Menschen in prekären Verhältnissen sind stärker von psychischen Erkrankungen betroffen. Das Leiden erhöht wiederum das Armutsrisiko. Ein Teufelskreis.

Medizin und Ökonomie„Wussten Sie, dass von Armut Betroffene besonders häufig an psychischen Störungen erkranken? Wer in prekären Verhältnissen lebt, sich also ständig überlegen muss, ob das Geld reicht, steht unter extrem hohem Stress. Wie bezahle ich die Klassenfahrt des Kindes? Was mache ich, wenn die Waschmaschine kaputtgeht? Besteht der Stress über einen langen Zeitraum, wird gar chronisch, wirkt sich das auf die Gesundheit aus. Herz-Kreislauf-und Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes und auch psychische Störungen können die Folge sein. (…) vor der Störung sind wir alle gleich. Fast jedenfalls. Denn Menschen mit mehr finanziellen Ressourcen können dem aufkeimendem Stress etwas entgegensetzen. (…) Wussten Sie, dass psychisch Erkrankte besonders von Armut betroffen sind? (…) Werden psychische Störungen chronisch, kann dies bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führen, was, wer hätt’s geahnt, wiederum das Armutsrisiko erhöht…“ Kolumne von Sophia Zessnik vom 5. April 2022 in der taz online externer Link („Vor der Krankheit gleich“) und dazu:

  • Stressfaktor Armut: Wer sowieso schon wenig hat, entwickelt in der Folge auch häufiger eine Depression New
    „Die psychische Gesundheit befindet sich in einer Krise. Neue Zahlen des Robert Koch Instituts (RKI) zeigen, dass immer mehr Menschen in Deutschland unter depressiven Symptomen leiden. Nicht alle sind davon gleichermaßen betroffen. Wer arm ist, leidet um ein Vielfaches eher an depressiven Symptomen. Auch wenn das nichts überraschend Neues ist, darf es nicht als individuelle Verantwortung abgetan werden. Die Erkrankungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind Folge einer Politik der sozialen Härte. Altenpfleger*innen, Handwerker*innen oder Putzkräfte schuften sich halb kaputt, haben dennoch existenzielle Ängste, fühlen sich vom Staat im Stich gelassen und rutschen in die Depression. Der Grund: staatliches Versagen. Was es braucht, ist ein sorgender Staat, der auch das psychische Wohlbefinden der Bürger*innen als politische Aufgabe begreift. Die repräsentative Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des RKI, die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, hat den Einfluss des sozioökonomischen Status auf die wachsende Zahl an Depressionen in Deutschland zwischen 2019 und 2024 untersucht. Die Studie belegt knapp zusammengefasst: Je niedriger der Bildungsgrad und das Einkommen, desto stärker die Belastung durch depressive Symptome. Während 8,4 Prozent der Personen mit hohem Einkommen depressive Symptome verzeichneten, sind es in der Gruppe mit niedrigem Einkommen ganze 32,9 Prozent, also fast viermal so viele. Die Differenz hat sich in den vergangen fünf Jahren deutlich verschärft, die gesundheitliche Ungleichheit wächst. In der hohen Einkommensgruppe waren es 2019 noch 6 Prozent, in der niedrigen hat sich die Zahl von 16 Prozent mehr als verdoppelt. (…)
    Natürlich lassen sich viele Erkrankungen nicht verhindern, häufig haben sie höchst individuelle Ursachen. Aber wenn ein Drittel der Geringverdienenden psychisch erkrankt, ist das Ausdruck einer strukturellen Ungleichheit. Mehr Kassensitze für Therapeut*innen sind nötig, genug Therapeut*innen gäbe es. Allerdings darf es nicht bei der Symptombekämpfung bleiben. Das Rezept zur Gesundung der Gesellschaft sind bessere Arbeitsbedingungen, eine gute öffentliche Infrastruktur und soziale Absicherung. Doch die Sparpolitik der Bundesregierung und die Angriffe auf den So­zialstaat drohen die Krise zu verschärfen und treffen insbesondere jene, die den Laden Tag für Tag am Laufen halten. Die Zahlen des RKI sollten ein Alarmzeichen sein. Leider ist zu befürchten, dass die Bundesregierung dieses nicht wahrnehmen will und sozial weiter erkaltet.“
    Kommentar von Jonas Kähler vom 27. Oktober 2025 in der taz online externer Link
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