Bundesarbeitsgericht bestätigt 2018 den Anspruch auf Überstundenzuschlag auch bei Teilzeitarbeit
„Wer Teilzeit arbeitet, hat künftig häufiger Anspruch auf einen Mehrarbeitszuschlag. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird der Zuschlag nicht erst dann fällig, wenn man mehr als ein Vollzeitbeschäftigter arbeitet. Teilzeitbeschäftigte können beim Überschreiten der vereinbarten individuellen Arbeitszeit tarifliche Mehrarbeitszuschläge beanspruchen. Diese Zuschläge gibt es auch dann, wenn die Mehrarbeit die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nicht überschreitet, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Der 10. BAG-Senat änderte damit seine bisherige Rechtsprechung und schloss sich der Auffassung des 6. BAG-Senats an. (…) Maßgeblich sei die individuell vereinbarte vertragliche Arbeitszeit. Werde diese überschritten, liege „Mehrarbeit“ vor. Es würde eine Benachteiligung darstellen, wenn Teilzeitbeschäftigte erst bei einer über eine Vollzeitbeschäftigung hinausgehenden Arbeitszeit einen Mehrarbeitszuschlag erhalten…“ Meldung vom 20.12.2018 bei tagesschau.de
zum Urteil AZ: 10 AZR 231/18 und erneut:
- Die Teilzeitarbeit (nicht nur) in der Pflege, die Überstunden und die monetären Zuschläge für die Mehrarbeit. Das Bundesarbeitsgericht hat seine bisherige Rechtsprechung grundlegend geändert
„Bereits vor einigen Jahren konnte man lesen, dass das Bundesarbeitsgericht, konkreter: der 6. Senat, seine bisherige Rechtsprechung aufgeben habe: Dieser Senat hatte im Jahr 2013 (BAG, Urt. v. 25.4.2013, Az. 6 AZR 800/11) eine Differenzierung zwischen „geplanten und ungeplanten Überstunden“ entwickelt. Danach gelten bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit nur solche Arbeitsstunden als Überstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden. In der weiteren Entwicklung dieser Rechtsprechung schloss sich diese Folgefrage an: Ist es zulässig, Überstundenzuschläge an Teilzeitbeschäftigte erst ab dem Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu zahlen? Diese Frage hatte der 6. Senat für die ungeplanten Überstunden noch zugunsten der Teilzeitbeschäftigten beantwortet (BAG, Urt. v. 23.03.2017, Az. 6 AZR 161/16). Im Wege der Auslegung stellte er seinerzeit fest, dass Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund gegenüber Vollzeitbeschäftigten diskriminiert würden, wenn sie nicht bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit Überstundenzuschläge für ungeplante Überstunden erhielten. Im damaligen Verfahren ging es um einen Gesundheits- und Krankenpfleger, der auf einer Teilzeitstelle mit 75 Prozent tätig war. (…)
Das war alles nur die Vorbemerkungen zu einer Entwicklung, die im Jahr 2021 beschrieben wurde: »Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst steht ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu. Der 6. Senat des BAG gibt seine Rechtsprechung auf.« So beginnt der am 19.10.2021 veröffentlichte Beitrag Keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten von Yvonne Dietzel. (…)
Am 4. Dezember 2024 veröffentlichte das Bundesarbeitsgericht eine erneute Kehrtwende in der Rechtsprechung unter der Überschrift Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen. (…) Das hat ziemlich eingeschlagen. »Teilzeitkräfte haben denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge wie Vollzeitbeschäftigte – das hat das BAG entschieden. Gelten soll das schon ab der ersten Überstunde«, so diese Meldung von Legal Tribune Online, deren Überschrift den Kern der Entscheidung auf den Punkt bringt (…) Das BAG stellte klar, dass tarifliche Regelungen, die Teilzeitbeschäftigte nur dann für Überstunden entschädigen, wenn diese die Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiten, gegen das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstoßen. Eine unterschiedliche Behandlung ist laut Ansicht des Gerichts nur dann zulässig, sofern sachliche Gründe vorliegen, die sie rechtfertigen. Im vorliegenden Fall konnte jedoch keine solche Begründung gefunden werden, so die Richter. (…)
Zur Einordnung der neuerlichen Kehrtwende des BAG gehört aber auch dieser Hinweis: Die Entscheidung orientiert sich an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der bereits mit Urteilen vom 19. Oktober 2023 (Az. C-660/20) und 29. Juli 2024 (Az. C-184/22 und C-185/22) klargestellt hatte, dass Teilzeitbeschäftigte bei Überstundenzuschlägen nicht diskriminiert werden dürfen. (…) Zwischenzeitlich gab es Neuwahlen und die Unionsparteien haben mit der SPD einen Koalitionsvertrag (CDU/CSU und SPD: Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 21. Legislaturperiode) ausgearbeitet. (…) Unter der Überschrift „Steuerliche Anreize für Mehrarbeit“ wird ausgeführt: »Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben. Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.« (S. 46) Aber da haben wir sie wieder – die Orientierung der Vollzeitarbeit, denn die in Aussicht gestellte Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge soll es erst geben, wenn die für Mehrarbeitsstunden gezahlt werden, die über das Stundenvolumen der Vollzeitarbeit hinausgehen. Das wird natürlich die Teilzeitbeschäftigten außen vor lassen. Das Vorhaben mit der (teilweisen) Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen muss im Zusammenhang gesehen werden mit einer anderen Maßnahme, von der man sich eine Ausweitung der Erwerbsarbeitszeitumfänge verspricht: Unter der Überschrift „Steuerliche Begünstigung von Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit“ ist im Koalitionsvertrag als Absichtserklärung festgehalten: »Wir setzen Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit. Wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeit auf dauerhaft an Tarifverträgen orientierte Vollzeit zahlen, wird diese Prämie steuerlich begünstigt. Fehlanreize und Mitnahmeeffekte werden wir dabei vermeiden.« (S. 46). Auch hier ist die Vollzeitarbeit der Referenzpunkt.“ Beitrag von Stefan Sell vom 20. Mai 2025 auf seiner Homepage - BAG entscheidet nach EuGH-Urteil für Gleichbehandlung und Gleichstellung von Frauen: Teilzeitarbeitende bekommen Zuschläge ab der ersten Überstunde
„… Teilzeitbeschäftigte haben ab der ersten Überstunde denselben Anspruch auf Zuschläge wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag entschieden. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (Urt. v. 05.12.2024, Az. 8 AZR 370/20). Im konkreten Fall ging es um eine Pflegekraft, die bei einem ambulanten Dialyseanbieter in Hessen in Teilzeit arbeitete. Der Tarifvertrag des Unternehmens sah einen Zuschlag von 30 Prozent für Überstunden vor – allerdings erst dann, wenn die reguläre Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wurde. Die klagende Frau, die 40 Prozent einer Vollzeitstelle abdeckte, erhielt daher weder einen Zuschlag noch eine Zeitgutschrift für rund 129 geleistete Überstunden. Sie argumentierte, dass diese Regelung sie benachteilige – sowohl als Teilzeitkraft als auch als Frau, da der Großteil der Teilzeitbeschäftigten im Unternehmen weiblich war. (…) Das BAG stellte klar, dass tarifliche Regelungen, die Teilzeitbeschäftigte nur dann für Überstunden entschädigen, wenn diese die Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiten, gegen das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstoßen. Eine unterschiedliche Behandlung ist laut Ansicht des Gerichts nur dann zulässig, sofern sachliche Gründe vorliegen, die sie rechtfertigen. Im vorliegenden Fall konnte jedoch keine solche Begründung gefunden werden, so die Richter. Darüber hinaus entschieden die Bundesarbeitsrichter, dass bei Fehlen sachlicher Gründe für die bisherige Zuschlagsregelung auch regelmäßig ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt. Insbesondere wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind, stellten sie eine „mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts“ fest. Die klagende Frau, deren Fall auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftigte, erhielt die von ihr geforderte Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto sowie eine Entschädigung von 250 Euro aufgrund ihrer Benachteiligung als Frau. Ursprünglich hatte sie eine Entschädigung in Höhe eines Vierteljahresverdienstes – rund 4.500 Euro – gefordert.“ LTO-Meldung vom 5. Dezember 2024(„Teilzeitler bekommen Zuschläge ab der ersten Überstunde“), tu weiteren Details siehe die BAG-Pressemitteilung 34/24 vom 5. Dezember 2024