Diktatur des Effizienzdenkens

Effizienz macht hässlich„Wir leben in einer effizienzversessenen Gesellschaft, die, um möglichst viel Output in kürzestmöglicher Zeit auszuspucken, alle Lebensvollzüge bis zur Raserei auf Trab bringt. Die alte Einsicht, dass alles, was gut getan sein soll, seine Zeit braucht, dass es ein angemessenes, stimmiges Verhältnis zwischen einer Arbeitsaufgabe und der dafür benötigten Zeit gibt, ist außer Kraft gesetzt, seit es mit Maschinenkraft möglich wurde, die Dinge schneller laufen zu machen, als sie von sich aus laufen können. Die Maschinen, dazu ausersehen, den Menschen ihre Arbeit zu erleichtern und Sklaverei zu ersparen, haben im Zuge des industriellen Fortschritts die Menschen, die sie sich zunutze zu machen glaubten, versklavt. Die Instrumente, die Mittel zu Zwecken sein sollten, sind inzwischen ausschlaggebend dafür, welche Zwecke gesetzt werden. Während man vor nicht allzu langer Zeit noch darüber streiten konnte, ob der Zweck die Mittel heiligt, wird heute ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Mittel bestimmen, welche Zwecke gesetzt werden sollen. (…) Ivan Illich plädierte schon vor beinahe fünfzig Jahren für eine „konviviale Erneuerung“. Die Hypothese, auf der die industrielle Gesellschaft fußte, „besagte, dass die Sklaverei mit Hilfe von Maschinen abgeschafft werden kann. Es hat sich gezeigt, dass Maschinen die Menschen versklaven. … Nicht Werkzeuge, die ihnen die Arbeit abnehmen, brauchen die Menschen, sondern neue (Hervorhebung M. G.) Werkzeuge, mit denen sie arbeiten können. Nicht weitere gut programmierte Energiesklaven brauchen sie, sondern eine Technologie, die ihnen dabei hilft, das Beste zu machen aus der Kraft und Phantasie, die jeder besitzt. … Ich wähle den Begriff ‚Konvivialität‘, um das Gegenteil der industriellen Produktivität bezeichnen zu können. Er soll für den autonomen und zwischenmenschlichen Umgang und den Umgang von Menschen mit ihrer Umwelt als Gegensatz zu den konditionierten Reaktionen von Menschen auf Anforderungen durch andere und Anforderungen durch eine künstliche Umwelt stehen.“…“ Beitrag von Marianne Gronemeyer bei Streifzüge 70/2017 externer Link (Magazinierte Transformationslust)

  • Schön im Text: „… „Gute Arbeit kann ich mir nicht leisten“, das ist ein Stoßseufzer, den insbesondere diejenigen, die in sozialen Professionen tätig sind, kaum noch unterdrücken können. Man muss hören, was da gesagt wird: Um der Effizienz, also um der Wirkung meiner Arbeit willen, muss ich darauf verzichten, gute Arbeit verrichten zu wollen. Gute Arbeit ist offenbar unbezahlbar geworden. Aber was meine ich, wenn ich „gute Arbeit“ sage? Die allgemeinste Antwort wäre: Gute Arbeit ist solche, die nützt und nicht schadet. Das heißt also: Wenn ich feststelle, dass ich mir gute Arbeit nicht leisten kann, dann begnüge ich mich nicht nur mit weniger guter Arbeit, sondern ich nehme in Kauf, dass die Arbeit, die ich mir leisten kann, Schaden anrichtet. Und da fragt sich, wer denn nun eigentlich diesen Satz sagt. Spielen wir das einmal am Gesundheitswesen durch. Das ist immerhin ein Erfahrungsfeld, mit dem wir alle schon in der einen oder anderen Art Berührung hatten. Wir könnten auch das Bildungssystem ins Visier nehmen, denn da gelten ähnliche Spielregeln, oder das Produktions- oder Handwerkswesen oder die winzigen Reste bäuerlicher Tätigkeit, die es in modernen Gesellschaften noch gibt. Aber am Gesundheitswesen wird besonders drastisch deutlich, dass wir in einem „weltweiten Irrenhaus“ (Erich Fromm) leben. John Berger sprach kurz vor seinem Tod vom „weltweiten Gefängnis“, in das wir samt und sonders und sogar mit unserer bereitwilligen Zustimmung eingesperrt sind…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=121879
nach oben