Produktivität erklärt Einkommen nicht

Living Wage„… Die Grenzproduktivitäts-Theorie der Einkommensverteilung entstand vor etwas mehr als einem Jahrhundert. Ihr wichtigster Schöpfer, John Bates Clark, stellte ausdrücklich klar, dass es bei seiner Theorie um Ideologie ging – und nicht um Wissenschaft. Er wollte zeigen, dass in kapitalistischen Gesellschaften jeder genau das bekam, was er produzierte, kapitalistische Gesellschaften also faire Gesellschaften seien (…) Clark schuf die Theorie der Grenzproduktivität, um das klassenbasierte Einkommen zu erklären – die Einkommensaufteilung zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Aber seine Theorie wurde schon bald auch verwendet, um Einkommensunterschiede zwischen Erwerbstätigen zu erklären. (…) Wir können die Produktivität von Menschen, die unterschiedliche Dinge produzieren, nicht vergleichen. Und einige Leute »produzieren« sogar überhaupt nichts. Dieses Problem schränkt die Möglichkeiten, die Grenzproduktivitäts-Theorie zu testen, stark ein. (…) Angesichts der Probleme beim Vergleich der Produktivität von Erwerbstätigen mit unterschiedlichen Arbeitsprodukten sollte man meinen, dass die Grenzproduktivitäts-Theorie längst tot wäre. Schließlich ist eine Theorie, die nicht getestet werden kann, wissenschaftlich nutzlos. Glücklicherweise (für sie selbst) spielen neoklassische Ökonomen aber nicht nach den normalen Regeln der Wissenschaft…“ Beitrag vom kanadischen Ökonom Blair Fix in der deutschen Übersetzung von Patrick Schreiner bei Blickpunkt WiSo vom 5. Dezember 2019 externer Link und dazu:

  • Produktivität erklärt Löhne nicht New
    „Lässt sich das Einkommen von Menschen durch deren Produktivität erklären? Ich habe diese Frage in einem früheren Beitrag gestellt. Meine Antwort war ein klares Nein. In diesem Beitrag werde ich tiefer in die Gründe dafür einsteigen. Ich konzentriere mich dabei auf die Löhne. Beginnen wir mit den Belegen, die üblicherweise als Beweis dafür angeführt werden, dass die Produktivität von Menschen deren Löhne erkläre. Betrachtet man Unternehmen, so stellt man fest, dass der Umsatz pro Mitarbeiter mit den Durchschnittslöhnen korreliert. (…) Ja, der Umsatz pro Mitarbeiter korreliert mit den Durchschnittslöhnen. Niemand bestreitet das. Was ich bestreite, ist, dass diese Korrelation etwas über die Produktivität aussagt. Das Problem ist einfach: Der Umsatz pro Mitarbeiter misst nicht die Produktivität. (…) Um die Produktivität objektiv zu vergleichen, muss man Unternehmen finden, die das gleiche Produkt herstellen. Man kann beispielsweise die Produktivität zweier Betriebe vergleichen, die (identische) Kartoffeln produzieren. Sobald aber die Betriebe verschiedene Dinge herstellen, hat man Pech. Der Grund dafür: Wenn Unternehmen verschiedene Waren oder Dienstleistungen produzieren, braucht man eine gemeinsame Dimension, um deren Produktion miteinander vergleichen zu können. Das Problem ist, dass unser Maß für die Produktion von der Wahl der Dimension abhängt. (…) Der Grund dafür, dass der Umsatz nicht die Produktion eines Unternehmens misst, ist, dass hier die Stückpreise mit der Absatzmenge vermischt werden. Ja, der Umsatz pro Mitarbeiter korreliert mit dem Lohn. Aber der Preis ist ein Bösewicht. Ein höherer Umsatz kann auf eine größere Produktion zurückzuführen sein. Er kann aber auch an höheren Stückpreisen liegen. In vielen Fällen sind Preisunterschiede entscheidend. (…) Die Idee, dass Preise den Nutzen zum Ausdruck bringen, ist erst einmal nur eine Hypothese. Und wie jeder gute Wissenschaftler weiß, kann man seine Hypothese nicht dazu verwenden, seine Hypothese zu testen. Aber das ist es, was neoklassische Ökonomen tun. Sie gehen davon aus, dass ein Aspekt ihrer Theorie wahr ist (der Zusammenhang zwischen Preisen und Nutzen), um einen anderen Aspekt ihrer Theorie zu testen (die Verbindung zwischen Produktivität und Einkommen). Warum greifen Ökonomen auf diese zirkuläre Argumentation zurück? Wahrscheinlich, weil sie nicht wissen, dass sie zirkulär ist. (…) Neoklassische Ökonomen behaupten, sie hätten die Antwort. Der Anwalt, sagen sie, produziert 50 Mal mehr Nutzen als der Hausmeister. Fragen Sie Ökonomen, woher sie das wissen, so werden diese keine Miene verziehen und antworten: »Die Preise haben es gezeigt.« Es ist an der Zeit, diesen Taschenspielertrick als das zu erkennen, was er ist: eine Farce. Die Realität ist, dass wir praktisch nichts darüber wissen, was die Preise verursacht. Und wir werden weiterhin nichts wissen, solange Forscher an diese neoklassische Farce glauben.“ Artikel von Blair Fix vom 12. Dezember 2019 bei Blickpunkt WiSo externer Link (deutsche Übersetzung durch Patrick Schreiner)
  • Siehe weiter im Beitrag vom kanadischen Ökonom Blair Fix in der deutschen Übersetzung von Patrick Schreiner bei Blickpunkt WiSo vom 5. Dezember 2019 externer Link: „… Um ihre Theorie zu »testen«, definiert sie »Produktivität« einfach, indem sie sie auf Einnahmen bezieht! Und sie unterstellt, dass die Einnahmen eines Unternehmens seine »Leistung« anzeigen. (…) Mit diesem Taschenspielertrick können wir endlos bestätigen, dass Produktivität das Einkommen »erklärt«. Wir stellen fest, dass die Produktivität – gemessen am Umsatz pro Mitarbeiter – stark mit den Löhnen korreliert ist. Dafür müssen wir nur vergessen, dass es sich um eine buchhalterische Binsenweisheit handelt. Verkäufe sind keine »Einnahmen« mehr. Die Verkäufe sind nun »Output«. Und dieser »Output« erklärt auf wundersame Weise die Löhne! Ich wünschte, ich könnte sagen, dass dies ein Witz ist. Aber das ist es nicht. Die Vorstellung, dass Einkommen durch Produktivität verursacht wird, ist eine Sackgasse. Die Grenzproduktivitäts-Theorie kann nur überdauern, weil Ökonomen sie niemals objektiv testen. (…) Die Grenzproduktivitäts-Theorie ist ein Gedankenvirus, der eine wirklich wissenschaftliche Analyse des Einkommens sabotiert. Es muss sterben.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=158858
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