Von der Kampforganisation zum „Krisenkorporatismus“: Warum mobilisieren die Gewerkschaften in der „Corona-Krise“ nicht ihre Mitglieder?

Dossier

[VKG] Corona-Gefahr: Sofortmaßnahmen im Interesse der abhängig Beschäftigten! Gewerkschaften müssen handeln!Aktuell kann man sich schon die Frage stellen, ob die Gewerkschaften, gesellschaftspolitisch gesehen, nahtlos von der Frühjahrsmüdigkeit in den Winterschlaf übergehen wollen. War es schon ein Fehler, sich am 1. Mai in den virtuellen Raum zurückzuziehen und nicht auf öffentlichen Plätzen die eigenen sozial- und gesellschaftspolitischen Forderungen in Zeiten von Corona in die Debatte einzubringen, setzt sich jetzt, da die konjunktur- und gesellschaftspolitischen, sowie die ökologischen Pflöcke von Bundes- und Landesregierungen eingerammt werden, das passive Agieren der Gewerkschaften in diesen zentralen Fragen fort. (…) Doch die „Corona-Krise“ bietet jetzt der Kapitalseite die Möglichkeit im Rahmen eines Frontalangriffs u.a. auf die Bastionen der IG Metall in der Automobilindustrie, diese programmatischen Ansätze vom Tisch zu wischen. Statt aber die Arbeitsplätze selbstbewusst, mit Bezug auf die eigene Programmatik, zu verteidigen und den „betrieblichen Widerstand gegen Stellenabbau zu organisieren, sich für verkürzte Arbeitszeiten bei vollem Lohn einzusetzen, für eine zukunftsträchtige sowie gesellschaftlich sinnvolle Produktion“ einzutreten, sucht man den Schulterschluss mit der Kapitalseite. (…) Warum überlässt man es den Lobbyisten der Kapitalseite ihre Forderungen bei der politischen Klasse, mit breiter Unterstützung der Medien, nicht nur aktiv einzubringen, sondern auch durchzusetzen? Warum suchen die Gewerkschaften nicht den nachhaltigen Schulterschluss mit den Sozialverbänden, der Klimabewegung, der Friedensbewegung, der Bewegung gegen Rassismus und Antisemitismus etc. um einer anderen Politik zum Durchbruch zu verhelfen, statt auf ausgelatschten Pfaden weiter zu wandeln?…“ Artikel von Falk Prahl vom 24.06.2020 bei kommunisten.de externer Link und nun dazu:

  • Schwere Zeiten: IG Metall geht geschwächt aus der Pandemie hervor. In ihrer Tarifpolitik sieht die Gewerkschaftsspitze dafür keine Ursache New
    „Kurzarbeit und massenhaftes Homeoffice, Stellenabbau und Produktionsverlagerungen, Bandstillstände durch stockende Lieferketten und technologische Umbrüche – Deutschlands Industrie und damit auch die IG Metall haben es derzeit nicht leicht. Das drückt sich auch in den Mitgliederzahlen aus, die der Gewerkschaftsvorsitzende Jörg Hofmann am Donnerstag bei der Jahrespressekonferenz seiner Organisation in Frankfurt am Main präsentierte. 2,1 Prozent ihrer Mitglieder hat Europas größte Industriegewerkschaft 2021 verloren. Zum Jahreswechsel zählte sie noch etwa 2,17 Millionen Mitglieder. Zusammen mit den noch größeren Verlusten im vorangegangenen, ersten Pandemiejahr bedeutet dies eine erhebliche Schwächung der IG Metall, die sich zudem mit großen Herausforderungen konfrontiert sieht. »Trotz widriger Umstände« habe die IG Metall auch in der Pandemie »wichtige Tariferfolge« errungen, sagte Hofmann – womit er allerdings nicht dauerhaft wirksame Lohnerhöhungen gemeint haben kann. Denn diese sind in den letzten Tarifabschlüssen ausgeblieben, was etliche Unternehmen nicht davon abhielt, Tausende Arbeitsplätze und ganze Standorte zur Disposition zu stellen. In Kombination mit der hohen Inflation sorgte die Lohnzurückhaltung dafür, dass den Metallern real deutlich weniger zum Leben bleibt. Hofmann wollte dies dennoch nicht als Fehler sehen. »Es war nie Politik der IG Metall, zu glauben, mit zurückhaltender Lohnpolitik könne Beschäftigung geschaffen werden«, betonte er auf jW-Nachfrage. Nehme man das Vorpandemiejahr 2018 zum Ausgangspunkt, sei es der IG Metall durchaus gelungen, die Reallöhne zu halten und die Kaufkraft der Beschäftigten zu erhöhen. Für 2022 sieht der oberste Metaller denn auch keinen Nachholbedarf aus der Vergangenheit. Gleichwohl berichtete er von der klaren Erwartung der Gewerkschaftsbasis, die Reallöhne wieder zu erhöhen. Dieses Ziel werde bei der im Herbst anstehenden Metall-Tarifrunde im Mittelpunkt stehen…“ Artikel von Daniel Behruzi in der jungen Welt vom 28. Januar 2022 externer Link
  • Lobbyisten besonderer Art: Gewerkschaftsführer werben für Subventionen in „ihre“ Betriebe 
    Der Vorsitzende der IG-Metall Jörg Hoffmann betätigt sich als Lobbyist, indem er im gemeinsamen Interview mit Arbeitsminister Hubertus Heil für Subventionen wirbt zugunsten der deutschen Elektro- und Metallindustrie, und zwar in Form eines staatlichen Zukunftsfonds‘: „Denn ob die Transformation unserer Industrie weg vom Verbrenner gelingt, entscheidet sich in den Regionen, in denen viele Zulieferer-Betriebe vom Verbrenner abhängen. Der Zukunftsfonds für die regionalen Initiativen und die Weiterbildungsverbünde können helfen, den Umbau aktiv anzugehen.“ (WAZ, 23.11.2020) Während der IG-Metall-Chef die Gemeinsamkeit des Anliegens von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft betont, geben sich Arbeitgeber bewusst klassenkämpferisch: „Stefan Wolf, der künftige Gesamtmetall-Chef, fordert“, so n-tv, „Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich. Auch das Weihnachtsgeld oder Spätzuschläge gehören seiner Ansicht nach auf den Prüfstand.“ Eine seltsame Auseinandersetzung, bei der die Gewerkschaft sich für den Erfolg der Unternehmen einsetzt, während deren Führer keine Gemeinsamkeit entdecken will. Der Gewerkschaftsführer begibt sich in seinem Gespräch mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gleich in den Krisenmodus und beschwört die Notlage der Branche, in der seine Mitglieder ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wenn er von „unseren Betrieben“ spricht, unterstellt er allerdings eine Gemeinsamkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beim Erfolg der Unternehmen, indem er elegant über einiges hinwegsieht! Schließlich beruht der Erfolg der Unternehmen auf der Leistung der von der Gewerkschaft vertretenen. Mit dem Lohn sichern sich die Unternehmen die Verfügung über die Arbeitskraft und bestimmen, was diese in der so gesicherten Zeit zu leisten haben. Wann und wie lange sie anzutreten haben, legt der Betrieb fest. Von diesem Gegensatz wollen deutsche Gewerkschafter nichts mehr wissen und betonen ständig die Gemeinsamkeit der Interessen. Während die Aktionäre nämlich weiterhin ihre Dividenden kassieren – auch bei einem eingeschränkten Geschäftsverlauf -, steht für die Arbeitnehmer ihre Existenz auf dem Spiel, schließlich haben nicht wenige der Betriebe Massenentlassungen angekündigt. Dass diese sein müssen, ist für den Gewerkschaftsführer offenbar auch eine Selbstverständlichkeit, schließlich stehen die Betriebe vor einer „Transformation“. (…) Dass die Existenz ihrer Mitglieder vom Gelingen des Geschäftes abhängt, auch wenn der Erfolg der Unternehmen ihnen nicht einmal den dafür nötigen Arbeitsplatz sichert, macht die Gewerkschaft zur Basis ihrer ganzen Politik (und wartet hier mit tollen Ideen auf: Kurzarbeit als Tarifforderung externer Link). Keine Überlegung dazu, mit welch einer unzuverlässigen Lebensgrundlage man es da zu tun hat; dass man sein Leben lang den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist; dass von Sicherheit der Lebensplanung keine Rede sein kann und man für seine Existenzsicherung definitiv nichts in der Hand hat. (…) Trotz laufender Entlassungen in vielen Betrieben pflegt die Gewerkschaft weiterhin die Mär von der Sicherung der Arbeitsplätze. Dabei sind die verschiedenen Vereinbarungen aus der Vergangenheit das Papier nicht wert, auf dem sie geschlossen wurden. (…) Dabei kommt der Geschäftsleitung zugute, dass viele der von ihr Beschäftigten Leiharbeiter sind, sie also zusätzlich noch einen anderen Arbeitgeber haben und damit Entlassungen einfacher abgewickelt werden können. Auch diese Form der Entlassungen ist für die Gewerkschaft kein Streitthema. Soviel zur gewerkschaftlichen Solidarität! (…) Bei den Tarifrunden der letzten Zeit mussten bezeichnender Weise immer die Steigerung der Löhne über mehrere Jahre aufaddiert werden, damit der Anschein gepflegt werden konnte, es würde so etwas wie ein Ausgleich für die laufenden Preissteigerungen erzielt. Dass dem nicht so ist, gibt die Gewerkschaft bei Gelegenheit auch öffentlich zu Protokoll, wenn sie über zu hohe Mieten klagt: „Die Zahl derjenigen, die durch ihre Wohnkosten überbelastet sind, wird 2020 weiter steigen“ warnt Stefan Körzell, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). (WAZ, 6.11.2020) (…) Solidarität wird auch heute noch als Wert beschworen, aber gleichzeitig tun gerade die Gewerkschaften einiges dafür, ein gemeinsames Handeln der Lohnabhängigen zu untergraben. Die Ankündigung der IG-Metall, in dieser Tarifrunde der wirtschaftlichen Situation einzelner Betriebe in besonderer Art und Weise Rechnung zu tragen, ist ein solcher Akt…“ Artikel von Suitbert Cechura vom 4. Dezember 2020 bei telepolis externer Link. Siehe zum Hintergrund u.a.:

  • Der „Schlafende Riese“ und seine blinden linken Kritiker. Wer glaubt den Riesen aufwecken zu können? Für wen mag er hellwach und gefährlich sein?
    Der Autor stellt die Frage: Warum mobilisieren die Gewerkschaften in der „Corona-Krise“ nicht ihre Mitglieder? Eine Antwort wäre: „Weil sie im gegnerischen Lager stehen und ihre Aufgabe darin sehen, den sozialen Frieden in Betrieb und Gesellschaft zu bewahren oder wieder herzustellen!“ Eines von beidem geht nur: Sozialen Frieden herstellen oder die Mitglieder mobilisieren! Wie kann der Autor also die von ihm gestellte Frage beantworten? Zumal er leider auch nicht unterscheidet zwischen Gewerkschaftsführungen, Gewerkschaftsapparaten und der Mitgliedschaft. Da er „den Gewerkschaften“ eine falsche Realität unterstellt, macht er sich die Beantwortung der von ihm selbst gestellten Frage schwierig… Er titelt seinen Artikel: Von der Kampforganisation zum „Krisenkorporatismus“. Leider geht er mit keinem Wort darauf ein, wann denn die Gewerkschaften Kampforganisationen gewesen sind und dass der heutige Korporatismus ein freiwilliger, kein erzwungener, ist. Und dass die DGB-Gewerkschaften ihre Sozialpartnerschaft seit 1954 dem Staat und Kapital geradezu aufgedrängt haben. (…) (Dazu muß man anmerken: Für uns sind sowohl die 42 Millionen Lohnabhängigen als auch die sechs Millionen Gewerkschaftsmitglieder „schlafende Riesen“ insofern, als sie sich ihrer potentiellen Macht nicht bewusst sind. Für den Autor Falk Prahl jedoch scheint der „schlafende Riese“ „der DGB“ zu sein). Und der muß in seiner Intention durch Appelle und Kritik geweckt werden. Dieser Art Umgang mit dem „schlafenden Riesen“ artet, wie bei vielen anderen linken Autoren auch, in Jammern und Besserwissen aus. Man mag es nicht mehr hören. Der Autor weiß es besser als die Führungen der DGB-Gewerkschaften! Und gibt ihnen viele gute Ratschläge! Aber genau so machen es ja auch die Führungen der DGB-Gewerkschaften mit den Firmenleitungen und in der Wirtschaftspolitik. Sie wissen es besser und geben wohlfeile Ratschläge – natürlich nur im Interesse der Mitglieder, damit die einen Aktivitätsbeweis erhalten sollen: „Wir tun was!“ Bellen ohne beißen. Nur Wortgeklingel. (…) Unsere Adressaten sind – sehr selten – die Gewerkschaftsführungen und -apparate sondern die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften. Sie allein sind fähig, Realität und Praxis in den Gewerkschaften, ihr Wesen, zu ändern. Und die KollegInnen gilt es aufzuklären über den Charakter der DGB-Gewerkschaften, wie und warum sie zu dem geworden sind, was sie sind. Statt Aufklärung produziert der Autor Ideologie und Illusion. Der angeblich nur zu erweckende „schlafende Riese“, so wie der Autor ihn sieht, ist ein gefährlicher Koloss – der auf der Gegenseite steht…“ Anmerkungen von Alwin Altenwald vom 3.8.2020 beim Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg externer Link zu einem Artikel von Falk Prahl (s.o.)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=176570
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