Tarifrunden seit Herbst 22: Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung – die Lehren für kämpferische Gewerkschafter:innen

Dossier

streik_statt_abschlussDie Tarifergebnisse seit Herbst 22 sind für alle großen Branchen sehr ähnlich. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns fragen, ob das Zufall ist. Wir müssen den Blick über den Tellerrand unserer Branche heben. Wir müssen uns fragen, ob die gewohnte Beurteilung von Tarifergebnissen so noch taugt. (…) Diese Art der Ergebnisdiskussion, die von allen Seiten die Frage der Kampfkraft ins Zentrum stellt, ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen, ja sie war im Grunde ein Teil des Tarifrituals geworden. Nach den letzten Tarifrunden müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir als kämpferische Kolleg:innen oder als Gewerkschaftslinke darüber hinausgehen müssen, denn diese Tarifrunden waren einfach etwas anders…“ Erklärung vom 21. Januar 2024 externer Link („Bilanz der großen Tarifrunden: Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung“) der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und mehr daraus/dazu:

  • Ein halbes Jahr Tarifstreit im Land der Zeitenwende: Arbeitgeber sagen harte Zeiten für die Beschäftigten an, die Gewerkschaften gestalten sie mit New
    „Der neue Bundeskanzler fordert, „wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, und verlangt eine „gemeinsame Kraftanstrengung“, damit es mit Deutschland wirtschaftlich wieder vorwärtsgeht. Das muss man Deutschlands Arbeitgebern nicht zweimal sagen. Sie sind längst dabei, die Lohnarbeit unter ihrem betrieblichen Kommando in ihrem Sinne effizienter zu gestalten. Im Umgang mit ihren Belegschaften führen sie dabei vor, was sie an der Errungenschaft einer modernen Tarif- und Sozialpartnerschaft haben: Die Arbeitnehmervertretung muss nicht nur zusehen, wie sie mit dieser Umgestaltung der Arbeitswelt zulasten der Beschäftigten klarkommt, sie bemüht sich auch unermüdlich darum, bei alledem bloß nicht den Anschluss zu verlieren, damit sie weiter ihre Rolle als kompetenter Mitgestalter ‚guter Arbeit‘ spielen kann. So sorgt sie mit für die Fortschritte bei der ‚Effizienz‘ der Lohnarbeit in Deutschland, die der Kanzler einfordert. (…) Den Anfang macht zum Jahreswechsel der Abschluss für mehr als 100 000 Beschäftigte beim großen Wolfsburger Autokonzern. Nach einigen Verhandlungsrunden, die unter dem Vorzeichen gekündigter Beschäftigungszusagen und angedrohter Werksschließungen samt Massenentlassungen gestanden haben, wird wenige Tage vor Heiligabend verkündet, worauf die Tarifpartner sich in dem „für Volkswagen beispiellosen Tarifkampf unter historisch widrigen wirtschaftlichen Bedingungen“ (Pressemitteilung IG Metall, 22.12.24) geeinigt haben, sodass sie ihre Auseinandersetzung letztlich doch ohne größere Disruptionen haben beilegen können.  Auf der Lohnseite steht zum einen die vollständige Abstandnahme von der ursprünglich von der IG Metall geforderten siebenprozentigen Lohnerhöhung. Stattdessen gibt es für die VW-Stammbelegschaft eine bis Ende 2030 langgezogene Nullrunde.  Hinzu kommt die Streichung bzw. langfristige Reduktion von mehreren bislang üblichen, jährlich ausbezahlten Lohnbestandteilen wie Ergebnisbeteiligungen, Urlaubsgeld usw. Schließlich wird noch eine aus der Zeit gefallene Diskriminierung innerhalb der Belegschaft korrigiert: Ab Mitte 2025 gilt unterschiedslos für alle Beschäftigten eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 35 Stunden, was für etliche Beschäftigte, die aufgrund langer Betriebszugehörigkeit unter den ‚Bestandsschutz‘ eines älteren Haustarifs fallen, eine Ausweitung der Normalarbeitszeit um eine bzw. um zwei Wochenstunden bedeutet.  Alles in allem kommt so eine absolute und relative Lohnsenkung zustande, wie VW sie mit Verweis auf die ‚schwierige Lage am Automobilmarkt‘ verlangt hatte (…) Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sieht sich im Winter 2025 vor einem aparten Problem: Sie befürchtet, dass ein künftiger Kanzler Merz im Zuge seiner Infrastrukturvorhaben „den immer lauter werdenden politischen Rufen nach Bahn-Zerschlagung“ (EVG, PM zur Eröffnung der Tarifrunde, 23.1.25) folgen könnte. (…) Gegen eine solche Befürchtung kennt sie als geübter Sozialpartner des Bahnkonzerns zum Glück ein Mittel: Sie will mit der Bahn über eine ‚Beschäftigungssicherung‘ verhandeln, die über die Ungewissheit hinweg Wirkung entfalten und Arbeitsplätze schützen soll, auch wenn der Konzern umfassend umgebaut wird. (…) Was die Gewerkschaft mit ihrem Vorgehen erreicht hat, wird kurz darauf Mitte Februar – da soll noch einer sagen, die Bahn könnte nicht pünktlich – als Tarifeinigung verkündet: Die besteht in drei stufenweisen Lohnerhöhungen knapp unterhalb des zu erwartenden Inflationsniveaus bei einer Laufzeit von 33 Monaten, welche der Bahnvorstand ausdrücklich lobt (…) Im Gegenzug gibt es, wie gewünscht, eine Beschäftigungssicherung bis zum Ende dieser Laufzeit. Allerdings – auf so viel Entgegenkommen musste der DB-Konzern dann doch bestehen – mit einer expliziten Öffnungsklausel für die sanierungsbedürftige DB Cargo, in der die Entlassungsgefahr am größten ist. Die Jobs sind also sicher; außer dort, wo sie es nicht sind. (…) Über eine befürchtete Entlassungsgefahr ist die IG Metall bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg schon hinaus: Im Rahmen der Umstrukturierung zur grünen Stahlproduktion, bei der Thyssenkrupp Steel innerhalb von sechs Jahren die Anzahl seiner Beschäftigten von rund 27 000 auf 16 000 reduzieren will, hat der Konzern seine Beteiligung an den HKM zum 31.12.2032 gekündigt und will das Werk schließen oder verkaufen. (…) Die Gewerkschaft beharrt darauf, dort, wo es keine Sicherheit für die lohnabhängige Seite gibt, sondern nur die Aussicht auf Entlassungen, „Sicherheit“ zu verlangen, gar „erkämpfen“ zu wollen. Worin diese Sicherheit bestehen soll, wenn die Gewerkschaft ohnehin von der Unvermeidbarkeit der Entlassungen ausgeht, macht sie mit ihrer Forderung an die Gegenseite klar: Sie verlangt einen Sozialtarifvertrag, damit „Massenentlassungen sozial abgefedert werden“ (…) Die Tarifrunde für den größten Tarifbereich des Landes, den öffentlichen Dienst, folgt in weiten Teilen dem für Deutschland gewohnten Muster: Der bestehende Tarifvertrag wird fristgemäß gekündigt, schon im Oktober formuliert ver.di ihre Forderungen. Unter dem Motto „Zeit für Mehr – Geld, Freizeit, Entlastung“ wird für die 2,6 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr, an den Flughäfen, in Rathäusern, Kitas und bei der Müllabfuhr konkret verlangt: 8 % mehr Lohn und höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten (Nachtarbeit, Wochenendarbeit, Wechselschicht), drei zusätzliche freie Tage pro Jahr, die „Zeitsouveränität und Flexibilität“ im Sinne der Beschäftigten herstellen sollen, zudem für Beamte die Reduktion der Arbeitszeit auf „das bestehende Tarifniveau“ von 39 Stunden. (…) Das bezweckte Resultat der Verweigerungshaltung der Arbeitgeber tritt dann schließlich zum Abschluss der dritten Verhandlungsrunde Mitte März ein: Die Verhandlungsführer von Bund und Kommunen erklären die Verhandlungen formell für gescheitert, was zur Einleitung des für solche Fälle vorgesehenen Schlichtungsprozesses führt, auf den die Gewerkschaft sich gemäß der bestehenden Schlichtungsvereinbarung zwischen Bund, der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände und ver.di einlassen muss. Streiks sind während der Schlichtung nicht zulässig. Der Kommissionsvorsitz fällt dieses Mal praktischerweise turnusgemäß dem Vertreter der Arbeitgeberseite zu; und in Gestalt von Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch steht die passende Figur zur Kompromissfindung bereit. (…) Der Einigungsvorschlag regelt damit die wochenbezogene Überarbeit als zuverlässig käufliches Gut für die Arbeitgeberseite und nimmt ohnehin anstehende politische Bestrebungen vorweg, allzu starre Arbeitszeitregelungen aus der krustigen Vergangenheit über Bord zu werfen. So geht die bedarfsgerechte Organisation von Mehrarbeit im Tarifmusterland: Die neue Öffnungsklausel für die ausgedehnte Wochenarbeitszeit wird als gesteigerte Flexibilität insbesondere auch für Arbeitnehmer vereinbart. Damit geht der öffentliche Dienst als größter Sektor der deutschen Tariflandschaft bei der Ausweitung der Arbeitszeit als gutes Beispiel für die restliche bundesdeutsche Arbeitswelt voran. (…) Zwei Tage nach der Tarifeinigung für das deutsche Brief- und Paketgeschäft zwischen der Deutschen Post AG und ver.di Anfang März verkündet der Konzern einen Stellenabbau um 8 000 Beschäftigte. (…) Der Tarifabschluss mag noch so bescheiden ausfallen – kaum ist die Tarifrunde gelaufen, kündigt die Arbeitgeberseite an, zu der anderen „Kostensenkungsmaßnahme“ zu greifen, die ihr neben der Festschreibung der Lohnhöhe zur Verfügung steht: Dieselbe Arbeit soll künftig von weniger Personal verrichtet werden. Die offiziellen Friedenszeiten zwischen den Tarifrunden sind für solche Rationalisierungsmaßnahmen prima geeignet; und die Post befürchtet offenkundig auch nicht, dass die Gewerkschaft dem etwas entgegensetzt. Die geht vielmehr vorauseilend davon aus, „dass das nur die Spitze vom Eisberg sein wird und dass weitere Tausende von Arbeitsplätzen wegfallen werden“ (Betriebsratschef Thomas Held, 6.3.25)…“ Artikel aus der Zeitschrift GegenStandpunkt 2-25 externer Link
  • Im Zeichen von Sozialpartnerschaft, Konzertierter Aktion und neuem Burgfrieden: Stetiger Reallohnverlust bei den Tarifauseinandersetzungen in der „Zeitenwende“ 
    Eigentlich wären in den vergangenen drei Jahren Lohnsteigerungen oberhalb der Inflation auf jeden Fall angesagt gewesen. Vor allem brauchen die vielen Millionen Beschäftigten, die nicht tarifgebunden im Niedriglohnsektor arbeiten und die nicht bzw. für die niemand streikt, deutlich höhere Löhne. Doch schon im dritten Jahr in Folge müssen viele bundesdeutsche Beschäftigte deutliche Reallohnverluste hinnehmen, dies bestätigen auch die Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Danach sind die durchschnittlichen Tarifeinkommen, inklusive Sonderzahlungen, 2023 um 3,7 Prozent im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2022 gestiegen. Die Verbraucherpreise kletterten im selben Zeitraum um 5,9 Prozent, so dass sich ein reales Minus beim Lohn von 2,2 Prozent im Durchschnitt ergibt. Bereits 2022 und 2021 sind schon die Preise stärker als die Tarifverdienste gestiegen. In den Jahren zuvor ist die die Entwicklung noch umgekehrt gewesen. Dass die Negativlücke zwischen Preisen und Einkommen 2023 etwas kleiner ausfiel als in den beiden Vorjahren, sei auf ausgezahlte »Inflationsausgleichsprämien« im vergangenen Jahr zurückzuführen. Realistisch betrachtet hat der Teil der Tariflohnvereinbarungen, der „in den Tarif eingegangen“ ist, also eine dauerhafte Tariflohnerhöhung darstellt, im vergangenen Jahr tatsächlich nur 2,4 Prozent betragen. Betroffen sind davon 43 Prozent aller Beschäftigten, deren Arbeitsverträge der Tarifbindung unterliegen. Rechnet man die Sonderzahlungen hinzu, die von den Unternehmen als Inflationsausgleich geleistet wurden, erhält man einen Anstieg der Tarifverdienste von insgesamt 3,7 Prozent. Aber nur die 2,4 Prozent ergeben das Lohnniveau, auf dem Tariflohnsteigerungen in Zukunft berechnet werden. Die Sonderzahlungen sind ebenso wie die außergewöhnlichen Preisschübe nur eine temporäre Erscheinung. Es ist ernüchternd, was die Tarifabschlüsse seit Anfang des Jahres 2022 bis Ende des Jahres 2023 hergeben. (…) In den Tarifverhandlungen sind nicht nur grottenschlechte Ergebnisse erzielt worden, sondern von den Gewerkschaftsführungen wurden teils offen, teils versteckt etliche „Neuerungen“ eingeführt. Dazu gehören beispielsweise Sonderzahlungen, längere Tariflaufzeiten, Abbau von innergewerkschaftlicher Demokratie, fragliche Rechenspiele als Legitimation von Tarifergebnissen bei den Mitgliederbefragungen, die Instrumentalisierung der Arbeitsrechtsprechung und immer mehr in sich sehr differenzierte Regelungen für einzelne Personen- und Altersgruppen, bei hohen oder niedrigen Unternehmensgewinnen und zur Verkürzung oder Erweiterung der Wochenarbeitszeit. (…) Die Tarifauseinandersetzungen seit der „Zeitenwende“ haben gezeigt, wie Gewerkschaftsführungen mit ihren „Spielchen“ und der beschworenen Sozialpartnerschaft einen permanenten Lohnsenkungsprozess mitgetragen haben. (…) Die Tarifabschlüsse werden nicht nur zum weiteren Verlust der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften in den Belegschaften führen – dort müssen die aktiven, ehrenamtlichen Mitglieder ihren Kopf für die enttäuschenden Ergebnisse hinhalten – auch bei den Unternehmen und der Politik haben sie sich als Erfüllungsgehilfe und als erpressbar präsentiert. (…) Nur leise und vereinzelt melden sich Einzelne in den DGB-Gewerkschaften zu Wort und warnen vor einer langen Rezession und dem ökonomischen Zusammenbruch Deutschlands, wenn die Regierung ihre Politik so weiterführt. Diese wenigen Personen scheinen zu ahnen, dass ein eskalierender Wirtschaftskrieg auch das Ende der Gewerkschaften besiegeln würde und sie sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen.“ Beitrag vom 9. Mai 2024 im gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Wende zu einer neuen Streikkultur? Weniger Forderungen werden durchgesetzt
    „Noch in den 80er Jahren haben die hiesigen Gewerkschaften in den Tarifrunden im Schnitt etwa zwei Drittel der aufgestellten Forderungen durchgesetzt, allerdings damals schon mit abnehmender Tendenz. Seitdem ist die Anpassung der Gewerkschaftsführungen (und bedeutender Teile des jeweiligen Apparats) an die Standortpolitik vorangeschritten. Vor allem die weitere Bürokratisierung führte dazu, dass seit den 2000er Jahren größere Auseinandersetzungen mit dem Kapital oder der »öffentlichen Hand« noch strikter vermieden wurden. So sank die Durchsetzungsquote auf unter 50 Prozent. Schlimm wurde die Schockstarre, in die die Gewerkschaften mit der Pandemie gerieten. Und noch verheerender wirkte sich der Konfliktvermeidungskurs seit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten ab 2022 aus. Seitdem verzeichnen wir in fast allen Sektoren einen beträchtlichen Reallohnverlust. Allein 2022 waren es nach offizieller Statistik 4,1 Prozent, seit Ausbruch der Pandemie summieren sich die Reallohnverluste auf insgesamt 12–14 Prozent. (…) Seit Jahrzehnten beklagen betriebliche Aktivist:innen und sektorenübergreifend die Gewerkschaftslinke, dass bei Tarifverhandlungen mehr herausgeholt werden könnte, wenn nur die Mobilisierung nicht so früh abgebrochen würde. (…) Welche Schlussfolgerungen aus den jüngsten Tarifrunden? 1. Es wäre töricht, aus den Erfahrungen der letzten Zeit abzuleiten, dass man sich gar nicht an diesen Mobilisierungen beteiligen sollte. In diesen Mobilisierungen werden wichtige Erfahrungen gesammelt und nur so lässt sich eine kritische Auseinandersetzung mit der gewerkschaftlichen Tarifpolitik vorantreiben. 2. Kritische Kolleg:innen und Betriebsgruppen müssen sich intensiver in die Forderungsdiskussion einmischen. Vor allem muss die Frage der Laufzeit systematisch thematisiert werden, denn lange Laufzeiten sind das Hauptmittel der Gewerkschaftsführungen, Verhandlungsergebnisse schönzurechnen. 3. Schlichtungsabkommen (vor allem bei Ver.di) müssen samt und sonders aufgekündigt werden, weil eine Schlichtung nur dazu dient, eine gut angelaufene Mobilisierung abzutöten. Die Streiktaktik muss von den Betroffenen (nicht von Hauptamtlichen) bestimmt werden, am besten mittels gewählter Streikkomitees. 4. Der Angriff auf das Streikrecht muss in einer breiten Front abgewehrt werden, ohne die Verantwortung der Industriegewerkschaften und der EVG zu verschweigen (so forderte die IGM-Vorsitzende Christiane Benner die GDL auf einzulenken, und hat damit das GDL-Bashing befeuert). Vor allem IGM und IG BCE waren es auch, die das gewerkschaftsschädigende Tarifeinheitsgesetz gefordert hatten. 5. Der Austausch unter kritischen Kolleg:innen und Betriebsgruppen muss in der Phase der Forderungsdiskussion und während des Verlaufs der Tarifrunde überörtlich breiter organisiert werden. Heute gibt es noch keine weithin anerkannte Struktur, die das zufriedenstellend bewerkstelligen kann. Einer der wenigen überparteilichen Ansätze ist die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG, vernetzung. org).“ Artikel von Jakob Schäfer aus Soz Nr. 04/2024 externer Link

  • Weiter aus der VKG-Erklärung vom 21. Januar 2024 externer Link mit einer Übersichtstabelle: „… Es gibt seit Jahren eine Entwicklung in den DGB-Gewerkschaften, dass die Basis aus dem Prozess der Forderungsdiskussion und – aufstellung herausgedrückt wird. Bei der IGM durften zum Beispiel  nur vorgegebene  Forderungsniveaus angekreuzt werden, wobei 8% das höchstmögliche war – zu dieser Zeit war das gerade die aktuelle Inflationsrate. Die Zeiten, als einfach jeder Vertrauensleutekörper seine Forderungen auf einer örtlichen Funktionärskonferenz präsentieren und diskutieren konnte, sind lange vorbei. Beim TV-L wurde diesmal eine neue Qualität erreicht. In GEW und ver.di wurden Diskussionen über die Forderungen zugunsten einer „Befragung“ abgesagt/verhindert (??).  Die dann von der Führung aufgestellte Forderung wurde in dieser Befragung nicht erwähnt, dann aber als „deren Ergebnis“ verkündet. Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. (…)
    Die steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen („Inflationsausgleichsprämie“) als bestimmendes Element für das jeweils erste Jahr der Tariflaufzeit bringen noch eine neue Qualität hinzu: Sie wirken sich für jedeN individuell unterschiedlich aus. Die Tatsache, dass aber in keiner Tarifrunde diese Einmalzahlungen gefordert oder bei der Forderungsaufstellung diskutiert wurde, obwohl gerade bei den Beschäftigten der Länder ja mit der Übernahme der Forderung von Bund+Kommunen klar war, dass die Übernahme des Ergebnisses angestrebt wird, zeigt noch mal mehr die tiefsitzende Verachtung der Gewerkschaftsführung für innergewerkschaftliche Demokratie. (…)
    Ein Überblick über die großen Tarifrunden zeigt, dass sich die Ergebnisse sehr ähnlich sind, der Verlauf der Tarifrunden aber extrem unterschiedlich. Zum zweiten enthalten alle steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, meist in Summe von 3000.-€, etwas, was in keiner einzigen Tarifforderung auch nur ansatzweise aufgetaucht war. Drittens haben alle mit erheblich längerer Laufzeit als gefordert abgeschlossen. Die Tarifkämpfe, in denen für sich betrachtet, die gezeigte und entwickelbare Kampfkraft am wenigsten genutzt wurde, um einen Reallohnverlust zu verhindern, waren Metall- und Elektroindustrie, Post, TVÖD, Bahn(EVG) und Stahlindustrie. (…)
    Mehr Kampfkraft alleine hätte also dieses Ergebnis nicht verbessert, sondern nur schneller erreicht; Mit weniger Kampfkraft wäre vielleicht noch eine Runde Warnstreiks mehr nötig gewesen. Es reicht also nicht, wenn wir weiter über Kampfkraft und ihre Entwicklung reden, ohne zu verstehen, warum und wie dieser offensichtliche Zielkorridor für die Tarifergebnisse zustande kam und welche die Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.
    Konzertierte Aktion
    Die Erklärung für den besonderen Verlauf der Tarifrunden finden wir in der „Konzertierten Aktion“, einem Treffen von Regierung, Arbeitgeber:innen-Verbänden und Gewerkschaftsspitzen. (…) Was die Kapitalvertreter:innen forderten, kann man sich leicht vorstellen – das was sie eh ständig und laut für sich reklamieren. Ob sie sich zu irgendwas verpflichteten, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekamen sie etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, jedem Beschäftigten 3000€ steuer- und abgabenfrei als Inflationsausgleich zu zahlen – statt diesen die dringend nötigen und von diesen stark eingeforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen zuzugestehen. Die Gewerkschaftsspitzen haben das nicht nur zugelassen, sondern pro-aktiv unterstützt. Es gibt sogar Gerüchte aus der IG BCE, dass diese Idee von Seiten der IG Metall und IG BCE eingebracht worden sei. (…) Für ein angebliches Gesamtinteresse des Landes wurden ganz offensichtlich durchgehend flächendeckende Reallohnverluste vereinbart. Das ist eine Verschärfung der üblichen Sozialpartner:innenschaft, die sich vor allem in Unterordnung unter bestimmte Branchenbedingungen, unter konjunkturelle Erscheinungen oder unter die Krisen einzelner Betriebe zeigt. Das ist mehr als die gewohnte Zurückhaltung im Kampf, das war die geplante Akzeptanz und Umsetzung eines nationalen Krisenprogramms, das voll zugunsten der herrschenden Klasse geht (…) Dieses Ausbleiben einer solchen Bewegung ist letztlich der Grund für die massive Rechtswende in der Gesellschaft und auch in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Statt Konzertierter Aktion hätte es eine von den Gewerkschaften angeführte Bewegung für „Brot, Heizung, Frieden“ geben müssen, um den Namen eines kleinen Versuches in diese Richtung zu benutzen. Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass es für Regierung und Kapital bei der K.A. nicht nur um die Inflation ging, sondern darum, die Gewerkschaften in das Programm einzubinden, Deutschland in der globalen Konkurrenz mit den anderen Großmächten, USA, Russland, China usw. neu und aggressiver aufzustellen, aufzurüsten und Kriege vorzubereiten. Ob sie das wollten oder nicht, die Gewerkschaften sind da mit reingezogen worden.
    Die Mogelpackung
    Das Instrument für dieses Manöver war die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hat legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten mindert, die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft und von Menschen, die in der Folge Arbeitslosengeld, Elterngeld oder Krankengeld beziehen, zu 60 bzw 66% zurückgezahlt wird. Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt. (…)
    Spätestens in der Metalltarifrunde war klar, wie das Strickmuster aussehen würde und in dieser Runde haben wir das auch thematisiert. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir eine Kampagne über alle Branchen gebraucht unter dem Slogan: Tabelle statt Mogelpackung Einmalzahlung! Absage an die Konzertierte Aktion und ihre Ergebnisse! Verbunden mit einer breiten Aufklärungskampagne über die finanziellen Auswirkungen und Anträgen, Unterschriftensammlungen etc. gegen die Mogelpackung und für die Aufkündigung der Konzertierten Aktion. Wir hätten klarmachen müssen, dass eine erfolgreiche Tarifrunde nur möglich wird, wenn der Rahmen der K.A. durchbrochen wird. Sozialpartner:innenschaft hat einen sehr konkreten Inhalt gehabt und sehr konkrete Form angenommen. Sie war nicht ganz die Dimension der Zustimmung zur Agenda 2010, die uns einen massiven Niedriglohnsektor, Hartz4/Bürgergeld und eine endlose Zersplitterung der Tariflandschaft beschert hat, aber eine deutliche Steigerung über das übliche Niveau der Konfliktvermeidung und Klassenkollaboration. Wir hätten sie viel konkreter bekämpfen können und müssen. (…)
    Wir werden niemandem Ultimaten stellen und verlangen, dass man gegen den Krieg sein müsse, um in der Tarifrunde richtig kämpfen zu können. Aber wir müssen mit aller Deutlichkeit erklären, dass wir diese Tarifrunden verlieren sollten, damit die Steuerentlastungen und Subventionen für das Kapital und die Aufrüstung der Bundeswehr finanziert werden können…“

Siehe die angesprochenen Tarifrunden und Themen im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=217574
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