, ob jemand vorzeitig oder später in Ruhestand geht“. Ob das der Fall ist, dürfte um so strittiger werden, je populärer die Rente ab 63 wird.“ Artikel von Hendrik Munsberg vom 4. Juli 2019 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link, siehe dazu:

  • Ein tückisches Geschenk. Die Ampel-Koalition hat still und leise die Erwerbsregeln für Frührentner geändert New
    „… Frührentner sollen mehr arbeiten. Dieses Ziel verfolgt die Ampel-Koalition mit neuen Hinzuverdienstregeln, die sie im Dezember eher nebenbei und ohne größere Debatten beschlossen hat. Faktisch wird damit auch die Frührente gefördert, die eben noch heftig in der Kritik war. Das macht stutzig. Der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker von der Uni Duisburg-Essen erwartet denn auch, dass die Neuregelung erhebliche sozialpolitische Folgen haben wird, zum Nachteil von Beschäftigten. (…) Die neue »Flexibilität« ist zunächst einmal insbesondere für eine Gruppe eine lohnende Sache: für Menschen, die schon lange berufstätig sind, ordentlich verdienen und nicht so früh wie möglich raus wollen aus dem Job: Wer 45 Versicherungsjahre erreicht hat, kann rund zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen, und zwar ohne Abschläge. Diese sogenannte »Rente mit 63« ist derzeit frühestens ab dem 64. Lebensjahr möglich. Wer die Voraussetzungen dafür erfüllt und weiterarbeiten will, kann nun einfach parallel zum Job in Rente gehen. Die Menschen erhalten dann ihr Gehalt und zusätzlich ihre Rente, beides in voller Höhe. »Für diese Personen gibt es keinen Grund mehr, die abschlagsfreie Rente nicht in Anspruch zu nehmen – es sei denn, sie kennen die Neuregelung nicht«, sagt Bäcker »nd.DieWoche«. (…) »Die Rente mit 63 wird zu einem Geldgeschenk, wenn einfach weitergearbeitet werden kann und es keine Abschläge gibt. Es fällt schwer, das nachzuvollziehen«, sagt der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) »nd.DieWoche«. Denn wer 45 Versicherungsjahre nachweisen kann, gehöre meist nicht zu den Bedürftigen. »Begünstigt werden die gesundheitlich Leistungsfähigen mit einem in der Regel höheren Einkommen, die weiterarbeiten können und wollen«, betont auch Bäcker. (…) Nicht nur deswegen ist Bäcker sicher: »In der nächsten Legislaturperiode wird die abschlagsfreie Rente fallen.« Der vielleicht wichtigste Grund ist für ihn, dass der Gesetzgeber die Begründung für vorgezogene Altersrenten ins Gegenteil verkehrt hat: Bislang sollten damit Beschäftigte begünstigt werden, die ein langes und belastendes Arbeitsleben hinter sich haben. »Sie sollten von der Notwendigkeit einer noch längeren Erwerbsarbeit entbunden werden«, sagt Bäcker. »Nun sollen sie angesichts des Fachkräftemangels möglichst uneingeschränkt weiterarbeiten.« Damit verliert die Frührente ihre Legitimation. Verstärkt wird dies, wenn viele Menschen wie geplant weiterarbeiten und nun das Rentengeschenk der Ampel eben mitnehmen. (…) Das Nachsehen haben Menschen, die nach Jahrzehnten Erwerbstätigkeit nicht mehr können oder wollen und schlicht in Ruhestand gehen möchte, ohne Kombijob. Die Neuregelung ist aus Bäckers Sicht in der politischen Debatte auch für andere Zwecke gut nutzbar. Jetzt könne man auf die »unbegrenzte Möglichkeit, die Altersrenten durch ein Erwerbseinkommen aufzustocken«, verweisen. »Deswegen wird die Aussage kaum auf sich warten lassen, dass eine weitere Heraufsetzung der Regelaltersgrenze, verbunden mit höheren Abschlägen bei einem vorgezogenen Rentenbezug, finanziell nun durchaus verkraftbar sei«. Politisch naheliegend sei jetzt auch das Argument: Ein niedriges oder abgesenktes Rentenniveau führe dank möglicher Erwerbseinkommen zu keiner Versorgungslücke. Wenn es so weit kommt und die Renten noch niedriger werden, verwandelt sich die Möglichkeit, unbegrenzt hinzuzuverdienen, für mehr Menschen in einen Zwang: »Was zunächst freiwillig war, wird dann zunehmend zu einem Muss«, sagt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. (…) Für Unternehmen ist es in jedem Fall günstig, wenn sie bei Bedarf auf Rentner als Arbeitskräfte zurückgreifen können und wenn die Vorstellung verblasst, dass Rente Ruhestand bedeutet. So schreibt die Arbeitgebervereinigung BDA in ihrer Stellungnahme für den Bundestagsausschuss: »Mit einem vollständigen Wegfall von Hinzuverdienstgrenzen wird das klare Signal gesetzt, dass der Bezug einer Altersrente der Fortsetzung oder Neuaufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht entgegensteht.«“ Artikel von Eva Roth vom 10. Februar 2023 in Neues Deutschland online externer Link, siehe auch:

    • Frührentner sollen mehr arbeiten: Die Ampel-Koalition hat still und leise die Erwerbsregeln für Frührentner geändert. Das klingt nur harmlos
      „Frührentner sollen mehr arbeiten. Dieses Ziel verfolgt die Ampel-Koalition mit neuen Hinzuverdienstregeln, die sie im Dezember eher nebenbei und ohne größere Debatten beschlossen hat. Faktisch wird damit auch die Frührente gefördert, die eben noch heftig in der Kritik war. Das macht stutzig. Der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker von der Uni Duisburg-Essen erwartet denn auch, dass die Neuregelung erhebliche sozialpolitische Folgen haben wird, zum Nachteil von Beschäftigten. Mit der Gesetzesänderung will die Ampel Rentner das Weiterarbeiten schmackhaft machen. So gibt es seit Januar keine Hinzuverdienstgrenzen mehr für Frührentner. Sie können voll weiterarbeiten und Gehalt in beliebiger Höhe beziehen, ohne dass dies auf die Rente angerechnet wird. Durch diese »Flexibilität beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand kann ein Beitrag geleistet werden, dem bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken«, so die Begründung des Gesetzgebers. (…) Wer 45 Versicherungsjahre erreicht hat, kann rund zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen, und zwar ohne Abschläge. Diese sogenannte »Rente mit 63« ist derzeit frühestens ab dem 64. Lebensjahr möglich. Wer die Voraussetzungen dafür erfüllt und weiterarbeiten will, kann nun einfach parallel zum Job in Rente gehen. Die Menschen erhalten dann ihr Gehalt und zusätzlich ihre Rente, beides in voller Höhe. »Für diese Personen gibt es keinen Grund mehr, die abschlagsfreie Rente nicht in Anspruch zu nehmen – es sei denn, sie kennen die Neuregelung nicht«, sagt Bäcker »nd.DieWoche«. (…) Nicht nur deswegen ist Bäcker sicher: »In der nächsten Legislaturperiode wird die abschlagsfreie Rente fallen.« Der vielleicht wichtigste Grund ist für ihn, dass der Gesetzgeber die Begründung für vorgezogene Altersrenten ins Gegenteil verkehrt hat: Bislang sollten damit Beschäftigte begünstigt werden, die ein langes und belastendes Arbeitsleben hinter sich haben. »Sie sollten von der Notwendigkeit einer noch längeren Erwerbsarbeit entbunden werden«, sagt Bäcker. »Nun sollen sie angesichts des Fachkräftemangels möglichst uneingeschränkt weiterarbeiten.« Damit verliert die Frührente ihre Legitimation. Verstärkt wird dies, wenn viele Menschen wie geplant weiterarbeiten und nun das Rentengeschenk der Ampel eben mitnehmen. (…) Die Neuregelung ist aus Bäckers Sicht in der politischen Debatte auch für andere Zwecke gut nutzbar. Jetzt könne man auf die »unbegrenzte Möglichkeit, die Altersrenten durch ein Erwerbseinkommen aufzustocken«, verweisen. »Deswegen wird die Aussage kaum auf sich warten lassen, dass eine weitere Heraufsetzung der Regelaltersgrenze, verbunden mit höheren Abschlägen bei einem vorgezogenen Rentenbezug, finanziell nun durchaus verkraftbar sei«. Politisch naheliegend sei jetzt auch das Argument: Ein niedriges oder abgesenktes Rentenniveau führe dank möglicher Erwerbseinkommen zu keiner Versorgungslücke. Wenn es so weit kommt und die Renten noch niedriger werden, verwandelt sich die Möglichkeit, unbegrenzt hinzuzuverdienen, für mehr Menschen in einen Zwang: »Was zunächst freiwillig war, wird dann zunehmend zu einem Muss«, sagt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen…“ Artikel von Eva Roth vom 14. Februar 2023 in Neues Deutschland online externer Link
  • Rentenpolitik: Mit falschen Zahlen für höheres Rentenalter
    „… Am Samstag, den 10.12.2022, ging das BiB mit der Meldung „Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss“ externer Link online. Darin wird ein stagnierender Anstieg der Erwerbsquoten konstatiert und direkt mit der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte in Verbindung gebracht. Dieser Ansatz wurde von Arbeitgeberverbänden und anderen dankbar aufgegriffen und der Generalangriff auf einen abschlagsfreien Rentenzugang vor der Regelaltersgrenze, die Rente für besonders langjährig Versicherte, gestartet, zusammen mit der Forderung, die Altersgrenzen über 67 hinaus weiter anzuheben und den vorzeitigen Rentenbeginn unattraktiver zu machen. Nur so sei der Fachkräftemangel zu beenden. Dabei geht einiges durcheinander. Zunächst: Der Beginn der Altersrente ist nicht mit dem Erwerbsaustritt gleichzusetzen, wie es vom BiB und insgesamt in der Debatte getan wird. Viele Menschen haben schon viele Monate und Jahre vorher keinen versicherungspflichtigen Job mehr, beziehen Arbeitslosen- oder Krankengeld oder sind auf ALG II (Bürgergeld) angewiesen. Außerdem ist knapp jede fünfte Person schon vorher erwerbsgemindert. Gleichzeitig sind gehen weit über eine Million Menschen neben ihrer Altersrente arbeiten, wenn auch ganz überwiegend in einem Minijob. Die Frage der Erwerbsbeteiligung hat also nur wenig und eher mittelbar mit dem Rentensystem zu tun. (…) Wichtig ist daher, keine Debatte über das Renteneintrittsalter zu führen, sondern über die Arbeitsbedingungen, von Arbeits- und Gesundheitsschutz, über Arbeitszeit und Bezahlung. Denn viele schaffen es nicht bis 65 oder noch länger, weil die Gesundheit nicht mitspielt, die Arbeitsbedingungen nicht altersgerecht sind oder die Arbeitgeber Ältere rauswerfen und nicht einstellen. Wenn Fachkräftemangel besteht, dann müssen die Arbeitgeber die Bedingungen so gestalten, dass Menschen auch arbeiten können und wollen. Sie bei Androhung von Rentenkürzung zur Arbeit zu drängen, gefährdet lediglich die Gesundheit der Beschäftigten und ist kein Anreiz, sondern Bestrafung für alle, die es nicht schaffen, länger zu arbeiten…“ DGB-Pressemitteilung vom 14. Dezember 2022 externer Link
  • Trend zu früherem Rentenbezug ist rückläufig. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in der Kritik: Babyboomer und die Altersrente mit 63 – schöne Story, aber falsch!
    „Am 10. Dezember gab das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung eine Pressemitteilung heraus mit dem Titel »Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss«. Diese Aussage wird nicht mit Zahlen untersetzt. Kein Wunder, dass verschiedene Medien dies ungenau abgeschrieben und noch ungenauer weiterverbreitet haben. Aus »viele« wird dann bei der Tagesschau leicht »besonders viele«. »Viele« – das reicht fürs Storytelling aus. Es wird ein Trend suggeriert. Tatsächlich sagen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund und der amtlichen Statistik für die Jahre 2016 bis 2021 etwas völlig anderes aus. Es handelt sich bei den folgenden Daten um eine Sonderauswertung des Rentenbestandes der Renten wegen Alters nach SGB VI – Wohnort Deutschland. (…) Es zeigt sich, dass in Deutschland lebende 63-jährige Männer eine stark sinkende Prävalenz von Altersrente haben. Diese Prävalenz sank zwischen 2016 und 2021 von 31 Prozent auf 10 Prozent. Auch bei 64-jährigen Männer ist ein klarer Abwärtstrend zu sehen (von 46% nach 40%), und besonders stark ist er erneut bei den 65-Jährigen (von 72% nach 51%). Bei 63-jährigen Frauen ist ein Rückgang von 30 Prozent auf 14 Prozent zu verzeichnen, bei 64-jährigen Frauen von 44 Prozent auf 39 Prozent, bei 65-jährigen Frauen von 74 Prozent auf 50 Prozent. Es ist also völlig falsch, die Inanspruchnahme von Altersrente mit 63 oder 64 Jahren als wachsendes Problem darzustellen. Der Trend ist vielmehr eindeutig so, dass die Prävalenz von Rente mit 63, 64 und 65 Jahren rückläufig ist. (…) Übrigens: Wer jetzt noch von »abschlagsfreier Rente ab 63« schreibt, macht sich der Desinformation schuldig. Der Begriff ist bereits historisch und sollte auch nur noch so verwendet werden. Er galt für die bis 1952 Geborenen. Für alle Jüngeren – darunter die Babyboomer – steigt auch die Altersgrenze für besonders langjährig Versicherte und wird bei den 1964 Geborenen 65 Jahre erreichen.“ Richtigstellung von Dagmar Pattloch vom 14. Dezember 2022 im Portal Sozialpolitik externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=151347
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