Private Altersvorsorge in der sozialen Demokratie der Gegenwart

Seniorenaufstand: Wer garantiert auskömmliche Renten: Generationensolidarität oder Börsenspekulation?„… Die üblichen Lösungsvorschläge weisen einen eklatanten Mangel auf und beruhen auf grundlegenden Fehlvorstellungen. Die Altersversorgung in der modernen Gesellschaft ist in ein sehr komplexes Geflecht verschiedenster nationaler und internationaler Gegebenheiten und Entwicklungen eingebettet. Von daher ist eine weit ausgreifende und umfassende Betrachtung geboten, damit überhaupt vernünftige Ansätze für eine der modernen Gesellschaft und den Menschen gerecht werdende angemessene Gestaltung der Altersvorsorge erarbeitet werden kann. Solche werden von vornherein verfehlt, wenn rein betriebswirtschaftlich und ökonomisch überlegt wird; denn es geht um Menschen und die von ihnen gebildete Gesellschaft. Ihnen ist weltweit durch die insoweit verbindend wirkende Globalisierung eine unantastbare Menschenwürde eigen, die in ihrer Gesamtheit Grundlage einer jeden der nach den weltweit bestehenden Regeln der zahlreichen Staatenverbindungen ist. Der Umstand, dass diese Grundlage fortwährend und zunehmend beschädigt und in immer zahlreicher werdenden Regionen auch durch den Freihandel zerstört wird, kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, eine soziale Demokratie europäischer Prägung nach Maßgabe der Europäischen Verfassung und den nationalen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten aufzugeben…“ aus dem Ausgangstext von Professor Siegfried Broß für die Vorträge 2020 externer Link zum Thema „Private Altersvorsorge in der sozialen Demokratie der Gegenwart“ – Überlegungen und Anregungen – Fassung 26. Februar 2020 beim Berliner Wassertisch, siehe weitere Zitate daraus:

  • „(…) Der Markt vermag nichts entsprechend dem Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip zu richten. Die Menschen und gerade die im Markt Agierenden und Herrschenden sind nur selten und nur höchst ausnahmsweise am Gemeinwohl interessiert wie z.B. die Finanzmarktkrise, Dieselmanipulationen und Schwarze Kassen zur politischen Landschaftspflege belegen. Die Akteure haben überwiegend ausschließlich ihren eigenen Vorteil im Auge und verfolgen diesen rücksichtslos. Weltweit ist im Gefolge dieser Entwicklung eine Funktionselite herangewachsen, die von allem nur den Preis sowie den eigenen Vorteil und von nichts den Wert kennt. Hier begegnet uns der Ausgangspunkt für die Privatisierung von vielen Bereichen der Daseinsvorsorge. (…) Es wird ein „Spielfeld“ für intransparente Finanzakteure, Ratingagenturen und Analysten eröffnet, denen der Staat nichts wirksam entgegenzusetzen vermag. Diese Akteure bestimmen von nun an auch die Bedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit die Richtlinien der Wirtschaftspolitik. Zu Ende gedacht und zwingend vor Inangriffnahme solcher Privatisierungsmaßnahmen muss man bedenken, dass etwa in Bezug auf Krankenhäuser und andere der Behandlung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Menschen dienende Einrichtungen etwa über die Kreditbedingungen und die Beurteilung des Unternehmenswertes von solchen Kräften das medizinische Niveau definiert und dem entsprechend gesteuert werden kann. Der Verweis auf staatliche Regulierungsbehörden verschlägt nicht. Wir erfahren nahezu tagtäglich, dass eine solche wirksame Überwachung auch mit noch so aufgeblähten oder umgekehrt klein gesparten Apparaten nicht zu schaffen ist. Man denke nur an die zunehmenden Rückrufaktionen in vielen Bereichen des täglichen Lebens. Diese Entwicklung wirkte sich unmittelbar auf die Struktur der Arbeitswelt aus. Die Privatisierungen öffentlicher Infrastruktur – ohne die unreflektierten Privatisierungen der Treuhand im übrigen – hatte den Verlust von etwa 1,2 Millionen regulären Arbeitsverhältnissen zur Folge. Dies haben meine Untersuchungen anhand der statistischen Jahrbücher für die Zeit von 1971–2003 ergeben und sind in den einschlägigen Fachkreisen unwidersprochen geblieben. Seit Einsetzen dieser Privatisierungen kam es ferner verstärkt zur Ausbildung von Mindestlöhnen, Minijobs (2019 mehr als 7 Mio), Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit und ausufernder Schattenwirtschaft. Nahe liegend hat dies gravierende Nachteile für die Altersversorgung aus den Rentenkassen für alle Versicherten und zudem für die Betroffenen im besonderen. (…) Man wird diesem sicher komplexen und wenig übersichtlichen Problem vor dem Hintergrund der geschilderten Ausgangslage und der von staatlicher Seite über Jahrzehnte geschaffenen einer angemessenen und sachgerecht gestalteten Altersvorsorge widerstreitenden ungünstigen Rahmenbedingungen nur gerecht, wenn man sich auf die sozialstaatlichen Grundlagen rückbesinnt und nicht auf einer weit darunter liegenden und reichlich unreflektierten Überlegungen folgenden Ebene verharrt und von dort mehr oder weniger anspruchslose Lösungen zu entwickeln versucht…“
  • Siegfried Broß war von 1998 – 2010 Richter beim Bundesverfassungsgericht und zuvor Richter am Bundesgerichtshof
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