Von ALG … zur „Neuen Grundsicherung“: Von Absicherung des Existenzminimums und gar angstfreier Existenzsicherung immer weiter entfernt
Dossier
„… Die schwarz-rote Koalition plant, die Mitwirkungspflichten und Sanktionen bei der Grundsicherung massiv zu verschärfen – schlimmer als zu Hartz-IV-Zeiten: Terminversäumnisse und Jobablehnungen sollen härter geahndet werden, mit Leistungskürzungen bis hin zur kompletten Streichung von Regelsatz und Unterkunftskosten. Die Bundesregierung spricht von einer Neuausrichtung, die das Fördern und Fordern wieder in den Mittelpunkt stellen soll. Die Bundesregierung steuert so sehenden Auges auf einen Verfassungsbruch zu. Denn das Bundesverfassungsgericht hat 2019 klargestellt, dass Kürzungen über 30 Prozent des Regelsatzes verfassungsrechtlich nicht gedeckt sind. (…) Bei der Reform handelt es sich somit um Symbolpolitik auf Kosten der Schwächsten, die rechtlich unsicher, moralisch verwerflich und ökonomisch sinnlos ist…“ Kommentar von Christopher Wimmer vom 15.10.2025 in ND online
(„Neue Grundsicherung: Schlimmer als das Hartz-IV-Regime“) als gute Einleitung zu einer Auswahl erster Fakten und Kommentare, aber auch Proteste:
- Petition: Nein zu schärferen Sanktionen beim Bürgergeld: Das Existenzminimum ist nicht verhandelbar!
„… Wir dürfen nicht zulassen, dass das Existenzminimum wieder verhandelbar wird! Ich sage: NEIN zu schärferen Sanktionen beim Bürgergeld! Herr Merz, Frau Bas – ich war dabei, als das Bundesverfassungsgericht 2019 über diese Sanktionen verhandelte. Damals hieß das Bürgergeld noch Hartz IV. Auch damals regierten Union und SPD. Die Richterinnen und Richter fragten immer wieder: Gibt es Belege, dass Sanktionen wirken? Gibt es Daten, dass Menschen durch Kürzungen schneller Arbeit finden? Es gab keine. Die Bundesregierung wich der Antwort immer wieder aus und schwieg – stundenlang. Bis der damalige Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, schließlich sagte: „Nein, solche Belege gibt es nicht. Im Gegenteil – Sanktionen bis zum Verlust der Wohnung sind oft kontraproduktiv.“ Mit diesem Satz fiel die Mauer des Schweigens. Und das Bundesverfassungsgericht entschied klar: Das Existenzminimum ist unantastbar. Totalsanktionen sind verfassungswidrig. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Es war ein Hochakt der Demokratie – und ein Sieg über politische Willkür. Und jetzt, nur sechs Jahre später, sagen Sie wieder: „Wir müssen die Menschen härter heranziehen.“ Das bedeutet: Arbeitssuchende geraten erneut unter den Generalverdacht des Sozialbetrugs, während der jährliche Schaden durch Steuerhinterziehung hundertmal größer ist. Nein, Frau Bas. Nein, Herr Merz. Wer mehrfach nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint, braucht mehr Hilfe – nicht mehr Druck. Die Drohung, die eigene Wohnung zu verlieren, ist keine Maßnahme, die unserem Sozialstaat würdig ist. Der Zugang zu staatlicher Unterstützung muss einfacher werden, nicht schwieriger. ✍ Unterzeichne jetzt, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen – und teile diese Petition. Wir werden nicht schweigen, bis diese „Reform“ gestoppt ist!“ Petition gestartet von Joy Ponader bei innn.it im Oktober 2025an Bundeskanzler Friedrich Merz, Bundesministerin für Arbeit und Soziales Bärbel Bas, siehe dazu:
- Debatte über schärfere Sanktionen: „Die meisten sind nur ein bis zwei Schicksalsschläge vom Bürgergeld entfernt“
„Helena Steinhaus ist Mitgründerin des Vereins „Sanktionsfrei“ und engagiert sich für arme Menschen. Im Interview spricht sie über Klischees über Erwerbslose und Schikanen vom Jobcenter. (…) Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses zur „Neuen Grundsicherung“ sind nicht weniger als ein kalkulierter Verfassungsbruch. Die Koalition hat sich auf eine massive Entrechtung von Menschen in Armut geeinigt. Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht nur Sanktionen bis maximal 30 Prozent für zulässig erklärt hat, Totalsanktionen nur in absoluten Ausnahmefällen. Die verstärkten Sanktionen werden niemanden in Arbeit bringen und nicht den Haushalt sanieren, sie werden aber für viel Leid und Not sorgen. Die Abschaffung der Karenzzeit für Wohnen wird große Existenzsorgen erzeugen. Hier werden Menschen in Bürgergeld für zu hohe Mieten bestraft, anstatt dass überteuerten Mieten politisch Einhalt geboten wird. (…) Wir als Verein sehen das als gezielte Kampagne. Die CDU hat das Bürgergeld zum Wahlkampfthema gemacht. Auch die SPD hat dafür gesorgt, dass ein gesellschaftlicher Druck entsteht, um 2003 die Agenda 2010 – also Hartz IV – durchsetzen zu können. Damals tauchte etwa „Florida-Rolf“ auf. (…) Gegen die Einführung von Hartz IV gab es damals massive Proteste. Die Menschen haben sich solidarisiert. Diesen gesellschaftlichen Rückhalt gibt es heute so nicht mehr – weil viele sich überhaupt nicht angesprochen fühlen. Es geht vermeintlich nur um die anderen, die Faulen, den Abschaum der Gesellschaft. Was nicht stimmt: Die meisten von uns sind nur ein bis zwei Schicksalsschläge vom Bürgergeld entfernt…“ Interview von Madlen Haarbach vom 11.10.2025 im Tagesspiegel online - Die neue Grundsicherung bedeutet sozialen Abstieg per Gesetz
„Die Bürgergeld-Reform der Bundesregierung nützt Chefs, deren Beschäftigte die Arbeitslosigkeit noch mehr fürchten müssen, Vermietern, die zahlungsschwache Mieter leichter loswerden können – und der AfD, die aus sozialem Abstieg politisches Kapital schlägt. (…)
Künftig sind die Gängelungsmöglichkeiten der Behörden so weitreichend, wie seit Jahren nicht mehr – es sei denn, die Richter in Karlsruhe erklären die Änderungen für verfassungswidrig, was wünschenswert wäre.
Denn der aktuelle Regelsatz von 563 Euro liegt bereits am Existenzminimum und wird seit Jahren kleingerechnet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband schrieb im April: »Die Regelleistungen decken weiterhin nicht die zentralen Bedarfe. Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 Euro angehoben werden.« Eine Kürzung um 30 Prozent garantiert also soziales Elend. Bisher galt: Bei mehrfachen Terminverstößen durften – stufenweise ansteigend – maximal 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden. Das sieht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 vor. Heiz- und Mietkosten waren bei Sanktionen ausgenommen. Damit ist es nun vorbei. Künftig sind die Gängelungsmöglichkeiten der Behörden so weitreichend, wie seit Jahren nicht mehr – es sei denn, die Richter in Karlsruhe erklären die Änderungen für verfassungswidrig, was wünschenswert wäre.
Denn der aktuelle Regelsatz von 563 Euro liegt bereits am Existenzminimum und wird seit Jahren kleingerechnet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband schrieb im April: »Die Regelleistungen decken weiterhin nicht die zentralen Bedarfe. Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 Euro angehoben werden.« Eine Kürzung um 30 Prozent garantiert also soziales Elend.
Chefs und Vermietern ausgesetzt
Noch verheerender wird sich die Ausweitung der Sanktionen auf die Miete auswirken. Sollten die Jobcenter die Überweisungen an den Vermieter einstellen, droht Betroffenen im schlimmsten Fall Obdachlosigkeit. Und das mitten in einer sozialen Krise, die sich schon jetzt ausweitet. Allein in Berlin hat sich die Zahl der Obdachlosen in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Der Senat rechnet bis Ende 2029 mit einem Anstieg der Wohnungslosen-Zahl um knapp 60 Prozent – auf dann mehr als 85.600 Personen. Ist es wirklich im gesellschaftlichen Interesse, diese erschreckende Zahl noch zu steigern? Günstiger wird der Sozialstaat dadurch sicher nicht. Profitieren würden vermutlich nur einige Vermieter und Immobilieninvestoren, die mit Hilfe der neuen Sanktionen womöglich einfacher zahlungsschwache Mieter aus Wohnungen in begehrten Lagen herauskündigen könnten.
Für derart drastische Sanktionsmaßnahmen gibt es keine sachliche Rechtfertigung. (…)
Eine der wenigen sinnvollen Änderungen beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld der damaligen Ampel-Regierung betraf die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs – dabei sollten Qualifikation und langfristige Vermittlung gegenüber der Vermittlung in den nächstbesten Job im Vordergrund stehen. Doch auch diese kleine Verbesserung hat Schwarz-Rot nun kassiert. Laut Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas gilt künftig wieder der Vermittlungsvorrang.
Damit erhärtet die Bundesregierung den Eindruck, dass die nachhaltige Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit keineswegs im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht. Naheliegender ist die Vermutung, dass die neue Grundsicherung vor allem dem Zweck dient, die Mittelschicht zu verunsichern. Wer Angst haben muss, beim Jobverlust nach einer kurzen Schonphase im Arbeitslosengeld I in den Niedriglohnsektor hineinsanktioniert zu werden, überlegt sich vielleicht zwei Mal, ob er nach einer Gehaltserhöhung fragt oder dem Chef widerspricht. Zu dieser Interpretation passt auch die Abschaffung der sogenannten Karenzzeiten auf das Schonvermögen, also das Vermögen, das nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird. Wer zu viel Erspartes hat, erhält keine Leistungen…“ Artikel von Jörg Wimalasena vom 10. Oktober 2025 in Jacobin.de– aber leider nicht ohne die Keule der „Leistungsgerechtigkeit“:
- „… Wie wird sich ein älterer deutscher Arbeitnehmer fühlen, der nach Jahrzehnten seinen Job verliert und dann auf dem Sozialhilfe-Niveau von Zuwanderern landet oder gar nicht einmal diese staatliche Hilfe erhält, weil er nach Ansicht des Gesetzgebers ein zu hohes Vermögen angespart hat? In der ohnehin aufgeheizten Migrationsdebatte wäre ein solches Szenario ein Wahlgeschenk an die AfD – jene Partei, die Bundeskanzler Friedrich Merz einst halbieren wollte – und die laut aktuellen Umfragen mittlerweile stärkste politische Kraft in Deutschland ist…“
- Jann-Luca Künßberg am 11. Oktober 2025 auf bluesky
:
„Ich möchte, dass Menschen auf Kosten der Solidargemeinschaft leben können – es sind immer nur einige, die wenigstens wollen das. Ich möchte, dass die politische Freiheit derjenigen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht selbst helfen können, unter allen (!) Umständen gewahrt bleibt.
Ihre Stimme ist ohnehin schon weniger wert im politischen Output. Ich akzeptiere auch Arbeitsverweigerung als aktive Nutzung von Freiheit – das Risiko, das sich so etwas ausbreitet, halte ich für überaus gering.
Ich mache mal einen heiklen Vergleich, der gerne kritisiert werden darf: Von der Kunstfreiheit profitieren auch Künstler (und wir alle), die gar keinen Gebrauch von ihr machen idS, dass sie deren Schutz bedürfen – das tun ja nur die wenigsten.
Die praktische Inanspruchnahme eines Freiheitsrechts ist aber möglicherweise wichtig, weil sie Gesellschaft an die Bedingung der Möglichkeit erinnert. Die Haltung eines Nicht-einfach-irgendeinen-Job-machen-Wollens ist dann von zentralem Wert für unser Lebensmodell.
Und nochmal: Es sind bloß einige wenige in der Grundsicherung, die diesen Schutz auf die Art in Anspruch nehmen, so eine Differenz herausstellen und das Nachdenken über Alternativen, letztlich über eine andere Vorstellung von Freiheit provozieren.
Das ist ein relativ geringer Preis für den Wert, nicht zur Arbeit gezwungen werden zu können – wovon wiederum alle profitieren. Dann gibt es eine gewisse Zahl von Menschen, bei denen der Staat – wir als Gemeinschaft – scheitern, sie (mit unserem Bildungssystem etc)
in die Lage zu versetzen, überhaupt von ihrem Recht auf freie Berufswahl Gebrauch machen zu können. Daraus leite ich die ethische Pflicht ab, dass die Gemeinschaft für diese Menschen sorgt, ohne sie zu irgendetwas zu zwingen.
Weiterhin möchte ich, dass jeder in prekärer Lage ausgeruht und überlegt den nächsten Schritt planen kann. Denn die meiste Arbeit ist nicht mobil und flexibel. Arbeit, Wohnort, Familie, vielleicht bescheidenes Eigentum hängen für viele eng lokal zusammen.
Ändert sich eine Variable, stellt das oft mehr als nur eine Existenz vor komplexe Herausforderungen, denen nicht mit dem nächstbesten Job begegnet werden kann. Das muss selbstredend mit dem angemessen Anspruch auf zurückhaltende Verwendung geteilter Mittel abgewogen werden.
Aber die Absolutsetzung nur einer Seite der Prämissen ist kein wünschenswerten Umgang mit schutzwürdigen Interessen. Im Übrigen folgt mein Text schon der kritikwürdigen politischen Realität eines europäischen Menschenrechtsselektivismus (Harro von Senger),
aus dem überhaupt erst folgt, dass wir Arbeitslosigkeit als rein soziales Problem sehen, obwohl das Recht auf Arbeit ein Menschenrecht in der UEMR ist.
Weil die Debatte eher Richtung Arbeitspflicht zu kippen droht, lade ich herzlich dazu ein, hier gemeinsam zu überlegen, wie wir sie wohl führen würden, gälte dies Recht auch bei uns als solches.
Dass es nicht so ist, spricht der Arbeit der Menschen einen Wert ab, der ihr eigentlich zusteht. Das ist in einem Land, das sich gerne mit seinem Arbeitsethos kleidet, doch bemerkenswert.“ zu: - Härte statt Hilfe: Wie die Politik Sozialleistungen zum Problem erklärt
„Vom „Sozialschmarotzer“ zum „Totalverweigerer“: Seit Jahrzehnten halten sich Falschmeldungen und Stereotype über Menschen, die vom Sozialstaat Leistungen beziehen. Fachleute zeigen auf, warum Politikerinnen und Politiker solche Narrative bedienen und warum sie in der Gesellschaft verfangen…“ Artikel von Paulina Thom und Matthias Bau vom 30. September 2025 auf correctiv.org - Liebe arbeitende Mitte, du hast Angst vor dem Abstieg: Lass uns zusammen kämpfen!
„Ich spüre Angst und Wut in diesem Herbst der Reformen. Wieder trifft es die Schwächsten – und immer mehr auch die Mitte. Aber wir müssen dieser Entwicklung nicht hilflos begegnen…“ Kommentar von Janina Lütt vom 09.10.2025 im Freitag online - Ende des Bürgergeldes: Jobcenter als Besserungsanstalt
„Das Bürgergeld ist bald passé. In Deutschland soll es offenbar wieder darum gehen, vor dem Jobcenter Angst zu haben…“ Kommentar von Barbara Dribbusch vom 9.10.2025 in der taz online - „Herbst der Reformen“ – Welche Grenzen zieht das Existenzminimum?
„Der Staat muss Geld einsparen – nicht zuletzt im Sozialhaushalt, wenn es nach der Union geht. Kritikerinnen und Kritiker halten stets das Existenzminimum entgegen, das keine großen Kürzungen erlaube. Doch was steckt eigentlich dahinter? Annalena Mayr mit einem Beitrag zur Versachlichung…“ Gastbeitrag von Dr. Annalena Mayr vom 16. September 2025 bei beck-aktuell
Grundinfos:
- Bürgergeld: Geleakter Gesetzentwurf für Neue Grundsicherung zeigt deutliche Verschärfungen
„Union und SPD wollen noch in diesem Jahr die neunen Regelungen für eine sogenannte neue Grundsicherung setzen, die das Bürgergeld ab 2026 ersetzen soll. Während die Koalitionsabstimmungen offiziell andauern, ist ein erster Entwurf an die Öffentlichkeit gelangt, der unserer Redaktion vorliegt. Der Leak zeigt klare Verschärfungen – mit spürbaren Folgen für Leistungsbeziehende, aber auch für Jobcenter und Kommunen.
Und so soll die “Neue Grundsicherung” aussehen
Nach derzeitigem Stand zielt die Reform auf drei große Stellschrauben: strengere Sanktionen, eine abgesenkte Vermögensfreigrenze und einen schärferen Umgang mit unangemessen hohen Unterkunftskosten. Demnach soll es künftig 100-prozentige Leistungskürzungen für Menschen geben, die wiederholt zumutbare Arbeit konsequent ablehnen. Das sogenannte Schonvermögen, also der Vermögensbetrag, der bei der Bewilligung unberücksichtigt bleibt, soll von 40.000 auf 15.000 Euro sinken. Zudem ist vorgesehen, die Karenzzeit bei deutlich zu hohen Mieten abzuschaffen…“ Beitrag von Carolin-Jana Klose vom 7.10.2025 bei gegen-hartz.de, siehe auch:
- Erste Details zur Bürgergeld-Reform: Merz-Regierung verschärft diese Regeln
Artikel von Max Schäfer vom 01.10.2025 in der FR online - Das Bürgergeld: Die hartnäckigsten Behauptungen im Faktencheck
„Es sei zu teuer, biete zu wenig Anreiz zum Arbeiten oder verleite zu Sozialbetrug – immer wieder kursieren online und in der Politik Behauptungen über das Bürgergeld. Wir haben uns die größten Narrative der letzten Jahre genauer angeschaut…“ Faktencheck von Paulina Thom und Matthias Bau vom 30. September 2025 bei correctiv.org - Und auch: Angeblich „nicht bedacht“: Die geplante Bürgergeld-Reform verschärft durch das Ende der Karenzzeit für zu teure Wohnungen die Wohnungsnot
- Erste Details zur Bürgergeld-Reform: Merz-Regierung verschärft diese Regeln
- Zeitplan der SGB II-Änderungen: Namensänderung in „Neue Grundsicherung“ einschließlich diversen Verschärfungen und Drangsalierungen zum 1. Juli 2026
„Nach mir vorliegenden Informationen soll der Referentenentwurf zu den geplanten SGB II-Änderungen nun Mitte/Ende November 2025 vorgelegt werden. In der Folge ist vorgesehen, dass die erste Runde Änderung im SGB II, einschließlich Namensänderung in „Neue Grundsicherung“, diversen Verschärfungen und Drangsalierungen zum 1. Juli 2026 erfolgen soll.
Sollte sich die Bundesregierung jedoch nicht einigen können, könnte sich der Zeitplan entsprechend verzögern. Der aktuelle Stand gilt somit vorbehaltlich weiterer Entwicklungen
Derzeit tagt die „Kommission zur Sozialstaatsreform“. Die Kommission setzt sich aus Vertreter:innen des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammen. Sie soll Vorschläge zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Sozialstaats erarbeiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Zusammenführung der steuerfinanzierten Leistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag, SGB II und SGB XII.
Anzumerken ist, dass in dieser Kommission keine Wohlfahrts und Sozialverbände, keine NGO’s vertreten sind bzw. sein sollen, diese werden nur im, Rahmen von Stakeholderverfahren angehört.
Thematisch geht es insbesondere um die Zusammenlegung bzw. systematische Strukturierung von Sozialleistungen – also die Prüfung, ob ähnliche Leistungen vereinbar sind oder zusammengeführt werden können – sowie um die Verbesserung von Erwerbsanreizen. Ziel ist es, dass Leistungen und steuerliche Regelungen so gestaltet sind, dass sie Arbeit nicht entmutigen, sondern fördern. Ende 2025 sollen die Ergebnisse vorgelegt werden.
Die Ergebnisse dieser Kommission werden voraussichtlich zu weiteren Änderungen im SGB II führen, insbesondere im Bereich der Kosten der Unterkunft (KdU) und des anzurechnenden Einkommens.
Diese zweite Reformrunde wird in jedem Fall zustimmungspflichtig im Bundesrat sein. Mit entsprechenden Gesetzesänderungen ist daher frühestens ab 2027 zu rechnen…“ Aus dem Thomé Newsletter 30/2025 vom 21.09.2025(„Neues zum Zeitplan der SGB II-Änderungen“) mit einigen Anmerkungen zu Steinmeier. Siehe auch:
- Modernisierung des Sozialstaats. Hintergründe und Informationen über die Kommission zur Sozialstaatsreform (KSR) bei Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Paritätische Handreichung für Interessierte: Wissenwertes auf dem Weg vom Bürgergeld zur neuen Grundsicherung
„Die Bundesregierung plant, das Bürgergeld zu einer „neuen Grundsicherung“ umzugestalten. Darüber hinaus enthält der Koalitionsvertrag von Union und SPD verschiedene Aussagen zu geplanten Veränderungen und Einschnitten im Bereich des Bürgergelds bzw. der Grundsicherung. Der Paritätische hat diese Vorhaben einer kritischen Sichtung unterzogen und im Ergebnis eine Handreichung für Interessierte erstellt. Die Paritätischen Positionen zum Bürgergeld speisen sich dabei aus einer reichhaltigen Praxis sozialer Arbeit und aus dem Engagement im Bereich Beschäftigungspolitik. Aufgrund der Rückmeldungen aus Sozial- und Schuldnerberatungen unter unserem Dach und infolge unserer wissenschaftlichen Arbeiten u.a. im Bereich Armutsberichtserstattung wissen wir um Sorgen und Nöte von Armutsbetroffenen. Insofern sehen wir tatsächlich einen großen Reformbedarf beim Bürgergeld. In Auswertung wissenschaftlicher und praktischer Arbeit sprechen wir uns für armutsfeste Sozialleistungen und nachhaltige Arbeitsmarktmaßnahmen aus und beziehen klar Position gegen Sanktionen.
Auch weisen wir darauf hin, dass die Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft (KdU) vielerorts so niedrig sind, dass im bisherigen sozialen Umfeld keine entsprechenden Wohnungen zu finden sind. Infolgedessen zeichnet sich eine Konzentration von Ärmeren in bestimmten Stadtteilen ab, was die soziale Spaltung der Städte befeuert.
Die aktuelle Debatte im politischen Raum zielt jedoch nicht auf eine Behebung dieser Mängel ab. Vielmehr sind Verschärfungen bestehender Fehler und Kürzungen im Gespräch. Zu den einzelnen Regierungsvorhaben aus dem Koalitionsvertrag enthält die Handreichung Daten und Fakten. Dabei liefern wir Argumente, um diese noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Die Handreichung bietet also argumentatives Rüstzeug für alle, die sich kritisch in die Diskussion einbringen wollen…“ Aus der Vorbemerkung der Handreichung vom 16. September 2025
- Modernisierung des Sozialstaats. Hintergründe und Informationen über die Kommission zur Sozialstaatsreform (KSR) bei Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Bürgergeld Abschaffung: Wohnkosten nur unter Vorbehalt und schnell Totalsanktionen
„In der Nacht auf Donnerstag hat sich die schwarz-rote Koalition auf eine umfassende Reform der sozialen Sicherung geeinigt. Das bisherige Bürgergeld soll abgeschafft werden und die sog Neue Grundsicherung wird mit deutlich strengeren Sanktionen eingeführt…“ Übersicht von Sebastian Bertram vom 10.10.2025 auf gegen-hartz.de
Siehe für Hintergründe im LabourNet v.a.:
- Für Proteste: Herbst der Gegenwehr – Sozialabbau verhindern: Bündnis „AufRecht bestehen“ ruft zur bundesweiten dezentralen Aktionswoche vom 20. bis zum 24. Oktober 2025 auf
- Allgemein zu Sozialstaat und dessen aktuellem Abbau das Dossier: „Die Zeitenwende“: 100 Milliarden (nur) für die Aufrüstung – die Zeitenwende 2.0: whatever it takes
- Auch die neuen Sanktionen im Dossier: Sanktionen nach dem BVerfG-Urteil – wie weiter? Auch beim Bürgergeld!
- Dossier: Bürgergeld: Erst habt ihr uns den Begriff “Reform” versaut, jetzt wollt ihr eure Scheisse (bisschen) reformieren?
- Dossier: Nach Geflüchteten sind folgerichtig die „Faulen“ dran: Union, FDP & Rechte fordern „Bezahlkarte“ und Arbeitszwang für Bürgergeldbeziehende