Ausstrahlungen der Altersarmut: Zu viele Schulden. Nein, nicht in Griechenland oder Italien, sondern mitten unter uns.

Dossier

Zuschussrente gegen Altersarmut?„… »Die Überschuldung von Privatpersonen in Deutschland ist seit 2014 zum fünften Mal in Folge angestiegen. Die Überschuldungsquote bleibt nahezu konstant, da die Bevölkerung durch Zuwanderung und Migration nochmals leicht zugenommen hat. Zum Stichtag 1. Oktober 2018 wurde für Deutschland eine Überschuldungsquote von 10,04 Prozent gemessen. Damit sind weiterhin über 6,9 Millionen Bürger über 18 Jahre überschuldet und weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf.« Das ist eine der Erkenntnisse aus dem SchuldnerAtlas 2018. (…) Bei einer differenzierten Auswertung der Entwicklungen im Bereich der Überschuldung wird dieser besorgniserregende Trend diagnostiziert: „Überschuldung der Zukunft: alt und weiblich“. (…) „Die Überschuldung kommt nicht mehr nur vom Rand. Also von denen, die am Rand dahin leben oder vegetieren, sondern durchaus aus der Mitte unserer Gesellschaft…“ Kommentar von Stefan Sell vom 15. November 2018 in Aktuelle Sozialpolitik externer Link zum SchuldnerAtlas 2018 und den Ausstrahlungen der Altersarmut – und mehr zur wachsenden privaten Überschuldung:

  • [Zur konkreten Lebenssituation alter Menschen] Altersarmut und Altersüberschuldung sind zwei Seiten einer Medaille New
    „In Deutschland lebten im Jahr 2023 18,6 Prozent aller über 65jährigen Menschen in Armut und gleichzeitig gelten etwa sechs Millionen Ältere als überschuldet. Das sind bundesweit über sechs Prozent aller Menschen zwischen 60 und 69 Jahren. In der Altersgruppe über 70 Jahren sind es immer noch knapp drei Prozent. (…)
    Besonders tragisch ist, dass von fast acht Millionen Rentnern, die eine Rente mit langen Versicherungszeiten von über 40 Jahren beziehen, erhielten mehr als ein Drittel nur eine Rente unter 1.250 Euro (vor Steuern!). Von den niedrigen Löhnen und Gehältern können nur niedrige Beiträge in die gesetzliche Rente eingezahlt werden. In Ostdeutschland ist die Situation und dort bei Frauen besonders prekär. In Thüringen etwa liegt der Anteil der Rentner mit langen Versicherungszeiten, die trotzdem weniger als 1.250 Euro monatlich erhalten, bei 43,2 Prozent. Auch bundesweit leben 1,6 Millionen Frauen mit einer Rente von lediglich 954 Euro. Diese regionalen und geschlechtsspezifischen Unterschiede verdeutlichen die Ungleichheiten alter Menschen im deutschen Rentensystem. (…) Die Daten aus dem Schuldneratlas 2023 der Creditreform zeigen, dass bundesweit über sechs Prozent aller Menschen zwischen 60 und 69 Jahren als überschuldet gelten. In der Altersgruppe über 70 Jahren sind es immer noch knapp drei Prozent. Die Überschuldungsintensität (Dauer und Volumen der Überschuldung) bei älteren überschuldeten Personen ist weiter ausgeprägt, als bei den jüngeren. Bei den Älteren liegt  die Anzahl der Gläubiger und die Höhe des Schuldenvolumens deutlich höher, weil sie häufiger höhere Verbindlichkeiten eingehen und sich länger in einem Überschuldungsprozess befinden. Auffällig ist noch, dass viele Menschen höheren Alters noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen und arbeiten häufig zusätzlich im Rahmen atypischer bzw. geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, um fehlende Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu beschaffen. Es scheint, als würde so wie das Alter auch die Überschuldung steigen. Das zeigt auch die Langzeitbeobachtung auf: Zwischen 2013 und 2022 nahm die Überschuldung alter Menschen um 270 Prozent zu. 2004 betrug der Anteil der „Alten“ nur rund 8 Prozent, bei den unter 60-Jährigen lag er entsprechend bei 92 Prozent. (…)
    Eine besondere Problematik bei den älteren überschuldeten Menschen liegt darin, dass sie nicht mehr kreditwürdig sind und dass sie dann in der Folge wenig Chancen haben, die einmal aufgetürmten Schulden noch abtragen zu können. (…)
    Vorschläge, die dabei helfen könnten, Altersarmut in Deutschland kurzfristig zu bekämpfen und langfristig zu verringern, z.B: – Die gesetzliche Rentenversicherung müsste absoluten Vorrang in der Alterssicherung haben. – Sie sollte zu einer solidarischen Bürger- oder Erwerbstätigenversicherung ausgebaut werden. Selbstständige, Freiberufler, Beamte, Abgeordnete und Minister müssten einbezogen werden und Beiträge zahlen. – Rentenbeiträge würden nicht nur auf Löhne und Gehälter erhoben, sondern auf sämtliche Einkunftsarten wie Einkünfte aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung, Dividenden, Veräußerungsgewinne und Zinsen. – Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen müssten abgeschafft werden, die es privilegierten Personengruppen erlauben, sich ihrer Verantwortung für sozial Benachteiligte zu entziehen und in exklusive Sicherungssysteme auszuweichen. – Wer den nach Einkommenshöhe gestaffelten Beitrag nicht selbst entrichten kann, sollte im Falle fehlender, vorübergehender oder eingeschränkter Zahlungsfähigkeit vom Staat die Beiträge bedarfsbezogen „subventioniert“ bekommen. Die Beiträge würden aus dem allgemeinen Steueraufkommen gezahlt. – Der Niedriglohnsektor müsste abgeschafft, Flächentarifverträge und deren Allgemeinverbindlichkeit wieder gelten und die Mindestlöhne jährlich erhöht werden. – Die volle Sozialversicherungspflicht für Minijobs sollte eingeführt, Leiharbeit abgeschafft, eine Erwerbstätigenversicherung für Selbständige eingerichtet, Erleichterung und Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld l ermöglicht werden. – Es müssten Kita- und Ganztagsschulplätze für alle Kinder geschaffen werden, um Erwerbsphasen, vor allem für Frauen, zu verlängernund die soziale Teilhabe, Integration und gegenseitige Unterstützung für alte Menschen ermöglicht werden.So könnte der Doppeltrend zu Altersarmut und Altersüberschuldung aufgehalten werden.“
    Beitrag vom 23. Oktober 2025 im gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Alltag auf Pump: Viele Menschen müssen sich für Lebensmitteleinkäufe Geld leihen
    Mehr als die Hälfte der unter 50-Jährigen greift für notwendige Alltagsausgaben zum Kredit – oft bei der Familie. Wer besonders betroffen ist.Viele Menschen in Deutschland finanzieren sogar tägliche Ausgaben wie Lebensmitteleinkäufe auf Pump. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Barclays. Demnach hat sich mehr als die Hälfte der unter 50-Jährigen hierzulande in den vergangenen 24 Monaten Geld geliehen – überwiegend von Familienmitgliedern (44 Prozent), aber auch als Kredit von der Bank (40 Prozent). Abgesehen von Ausgaben fürs Auto (27 Prozent) verwendeten die befragten Erwachsenen das geliehene Geld nach eigenen Angaben vor allem zur Deckung alltäglicher Kosten wie zum Beispiel den Kauf von Lebensmitteln (26,6 Prozent) oder für allgemeine Konsumzwecke wie den Einkauf von Kleidung (21,4 Prozent). Mit etwas Abstand wird als Verwendungszweck „um mir etwas zu gönnen“ (17,6 Prozent) angeführt. (…) Am größten ist die Gruppe derjenigen, die sich in den vergangenen 24 Monaten Geld geliehen hat, bei den 18- bis 29-Jährigen mit 60,4 Prozent. In dieser Altersgruppe gaben zugleich die meisten an, Geld nicht nur fürs Vergnügen zu leihen: Gut ein Drittel (36,2 Prozent) der jungen Menschen nennt tägliche Bedarfe als Grund. Auch bei den 30- bis 39-Jährigen ist das für eine Mehrheit von 31,6 Prozent der Hauptverwendungszweck für geliehenes Geld. Insgesamt wurden im Juli und August 10.007 Erwachsene in Deutschland befragt. (…) Fast jeder Dritte der Umfrageteilnehmer (31,9 Prozent) hält es für wahrscheinlich, dass er sich in den kommenden 24 Monaten Geld leihen muss.“ dpa-Meldung vom 14. September 2025 in der taz online externer Link
  • Wachstumsgeschichten: Die Zahl der überschuldeten Senioren steigt und steigt
    „Bei einer differenzierten Auswertung der Entwicklungen im Bereich der Überschuldung wird dieser besorgniserregende Trend diagnostiziert: „Überschuldung der Zukunft: alt und weiblich“. Das hat die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem SchuldnerAtlas kurz und schmerzhaft niedergeschrieben. Also in ihrem SchuldnerAtlas 2018, denn das Zitat stammt aus diesem Beitrag vom 15. November 2018: Zu viele Schulden. Nein, nicht in Griechenland oder Italien, sondern mitten unter uns. (…) »Die Altersüberschuldung nimmt weiter deutlich zu und die Beobachter sprechen von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Vor allem in der Altersgruppe ab 70 Jahren: Gut 380.000 Personen aus diesem Kreis gelten mittlerweile als überschuldet, das sind 44,5 Prozent beziehungsweise 118.000 Verbraucher mehr als noch im Vorjahr, wo das Plus ebenfalls schon bei 69.000 Fällen lag.« (…) Schuldneratlas 2020: Zahl der überschuldeten Senioren steigt rapide an, so ist einer der neuen Berichte zur Überschuldung in Deutschland überschrieben. »Allein in den vergangenen zwölf Monaten stieg die Zahl der überschuldeten Senioren ab 70 der Studie zufolge um 23 Prozent. Parallel erhöhte sich in der Altersgruppe der 60 bis 69-Jährigen die Zahl der Überschuldungsfälle um 13 Prozent auf rund 725.000…“ Beitrag von Stefan Sell vom 11. November 2020 auf seiner Homepage externer Link zum 93-seitigen „SchuldnerAtlas Deutschland 2020 – Überschuldung von Verbrauchern“ der Creditreform externer Link
  • Private Überschuldung: Starke Unterschiede zwischen Jung und Alt
    „… Knapp zwei Drittel (64,9 %) der unter 25-Jährigen, die im Jahr 2018 eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchten, wiesen offene Verbindlichkeiten bei Telekommunikationsunternehmen auf. Die durchschnittliche Schuldenhöhe der jüngeren Generation bei Telekommunikationsanbietern betrug 1 573 Euro. Dies entsprach gut einem Sechstel der gesamten durchschnittlichen Schuldenhöhe von 8 849 Euro. Diesem Schuldenbetrag stand den unter 25-Jährigen zu Beratungsbeginn ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 777 Euro pro Person gegenüber. Unter der Annahme, dass alle Einkünfte ausschließlich zur Schuldentilgung eingesetzt werden, bräuchten junge Menschen etwas mehr als zwei Monate um Telefonanbieter auszuzahlen, oder knapp ein Jahr zur Begleichung ihrer gesamten Schulden. Die deutliche Mehrheit der Schuldnerinnen und Schuldner im Alter von 65 Jahren und älter war im Jahr 2018 dagegen bei Kreditinstituten verschuldet (62,9 %). Schulden bei Telekommunikationsunternehmen hatten lediglich ein Viertel (25,3 %) der älteren Generation. Die Restschuld bei Kreditinstituten lag mit 22 989 Euro im Mittel ebenfalls bedeutend höher. Zum einen sind Bankkredite in der Regel mit höheren Schulden verbunden als Telekommunikationsverträge, zum anderen geht ein höheres Alter automatisch mit einer längeren Wirtschaftsaktivität einher. Dementsprechend lag für diese Altersgruppe das durchschnittliche Schuldenvolumen mit 43 740 Euro um fast das Fünffache höher als das von Schuldnern unter 25 Jahren. Mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 1 051 Euro pro Person bräuchten ältere Menschen in etwa dreieinhalb Jahre bis zur gänzlichen Schuldenbefreiung. Für die alleinige Tilgung von Kreditschulden wären rund 22 Monate vonnöten…“ Destatis-Pressemitteilung Nr. 199 vom 28. Mai  2019 externer Link
  • Der Beitrag von Stefan Sell vom 15. November 2018 externer Link basiert auf dem 92-seitigen „SchuldnerAtlas Deutschland 2018 – Überschuldung von Verbrauchern“ der Creditreform Wirtschaftsforschung vom 13. November 2018 externer Link

Siehe u.a. auch unserDossier: Für wen Inflation ein Problem ist – und was es für die (Tarif)Politik bedeutet

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=140184
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