[Petition für soziale Maßnahmen gegen die Inflation] Keine Steuer auf Obst und Gemüse!

Dossier

Foodwatch-Petition: Keine Steuer auf Obst und Gemüse!„Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, die Lebensmittelpreise steigen – vor allem bei Obst und Gemüse. Für viele Menschen eine zusätzliche Hürde, sich gesund zu ernähren. Schon jetzt sind mehr als 60 Prozent der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig oder adipös. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind betroffen. Allein durch Adipositas entstehen in Deutschland jedes Jahr etwa 63 Milliarden Euro Folgekosten. Ein simples und wirksames Instrument hat die Bundesregierung jetzt in der Hand: Seit Anfang April erlaubt es die EU, für bestimmte Produkte die Mehrwertsteuer komplett zu streichen. Herr Lindner, wir fordern Sie daher auf: Senken Sie jetzt die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse auf null Prozent!“ Petition vom 26. April 2022 von und bei foodwatch externer Link und dazu:

  • Debatte Mehrwertsteuersenkung: Besser zielgerichtet und direkt New
    „Wegen der dramatisch gestiegenen Energiepreise und der insgesamt hohen Inflation wird inzwischen bis weit in die CDU anerkannt, dass es für Menschen mit schmalerem Geldbeutel dringend Unterstützungsmaßnahmen bzw. Entlastungen bedarf. Von unterschiedlichster Seite wird dabei bisweilen auch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Güter des täglichen Bedarfs ins Gespräch gebracht. (…) Wir denken: Statt viel Geld für eine Senkung der Mehrwertsteuer für Alle auszugeben, sollte der Staat mit demselben Geld lieber gezielt Menschen mit niedrigem und mittleren Einkommen bzw. »die weniger gut situierte Hälfte der Gesellschaft« mittels Direktzahlungen unterstützen. Berechnungen zeigen, dass durch solche Direktzahlungen weit mehr als doppelt so viel Unterstützung bei diesen Menschen ankommt. Wie groß der Handlungsbedarf ist, hat Ulrich Schneider kürzlich sehr treffend auf den Punkt gebracht, als er schrieb, »dass wir derzeit nicht nur die höchste Inflationsrate seit Jahrzehnten haben, sondern mit 16,1 Prozent auch die höchste Armutsquote und mit 15 Prozent auch eine der höchsten Sparquoten«. (…) Da eine Mehrwertsteuersenkung besserverdienenden Haushalten mehr Steuern erlässt als den eigentlich bedürftigen ärmeren Haushalten, aber genau diese wohlhabenden Haushalte gar nicht vom Staat vor der Teuerungswelle »beschützt« werden müssen, erscheint eine pauschale Mehrwertsteuersenkung als wenig geeignetes Instrument. Wir plädieren stattdessen für zielgerichtete Direktzahlungen, um dort zu helfen, wo die Hilfe wirklich benötigt wird. Durch eine Nicht-Förderung von Nicht-Bedürftigen steht außerdem deutlich mehr Geld für die zur Verfügung, die die Hilfe dringend brauchen…“ Beitrag von Barbara Höll, Daniela Trochowski, Axel Troost und Harald Wolf vom 1. Juni 2022 in Neues Deutschland online externer Link
  • »Das entlastet Arme besonders deutlich«. Sozialverband VdK fordert Streichen der Mehrwertsteuer auf frische Lebensmittel und Medikamente 
    „… Wir als VdK fordern, dass die Mehrwertsteuer auf frische Lebensmittel, also zum Beispiel auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, komplett gestrichen wird. Es gibt seit dem 6. April eine EU-Richtlinie, die den Mitgliedstaaten das ermöglicht. Aus unserer Sicht ist das eine sehr effektive Maßnahme, um Menschen mit wenig Geld zu unterstützen, da Essen für jeden wichtig ist. Im Gegensatz dazu begünstigt die Senkung der Kraftstoffsteuer hauptsächlich Menschen, die Autos haben, und zwar große Autos, die viel tanken und weite Strecken fahren. Wer ein solches Auto fährt, ist in der Regel nicht arm. Um Menschen mit wenig Geld zu entlasten, muss man Steuern auf Waren streichen, die für möglichst jeden relevant sind. (…) Kritiker sagen, man würde so mit der Gießkanne entlasten, weil auch reiche Menschen davon profitieren. Das stimmt zwar, allerdings können reiche Menschen ja auch nicht tausendmal mehr essen als Arme. Wer wenig Geld hat, gibt für seinen Alltag überproportional viel Geld aus. Für Essen, Miete oder Heizen geht bei armen Menschen ja nahezu das ganze Einkommen drauf. Während reiche Menschen eher die Möglichkeit haben, zu sparen oder ihr Geld in Aktien zu investieren. Die Steuersenkung entlastet Arme daher besonders deutlich. (…)Wir fordern die Steuerentlastung daher auf frische Lebensmittel, um vor allem auch eine gesunde Ernährung zu fördern. Bei dieser Maßnahme geht es genau darum, Menschen mit einem besonderen Bedarf, wie Rentenempfänger, Alleinerziehende und Studierende, zielgenau zu entlasten. Das wird ja von der Bundesregierung eben nicht erreicht mit einer Energiepauschale von 300 Euro für alle Erwerbstätigen. Die bekommen auch Menschen, die gut verdienen und von ihrem Gehalt immer noch gut leben können, während andere Gruppen leer ausgehen. Wir erwarten von der Bundesregierung hier Nachbesserungen…“ Interview von Fabian Linder in der jungen Welt vom 03.05.2022 mit Verena Bentele externer Link
  • Runter mit der Mehrwertsteuer?
    Dann kommt dieser Vorschlag, der auch gerne von den Medien aufgegriffen wurde, weil man ihn scheinbar gut transportieren kann in eine breitere Öffentlichkeit: »Ich würde mir beispielsweise eine Reduzierung oder eine Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf null Prozent wünschen, denn das sind Dinge der Grundversorgung, vor allem Nahrungsmittel, die hier entlastet würden. Solche Maßnahmen wären wirklich wichtig und die werden in diesem Jahr noch wichtiger. Wir haben das Ende der Fahnenstange bei der Inflation noch nicht gesehen.«
    Wie immer muss man genau lesen – die meisten Menschen denken an die „normale“ Mehrwertsteuer, die wir alle bezahlen, mit dem derzeitigen Steuersatz von 19 Prozent. Fratzscher aber meint etwas anderes: den „reduzierten Mehrwertsteuersatz“ von derzeit 7 Prozent, der Anwendung findet auf Güter und Dienstleistungen der „Grundversorgung“ (beispielsweise die von ihm auch angesprochenen Lebensmittel). Es wäre einen eigenen Beitrag wert, sich über die sachlogisch oftmals schwer bis gar nicht nachvollziehbaren Differenzierungen, welche Güter nun reduziert oder voll mehrwertbesteuert werden, zu informieren, was teilweise absurde Fallkonstellationen zu Tage fördern würde. Ein beliebtes Unterfangen in der Steuerpolitik, um die mehr als grenzwertige und nur historisch zu verstehende Ausgestaltung des deutschen Steuersystems zu illustrieren.
    Aber gehen wir einmal mit Blick auf die (potenziellen) Entlastungswirkungen einer solchen Maßnahme von einem Einkauf von Lebensmitteln aus, die allem mit nur 7 Prozent besteuert werden. Wenn man dafür 100 Euro bezahlen müsste, würde die Absenkung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent auf Null eine Entlastung in Höhe von 6,50 Euro bringen. Diese überschaubare Kostenentlastung würde es aber auch nur dann geben, wenn der Lebensmitteleinzelhändler die Absenkung der Mehrwertsteuer vollständig an den Kunden weitergibt, was er formal nicht muss und was in der Vergangenheit bei temporären Steuersenkungen auch tatsächlich nicht immer passiert ist.
    Nun kann man durchaus Zweifel bekommen hinsichtlich der Größenordnung einer über diesen Weg (theoretisch) erreichbaren Entlastung. Dies aus mehreren Gründen, nicht nur angesichts der überschaubaren erzielbaren Preisreduktion unter der Bedingung einer vollständigen Weitergabe der Absenkung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes. Aber immerhin könnte man argumentieren, dass es ein Teilbeitrag wäre für eine Entlastung besonders betroffener einkommensschwacher Haushalte. Was wissen wir über die ungleichen Belastungsstrukturen? (…)
    Also doch runter mit der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel?
    Vor diesem Hintergrund könnte man durchaus argumentieren, dass eine Absenkung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes angesichts der überproportionalen Bedeutung des Nahrungsmittel-Preisanstiegs den unteren Einkommensgruppen helfen könnte. Diese Argumentationslinie wird auch von anderen aufgegriffen: »Mehrere Verbände fordern die Abschaffung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel wie Obst und Gemüse. Die Bundesregierung müsse diese Möglichkeit nutzen, um gerade Haushalte mit geringem Einkommen zu entlasten«, so diese Meldung: Lebensmittel bald ohne Mehrwertsteuer? externer Link Für Grundnahrungsmittel fordert beispielsweise die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, deshalb eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf „null Prozent“, also faktisch die Abschaffung der Mehrwertsteuer. „Die Bundesregierung muss diese Möglichkeit, die es nun für alle EU-Mitgliedsstaaten gibt1, voll ausschöpfen“, sagte Bentele. Das will auch der Verbraucherzentrale Bundesverband – speziell bei Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten. So könne man steigende Lebensmittelpreise abfedern und gerade Haushalten mit niedrigem Einkommen helfen. Zugleich diene das der gesunden Ernährung und einer nachhaltigeren Produktion. (…)
    Die Befürworter einer Mehrwersteuersenkung bei Lebensmittel berufen sich u.a. auf die ungleichen Verteilungsergebnisse, die das IMK zu Tage gefördert hat. In diesem Zusammenhang sind Stimmen aus diesem Institut interessant: Wenn die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wegfällt, »würde dies ärmere Haushalte somit stärker entlasten als gut verdienende. Silke Tober, Inflationsexpertin des IMK, gibt jedoch zu bedenken, dass dies nur prozentual gilt: „Einkommensstarke Alleinlebende geben zwar anteilig weniger Geld für Lebensmittel aus, in Euro gerechnet aber mehr“, sagt sie. Es sei das entscheidende Problem einer solchen Mehrwertsteuer-Senkung, dass sie nicht gezielt sei«, so Harald Freiberger und Roland Preuß in ihrem Artikel Ärmere Haushalte entlasten – aber wie? externer Link Ein weiterer Einwand, den man in Rechnung stellen muss: Die Absenkung der Mehrwertsteuer ist ja nicht umsonst, sondern dem Staat gehen hier Einnahmen verloren, die dann möglicherweise an anderer Stelle für eine gezielte Entlastung bestimmter Haushalte fehlen.
    Wäre eine Absenkung des reduzierten Mehrwertststeuersatzes auf Lebensmittel nur ein Tropfen auf den heißen Stein – und dann noch nicht einmal gezielt?
    Für die Skeptiker hinsichtlich der Wirksamkeit der diskutierten Maßnahme: Was wäre gewonnen, wenn die – wie gezeigt – überschaubare Entlastung durch eine Mehrwertsteuersenkung innerhalb kürzester Zeit aufgefressen wird durch einen weiteren und möglicherweise sich beschleunigenden Anstieg der Lebensmittelpreise? Denn dafür gibt es eine ganze Handvoll Gründe. (…)
    Selbst wenn man nun kurzzeitig eine (überschaubare) Entlastung bei Lebensmitteln unter der Bedingung einer vollständigen Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung an (alle) Kunden hinbekommen würde – nach derzeitigem Stand wird das in kurzer Zeit mehr als aufgefressen werden von den bevorstehenden, wahrscheinlich erheblichen Preiserhöhungen. Denn mehrere Einflussfaktoren werden das in den kommenden Monaten und möglicherweise darüber hinaus verursachen. (…)
    Was bleibt? Gezielte Unterstützung. Nicht für alle, sondern für diejenigen, die Hilfe am dringendsten brauchen. Das lässt sich aber einfacher fordern als umsetzen
    Vor dem beschriebenen Hintergrund ist die Forderung, gezielte Unterstützung zu leisten, nicht für alle, sondern für die Personengruppen und Haushalte, die am härtesten betroffen sind und sein werden, weil sie keinerlei Ressourcen haben, durch Umschichtungen ihrer Konsumausgaben die Preisanstiege bei diesen existenznotwendigen Gütern selbst aufzufangen. Das kann und muss man von Haushalten mit einem höheren verfügbaren Haushaltseinkommen erwarten, die sich bestimmt auch freuen würden über Entlastungen, die aber faktisch einen großen Spielraum haben, einen Anstieg des Anteils der Ausgaben für Lebensmittel (im Schnitt und bezogen auf die Zeit vor Corona 10 Prozent) gegenzufinanzieren, selbst wenn sich ihr Haushaltseinkommen nicht erhöhen sollte…“ Auszug zur Mehrwertsteuer aus dem Beitrag von Stefan Sell vom 22. April 2022 auf seiner Homepage externer Link (Von einer „höchst unsozialen Inflation“ bis zur Frage, wie man denn wem wodurch (nicht) helfen kann angesichts der Verfestigung hoher Preissteigerungsraten)

Siehe auch unsere Dossiers: Für wen Inflation ein Problem ist – und was es für die (Tarif)Politik bedeutet sowie [Mindestens:] Bevorratungszuschuss zum Hartz IV als Soforthilfe!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=200580
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