Das Ende von der Mär einer „Schuldenkrise“

Der Finanzminister schlägt vor die Eurokrise entsprechend den anstehenden Problemen zu lösen – „Merkels Schicksalstage“ titelt die „Süddeutsche“ am 16. Januar 2016. Oder sind es die „Schicksalstage Europas“? Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 17.1.2016

Finanzminister Wolfgang Schäuble: „Natürlich ist mit der Situation keiner zufrieden – das fängt bei der Kanzlerin an. Dennoch müssen wir uns um eine Antwort auf die Probleme bemühen. Und die liegt nicht darin, dass man nur ausdrückt, was die Leute empfinden. Das wollen die Leute nicht von uns. Sondern, dass wir Probleme lösen, so gut wir können. (Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 16. Januar 2016) Und vielleicht finden wir ja dann auch noch ein allgemein der Realität angemessenes und „anschlussfähiges“ Krisen-Narrativ für Europa. Nur ein wenig anders als bei unserem Finanzminister Schäuble, der Europa gerade einmal auf Schengen und die Flüchtlinge reduzieren will, müsste es schon aussehen, denn nicht allein der Untergang des Schengensystems beendet den Euro und den Binnenmarkt, sondern bedeutet nur den letzten „Todesstoß“ für ein geeintes Europa. (http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingspolitik-schaeuble-stuetzt-kurs-der-kanzlerin-1.2821022 externer Link)

Nur die Tatsache, dass Schäuble in diesem Zusammenhang noch einmal auch den Euro und die gemeinsame Währungsunion anspricht, deutet darauf hin, dass dieser gewiefte und durchaus klarsichtige Politiker sich wohl auch darüber im Klaren ist, dass das vor uns liegende Jahr 2016 auch ein Schlüsseljahr für das Projekt einer gemeinsamen Währungsunion sein wird. Der „Schlüssel“ für die Lösung der Eurokrise liegt wohl nicht bei der fehlenden Solidarität in der Flüchtlingskrise, sondern dem von Deutschland vorher schon geübten Mangel an Solidarität in der Eurokrise – auch wenn dies schwierig ist, dass dies in Deutschland – und auch von Schäuble und Merkel – „verstanden“ werden kann – aus innenpolitischen Gründen. (https://www.labournet.de/?p=91359 – zum Aufeinandertreffen von Flüchtlingskrise und Eurokrise siehe vor allem ab der Seite 1 unten f.)

Eine Hilfe dafür könnte eben auch ein „neu“ verstandenes Eurokrisen-Narrativ sein, das nicht mehr allein auf die Schulden fokussiert sein darf.

Zur Überleitung zu einem neuen Krisen-Narrativ nun eben mit den Banken im „Zentrum“: der Film „The Big Short“

Es wird berichtet, dass der Filmkritiker der „New York Times“ nach diesem Film zur Waffe greifen wollte, so groß war seine neu entfachte Wut auf die Banken. „The Big Short“ basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch-Bestseller von Michael Lewis. Dieser erzählt in seinem Buch aus der Perspektive von ein paar Outsidern, die als Einzige den Betrug hinter den permanenten „Jubelzahlen“ erkannten. Sie setzten alles auf den nahenden Crash – und gewannen. So erzählt der Film „The Big Short“ von dem Regisseur Adam McKay den großen Crash von 2008 als atemlose Hollywood-Satire. (http://www.sueddeutsche.de/kultur/the-big-short-im-kino-finanzkrise-als-kokstrip-1.2814537 externer Link)

So wurde „The Big Short“ das Härteste und Berauschendste, was bisher zu diesem Thema im Kino zu sehen war.

Es geht um eine Art filmischer Rekonstruktion der gesellschaftlich-kulturellen Ökologie, die Millionen Menschen dazu brachte, sich über beide Ohren zu verschulden – und die es den Banken erlaubte mit diesen Schulden millionenfach zu betrügen. Nur sagt McKay das nicht, er ist eben nicht Michael Moore. Und so lässt er den Fernsehkoch Bourdain erklären, was er mit dem alten Fisch vom Wochenende macht: Er kocht eine gute Suppe daraus, wie die Banken, die lauter Junk in einen großen Topf warfen und den dann mit einem AAA-Label verkauften, weil das Risiko ja „diversifiziert“ sei.

Auf diese Weise wenden sich die Akteure an die Zuschauer, um dem Betrachter die nicht trivialen finanztechnischen Zusammenhänge nahezubringen. (http://www.fr-online.de/film/-the-big-short–zu-den-betruegern-gehoeren-die–die-sich-betruegen–lassen,1473350,33514630.html externer Link)

Vordergründig könnte man sagen, es geht in „The Big Short“ um das Stereotyp einer entfesselten Finanzindustrie, die die Zivilgesellschaft als Geisel genommen hat. Aber im Kern stellt „The Big Short“ die entscheidende Frage, was ist eigentlich mit unserer Gesellschaft los? So läuft in einer sehr kurzen Sequenz im Hintergrund des Films eine Nachrichtensendung über die Dopinguntersuchungen gegen Lance Armstrong – und der Zuschauer realisiert, dass VW, die Deutsche Bank, eben jener Lance Armstrong und all die anderen Verstöße gegen moralische Prinzipien demselben Quell entspringen: Parallelgesellschaften, deren Regeln nicht denen entsprechen, die einer aufgeklärten, gleichberechtigten Gesellschaft zuträglich sind.

Das Ende von der „Mär“ einer Staats-Schuldenkrise – auf dem Weg zu einem neuen Euro-Krisen-Narrativ zur „Rettung“ Europas aus dieser Krise

Wir brauchen einen neuen Konsens über über das Narrativ dieser Krise erklärt der Brüsseler Ökonom Daniel Gros, der im November mit einer ganzen Anzahl weiterer namhaften Ökonomen diesen neuen – der Krsie angemessenen – Diskurs eröffneten, den sie mit einem Diskussionsbeitrag „Rebooting Europe“ einleiteten. Darauf macht uns Jan Willmroth in seinem Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 11. Januar 2016 aufmerksam (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/konjunktur-harte-zeiten-1.2812016 externer Link).

Die Eurokrise war anfänglich gar keine Staatsschuldenkrise, sie hat als Bankenkrise begonnen!

Zu einer Staatsschuldenkrise ist sie erst geworden. Nun gilt es einen Konsens zu finden hin zu einem allgemein anerkannten Narrativ, wo eine solche Betrachtung zum Standard wird: Betreff: EZ Crisis: A consensus narrative | VOX, CEPR’s Policy Portal (http://www.voxeu.org/article/ez-crisis-consensus-narrative externer Link)

Und die Banken, d.h. den Finanzsektor, ins Zentrum des richtig verstandenen Krisen-Narrativs zu rücken, das scheint sich derzeit auch nicht nur bei diesen Ökonomen durchzusetzen, sondern auch immer mehr in der politischen Wissenschaft – ohne dass beide Fachrichtungen dabei voneinander Kenntnis nehmen würden.

Jedenfalls ist in einem wissenschaftlichen Organ der deutschen Gewerkschaften den WSI-Mitteilungen von dem Politikwissenschaftler Andreas Nölke die „Finanzialisierung als Kernproblem eines sozialen Europa“ ausgemacht worden. (vgl. die WSI-Mitteilungen 1 / 2016: http://www.boeckler.de/wsi-mitteilungen_63136_63151.htm externer Link)

Da dies in der Kurzfassung nicht sehr aussagekräftig ist, sei noch auf ein – zwar etwas älteres – umfassenderes Papier von Andreas Nölke in der „Kölner Schule“ der Max-Planck-Gesellschaft (Wolfgang Streeck u.a.) hingewiesen (http://www.mpifg.de//pu/mpifg_ja/ZIB_16_2009_Noelke.pdf externer Link pdf).

Nur ein Punkt könnte Anlass zu Reibung – nicht allein mit Wolfgang Schäuble – geben: der Euro (http://www.cicero.de/weltbuehne/eurokrise-griechenland-soll-ein-exempel-statuiert-werden/58892 externer Link).

Wie wir es schon von Wolfgang Streeck gewohnt sind, wird recht schnell auch der Euro als Teil des Problems von Europa diagnostiziert. So sehr wir also mit Andreas Nölke darüber einig sein können, dass die „Finanzialisierung“ ein geeintes Europa verhindert – sozusagen als „Kernproblem“. Just das aber ist das „Kernproblem“, das wiederum Merkel und Schäuble hartnäckig ausklammern wollen. (vgl. dazu noch einmal „Griechenland ist ein Ort, wo der Finanzkapitalismus die Demokratie bekämpft“ (https://www.labournet.de/?p=85379 – siehe speziell den Abschnitt „Das Vertrauen in Europa, dass sich – demokratiekonform statt marktkonform – die Krise am Verhandlungstisch lösen lässt, ist zerstört) So wenig können wir mit ihm einig gehen, dass die Beseitigung des Euro Europa besser stellen könnte.

Der Euro könnte Europa zur Gemeinsamkeit stärken – nur im falschen „Korsett“ gelingt es nicht.

Der Ökonom Gustav Horn (IMK) hat recht klar dargelegt, warum der Euro – entsprechend dem Ideal der Schöpfer des Euro – keinen Prozess zur weiteren Integration Europas bewirken konnte: Die Wirtschaftspolitiker – oder auch die Europa-Politiker wie Deutschlands Kanzlerin Merkel – haben nie verstanden, was eine gemeinsame Währung bedeutet: entweder die Einhaltung eines gemeinsamen Inflationsziels (diese ca. 2 Prozent als Vorgabe durch die EZB) oder eben eine flankierende Finanzpolitik. (Vgl. „Europäische Integration in der Krise“ ab dem letzten Drittel auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=91008)

Beide Möglichkeiten zur weiteren Integration wurden gerade von Deutschland – scheinbar eigennützig – zunichte gemacht: durch die Nichteinhaltung eines gemeinsamen Inflationszieles (durch Lohndumping und Außenhandelsüberschüsse) sowie des weiteren durch eine strikte Ablehnung einer Transferunion.

Auf diese Weise bleibt Deutschland – auch wenn es sozusagen auf der „Sonnenseite“ der Eurokrise zu stehen kommt, weit unter seinen Möglichkeiten, versichert Stephan Schulmeister, weil die Realinvestitionen derzeit immer noch 30 Prozent unter dem Niveau von vor der Finanzkrise liegen. Diese Investitionsschwäche wird jedoch keineswegs – wie es inzwischen die Jahrzehnte der Praxis deutlich gemacht haben – durch diese neoliberal gewirkten Struktur-Reformen (weniger Staat durch Steuersenkungen und Lohnsenkung durch immer weiter flexibilisierte Arbeitsmärkte) überwunden. So bleibt die Nachfrage einfach weiter zu schwach.

Und dieses Versagen dieser speziellen „finanzialisierten“ Form des Kapitalismus, den Schulmeister Finanzkapitalismus nennt, liegt in den schwächer gewordenen Profitanreizen. In den vergangenen 30 Jahren hat die Politik die Anreize dafür nach und nach so verschoben (vgl. diese Liste der Finanzmarkt-Deregulierungen bei (http://www.nachdenkseiten.de/?p=3692 externer Link), dass es oft lukrativer ist, mit dem Geld der Unternehmen zu spekulieren, als damit neue Maschinen und Anlagen zu kaufen. So wurden eben die Finanzmärkte liberalisiert, die festen Wechselkurse aufgegeben, (mei, was konnte da von den Banken die Kurse manipuliert werden, wie es der Libor-Skandal nebst dem Euribor-Skandal so plastisch vor Augen führten – dies sei hier noch etwas ausführlicher dokumentiert: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/deutschebank-107.html externer Link, http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-04/deutsche-bank-libor-strafe-zinsmanipulation externer Link, http://www.tagesspiegel.de/politik/manipulation-der-zinssaetze-libor-und-euribor-eu-straft-banken-mit-rekordbussen-ab/9170940.html externer Link, http://www.handelszeitung.ch/die-chronik-des-libor-skandals externer Link, http://www.sueddeutsche.de/thema/Libor-Skandal externer Link und http://www.spiegel.de/thema/libor_skandal/ externer Link)

Die ganze kriminelle Energie der Banker um des Profites willen, kommt in dieser nüchternen Berichterstattung nur rudimentär zur Geltung – da eignen sich doch ein „paar“ Flüchtlinge viel besser zur Emotionalisierung – oder? Finanzderivate geschaffen – jene „Zeitbomben“ (Warren Buffet) (http://www.welt.de/print-welt/article441629/Warren-Buffet-Derivate-sind-Zeitbomben.html externer Link) – sowie der Hochfrequenzhandel erlaubt. (Vgl. dazu Paul Krugman, „Drei teure Millisekunden“: http://www.nachdenkseiten.de/?p=21465#h06 externer Link – sowie die Rezension des Buches von Michael Lewis, „Flash Boys“: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/rezension-flash-boys-von-michael-lewis-12899266-p2.html externer Link)

Dadurch wurden unheimlich viele Möglichkeiten geschaffen, mit Spekulationen hohe Gewinne zu machen.

Gleichzeitig wurde das Wirtschaftswachstum schwächer – weil es für Unternehmen immer schwieriger wurde, mit der Ausweitung der Produktion hohe Gewinne zu machen, bedauert Stephan Schulmeister diese politische vorangetriebene Entwicklung. (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/interview-mit-wirtschaftsforscher-stephan-schulmeister–das-kapital-ist-ein-nimmersattes-tier-,10808230,32958186.html externer Link)

Ob man das jetzt – wie Stephan Schulmeister – Finanzkapitalismus nennt, oder wie Andreas Nölke „Finanzialisierung“, so müsste relativ schnell doch, um in diesem vom Finanzminister angestoßenen Diskurs noch eine Rolle zu spielen, die Gemeinsamkeiten oder „Unschärfen“ geklärt werden – auch wenn der große Dissenz zum Euro und seiner Bedeutung bestehen bleiben sollte. (könnte später geklärt werden)

Deutschlands Vorteil in der Eurokrise schrumpft noch weiter beim Blick auf die Produktivität.

Vor allem gilt es auch den Blick etwas tiefer in die ökonomischen Verhältnisse zu richten, wo der schöne Schein sich weiter noch relativiert: Die Arbeitsproduktivität kommt in Deutschland seit 10 Jahren kaum noch vom Fleck, erklärt Stefan Sauer u.a. in der Frankfurter Rundschau (http://www.mz-web.de/wirtschaft/arbeitsmarkt-deutschlands-fragwuerdiges-jobwunder,20642182,33056612.html externer Link).

So steht das Jobwunder in Deutschland auch noch auf tönernen Füßen. Daniel Gros sieht darin auch die Anzeichen eines Endes der deutschen Hegemonie in Europa. (https://www.project-syndicate.org/commentary/germany-slowing-growth-by-daniel-gros-2015-10/german externer Link)

Die Bedeutung einer Änderung des „Schuldenkrisen-Narrativs“

Eine Änderung des bisher so gängigen Staatsschulden-Narrativs muss deshalb zur „Erklärung“ der jetzigen Krise auch so wichtig werden, weil schon wieder die Frage im Raum steht, ob im Jahr 2016 der nächste Finanz-Crash uns ins „europäische Haus“ steht. (http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.523607.de/16-1-6.pdf externer Link pdf)

Nur statt sich darüber Sorgen zu machen, wie man eine – auch weitere Finanzkrise – durch eine Re-Regulierung der Finanzmärkte „entschärfen“ kann, begibt sich die Europäische Union auf den Weg – unter dem Druck der Finanzlobby? – zu einer weiteren Liberalisierung der Finanzmärkte durch eine Kapitalmarktunion als finanzpolitische Zeitbombe. (http://monde-diplomatique.de/artikel/!5264078 externer Link)

Dabei wird jetzt auch weiter auch „zunehmend“ von den Politikwissenschaften – als „Finanzialisierung“ bezeichnet – diese wenig nachhaltige Wirtschaft problematisiert. (Siehe aktuell Andreas Nölke)

Wie auch die Flüchtlingskrise an einem den Umständen angemessenen Diskurs leidet – und somit unter den radikalen Vereinfachungen schrecklich „populistisch“ verzerrt werden muss (http://www.taz.de/Soziologe-ueber-die-Uebergriffe-in-Koeln/!5263616/ externer Link).

Dabei sagt der Ökonom, der Preis für die Integration der Flüchtlinge lohnt sich. Dies führt der Ökonom Rudolf Hickel am 11. Januar 2016 u.a. in der Frankfurter Rundschau aus (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/preis-der-fluechtlinge-integration-lohnt-sich;jsessionid=0E96B499391041A3E0E9DF7086088B4 externer Link).

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=91849
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