EU-Kommission will Tarifverträgen für Solo-Selbstständige den Weg ebnen

Dossier

LabourNet-Kongress Kosten rebellieren IIDie Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat die Initiative der EU-Kommission, deutlich mehr Möglichkeiten für Tarifverträge für Solo-Selbstständige zu schaffen, als „Stärkung von Ein-Personen-Unternehmen bezeichnet“. Das europäische Wettbewerbsrecht soll so geändert werden, dass zukünftig kollektive Vereinbarungen zwischen Solo-Selbstständigen und Auftraggebern rechtssicher möglich sein sollen. (…) Die EU-Kommission schlägt eine Ausnahme für Kollektivverträge von Solo-Selbständigen im europäischen Wettbewerbsrecht vor. Für wen diese Ausnahme gelten soll, ist noch nicht klar. ver.di setzt sich für eine Öffnung ein, die alle Solo-Selbstständigen umfasst. (…) Das europäische Wettbewerbsrecht verhindert bislang weitgehend Möglichkeiten für Solo-Selbstständige, ihre Bezahlung und Arbeitsbedingungen gemeinsam mit Gewerkschaften auszuhandeln. Wettbewerbsrechtlich werden Solo-Selbstständige bislang mit Unternehmen gleichgestellt…“ ver.di-Pressemitteilung vom 03.02.2021 externer Link, siehe dazu:

  • EU ebnet den Weg zu Kollektivvereinbarungen für Selbstständige New
    „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt den heutigen Beschluss der EU-Kommission, der klarstellt, dass es Solo-Selbstständigen erlaubt ist, ihre Arbeitsbedingungen und Vergütungen durch kollektive Verhandlungen zu gestalten. Mit der Veröffentlichung sogenannter „Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen“ wird klargestellt, dass Personen, die im Wesentlichen nur ihre eigene Arbeitskraft einsetzen, insoweit nicht vom Wettbewerbsrecht erfasst werden. „Wir haben uns als ver.di bei der verantwortlichen Generaldirektion Wettbewerb intensiv für diese Verbesserung eingesetzt und konnten beispielsweise erreichen, dass der Kreis der Selbstständigen, die von dieser Leitlinie erfasst wird, deutlich weiter definiert wurde als ursprünglich vorgesehen“, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. ver.di zählt unter ihren Mitgliedern rund 30.000 Selbstständige ohne Beschäftigte, sogenannte Solo-Selbstständige. Sie ist damit die stärkste Organisation von Solo-Selbstständigen in Europa. Viele von ihnen sind angesichts der fehlenden Augenhöhe gegenüber ihren Auftraggebern gezwungen, vorgegebene Vergütungen ohne Verhandlungen akzeptieren zu müssen. „Die Leitlinien sind die Voraussetzung dafür, dass wir als Gewerkschaften die oftmals prekären Einkommens- und Lebenslagen vieler solo-selbstständiger Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit ihnen bekämpfen können“, so Werneke. Diese seien durch die COVID-19-Krise noch einmal deutlicher zutage getreten – und die derzeit angespannte finanzielle Lage vieler einkommensschwacher Erwerbstätiger, auch Solo-Selbstständiger, mache kollektives Handeln notwendiger denn je. „Mit der Klarstellung der Kommission wird der Weg zu Verhandlungen im Kollektiv geebnet. Unser Mandat als Gewerkschaft ist gestärkt. Die Zeiten, in denen sich die Auftraggeber mit einem Hinweis auf das EU-Wettbewerbsrecht vor Verhandlungen drücken konnten, sind vorbei“, so Werneke weiter.“ ver.di-Pressemitteilung vom 29. September 2022 externer Link
  • Rechtsgutachten rechtfertigt Tarifverträge für Soloselbstständige 
    „Vom Auftraggeber abhängige Soloselbstständige haben eine ähnlich schwache Verhandlungsposition wie Beschäftigte gegenüber dem Arbeitgeber. Sie könnten sich zusammenschließen. (…) Die sogenannte Koalitionsfreiheit ist im Grundgesetz festgeschrieben. Aber was ist mit kleinen Selbstständigen, etwa Plattformarbeiterinnen und -arbeitern, die sich faktisch in der gleichen Situation befinden wie Beschäftigte? Dieser Frage, die in Zeiten von Crowdwork und Gig-Economy zunehmend wichtiger wird, ist der Juraprofessor Achim Seifert von der Universität Jena in einem Gutachten im Auftrag des HSI nachgegangen. Sein Ergebnis: Soweit es um Kollektivverträge zum Schutz von wirtschaftlich abhängigen Selbstständigen geht, ist eine Ausnahme vom europäischen Kartellverbot gerechtfertigt. Grundsätzlich gelten Selbstständige kartellrechtlich als Unternehmen, denen jegliche Vereinbarungen verboten sind, die eine „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs“ darstellen könnten. So steht es in Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Mit Blick auf diesen Artikel sind nach Seiferts Analyse allenfalls kollektive „Regelungen über das Rating von Plattformarbeitern oder auch über Konfliktlösungsmechanismen wie Mediations- oder Ombudsverfahren“ gestattet, weil sie als wettbewerbsneutral angesehen werden können. Allerdings sei Artikel 101 einschränkend auszulegen, wenn es um die Rechte wirtschaftlich abhängiger Selbstständiger geht, so der Jurist. Denn der AEUV enthalte auch sozialpolitische Zielbestimmungen – etwa die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und einen angemessenen sozialen Schutz –, die hier zu berücksichtigen seien. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist in verschiedenen Fällen zu der Auffassung gelangt, dass der Bereich der Sozialpolitik als „kartellrechtlicher Ausnahmebereich“ anzusehen sei. Zumindest für Scheinselbstständige, die klar Arbeitnehmeraufgaben erfüllen – in einem verhandelten Fall ging es um Aushilfsmusiker – gilt das Kartellverbot demnach nicht. Dies lässt sich nach der bisherigen Linie des EuGH zwar nicht auf alle wirtschaftlich abhängigen Selbstständigen übertragen. Dennoch kann man argumentieren, so Seifert, dass hier eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit vorliegt. Zudem lasse sich hier der „Gedanke eines Umgehungsschutzes“ anführen: Wo ein „Sozialdumping durch Selbstständige“ droht, sei es geboten, den Geltungsbereich der sozialpolitischen Bestimmungen auszuweiten – gerade um „Wettbewerbsverzerrungen“ zu verhindern. Auch das Recht auf Kollektivverhandlungen, das in der europäischen Grundrechte-Charta verankert ist, dürfte nach Seiferts Einschätzung auf abhängige Selbstständige anwendbar sein. (…) Angesichts der Unsicherheit begrüßt der Jurist, dass die EU-Kommission am 9. Dezember 2021 „Leitlinien über die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen“ vorgeschlagen hat. Entscheidend sei, dass die geplante Neuregelung später nicht durch den EuGH gekippt oder durch eine Einschränkung des Anwendungsbereichs, etwa auf Scheinselbstständige im engeren Sinn, beschränkt wird.“ Beitrag aus Böckler Impuls 6/2022 bei der Hans-Böckler-Stiftung externer Link
  • ver.di will Tarifverträge für alle Solo-Selbstständigen abschließen – Arbeitsbedingungen notfalls über Honorarempfehlungen verbessern 
    „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) will künftig auch Tarifverträge für alle Solo-Selbstständigen abschließen. Das geht aus einer Stellungnahme der Gewerkschaft hervor, die heute (24. Februar 2022) der EU-Kommission vorgelegt wurde. ver.di ist mit über 30.000 Mitgliedern in diesem Bereich die stärkste Organisation von Solo-Selbstständigen in Europa. Die EU-Kommission sucht derzeit nach Wegen, den Einzelpersonen bei der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen über Kollektivverträge mehr Rechtssicherheit zu geben. Dazu müsste diese Erwerbstätigengruppe aus dem europäischen Wettbewerbsrecht ausgenommen werden. Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke erklärte, kollektive Tarifverhandlungen mit den Auftraggebern müssten ausnahmslos für alle Solo-Selbstständigen legalisiert werden, um die prekären Arbeitsverhältnisse in einzelnen Branchen zu verbessern. „Die Kommission darf sich weder in die Modalitäten noch in die Inhalte von Tarifverhandlungen und -verträgen einmischen. Dazu müssen wir ermächtigt werden, Honorarempfehlungen abzugeben, falls die Auftraggeber nicht zu Verhandlungen bereit sind“, forderte Werneke. Man könne nicht weiter zulassen, dass Auftraggeber einseitig Honorare festlegen, während den Solo-Selbstständigen verwehrt wird, kollektiv Tarifverträge abzuschließen: „Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist für Solo-Selbstständige bereits gegeben, wenn ein Drittel des jährlichen Einkommens bei einem Unternehmen erwirtschaftet wird. Hier kann eine einseitige Honorarvorgabe schnell zur Existenzbedrohung werden.“…“ ver.di-Pressemitteilung vom 24. Februar 2022 externer Link, siehe weitere Informationen:

    • Damit Honorarvorgaben nicht die Existenz bedrohen
      „… Der Markt, der freie Wettbewerb, kann vieles regeln, aber nicht alles. Letzteres bekommen seit Jahren immer wieder Solo-Selbstständige zu spüren, die seit der Anpassung des deutschen Wettbewerbsrechts an das entsprechende Europarecht 2005 den freien Kräften des Markts ausgeliefert sind. Empfehlungen zu üblichen Vergütungen, wie es sie bis dato für verschiedene Branchen gegeben hat, in denen Solo-Selbstständige tätig sind, fielen weg. Die Europäische Union betrachtet Solo-Selbstständige wie klassische Unternehmen, die Kartelle bilden und Preise untereinander absprechen und so quasi den freien Wettbewerb ausschalten können. Doch solche Marktabsprachen mögen unter großen Konzernen immer wieder vorkommen, unter Solo-Selbstständigen gab und gibt es sie nicht. (…) Grundsätzlich steht die EU-Generaldirektion „Wettbewerb“ einer Änderung des bisherigen Wettbewerbsrechts positiv gegenüber: „Kollektivverhandlungen können ein mächtiges Instrument sein, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Für Einzelpersonen, die keine Arbeitnehmer sind, kann das Wettbewerbsrecht jedoch ein Hindernis für Kollektivverhandlungen zur Verbesserung ihrer prekären Situation darstellen.“ Entsprechende Leitlinien will die EU-Kommission noch in diesem Jahr vorlegen. Was auch immer dabei herauskommen sollte – zweierlei will die Wettbewerbskommission laut Anhörung keinesfalls: „Weder kollektive Verhandlungen/Vereinbarungen über Handelsbedingungen (wie z.B. Preise, die privaten Verbrauchern in Rechnung gestellt werden) noch einseitige Preisfestsetzungen“ sollen „von dieser Initiative erfasst“ werden, heißt es. Eine Praxis, die derzeit von vielen Auftraggebern kraft ihrer wirtschaftlichen Übermacht faktisch praktiziert wird, soll den unterlegenen Solo-Selbstständigen demnach nicht erlaubt sein. Faktisch sieht es derzeit so aus: Bildungseinrichtungen etwa legen einseitig den Stundensatz für Honorarlehrkräfte (Solo-Selbstständige) fest oder Plattformen geben Click- und Crowdworkern (ebenfalls Solo-Selbstständige) über ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vergütungen vor. Bisher können Solo-Selbstständige dagegen keine sachlich begründeten Untergrenzen bei der Vergütungshöhe – etwa durch branchenspezifische Honorarvorgaben – gemeinsam festlegen. ver.di reklamiert hier entsprechend das Recht der Gewerkschaften, beispielsweise auch gemeinsam mit den Solo-Selbstständigen verbindliche branchenspezifische Mindesthonorare zu erarbeiten, wenn es keine Gegenpartei gibt, mit der sie verhandeln können, oder wenn eine Gegenpartei dauerhaft nicht zu Verhandlungen bereit ist. Weder Honorarverhandlungen noch Honorarempfehlungen, die durch die gleichen Ziele gerechtfertigt sind, die auch Tarifverträge und Tarifbewegungen verfolgen, stellen schließlich eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Wettbewerbsbeschränkung dar. Sie sind im Gegenteil nützlich für den Binnenmarkt, weil sie helfen, Dumping einzudämmen.“ ver.di-Themenbeitrag vom 24. Februar 2022 externer Link
    • Stellungnahme der ver.di vom 24. Februar 2022 externer Link im Rahmen der Konsultation zum Entwurf der „Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen“
  • EU-Kommission will Tarifverträgen für Solo-Selbstständige den Weg ebnen – ver.di sieht Chance für mehr Fairness bei Arbeitsvermittlung auf Plattformen 
    Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat die Initiative der EU-Kommission, deutlich mehr Möglichkeiten für Tarifverträge für Solo-Selbstständige zu schaffen, als „Stärkung von Ein-Personen-Unternehmen bezeichnet“. Das europäische Wettbewerbsrecht soll so geändert werden, dass zukünftig kollektive Vereinbarungen zwischen Solo-Selbstständigen und Auftraggebern rechtssicher möglich sein sollen. „Gerade in der über Plattformen vermittelten Arbeit brauchen die Solo-Selbstständigen den Schutz von Tarifverträgen“, erklärt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. „Die meisten Selbstständigen ohne Angestellte verfügen gegenüber ihrem Auftraggeber kaum über Verhandlungsmacht. Individuelle Vereinbarungen über Bezahlung und Arbeitsbedingungen auf Augenhöhe sind in den seltensten Fällen möglich. Durch die zunehmend über Plattformen vermittelte Arbeit verschärft sich das Problem noch“, sagte Werneke. Die EU-Kommission schlägt eine Ausnahme für Kollektivverträge von Solo-Selbständigen im europäischen Wettbewerbsrecht vor. Für wen diese Ausnahme gelten soll, ist noch nicht klar. ver.di setzt sich für eine Öffnung ein, die alle Solo-Selbstständigen umfasst. „Vollkommen unterbelichtet ist im Kommissionsvorschlag bisher die Rolle der Sozialpartner“, kritisiert Werneke. „Es muss klargestellt werden, dass insbesondere die Gewerkschaften die Solo-Selbstständigen organisieren und tarifieren können. Und auch die Gegenseite muss klar benannt werden.“ Überdies dürfe eine Neuregelung keine Einschränkungen des nationalen Tarifrechts mit sich bringen, wie etwa Ausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen oder heute schon bestehende Möglichkeiten des Abschlusses für bestimmte Gruppen von Soloselbständigen. Das europäische Wettbewerbsrecht verhindert bislang weitgehend Möglichkeiten für Solo-Selbstständige, ihre Bezahlung und Arbeitsbedingungen gemeinsam mit Gewerkschaften auszuhandeln. Wettbewerbsrechtlich werden Solo-Selbstständige bislang mit Unternehmen gleichgestellt. Kollektive Regelungen zum Schutz von Solo-Selbstständigen und eine faire Bezahlung sind damit weitgehend ausgeschlossen – das will die EU-Kommission nun ändern. Die Frist, zu diesem Vorhaben eine erste Stellungnahme abzugeben, endet heute (3. Februar 2021).“ ver.di-Pressemitteilung vom 03.02.2021 externer Link

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=198305
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