Lindners „Inflationsausgleichsgesetz“ will die „breiten Schultern der Gesellschaft“ entlasten – die er ja bei Spitzenverdienern verortet

Dossier

Der Paritätische Armutsbericht 2020: Armut in Deutschland auf Rekordhoch„… Lindner will unter anderem die sogenannte kalte Progression abbauen. Der Begriff der kalten Progression beschreibt den Effekt, dass jemand durch eine Lohnerhöhung, die höchstens die Inflation ausgleicht, in einen höheren Steuertarif rutscht und somit letztlich bezogen auf die Kaufkraft weniger Geld in der Tasche hat. Geplant sei außerdem, die Inflationsgewinne des Fiskus aus diesem Jahr zurückzugeben und das Kindergeld sowie den damit verbundenen Kinderfreibetrag zu erhöhen. Lindner sprach von einer Steuersenkung in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro…“ Artikel von Lisa-Marie Eckardt vom 10. August 2022 in der Zeit online externer Link („Christian Lindner will 48 Millionen Menschen steuerlich entlasten“), siehe dazu erwartbare Kritik und Gegenvorschläge:

  • „Herumdoktern am Steuertarif bringt nichts” – ver.di-Chef Frank Werneke fordert stattdessen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine Übergewinnsteuer New
    „… „Von den Steuerplänen Christian Lindners würden in allererster Linie diejenigen profitieren, die hohe Einkommen beziehen und vom Spitzensteuersatz betroffen sind. Diejenigen, die auch jeden Tag hart arbeiten, aber eher niedrige Einkommen beziehen und derzeit am meisten unter der Preissteigerung leiden, würden kaum profitieren – das ist krass ungerecht”, mahnte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke gegenüber der Zeitung Rheinische Post. Entlastet wird also, wer Steuern zahlt. Doch Studierende, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose zahlen selten Steuern und werden dadurch nicht entlastet. (…) „Lindners Pläne führen gleichzeitig zu erheblichen dauerhaften Einnahmeausfällen des Staates”, mahnt Werneke an. Das schwäche die öffentliche Daseinsvorsorge. Notwendig sei jedoch das Gegenteil. Deshalb fordert Werneke ein umfassendes Steuerkonzept, in dem Veränderungen am Einkommensteuertarif durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine Übergewinnsteuer ausgeglichen werden. „Beschäftigten, die keine hohen Gehälter beziehen und angesichts der Preisentwicklung in echter Not sind, nützt ein Herumdoktern am Steuertarif nichts. Es braucht stattdessen ein weiteres Entlastungspaket mit direkten Zahlungen – gezielt für Menschen mit geringen bis mittleren Haushaltseinkommen”, so Werneke gegenüber der Rheinischen Post. Eine mutige Tarifpolitik sei die wirksamste Antwort auf steigende Preise, resümiert er: „Als ver.di haben wir eine Reihe von Tarifverträgen durchgesetzt, bei denen Beschäftigte mit eher niedrigen Einkommen überproportional profitieren, etwa im Luftverkehr.” ver.di-Statement vom 12. August 2022 externer Link

    • Siehe dazu unser Zitat zum Montag: „Lasst euch nicht einreden, dass „wir“ gesellschaftlichen Verzicht üben müssen. Es ist eine gesellschaftliche Klasse, zu der „ihr“ nicht gehört und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie gehören werdet.“ Tweet von UnionWatch vom 15.8.2022 externer Link
  • Lindner will die „breiten Schultern der Gesellschaft“ entlasten. Kritiker sehen ein prinzipielles Problem.
    „Der Konsum geht zurück. Die deutschen Einzelhändler verzeichneten im ersten Halbjahr 2022 den stärksten Umsatzeinbruch seit 28 Jahren, hieß es Anfang August. Seit Wochen beherrschen Beiträge über die Gas-Krise und Teuerungen die Top-Nachrichten. Es stehe ein „heißer Herbst“ und „Wutwinter“ vor der Tür, der den sozialen Frieden in Deutschland auf die Probe stellt, lauten viele Prognosen. Jetzt, in der Sommerpause, schlägt die Stunde von Christian Lindner, dem FDP-Chef und amtierenden Finanzminister, der durch seine VIP-Hochzeit auf Sylt und seiner flapsigen Bemerkung zur Gratis-Mentalität einen abgehobenen, elitären Eindruck auf die Öffentlichkeit machte. (…) 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger soll es über den Ausgleich der „kalten Progression“ zu mehr Kaufkraft verhelfen. (…) Lindners Zielgruppe ist die arbeitende Mitte, wie das hier kürzlich im Vorgriff auf die Pläne des Finanzministers mit einem Blick auf die Ränder dargestellt wurde: : Christian Lindner auf der Suche: Wer ist die „arbeitende Mitte“? externer Link (…) Die Steuersenkungen, die Lindner vorschlägt, sehen vor, wie es die SZ zusammenfasst, dass die Tarifwerte bei der Einkommenssteuer nach oben geschoben werden. (…) So hält dem Finanzminister etwa der Fraktionsvize des Koalitionspartners und politischen Rivalen der FDP, Andreas Audretsch von den Grünen vor, dass sein Vorschlag, Topverdiener dreimal stärker begünstige als Menschen mit kleinen Einkommen. „Das ist einer so schwierigen Lage nicht angemessen. Wir brauchen das Gegenteil: #Entlastung von Menschen mit wenig Geld, mit kleinen u. mittleren #Einkommen.“ Die Rechnungsbasis dazu hat Audretsch dem Handelsblatt unterbreitet. Wie aus dem Bericht der Finanzzeitung hervorgeht, „sollen Steuerzahler mit einem Einkommen von 25.000 Euro im Jahr um 213 Euro entlastet werden. Bei einem Einkommen von 60.000 Euro sind demnach Entlastungen von 486 Euro geplant, bei Einkommen von 100.000 Euro im Jahr wären es 672 Euro. Prozentual fällt die Entlastungen bei niedrigen Einkommen größer aus als bei hohen – in absoluten Zahlen jedoch nicht“. Fragt sich, ob die hier erwähnten Summen überhaupt reichen, um den Teuerungswellen, die weiter auf die Bevölkerung zurollen, ernsthaft zu begegnen? (…) Als Kritiker der Stunde des Regierungspolitikers der Stunde erweist sich wieder einmal der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner für neue Steuerentlastungen hätten einen „völlig falschen Ansatz mit einmal mehr beachtlicher sozialer Schieflage“…“ Beitrag von Thomas Pany vom 10. August 2022 bei Telepolis externer Link
  • Kritik an Plänen von Christian Lindner: Paritätischer nennt Kindergelderhöhung “absolut unzureichend”
    „Der Bundesfinanzminister setzt die falschen Prioritäten. Die durch Medienberichte bekannt gewordenen Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner für neue Steuerentlastungen kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband als “völlig falschen Ansatz” mit einmal mehr beachtlicher sozialer Schieflage. Die von Lindner angekündigte Kindergelderhöhung dagegen sei ein an sich gutes Signal, in der Höhe jedoch absolut unzureichend. (…) Der Paritätische hält eine Anhebung des Kindergeldes um mindestens zehn Prozent, also um 22 Euro, für angezeigt. Ziel müsse die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Kindergrundsicherung bleiben, mahnt Schneider: “Das bestehende Familienfördersystem, das wohlhabende Eltern nach wie vor bevorzugt und Kinderarmut zulässt, gehört baldmöglichst vom Kopf auf die Füße gestellt.” Als sozial ungerecht kritisiert der Verband Lindners Pläne für Steuerentlastungen. “Von einem höheren Grundfreibetrag profitieren Reiche deutlich stärker als Niedrigeinkommensbezieher. Der Bundesfinanzminister setzt angesichts der verheerenden Folgen der Inflation für arme Haushalte hier die völlig falschen Prioritäten. Die Umsetzung der FDP-Steuerpläne würde die ohnehin eklatante Einkommensungleichheit in Deutschland sogar noch vergrößern. Es kann nicht sein, dass die FDP jetzt milliardenschwere Lieblingsprojekte umsetzt und gleichzeitig den Ärmsten, die dringend auf Hilfe angewiesen werden, mit Verweis auf die Schuldenbremse finanzielle Unterstützung verweigert”, kritisiert Ulrich Schneider.“ Pressemitteilung des Paritätischen Gesamtverbands vom 9. August 2022 externer Link
  • Gewerkschaftsbund: ‚Lindners Steuerkonzept greift viel zu kurz‘
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt die Vorschläge von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zur steuerlichen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ab. „Christian Lindners Steuerkonzept greift viel zu kurz“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Für eine ausreichende Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen müsste der Grundfreibetrag auf 12 800 Euro steigen. „Stattdessen profitieren Spitzenverdiener und Reiche, obwohl sie weit weniger Probleme haben, mit den aktuellen Preissteigerungen zurecht zu kommen“, kritisierte Körzell…“ Agenturmeldung vom 10.8.2022 im Handelblatt online externer Link – der DGB erinnert an:

    • Gerecht besteuern – Demokratie und Zusammenhalt stärken. Wie der Staat Beschäftigte entlasten kann
      Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig öffentliche Investitionen in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur sind. Um die Ausgaben gerecht zu verteilen, hat der DGB ein Steuerkonzept vorgelegt. Es soll Beschäftigte und Familien stärken sowie Spitzenverdiener*innen und große Vermögen stärker beteiligen…“ DGB-Steuerkonzept vom 19.07.2022

Siehe zum Thema aktuell im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=203448
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