Von 775 Millionen Überstunden in 2023 war mehr als die Hälfte unbezahlt – Tendenz steigend

Dossier

ver.di: Überstunden sind kein Hobby„…  Die Beschäftigten in Deutschland haben im vergangenen Jahr einem Medienbericht zufolge 1,3 Milliarden Überstunden geleistet. Davon waren mit 775 Millionen Stunden mehr als die Hälfte unbezahlt, wie die Rheinische Post unter Berufung auf die Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine schriftliche Frage der Linken-Abgeordneten Susanne Ferschl berichtete. Das Ministerium beruft sich laut Bericht auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2024. Pro Arbeitnehmer fielen demnach 2023 im Schnitt 31,6 Überstunden an. Im Vergleich zum Jahr 2022 sei die Zahl der geleisteten Überstunden um rund 100 Millionen zurückgegangen. Dass es im vergangenen Jahr weniger bezahlte Überstunden gab, bestätigt auch eine Arbeitszeitrechnung vom IAB aus dem April…“ Meldung vom 09.05.2024 in tagesschau.de externer Link („Mehr als die Hälfte der Überstunden 2023 unbezahlt“) und dazu:

  • [DGB-Index Gute Arbeit] Wenn überlange Arbeitszeiten weit verbreitet und über 50% der Überstunden eh nicht bezahlt sind, ändert Steuerfreiheit nichts an den gesundheitlichen Risiken
    • Mindestens 48 Stunden: Wenn Mehrarbeit zur Gesundheitsfalle wird. Jeder zehnte Beschäftigte arbeitet mehr als 48 Stunden. Dahinter steht ein offenes Geheimnis New
      „Lokführer, Erzieherin oder SAP-Expertin – in vielen Branchen werden Fachleute gesucht. Die Strategien der Unternehmen sind unterschiedlich. Dies zeigt auch die jüngste Tarifeinigung im Öffentlichen Dienst. Denn die Tarifparteien haben einen Vorschlag der externen Schlichter zur Erhöhung von Arbeitszeit aufgegriffen. Roland Koch, ehemaliger Ministerpräsident von Hessen, und Hans-Henning Lühr, Jurist und ehemaliger Staatsrat, halten eine längere Wochenarbeitszeit für ein geeignetes Mittel gegen Personalmangel. Das sieht auch der Tarifabschluss vor. Daher soll es ab 2026 die Möglichkeit einer freiwilligen befristeten Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden pro Woche geben. Die Gewerkschaft Ver.di spricht von einer „doppelten Freiwilligkeit, der zufolge Arbeitgeber und Beschäftigte einer Mehrarbeit zustimmen müssen, möglich sein, die wöchentliche Arbeitszeit befristet auf bis zu 42 Stunden zu erhöhen“. (…) Kochs Parteikollege, der CDU-Vorsitzende Merz, sieht in Überstunden eine sinnvolle Antwort auf fehlendes Personal. Union und SPD verhandeln derzeit über eine neue Bundesregierung – laut Sondierungspapier wollen sie Überstunden künftig sogar steuerlich fördern. Die Idee hat es auch in den Koalitionsvertrag geschafft. Einen anderen Ansatz verfolgt die Gewerkschaft GDL. Diese sieht Arbeitszeitverkürzung als bestes Mittel gegen Fachkräftemangel. Der Beruf des Lokführers soll durch geringere Wochenarbeitszeit und besser planbare Dienste attraktiver werden, so die Strategie. Viele Bewerber legen bei der Jobsuche Wert auf Work-Life-Balance. (…) „Das Interesse an der Vier-Tage-Woche ist nicht auf die jüngere Generation beschränkt. Frühere Studien haben gezeigt, dass sie die Attraktivität eines Arbeitgebers steigern kann, was gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ein großes Plus ist (Julia Backmann, Westfälische Wilhelms-Universität Münster) (…) Viele Unternehmen erfassen jedoch die Arbeitszeiten gar nicht – und verweigern Beschäftigten die Bezahlung von Überstunden oder freien Tagen aufgrund von Mehrarbeit. (…) Fehlende Zeiterfassung wird zum Zeitdiebstahl genutzt. ‎Denn die Zeiten werden nicht dokumentiert und entsprechend nicht gutgeschrieben, geschweige denn vergütet.‎ (…) Der Gerichtshof betont die Bedeutung des in der EU-Charta verbürgten Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf die Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten, was die EU-Arbeitszeitrichtlinie weiter präzisiert. Ohne Zeiterfassung sieht der EuGH das Ziel der EU-Arbeitszeitrichtlinie gefährdet, einen besseren Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen: Die Mitgliedstaaten müssen die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektiv verlässliches Zeiterfassungssystem einzurichten, mit dem die geleistete tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen wird.(…) Überstunden sind auch ohne steuerliche Förderung bereits heute ein großes Problem. Der DGB-Index „Gute Arbeit“ hat neue Daten dazu veröffentlicht: „Überstunden zu machen ist in Deutschland nicht nur weit verbreitet, sondern für die Beschäftigten oft auch gesundheitsschädlich. Jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte leistet überlange Arbeitszeiten von mehr als 48 Stunden pro Woche. Das birgt gesundheitliche Risiken für die Beschäftigten, darunter Erschöpfung, Schlafstörungen und stressbedingte Erkrankungen.“ (Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied) Ein Gesetz dazu ist bis heute nicht beschlossen. Bisher wollten alle Bundesregierungen das Thema aussitzen. Daraus ergibt sich ein Arbeitsauftrag für die neue Regierung…“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 15. April 2025 bei Telepolis externer Link
    • DGB-Index: Arbeitszeit so gestalten, dass sie die Gesundheit der Beschäftigten schützt
      Der DGB-Index Gute Arbeit hat neue Daten zum Thema Überstunden veröffentlicht, dazu Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied: “Überstunden zu machen ist in Deutschland nicht nur weit verbreitet, sondern für die Beschäftigten oft auch gesundheitsschädlich. Jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte leistet überlange Arbeitszeiten von mehr als 48 Stunden pro Woche. Das birgt gesundheitliche Risiken für die Beschäftigten, darunter Erschöpfung, Schlafstörungen und stressbedingte Erkrankungen. Trotzdem diskutieren aktuell Bundespolitik, Arbeitgeber und Ökonominnen, immer noch mehr Überstunden anzureizen, indem die bezahlten Überstunden von der Steuer befreit werden. Zusammen mit der offenbar geplanten Abschaffung des 8-Stunden-Tags ist das ein Giftcocktail für die Gesundheit und Leistungskraft von Beschäftigten.”
      “Mehr als die Hälfte aller Überstunden wird ohnehin nicht vergütet. Viele Unternehmen senken damit schon jetzt ihre Kosten zu Lasten der Beschäftigten. (…) Überstunden ohne Bezahlung steuerfrei zu stellen, bringt den Beschäftigten keinen zusätzlichen Euro  – aber sie tragen die gesundheitlichen Risiken, die mit vielen Überstunden und langen Arbeitszeiten verbunden sind
      …“ DGB-Pressemitteilung vom 22. März 2025 externer Link zum DGB-Index Gute Arbeit “Überstunden: Weniger ist mehr” externer Link 
    • »DGB-Index Gute Arbeit«: 24 Prozent machen laut Umfrage mehr als fünf Überstunden pro Woche
      Laut einer Auswertung des Deutschen Gewerkschaftsbunds sind Überstunden in vielen Branchen verbreitet. Und weniger dürften es kaum werden, Union und SPD wollen Mehrarbeit künftig fördern. Der DGB spricht von einem »Giftcocktail«.
      Für 44 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind Überstunden an der Tagesordnung. Das ist das Ergebnis einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). 20 Prozent der Befragten arbeiten demnach durchschnittlich eine bis fünf Stunden länger pro Woche als vertraglich vereinbart, weitere 24 Prozent machen mehr als fünf Überstunden. Bei 10,1 Prozent der Beschäftigten in Vollzeit beträgt die Arbeitszeit samt Überstunden mehr als 48 Stunden pro Woche. Die Zahlen stammen aus dem »DGB-Index Gute Arbeit«. (…) Im Homeoffice sind demnach Überstunden häufiger: Von denen, die immer oder gelegentlich zu Hause arbeiten, leisten der Befragung zufolge 52 Prozent durchschnittlich mehr als eine Überstunde. Bei Beschäftigten ohne Homeoffice sind es 31 Prozent. Je höher die Qualifikation, desto häufiger sind Überstunden (…) Vier von zehn Befragten gaben an, zumindest gelegentlich außerhalb der normalen Arbeitszeit unbezahlte Arbeit für ihren Betrieb zu erledigen. 15 Prozent tun dies nach eigenen Angaben sehr oft oder oft. Der DGB ergänzt unter Berufung auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB, dass 53,6 Prozent aller Überstunden im Jahr 2024 unbezahlt geleistet worden seien. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel kritisierte, dass Union und SPD in ihren Koalitionsgesprächen anvisierten, Überstunden noch mehr anzureizen, etwa mit Steuervorteilen. »Zusammen mit der offenbar geplanten Abschaffung des Achtstundentags ist das ein Giftcocktail für die Gesundheit und Leistungskraft von Beschäftigten«, sagte Piel. (…) Da mehr als die Hälfte aller Überstunden nicht vergütet würde, würde Steuerfreiheit den Beschäftigten nichts bringen, fügte sie hinzu. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer »arbeiten bereits hart am Limit und leisten jeden Tag ihren Beitrag«. Arbeitszeit müsse so gestaltet werden, dass Gesundheit geschützt werde und Privatleben möglich bleibe.“
      Meldung vom 22. März 2025 im Spiegel online externer Link
    • Siehe auch das Dossier: SPD, Grüne und FDP (Kapital sowieso) wollen höhere Höchstarbeitszeit: Wir sollen uns flexibel an die Bedürfnisse des Kapitals anpassen
  • Destatis: 4,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben 2023 Mehrarbeit geleistet – ein Fünftel der Betroffenen leistet unbezahlte Überstunden
    „Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland gehören Überstunden zum Arbeitsalltag: Knapp 4,6 Millionen von ihnen haben im Jahr 2023 im Durchschnitt mehr gearbeitet, als in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart. Das entsprach einem Anteil von 12 % der insgesamt 39,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Dabei leisteten Männer mit einem Anteil von 13 % etwas häufiger Mehrarbeit als Frauen (10 %). (…) Deutliche Unterschiede zeigten sich mit Blick auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche. Am weitesten verbreitet war Mehrarbeit in den Bereichen Finanz- und Versicherungsleistungen und Energieversorgung, wo jeweils 17 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon betroffen waren. Am niedrigsten war der Anteil mit 6 % im Gastgewerbe, gefolgt von der Erbringung sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen wie etwa Wach- und Sicherheitsdienstleistungen oder Reinigungsdienstleistungen (8 %). (…) Für die meisten Beschäftigten war der Umfang der Mehrarbeit auf wenige Stunden pro Woche begrenzt. 40 % gaben an, durchschnittlich weniger als fünf Überstunden geleistet zu haben. Bei insgesamt 70 % waren es weniger als zehn Stunden. Allerdings leistete knapp ein Fünftel (19 %) der Betroffenen mindestens 15 Stunden Mehrarbeit in der Woche. (…) Mehrarbeit kann in Form von bezahlten und unbezahlten Überstunden geleistet werden oder auf ein Arbeitszeitkonto einfließen, über das sie später wieder ausgeglichen werden kann. Von den Personen, die 2023 mehr gearbeitet hatten als vertraglich vereinbart, leistete jede oder jeder Fünfte (20 %) unbezahlte Überstunden. 17 % wurden für ihre Überstunden bezahlt. 71 % nutzten ein Arbeitszeitkonto für die geleistete Mehrarbeit. Mehrarbeit wurde teilweise über eine Kombination der drei Formen geleistet….“ Destatis-Pressemitteilung Nr. N039 vom 1. August 2024 externer Link

Siehe dazu:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=220457
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