[Buch] Lieber tot als rot? Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit 1914

[Buch] Lieber tot als rot? Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit 1914Sind Gewerkschaften „noch immer“ Teil der Friedensbewegung oder hatten sie sich, wie vom zeitgenössischen Linksradikalismus geargwöhnt, bereits im Ersten Weltkrieg als Organe des imperialistischen Staates entpuppt? Der Frage nach dem Verhältnis von Gewerkschaften und Militär in Deutschland geht Malte Meyers im November 2017 erschienenes Buch anhand wichtiger historischer Stationen auf den Grund. Außerdem untersucht es die gewerkschaftliche Alltagspraxis in Rüstungskonzernen wie Repressionsapparaten und beschäftigt sich mit Gewerkschaftsstatements zur Remilitarisierung deutscher Außenpolitik seit 1990. Siehe Informationen zum Buch von Malte Meyer beim Verlag Edition Assemblage (336 Seiten, 19.80 EUR [D], ISBN 978-3-942885-71-3 | WG 973) und Vorabdruck des Kapitels über Gewerkschaften und Friedensbewegung in den 1980er Jahren (samt Inhaltsverzeichnis) und nun Interviews mit dem Autor:

  • [Interview] »Alles andere als Wehrkraftzersetzung«. In seinem Buch »Lieber tot als rot« dekonstruiert Malte Mayer den Mythos, Gewerkschaften seien Teil der Friedensbewegung gewesen New
    Aus dem Gespräch von Peter Nowak mit Malte Meyer vom 23. Mai 2018 in der Jungle World 2018/21 externer Link: „…Die DGB-Spitzen haben die Kriegseinsätze der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan abgesegnet und hatten faktisch auch gegen die Remilitarisierung deutscher Außenpolitik seit 1990 nichts einzuwenden. Die IG Metall ist in der Rüstungsbranche ein zuverlässiger Verteidiger von Standortinteressen. Und auch Verdi betreibt als Interessenvertretung von Bundeswehrbeschäftigten alles andere als Wehrkraftzersetzung. Das Ausmaß an Integra­tion in den Staatsapparat wird durch solche Aussagen über eine angeblich antimilitaristische »Gewerkschaftsbewegung« nur vernebelt. (…) Natürlich gibt es zu dem Thema ganze Passagen in gewerkschaftlichen Grundsatzdokumenten und wortradikalen Sonntagsreden, ganz zu schweigen von Gewerkschaftsfahnen auf den Ostermärschen oder lokalen Veranstaltungen zum Antikriegstag am 1. September. Ich finde aber auch, dass man die Leichtgläubigkeit von Teilen des Publikums nicht unterschätzen sollte: Wer – wie zum Beispiel der Kölner DGB – einen Hashtag wie »#No2Percent« (gegen den Nato-Beschluss, die Militärausgaben auf zwei Prozent des Brutto­inlandsprodukts zu erhöhen, Anm. d. Red.) verbreitet, spricht sich eben zunächst einmal nur gegen Aufrüstungspläne aus. Gegen die Bundeswehr, das derzeitige Niveau der Militärausgaben oder auch UN-mandatierte Kriegs­einsätze ist mit so einer Kampagne noch gar nichts gesagt. Im Gegenteil: Solche monströsen Sachen werden von denselben Menschen für unabänderlich erklärt…“
  • Im Bündnis mit dem Militär: Historiker Malte Meyer über Gewerkschaften und Militär und warum sich Kriegsgegner besser nicht um eine Friedensresolution auf einem Gewerkschaftstag bemühen sollten 
    Im Gespräch mit Peter Nowak bei neues Deutschland vom 12. Januar 2018 externer Link weist der Historiker auf die Frage, woran er den strukturellen Antikommunismus der deutschen Gewerkschaften festmacht, daraufhin: „Ich sehe ihn in der Integration der sozialdemokratisch dominierten Einheitsgewerkschaften in den Apparat des kapitalistischen Staates. Damit haben sie auch dessen antikommunistische Staatsräson übernommen. Und sie akzeptierten den systemerhaltenden Charakter des Militärs. So kündigte der damalige DGB-Vorsitzende etwa im Jahr 2013 an, mit der Bundeswehr zu einer gemeinsamen Erklärung kommen zu wollen. Schon vorher hatte sich die IG Metall für den »Erhalt der wehrtechnischen Kernfähigkeiten im Marineschiffbau« starkgemacht. Es geht also längst nicht nur um Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie, wie von linken Gewerkschafter_innen gerne angeführt…“ Und auf die Frage, warum Malte Meyer auch die Gewerkschaftslinke kritisiert: „Ich weise auf eine Art Arbeitsteilung hin: Gewerkschaftslinke mit ihren militarismuskritischen Impulsen sind für das gute Gewissen, die Gewerkschaftsrechte dagegen für das pragmatische Alltagsgeschäft zuständig. Und zu diesem Business gehört nicht zuletzt die konstruktive Mitarbeit in Rüstungsindustrie und Militär…“ Eine u.E. sehr treffsichere Darstellung, der die systemerhaltende Haltung der Gewerkschaften zum Warencharakter der Arbeit gut ergänzt
  • Vorabdruck des Kapitels: Abwehrkämpfe gegen die Friedensbewegung – Gewerkschaften in den 80er-Jahren 
    In den 1970er-Jahren gelangten Männer an die Spitze der westdeutschen Gewerkschaften, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entweder bereits das Erwachsenenalter erreicht hatten oder aber kurz davor waren. (…) Allen genannten (und noch einigen weiteren) ist neben ihrer SPD-Mitgliedschaft und ihrem Chefposten gemeinsam gewesen, dass sie im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtssoldaten waren. Einen ihrer Funktionärskollegen (und Weltkriegskameraden), den vormaligen IG BSE-Vorsitzenden Georg Leber, beförderte die Gewerkschaftskarriere zwischen 1972 und 1978 sogar an die Spitze des Bundesverteidigungsministeriums. Hatten in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten noch etliche antifaschistische Widerstandskämpfer und Emigranten an der Spitze westdeutscher Gewerkschaften gestanden, so ähnelte die gewerkschaftliche Führungsriege der 1970er-Jahre eher einem „Kabinett ehemaliger Frontsoldaten“ (…) Ebenfalls noch immer nicht ausreichend erforscht sind die Auswirkungen, die die Kriegserfahrungen von Wehrmachtssoldaten auf ihr späteres (Berufs-)Leben hatten. Für das Milieu der späteren SPD-Funktionäre unter ihnen kann einer kritischen Biografie des Wehrmachtsoffiziers Helmut Schmidt aber immerhin entnommen werden, dass insbesondere die Kameradschaft im Krieg nachträglich oft verherrlicht und gelegentlich sogar zum Idealtypus von Solidarität stilisiert wurde…“ Wir danken Verlag und Autor!
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=124043
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