Über den unterschiedlichen Umgang der Eisenbahngewerkschaften mit der Partei AfD

"... Wer als Erwerbsloser oder Arbeiter die AfD wählt, wählt gegen seine eigenen Interessen!"„… Ausgangspunkt der Diskussion um die AfD ist im Interview der Hinweis Tilo Jungs, dass die konkurrierende, im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierte Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD verabschiedet hat. Ein solches Vorgehen bezeichnet Weselsky als „Fehler“ und „völlig neben der Kappe“. Sein Hauptargument in der Begründung, weshalb die GDL in dieser Frage nicht genauso wie die EVG verfährt, lautet: „das wäre die Abkehr von der Einheitsgewerkschaft“. (…) Insofern ist es mindestens geschichtsvergessen, wenn Weselsky den Unvereinbarkeitsbeschluss der EVG zur AfD als „Abkehr von der Einheitsgewerkschaft“ bezeichnet. Klare Kante gegen Rechts zu zeigen, bedeutet nicht die Abkehr von der Einheitsgewerkschaft, sondern deren konsequente Fortsetzung. Und da es dabei um gewerkschaftseigene Ziele und Werte geht, braucht eine Gewerkschaft auch nicht abzuwarten, bis etwa ein  Bundesamt für Verfassungsschutz tätig wird, um zu entscheiden, ob die Mitgliedschaft in einer Partei mit der in der eigenen Gewerkschaft vereinbar ist. Voraussetzung dafür ist natürlich, als Gewerkschaft entsprechende Ziele und Werte überhaupt formuliert zu haben…“ Artikel von Paul Kowalla vom 30.3.2021 – wir danken!

Über den unterschiedlichen Umgang der Eisenbahngewerkschaften mit der Partei AfD

Am 11.03.2021 war der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, zu Gast in Tilo Jungs Sendung „Jung & Naiv“ (sämtliche im Folgenden verwendeten Zitate von Jung und Weselsky stammen aus dem Interview, welches hier abrufbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=IAJh1kYL4o4 externer Link ). In dem zweieinhalbstündigen Gespräch ging es u.a. um den Umgang der Bahngewerkschaften mit der AfD. Dieses Thema soll hier noch einmal aufgegriffen und erörtert werden. Ausgangspunkt der Diskussion um die AfD ist im Interview der Hinweis Tilo Jungs, dass die konkurrierende, im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierte Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD verabschiedet hat. Ein solches Vorgehen bezeichnet Weselsky als „Fehler“ und „völlig neben der Kappe“. Sein Hauptargument in der Begründung, weshalb die GDL in dieser Frage nicht genauso wie die EVG verfährt, lautet: „das wäre die Abkehr von der Einheitsgewerkschaft“.

Ein paar erläuternde Worte zum Konzept der Einheitsgewerkschaft sind an dieser Stelle daher angebracht. Der langjährige Gewerkschafter und Autor Hartmut Meine schreibt dazu Folgendes: „Als im Januar 1933 der NSDAP und Adolf Hitler die Macht übertragen wurde, waren die parteipolitisch orientierten Gewerkschaften unfähig, gemeinsam gegen die Nationalsozialisten Widerstand zu leisten. […] Vor diesem Hintergrund wurde 1945 nach der Befreiung vom Faschismus großer Wert darauf gelegt […] eine parteipolitisch unabhängige Einheitsgewerkschaft zu schaffen. […] Geschichtlich betrachtet sind in den einzelnen Gewerkschaften im DGB sozialdemokratische, sozialistische, kommunistische und christliche Strömungen aufgegangen. […] Gegenüber rechten Parteien beziehen die DGB-Gewerkschaften jedoch klar Stellung, da sie ihren Zielen und Werten völlig entgegenstehen“ (H. Meine: Gewerkschaft, ja bitte! Ein Handbuch für Betriebsräte, Vertrauensleute und Aktive. Hamburg: 2018. S. 43 f.).

Soviel in Kürze zum historischen Hintergrund der Einheitsgewerkschaft. Sie ist also gerade eine Konsequenz des (gescheiterten) Kampfes gegen den Rechtsextremismus. Insofern ist es mindestens geschichtsvergessen, wenn Weselsky den Unvereinbarkeitsbeschluss der EVG zur AfD als „Abkehr von der Einheitsgewerkschaft“ bezeichnet. Klare Kante gegen Rechts zu zeigen, bedeutet nicht die Abkehr von der Einheitsgewerkschaft, sondern deren konsequente Fortsetzung.

Und da es dabei um gewerkschaftseigene Ziele und Werte geht, braucht eine Gewerkschaft auch nicht abzuwarten, bis etwa ein  Bundesamt für Verfassungsschutz tätig wird, um zu entscheiden, ob die Mitgliedschaft in einer Partei mit der in der eigenen Gewerkschaft vereinbar ist. Voraussetzung dafür ist natürlich, als Gewerkschaft entsprechende Ziele und Werte überhaupt formuliert zu haben. In der Satzung der EVG heißt es eindeutig: „sie widersetzt sich antidemokratischen und faschistischen Bestrebungen“ (§ 3, 2).Weiterhin: „Die EVG steht für Vielfalt. Sie fördert auf Grundlage des Grundgesetzes aktiv die Chancengleichheit und Teilhabe in Gesellschaft, Betrieb und Gewerkschaft unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Identität, Behinderung, ethnischer Herkunft und Nationalität, Religion und Weltanschauung“ (§ 3, 4). Schließlich wird noch als eine der gewerkschaftlichen Aufgaben definiert: „die Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern, der Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund und verschiedener Religionen und Weltanschauungen sowie verschiedener sexueller Identitäten“ (§ 3, 5k). In der Satzung der GDL findet sich nichts Vergleichbares und Handlungsbedarf sieht man dort wohl erst, wenn staatlicherseits nachgewiesen ist, dass sich eine Partei im Gegensatz zur GDL nicht „bekennt […] zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat“ (GDL-Satzung, § 2, 1). Möglicherweise würde der GDL eine bundesweite Beobachtung durch den Verfassungsschutz reichen: T. Jung: „Die AfD ist eine rechtsradikale Partei.“ Darauf Weselsky: „Ein Teil davon. Wir kennen die Diskussion um die Flügelbewegung. […] Ich sehe, dass das momentan unter Beobachtung gestellt worden ist und wenn sich das manifestiert, haben wir es mit einem anderen Grundzustand zu tun“.

Der Verweis auf andere, die den „Grundzustand“ zunächst einmal zu klären hätten, ist jedenfalls, erstens, ein sehr bequemer Weg. So muss man selbst bis auf Weiteres keine eindeutige Position beziehen. Und vor allem, zweitens, vergrault man sich damit keine seiner Gewerkschaftsmitglieder. Denn dass ein Unvereinbarkeitsbeschluss für Mitglieder der AfD auch bei denen, die die Partei bloß wählen oder mit ihr sympathisieren, jedoch ohne Mitglied zu sein, wahrscheinlich eher schlecht ankommt und gar Grund für einen Austritt aus der Gewerkschaft sein könnte, liegt auf der Hand.

Weselsky und seine GDL machen es sich hier also sehr einfach. Um darüber hinwegzutäuschen, wird so getan, als handele es sich bei parteipolitischer Unabhängigkeit und politischer Neutralität um dieselbe Sache: „wir sind Gewerkschaft und wir machen Gewerkschaftspolitik. Wir machen das ganze Farbspektrum, was im politischen Leben ist, privat, jeder für sich, aber nicht in dieser GDL“. Schon der Hinweis auf die Farben, mit welchen ja gemeinhin die verschiedenen Parteien assoziiert werden, legt nahe, dass hier offenbar Politik mit Parteipolitik gleichgesetzt wird. Die Verbesserung von Arbeits- und Einkommensbedingungen bezeichnet Weselsky zwar als Gewerkschaftspolitik, welche sich allerdings ausschließlich auf die o. g. Verbesserungen zu beschränken hat. Alles, was darüber hinausgeht, ist demnach Sache von Parteien und hat in der Gewerkschaft nichts zu suchen. Hier wird nicht das Ideal der parteipolitisch unabhängigen Gewerkschaft verfolgt, sondern das der unpolitischen Gewerkschaft. Folgerichtig stellt der Lokomotivführer, der auch aktives AfD-Mitglied ist, kein Problem dar, schließlich muss man sich mit ihm gewerkschaftsintern nur über Fragen der Arbeits- und Einkommensbedingungen einig werden.

Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, den Nachweis zu führen, dass die AfD eine Partei ist, mit welcher demokratische Organisationen keine gemeinsame Sache machen und auch keine personellen Überschneidungen eingehen sollten. Entsprechende Analysen der Partei gibt es inzwischen zuhauf. Nach Meinung des Verfassers hätte – spätestens – der Verbleib eines Großteils der ehemaligen „Flügel“-Leute in der Partei, inkl. des Rechtsextremisten Björn Höcke, Grund genug sein müssen, um als Gewerkschaft entsprechend der EVG zu handeln. Und zwar, unabhängig vom Urteil staatlicher Einrichtungen, aufgrund eigener demokratischer und gewerkschaftlicher Werte. Dies gilt selbstverständlich genauso für all jene DGB-Gewerkschaften, die auch noch keinen Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet haben. Aus den Reihen des DGB hat übrigens zuletzt der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Vereinbarkeit einer gleichzeitigen Gewerkschafts- und AfD-Mitgliedschaft verneint (https://www.tagesschau.de/inland/polizei-gewerkschaft-afd-101.html externer Link).

Gewerkschaften sind gewiss keine Ersatzparteien, aber sie handeln eben auch nicht außerhalb einer polit-ökonomischen und gesellschaftspolitischen Realität. Wer so tut, als wäre das möglich, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls jemand, der im Großen und Ganzen am Status quo nichts auszusetzen hat.

Artikel von Paul Kowalla vom 30.3.2021 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=188527
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