Kein Lohn bei Krankheit: Das Modeunternehmen Zara verweigert Lohnfortzahlung

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit„… Keine Lohnfortzahlung aufgrund von mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit, wenn es sich doch um verschiedene Krankschreibungen im Verlaufe eines Jahres handelt? »Der Lohn wird nach den sechs Wochen verweigert, da man von einem sogenannten einheitlichen Verhinderungsfall ausgeht. Das bedeutet, dass Zara davon ausgeht, dass sämtliche Diagnosen anrechenbar sind – auch wenn nachgewiesen wurde, dass dies eindeutig nicht der Fall ist«, sagt Dominik Datz dem Autor. Er ist als Gewerkschaftssekretär bei ver.di für den Bereich Handel in München zuständig. Begonnen hat Zara mit dieser Vorgehensweise laut Datz etwa im Dezember 2024. Die Personalabteilung von Zara zählt alle Krankheitstage zusammen und kehrt die Beweislast um (…) Aber die verweigerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nicht hingenommen: »Es wehren sich alle und klagen den Lohn ein. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, an sein Geld zu kommen«, so Gewerkschaftssekretär Datz – die für Gewerkschaftsmitglieder kostenfreie ver.di-Rechtsabteilung sei schon dran: »Es wird sehr viele Arbeitsgerichtsprozesse geben«…“ Artikel von Gaston Kirsche in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2025:

Kein Lohn bei Krankheit

Das Modeunternehmen Zara verweigert Lohnfortzahlung – von Gaston Kirsche*

»Die spanische Modekette Zara verweigert in bestimmten Fällen kranken Beschäftigten den Lohnfortzahlungsanspruch – und dies systematisch«, berichtet Christian Berhorst im Ge­spräch mit dem Autor. Er ist Betriebsrat, aktives Mitglied der Gewerkschaft ver.di und arbei­tet als Verkäufer im Store 3109 in der Theatinerstraße in München. »Es geht um alle Krank­heitstage, welche im Zeitraum der letzten 12 Monate insgesamt über sechs Wochen hinaus gehen«, fügt er hinzu.

Keine Lohnfortzahlung aufgrund von mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit, wenn es sich doch um verschiedene Krankschreibungen im Verlaufe eines Jahres handelt? »Der Lohn wird nach den sechs Wochen verweigert, da man von einem sogenannten einheitlichen Ver­hinderungsfall ausgeht. Das bedeutet, dass Zara davon ausgeht, dass sämtliche Diagnosen an­rechenbar sind – auch wenn nachgewiesen wurde, dass dies eindeutig nicht der Fall ist«, sagt Dominik Datz dem Autor. Er ist als Gewerkschaftssekretär bei ver.di für den Bereich Handel in München zuständig. Begonnen hat Zara mit dieser Vorgehensweise laut Datz etwa im De­zember 2024.

Die Personalabteilung von Zara zählt alle Krankheitstage zusammen und kehrt die Beweis­last um: Bisher wird eine ärztliche Krankschreibung von Arbeitgeberseite in der Regel aner­kannt und reicht aus für die gesetzlich garantierte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall während einer bis zu sechswöchigen durchgehenden Krankschreibung – erst ab der siebten Krankheits­woche erhalten lohnabhängig Beschäftigte Krankengeld von ihrer Krankenkasse. Die Perso­nalabteilung von Zara unterstellt jetzt bei mehreren Krankschreibungen während eines Jahres, es würde sich um eine fortlaufende Krankheit handeln und zählt alle Krankheitstage zusam­men – und wenn es sich um mehr als sechs Wochen in einem Jahr handelt, wird die Lohnfort­zahlung verweigert, auch bei zeitlich getrennten Krankschreibungen.

»Das bedeutet, dass die Diagnosen alle anrechenbar sein müssten und somit die Kranken­kasse aufkommen soll«, erläutert Berhorst. »Das Prekäre an der Sache ist, dass Zara auch wei­terhin den Lohn verweigert, wenn die betroffenen Kolleg:innen durch die Krankenkasse ein­deutige Nachweise vorlegen, dass es sich nicht um anrechenbare Diagnosen handelt. Zara ignoriert diese Nachweise und zahlt weiterhin nicht«.

Keine Einzelfälle

Als Arbeitgeberin erhält Zara eigentlich nur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne Dia­gnose – die steht nur auf den Benachrichtigungen für die Patient:innen und deren Krankenkas­sen. Das Unternehmen verlangt aber eine Offenlegung. Dazu, die offengelegten Diagnosen als verschiedene Erkrankungen zu akzeptieren, ist Zara zum Beispiel bei Christian Berhorst nicht bereit.

Er ist kein Einzelfall: »Mein Lohn wurde mir seit Februar gekürzt wegen meiner Krankheit, obwohl ich meine Krankmeldungen eingereicht habe«, erläutert Hatice Masoras-Sinani im Gespräch mit dem Autor. »Laut Auskunft meiner Krankenkasse falle ich nicht unter die Anspruchsberechtigten für Krankengeld, sondern habe Anspruch auf Lohnfortzahlung«, fährt sie fort. Masoras-Sinani arbeitet in der Filiale im Olympia-Einkaufszentrum München als Verkäuferin, ist Ersatzmitglied im Betriebsrat, seit November 2006 bei Zara angestellt und tritt aktiv für ihre Interessen ein. Sie erzählt: »Daraufhin habe ich meine Filialleitung gefragt, warum mir mein Lohn gekürzt wurde – die fragte in der Zentrale von Zara in Hamburg nach: keine Antwort; aber eine Woche später erhielt ich einen Brief – wegen Krankheit kein Geld«.

In allen vier dem Autor geschilderten Fällen kamen die Mitteilungen über die verweigerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von der Personalabteilung aus der Deutschlandzentrale von Zara in Hamburg. Die Praxis wird verstärkt seit Anfang des Jahres angewandt. Bei Bea­trix Schwentine, die ebenfalls in einem Münchner Store von Zara arbeitet und eigentlich an­ders heißt, begann es im Februar. Auch sie war innerhalb von 12 Monaten mehr als sechs Wo­chen krankgeschrieben: »Aber ich habe in den letzten 12 Monaten nicht die gleiche Erkran­kung sechs Wochen lang gehabt. Zara hat bis jetzt die Krankenkasse nicht kontaktiert, um es zu überprüfen«. Bei Klara Treene, die auch anders heißt, wurde die Lohnfortzahlung im Janu­ar gestoppt, auch sie arbeitet in einem Store von Zara in München.

Zara ist die bekannteste Produktions- und Verkaufskette des spanischen Inditex-Konzerns, der in Deutschland über 5.000 Mitarbeiter:innen hat, die 2023 über 60 Filialen am Laufen hielten. Im Geschäftsjahr 2022/23 erwirtschafteten die Beschäftigten des Inditex-Konzerns weltweit einen Nettoumsatz von 35,9 Milliarden Euro – der nach Umsätzen größte globale Fast-Fashion-Konzern. Zara Deutschland stellt sich selbst recht rosig dar: »Als Teil der Indi­tex-Gruppe hat Zara seinen Weg untrennbar mit der Förderung und Achtung der Menschen­rechte verbunden«. Von einer »Menschenrechtsstrategie« ist auf der Website die Rede, und: »Wir setzen uns für die Achtung der Menschenrechte bei allen unseren Tätigkeiten ein«. Of­fensiv wird angeboten, in einem Store mitzuarbeiten – offensichtlich hat Zara zu wenig Ange­stellte und nutzt jeden Werbekanal.

Einige Kolleg:innen aus München hatten sich zusammen an die Jungle World gewandt, aber die verweigerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein bundesweites Problem, erklärt Dominik Datz dem Autor. Probleme mit der Personalabteilung oder Filialleitungen bei Zara kennt er schon länger: »Es gibt seit Jahren Probleme unterschiedlichster Art mit den Mana­gern. Ein größeres strategisches Vorgehen gegen Mitarbeitergruppen tätigte Zara 2018 im Umgang mit Müttern nach der Elternzeit. Auch das Thema der flexiblen Verfügbarkeit, wel­ches Eltern besonders betrifft, ist ein wiederkehrendes Problem«. Jetzt werden Kolleg:innen sanktioniert, weil sie krank waren.

Man sieht sich vor dem Arbeitsgericht

Zara schweigt gegenüber ver.di zu den Gründen. Auch gegenüber dem Autor war Zara zu kei­ner Stellungnahme bereit. Aus Briefen der Abteilung Personalabrechnung der Zentrale von Zara Deutschland an betroffene Beschäftigte, die dem Autor vorliegen, spricht dagegen ein knallhartes Vorgehen: »Bezüglich Ihrer Erkrankungen gehen wir von einem einheitlichen Zu­sammenhang, jedenfalls von einer einheitlichen Ursache für diese Erkrankungen aus, so dass der Entgeltfortzahlungszeitraum (…) erschöpft ist«. Die/der Beschäftigte wird zur »Stellung­nahme« aufgefordert, soll also nachweisen, dass es sich um verschiedene Erkrankungen mit unterschiedlichen Ursachen handelt: »Bis zum Erhalt Ihrer Stellungnahme machen wir ein Zurückhaltungsrecht an etwaigen Entgeltfortzahlungsansprüchen geltend. Bitte informieren Sie Ihre Krankenkasse und lassen dort einen möglichen Anspruch auf Krankengeld prüfen«.

Solche Begründungen gibt es zumindest teilweise erst im Nachhinein. Erstmal wird kein Lohn gezahlt. Christian Berhorst erhielt im Dezember eine Gehaltsabrechnung, auf der ver­merkt war: »Barauszahlung«. Nachdem er an die Zentrale von Zara eine Abmahnung wegen ausbleibender Lohnzahlung geschickt hatte, weil er niemals eine Barauszahlung erhalten habe, reagierte die Teamleiterin des »Payroll Department« mit einer E-Mail, in der es hieß: »Aufgrund der fehlenden Bescheinigungen ist eine Überprüfung deiner Vorerkrankungen nicht möglich. Aus diesem Grund haben wir dir im Dezember kein Gehalt ausbezahlt«. In ei­ner zweiten E-Mail aus der Abteilung »HR Legal Germany« von Zara Deutschland wird klar­gestellt, dass Auszahlungen von Gehalt ausschließlich per Banküberweisung stattfinden: »Der Begriff ›Barzahlung‹ (…) zeigt an, dass die Zahlung von Gehalt angehalten ist«.

Der Kollege wurde so erst mal im Ungewissen gelassen, was mit seiner Gehaltszahlung passiert. Bei einem Bruttoeinkommen unter 3.000 Euro für einen Vollzeitjob kann man schwerlich eine größere Geldreserve anlegen. Ein verweigertes Monatsgehalt kann massiven Druck erzeugen, verunsichern und jemanden in eine finanzielle Notlage bringen. »Ich weiß nicht, was die damit erreichen wollen – mich ruinieren, dass ich obdachlos werde?«, fragt Ha­tice Masoras-Sinani. »Ich bin eine alleinerziehende Mutter, habe ein Kind und bin deswegen bereits hochverschuldet.«

Aber die verweigerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nicht hingenommen: »Es wehren sich alle und klagen den Lohn ein. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, an sein Geld zu kommen«, so Gewerkschaftssekretär Datz – die für Gewerkschaftsmitglieder kostenfreie ver.di-Rechtsabteilung sei schon dran: »Es wird sehr viele Arbeitsgerichtsprozesse geben«.

Mit etwas Verzögerung fangen Personalabteilungen großer Konzerne an, die jüngeren Ur­teile das Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auszunutzen, um Beschäftigten ihr Geld zu verweigern. Das BAG hat deutlich gemacht, dass Arbeitsunfä­higkeitsbescheinigungen in manchen Fällen angezweifelt werden können (siehe S. 7).

Die Kapitalseite möchte die Arbeitskosten drücken, die durch Krankschreibungen entstehen. Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender des Allianz-Konzerns, beklagte 2024 im Han­delsblatt einen »chronisch erhöhten Krankenstand« und plädierte dafür, »dass unser Wohl­stand auch etwas mit dem Willen zu tun hat, sich für den Erhalt dieses Wohlstands anzustren­gen«. Anfang Januar forderte er die Einführung eines Karenztags, also eines Tages ohne Lohnfortzahlung bei allen Krankmeldungen. »Das Vorgehen von Zara kommt in einer Zeit, in der die Lohnfortzahlung nach aktuellem Modell immer wieder von verschiedenen Akteuren in Frage gestellt wird«, analysiert Gewerkschafter Datz. »Mit einer derartigen Dreistigkeit, ein­fach selber Fakten zu schaffen, darf Zara kein Vorbild für andere Unternehmen werden«.

Artikel von Gaston Kirsche in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2025

* Gaston Kirsche ist gewerkschaftlich bei ver.di und in der außerparlamentarischen Linken aktiv und tätig als freier Journalist.

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