Wer viel erbt, zahlt kaum Steuern

Agenda 2010: Plakat der Bundesregierung verschönert von Wolfgang KraemerGroßerben in Deutschland zahlten auf Erbschaften im Gesamtwert von 31 Milliarden Euro nur etwa fünf Prozent Steuer, zeigt eine neue Auswertung. Ein Grund dafür ist, dass große Vermögen oft in Form von Firmenanteilen vererbt werden. Wirtschaftsverbände verteidigen gesetzliche Ausnahmen für Unternehmenserben vehement. Ökonomen fordern zumindest Anpassungen. (…) So entstehen scharfe Gegensätze. „Die ärmere Hälfte der Bevölkerung erbt fast nichts“, weiß Bach aus seiner Forschung. Wer aus der Mittelschicht steuerpflichtig bis eine Million Euro bekommt, zahlt im Schnitt zehn Prozent ans Finanzamt. Wem dagegen mehr als 100 Millionen Euro in den Schoß fallen, der muss laut der Statistiker-Daten nur halb so viel abgeben. Zwei Drittel dieser XXL-Erben, die vergangenes Jahr zusammen 15 Milliarden Euro kassierten, zahlten gar nichts…“ Beitrag von Alexander Hagelüken vom 2. Dezember 2019 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link und dazu:

  • Die Besteuerung des Reichtums. Die Erbschaftsteuer in Geschichte und Gegenwart. New
    „Deutschland ist zu einem Land der Erb:innen geworden, doch die weitergegebenen Vermögen sind höchst ungleich verteilt. Ist dies für eine Demokratie gefährlich? Und welche Rolle spielt die Erbschaftsteuer in Gegenwart und Vergangenheit?
    Honoré de Balzac hat im Frankreich des 19. Jahrhunderts seine Romanfigur Vautrin aussprechen lassen, dass es zu der Zeit wesentlich wahrscheinlicher war, durch die Einheirat in eine wohlhabende Familie als durch Arbeit und Erfindungsgeist reich zu werden. Thomas Piketty hat im Anschluss an Balzac darauf hingewiesen, dass es zu den konstitutiven Versprechen der Demokratie gehört, dass die soziale Ungleichheit auf Arbeit und Verdienst und nicht auf Glück oder Unglück der Geburt beruht. In den Jahren vom Ersten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre war dies auch stärker gegeben und viele neue Unternehmer stiegen beispielsweise in die Spitzenpositionen von Reichenlisten vor. Doch zumindest in den letzten dreißig Jahren dominieren dort in Deutschland die immer gleichen Namen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Erbschaften und ihre geringe Besteuerung. Jährlich wird in Deutschland seit einigen Jahren eine Summe vererbt, die in etwa der Höhe des Staatshaushalts entspricht. Doch die Erbschaften sind höchst ungleich verteilt. Die großen Vermögen erben zumeist westdeutsche Männer, weit seltener westdeutsche Frauen und fast nie Ostdeutsche. Etwa die Hälfte der Deutschen erbt nichts oder sogar Schulden. Und unter den Erben erhält die Spitzengruppe der oberen 10 % etwa die Hälfte des geerbten Vermögens. Dies hat dazu beigetragen, dass Deutschland heute mit einem Gini-Wert – dem am weitesten verbreiteten Maßstab zur Ungleichheitsmessung – von 0,83 die Demokratie mit der höchsten Vermögensungleichheit in der Welt ist. (…) Eine Möglichkeit, die enorme Vermögensungleichheit zu reduzieren, wäre eine schärfere Besteuerung großer Erbschaften. Doch nachdem die deutsche Politik unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel zwei Verbesserungsaufträgen des Bundesverfassungsgerichts eher zur Verschlimmbesserung der Gesetzeslage genutzt hat, gehört die Erbschaftsteuer inzwischen zu den ungerechtesten Bestandteilen des deutschen Steuersystems. Während jemand, der ein Haus in einer Spitzenlage in einer deutschen Großstadt erbt, mit einer hohen Erbschaftsteuer rechnen muss, kann ein Erbe eines Immobilienkonzern mit dreihundert Häusern ohne Erbschaftsteuerzahlung davonkommen, weil Konzernvermögen durch Ausnahmeregelungen von der Erbschaftsteuer weitgehend befreit sind. Von 2009 bis 2020 wurden 429 Milliarden Euro aufgrund der Unternehmensprivilegien steuerfrei gestellt. Jährlich gehen mit dieser größten Subvention im Bundeshaushalt etwa fünf bis zehn Milliarden an Steuereinnahmen verloren. Dies hat auch dazu geführt, dass bei den vierzig größten Erbschaften in Deutschland 2019 ein Steuersatz von 1,9 Prozent fällig wurde, während einfache Millionäre durchschnittlich einen Satz von acht Prozent zahlen mussten. Mit herkömmlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit lässt sich diese Praxis ebenso wenig vereinbaren wie mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Erst diese nicht zu rechtfertigende Ungerechtigkeit hat dazu geführt, dass es jüngst zu zivilgesellschaftlichen Aufrufen – etwa von Erb:innen, die sich zu gering besteuert fühlten oder einer Ungleichheitsforscherin – gegen die Steuerbefreiungen bei der Erbschaftsteuer kam. (…) Thomas Piketty kam zu dem Ergebnis, dass in den meisten reichen Ländern die Tendenz wieder zugenommen hat, dass man eher durch ein Erbe als durch Arbeit reich wird. Die USA hält er unter anderem deswegen bereits für eine hyperpatrimoniale Gesellschaft und auch einige westeuropäische Länder sieht er auf dem Weg dahin. Unter Ökonom:innen mehren sich die Zweifel, ob die Verlagerung der Besteuerung weg von Vermögen und Erbschaften hin zu Arbeit und Konsum mit ihren Folgen für die zunehmende Einkommens- und Vermögenssituation dauerhaft tragbar ist. Jüngst hat Joseph Stiglitz die Einführung einer Vermögensteuer mit einem Höchstsatz von drei Prozent gefordert. Für Deutschland hat der DIW-Ökonom Stefan Bach detaillierte Vorschläge vorgelegt, wie die Erbschaftsteuer gerechter gestaltet werden könnte. Doch gegenwärtig zeichnet sich weder in Deutschland noch in anderen führenden OECD-Nationen eine Koalition ab, die solche Forderungen umsetzen würde. Die Frage, wie eine weitere Oligarchisierung mit ihrer unvermeidlichen Infragestellung demokratischer Errungenschaften zu verhindern sein kann, dürfte deshalb neben dem Umgang mit dem Klimawandel eines der bedeutendsten politischen Probleme der nächsten Jahre bleiben.“ Beitrag von Marc Buggeln vom 5. Februar 2023 in Geschichte der Gegenwart externer Link
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