Verdi: Streiken aus reiner Verzweiflung
„Schlichtung im Kitastreik, bald Streik bei der Post – Verdi gibt sich kämpferisch. Das sieht stark aus, ist aber in Wahrheit schiere Verzweiflung.
Der Streik im Sozial- und Erziehungsdienst läuft noch, da plant Verdi bereits den nächsten großen Arbeitskampf: Falls die Arbeitgeberseite bis Donnerstagnachmittag das Verdi-Angebot nicht angenommen hat, droht auch bei der Deutschen Post ein unbefristeter Streik. Was auf den ersten Blick wie ein Ausdruck von Selbstbewusstsein erscheint, ist in Wahrheit ein Akt der Verzweiflung. Denn die zweitgrößte Einzelgewerkschaft Deutschlands steht mit dem Rücken zur Wand, im Konkreten wie im Großen und Ganzen…“ Kommentar von Pascal Beucker vom 4.6.2015 in der taz online
- Aus dem Text: „… Wenn diese Auseinandersetzung [Post] verloren geht, hätte das gehörige negative Auswirkungen auf die Gesamtorganisation. Kaum vorstellbar, dass dann Frank Bsirske den Bundeskongress im September in Leipzig politisch überlebt. (…) Verdi wirkt wie ein leckgeschlagener Tanker, den der Kapitän mit kopflosem Aktionismus wieder manövrierfähig machen will. Bestes Beispiel dafür ist der Amazon-Streik. Ohne sich eine Ausstiegsstrategie zu überlegen, ist Verdi in einen Arbeitskampf gegangen, der unter den gegebenen Bedingungen nicht zu gewinnen ist. Fahrlässig wurde die Hartleibigkeit des US-Onlineversandhändlers unter- und die eigene Mobilisierungsfähigkeit wie die Auswirkungen auf die Kunden überschätzt. „Dieser Kampf hat die Solidarität der gesamten Organisation“, behauptet zwar Bsirske nach wie vor. Doch kaufen können sich die Amazon-Beschäftigten davon nichts – solange diese „Solidarität“ rein verbal bleibt. (…) Verdi braucht eine selbstkritische Strategiediskussion. Alles gehört auf den Prüfstand, nicht zuletzt die hierarchisch-autoritäre Grundstruktur. Solange die Gewerkschaftsspitze ihre Mitglieder als willenlose Masse begreift, die von oben manövriert werden kann, wird der Schrumpfungsprozess weitergehen…“
- Siehe zum Hintergrund das Dossier: Tarifverhandlungen Arbeitszeit: Warnstreiks bei der Post AG ab 1. April und das Dossier: Tarifeinordnung Sozial- und Erziehungsdienste: Aufwertung sozialer Berufe – nächste Etappe