USA und Papst versus „rotes Hessen“ – erfreuliche Erinnerung an das hessische Betriebsrätegesetz von 1948 und notwendige Ergänzung

Erfüllt Eure Pflicht - wählt einen gewerkschaftlichen BetriebsratVor 75 Jahren erschien in Wiesbaden ein seltsam zensiertes Gesetzblatt. Auf den Weg gebracht wurde ein neues Betriebsrätegesetz, dem die US-Militärregierung jedoch seine radikaldemokratischen Zähne gezogen hatte. (…) An die Stelle der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen des NS-Staats setzte der Alliierte Kontrollrat durch Gesetz Nr. 22 vom 10. April 1946 nur sehr dürre Regelungen. Den Arbeitern und Angestellten in den Betrieben wurde „gestattet“ zur „Wahrnehmung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen“ Betriebsräte zu bilden. Das Betriebsrätegesetz für das Land Hessen vom 31. Mai 1948 machte im Vergleich mit dem dürren Kontrollratsgesetz Nr. 22 Nägel mit Köpfen…“ Artikel von Martin Rath vom 1. Oktober 2023 bei LTO externer Link – siehe mehr daraus und eine u.E. notwendige Ergänzung:

  • Weiter aus dem Artikel von Martin Rath vom 1. Oktober 2023 bei LTO externer Link: „… Seinen Auftrag entnahm der Gesetzgeber dabei Artikel 37 der hessischen Landesverfassung: „(1) Angestellte, Arbeiter und Beamte in allen Betrieben und Behörden erhalten unter Mitwirkung der Gewerkschaften gemeinsame Betriebsvertretungen, die in allgemeiner, gleicher, freier, geheimer und unmittelbarer Wahl von den Arbeitnehmern zu wählen sind. (2) Die Betriebsvertretungen sind dazu berufen, im Benehmen mit den Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Unternehmern in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des Betriebes mitzubestimmen. (3) Das Nähere regelt das Gesetz.“ § 2 Abs. 1 Satz 1 Betriebsrätegesetz überließ es nicht dem Entschluss der Beschäftigten vor Ort, einen Betriebsrat zu bilden: „Zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung der Arbeitgeber in der Erfüllung der Betriebszwecke sind unter Mitwirkung der Gewerkschaften in allen Betrieben und Behörden Betriebsräte zu wählen.“ (…) Einen anderen Weg als das spätere Bundesrecht ging auch die hessische Regelung, die Betriebsräte, „soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht“, dazu ermächtigte, mit dem Arbeitgeber und „in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften“ Betriebsvereinbarungen über „die Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen“ abzuschließen (§ 35). (…) Bis zur bundesgesetzlichen Regelung des Betriebsverfassungsrechts sollten aber rund vier Jahre ins Land gehen, das Grundgesetz war noch nicht formuliert – eben die wilden Jahre des deutschen Rechts. In dieser Lage intervenierte die amerikanische Militärregierung gegen einige der hessischen Regelungen. Interessant ist auch, welche Vorschriften durchgingen. Nicht betroffen war beispielsweise § 31 Betriebsrätegesetz: „Der Betriebsrat ist berechtigt und verpflichtet, mit den Behörden bei der Verhinderung von Rüstungsvorhaben und zum Schutze der Verfassung (Artikel 146 ff. HV [Hessische Verfassung]) zusammenzuarbeiten.“ Auf Befehl der Militärregierung suspendiert blieb bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes, über das in Bonn beraten wurde, aber § 30 Betriebsratsgesetz, der den Betriebsräten aufgab, zusammen mit den Gewerkschaften „gleichberechtigt mit dem Arbeitgeber in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen mitzubestimmen“, wie es auch der oben zitierte Artikel 37 Abs. 2 Hessische Verfassung nannte. Ausgesetzt blieben auf Anordnung der Militärregierung auch §§ 52–55 Betriebsrätegesetz. Diese enthielten sehr detaillierte Mitbestimmungsrechte. Nach § 52 Abs. 1 a) sollten hessische Betriebsräte etwa in wirtschaftlichen Fragen mitzubestimmen haben, wenn eine „Änderung des Betriebszwecks und Veränderungen in den Betriebsanlagen, die geeignet sind, die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmer des Betriebs wesentlich umzustellen“, anstand. Aus § 52 Abs. 3 ließ sich erschließen, wie weitgehend das gedacht war: „Das Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen erstreckt sich nicht auf die Geschäfte der laufenden Verwaltung sowie auf Handlungen, die der Betrieb gewöhnlich mit sich bringt.“ – Die juristische Logik sagt bei solchen Formulierungen bekanntlich oft: Auf alles andere erstreckt sie sich also doch. Von der Suspendierung betroffen war mit § 53 zudem das Recht der hessischen Betriebsräte, „in alle Geschäftsunterlagen des Betriebes, auf die sich sein Mitbestimmungsrecht erstreckt, insbesondere die Handelsbücher, die Korrespondenz und die abgeschlossenen schriftlichen Verträge Einsicht zu nehmen“, und dazu auch externen Sachverstand, etwa Buch- und Wirtschaftsprüfer, hinzuzuziehen. (…) In Hessen war man 1948 vielleicht gar nicht so „rot“, sondern machte sich nur abweichende Gedanken zum Verhältnis von Kapital und Arbeit und zur Chance, ökonomische Prozesse zu steuern, statt sich ihnen bloß ausgeliefert zu fühlen.“
  • Da dieser Vorgang in Hessen 1948, der anschaulich die Grenzen der Alliiertenbefreiung bezüglich kapitalistischer und für den Sieg des Faschismus 1933 mitverantwortlicher Systemvorgaben zeigt, bezüglich der Vorstellungen zur Mitbestimmung auch heute noch beispielhaft ist, hier der Link zum kompletten Betriebsrätegesetz für das Land Hessen vom 31. Mai 1948 externer Link . Die Betrachtung des Originals bietet sich auch deshalb an, weil Martin Rath zwar die Fakten zur Hessischen Initiative gut zusammenträgt, seinen Beitrag jedoch leider mit zum Teil etwas fragwürdigen Wertungen anreichert. Ob nun Hessen zur Recht als „rotes Hessen“ bezeichnet wurde, ist eine letztlich nebensächlich Frage anbetracht des Umstandes, dass das hessische Betriebsrätegesetz viel entschiedener als das spätere Adenauer-Gesetz mit dem faschistischen Führerprinzip, wie es sich im NS-Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 23. Januar 1934 darstellt, brach…
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